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ZWISCHEN: Pseudonym – oder die Gefangene der eigenen Identität

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Ein weites Feld für Spekulationen ergibt die Tatsache, dass Veza Canetti zu Lebzeiten nur Texte unter Pseudonym veröffentlicht hat. Einerseits kann damit argumentiert werden, dass viele Autoren und Autorinnen der Zwischenkriegszeit unter Pseudonym publiziert haben, gerade auch Frauen. Andererseits eröffnet sich genau an diesem Punkt ein zweites, gesellschaftspolitisch gesehen noch weiteres Feld für Spekulationen. Im Falle von Veza Canetti sind bis heute keine Briefschaften, Manuskripte, Notizen und weiteres, mit Ausnahme von Ausweis und Zeugnis, bekannt, die den Namen Veza oder Venetiana Taubner tragen. Ob das bei Veza Canetti-Taubner etwas mit dem Gefühl, der Gefangene der eigenen Identität zu sein, zu tun hat, wie es Dieter Thomä dem Philosophen Michel Foucault zuschreibt, ist gut möglich. „Wenn Foucault sich der Neugier seiner Gesprächspartner widersetzt, so tut er dies nicht, weil ihm jene Präsenz prinzipiell fremd wäre, sondern deshalb, wie er mit der Art der Präsenz, die ihm zugemutet wird, nicht einverstanden ist. Daher rührt auch seine Zurückweisung eines ‚Ich‘, das sich gewissermassen in dieser Präsenz festsetzt und sie auf Dauer stellt. In wunderbarer Zuspitzung tritt diese Abwehr des Gefühls, ‚der Gefangene (…) der eigenen Identität‘ zu sein, in einem Ausspruch aus dem Jahr 1975 heraus: ‚Ich bin mit meinem Leben glücklich, nicht so sehr mit mir selbst.‘“472

Bereits vor der Heirat mit Elias Canetti hat Veza Taubner sich in einem Brief an Hermann Kesten als Veza Magd-Canetti bezeichnet und ihre Adresse in der Ferdinandstrasse 29 auch mit diesem Namen angegeben. Nach der Heirat und im Exil hingegen wird sie durchwegs ihren offiziellen Namen Veza oder Venetiana Canetti verwenden und erst 1951473 damit beginnen, als Absender/Briefkopf Veza J. Canetti zu notieren. Das J. zwischen Vor- und Nachnamen wurde von der literaturwissenschaftlichen Forschung als Kürzel für Jüdin angesehen. Es sind indessen verschiedene Lesarten dieses Sachverhalts erwägenswert. Zum Beispiel werden die Söhne des Grossvaters von Veza Taubner immer mit einem J. zwischen Namen und Vornamen angegeben, was heisst, dass sie die Söhne von Josef M. Calderon sind, für die Töchter wird dieses Kürzel nicht verwendet. Im Gegensatz zum Absender bleibt die Unterschrift unter den Briefen, ob mit Maschine oder handschriftlich, aber stets Veza Canetti, Veza, Venetiana oder Venetiana Canetti. Erst am 3. März 1963 – also wenige Wochen vor dem Tod – ändert sich dies und Veza Canetti unterschreibt einen Brief an Dr. Suchy mit (Mrs) V. J. Canetti.474

Dazu passt gut, dass Elias Canetti, sich selber oder jemand anderen in den Unpublizierten Lebenserinnerungen unter dem Stichtag „Wien, September 1929“ zitierend, notiert: „‚Eine Geschichte schreiben: Ich auseinandergespalten in fünf, sechs Figuren. Sie muss in eine groteske Gemeinschaft dieser fünf, sechs münden, um zu beweisen, wie lächerlich die weitverbreitete Fiktion von der Einheit der Persönlichkeit ist.‘“475

In Die Fackel im Ohr erläutert Elias Canetti, Veza sei der Meinung gewesen, seine Mutter schreibe und publiziere heimlich unter einem Pseudonym. „‚Sie hält uns alle für Schwätzer. Mit Recht. Wir bewundern die grossen Bücher und reden nur immer davon. Sie macht sie und verachtet uns alle so sehr, dass sie zu niemandem davon spricht. Einmal werden wir’s erfahren, unter welchem Pseudonym sie veröffentlicht. Dann werden wir uns schön schämen, dass wir’s nie gemerkt haben.‘“476 Mit Bestimmtheit trifft das, was Elias Canetti Veza über seine Mutter sagen lässt, aus heutiger Perspektive für das Schreiben von Veza Canetti selbst zu. Nicht nur hinsichtlich ihres Publizierens unter Pseudonym seit 1932, sondern auch in Bezug auf die erfolgreichen – wie Elias Canetti sie nennt –, jedoch heute unbekannten Publikationen davor. Aber auch der zweite Teil dieser kurzen oben zitierten Passage in Die Fackel im Ohr hat es bezüglich der Parallele zu Veza Canetti in sich, wenn Elias Canetti den Dialog mit Veza folgendermassen wiedergibt: „Ich blieb dabei, dass das unmöglich sei, ich müsste es bemerken, wenn sie schreibe. ‚Sie tut es nur, wenn sie allein ist. In den Sanatoriumszeiten, wenn sie sich von euch zurückzieht. Sie ist dann nicht wirklich krank. Sie verschafft sich bloss Ruhe zum Schreiben. Sie werden noch einmal staunen, wenn Sie die Bücher Ihrer Mutter lesen!‘“ Gleich mehrfach erwähnt Elias Canetti in den Unpublizierten Lebenserinnerungen, dass Veza in schweren Zeiten von ihrer Familie zur Erholung auf die Raxalpe, das heisst auf den Knappenhof (nomen est omen), geschickt wurde. „Ihre Mutter pflegte sie von Zeit zu Zeit hinzuschicken, wenn die Atmosphäre in der Wiener Wohnung so gespannt war, dass sie für ihr seelisches Gleichgewicht fürchtete. Sie blieb vielleicht eine Woche, selten länger: im Frühling war das Erste, was sie unternahm, ein Besuch auf dem Knappenhof, im Herbst war es das Letzte.“477

Veza Canetti selbst begründet ihre Pseudonymwahl mit dem etwas bärbeissigen Feuilletonredakteur Dr. König: „(…) schrieb in Wien für die Arbeiter Zeitung unter drei Pseudonymen, weil der sehr liebe Dr. König, der wieder eingesetzt ist, mir bärbeissig klarmachte‚ ‚bei dem latenten Antisemitismus kann man von einer Jüdin nicht so viele Geschichten und Romane bringen, und Ihre sind leider die besten‘.“478

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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