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11.

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Nichts Schöneres gab es für mich, erinnerte der Untersuchungshäftling Renate Hobbes sich am nächsten Morgen, als liegenbleiben zu dürfen, wenn Frieder Brötchen holte und das Frühstück machte. Wenigstens für den Morgen war das das Schönste. Und ich habe mir diesen Genuß auch nie als scheißbürgerlich ausreden lassen. Ich brauchte das. Mich dreimal rufenlassen und mich dreimal wieder rumdrehen und endlich im Morgenmantel an den gedeckten Tisch wanken, immer noch so schön schlaftrunken. Daß der Morgenmantel eigentlich ein Bademantel war, für den recht mißglückten Spanienurlaub mit Anne, Erwin und Frank gekauft, was machte das schon aus.

Frieder am Tisch. Renate kommt dazu und fragt: „Was soll denn das?“

„Frühstücksgedeck“, sagt Frieder nur. Als ob es dazu keines weiteren Kommentars bedürfte, wenn Brötchen, Tassen und Brettchen, Eier und Eierbecher, Messer und Löffelchen samt Salzstreuer und Teekanne in einer langen Reihe auf dem Tisch aufgebaut sind. Frieder zieht vorsichtig mit beiden Händen an dem einen Ende des Tischtuchs. Das ganze Arrangement bewegt sich langsam vorwärts. Dazu summt er: „Oh when the saints go marching in...“

„Halt!“ ruft Renate noch gerade rechtzeitig, ehe die vorneweg marschierende Teekanne auf den Boden fallen kann.

Frieder schlägt die Hacken zusammen und schmeißt den Kopf zur Seite, um den erteilten Befehl in scharfem Kommandoton weiterzugeben: „Das Ganze halt!“

„Mann“, stöhnt Renate, „nun spinn doch nicht schon wieder rum. Ich bin noch nicht ganz wach, und dann so was. Praktisch mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.“

„Melde gehorsamst: Tag der Alliierten Streitkräfte 1968. The same procedure as every year. Die vereinigten Besatzungstruppen Berlins, eh, Schutztruppen, eh, Schutzleutehorden vollständig zur Parade angetreten.“

Zum Glück hatten die Aufräumarbeiten nach diesem militärischen Einsatz nicht soviel Zeit in Anspruch genommen, daß der Tee kalt geworden wäre. Selbst die Brötchen waren noch frühsonnabendlich warm und die Eier sowieso. Frieder hatte ihnen die gestrickten Häubchen übergestülpt, die ich von einer Reise durch Frankreich mitgebracht hatte.

An dem Tag sind wir am frühen Nachmittag zum Bahnhof Zoo gefahren. Viel Volk strömte den Zaun entlang, hinter dem die Nashörner und Dromedare standen. Alles hin zur Straße des 17. Juni. Hin und wieder ein Schild an einem Baum: Achtung Bannmeile. Und dann im Kleingedruckten diverse Hinweise der Alliierten Stadtkommendanten auf das für die Parade unter Sonderrecht gestellte Gebiet: Keine Waffen und keine Funk- und Radiogeräte mitführen, auch keine Flugblätter verteilen. „Schade“, hatte Frieder gesagt, „immer wenn man sie braucht, sind sie gerade ausgeflogen.“ Und ich bin darauf reingefallen und habe gefragt: „Wen braucht?“ „Na, die Flugblätter.“

Neben dem Lokal Schleusenkrug unmittelbar vor der Brücke über den Landwehrkanal hat die Polizei eine Sperre aufgebaut. Frieder und Renate Hand in Hand und mit einem besonders breiten Grüß-Gott-Grinsen für die Beamten, die jeden abschätzig betrachten, der durch die Sperre geht.

„Weißt du übrigens“, fragt Frieder laut und deutlich, „daß der Schleusenkrug in einem gesamtdeutschen Haus sein Un- und Wesen treibt?“

„Nein. Wieso gesamtdeutsch?“

„Das Parterre, in dem das Lokal ist, gehört zu Westberlin. Das Untergeschoß aber, in dem der Schleusenwärter sitzt, gehört zu Ostberlin. Wie alle Berliner Schleusen. Und die Eigentumsverhältnisse sind auch äußerlich sichtbar. Oben alles unter einem weißen Anstrich verborgen, unten klarer Verzicht auf jegliche Tünche.“

„Du meinst, die drüben haben keine Farbe“, erwidert Renate.

„Tja, so polemisch kann man es natürlich auch ausdrücken.“

Renate mußte noch im nachhinein lachen. Immerhin hatte Frieder mit diesem hochpolitisch-gesamtdeutschen Gerede erreicht, daß die Polizisten die Hälse reckten und uns besonders argwöhnisch beäugten. Aber weil sie die Brisanz eines gesamtdeutschen Schleusenkruges offenbar nicht auf Anhieb zu erkennen vermochten, ließen sie uns unbehelligt ziehen. Tumbe Bullen halt.

„Wir sind als harmlos eingestuft worden“, sagt Renate.

„Ja, sogenannte Mitläufer. Aber wir werden nicht weiter mitlaufen.“ Und zieht sie in den Weg nach rechts hinein statt weiterzugehen in Richtung Straße des 17. Juni. „Sogenanntes antizyklisches Verhalten“, sagt er.

Den Landwehrkanal entlang sind wir zum Neuen See hinüber gegangen. Dem Ausflugslokal dort sah man an, wie es sich über das schöne Wetter freute. Alle Tische und Stühle draußen aufgebaut, die Tischdecken sorgsam festgeklammert, die Serviermädchen frischweiß geschürzt. Aber erst eine Handvoll alter Leutchen zur Stelle.

Als wir zum Landungssteg hinuntergingen, an dem noch die gesamte Flotte der Ruderboote lag, sagte Frieder was von den Farben Rot und Weiß. Die Boote seien in den Berliner Farben gestrichen. „Innen weiß und außen rot.“ Dann wollte er unbedingt mit mir in See stechen, wie er das nannte. Also mieteten wir ein Boot und fuhren als einzige auf den See hinaus. Der sah aus wie auf einer Postkarte aus der Zeit der Jahrhundertwende. Spiegelglatt und eingerahmt von den Bildern der Bäume und Büsche rundum. Und weil er so unbewegt war, konnte man kaum unterscheiden, was echte Bäume waren und was ihre Spiegelbilder. Der Rhododendron blühte so herrlich. Und blauer Himmel. Mein Gott, was ist das überhaupt noch: blauer Himmel?

„Das nennt man ein Kaiserwetter“, sagt Frieder im Kahn, die Beine lang von sich gestreckt, die Ruder unbewegt. „Der Himmel ist halt immer mit den Gesalbten, auch beim Tag der Alliierten Streitkräfte.“

Plötzlich bunte Sprenkel an diesem Postkartenhimmel. Ein Flugzeug hat Fallschirmspringer abgesetzt, die jetzt an bunten Schirmen zappelnd den gezielten Absprung auf die Straße des 17. Juni vormachen.

„Die Soldaten haben ihr Spielchen begonnen.“ So Renate.

„Ja, und wir werden jetzt mitspielen.“ Frieder, mit Kampfesmut in der Stimme. „Wir schlagen den Feind zu Lande, zu Wasser und in der Luft.“

„Hör auf zu schlagen. Der Tag ist so schön.“

„Der wird jetzt noch viel schöner. Denn wir beide werden jetzt eine gewaltige Seeschlacht schlagen. Los jetzt! Schluß mit der Idylle! Du bist meine Feindin, ich bin dein Feind. Nimm dein Ruder fest in die Hand und alle Kraft zusammen und dir ein Herz und wehr dich deiner Haut. Sonst bist du gleich rettungslos verloren.“

„Quatsch, Seeschlacht. Nur wir beide. Und wir sind doch im selben Boot.“

„Genau. So ist das genaugenommen immer. – Also los, wehr dich!“

Er war einfach nicht zu halten. Aber die Art wie er kämpfte, da verstand ich schnell, was gemeint war. Er rutschte an mich ran und ging mir an die Bluse und wurde so zielstrebig handgreiflich, daß der Kahn gefährlich ins Schaukeln geriet. Nicht mal im Takt der Marschmusik, die sich jetzt durch das Überallgrün um uns herum ihren Weg bahnte. Ja, das war mir aufgefallen: nicht im Takt. Und daß ich mich eigentlich beruhigen könnte: wir waren mitten auf dem See, weit genug weg von den alten Leutchen vor dem Café. Und die Fallschirmspringer waren schon gelandet. „Die Luft ist rein, jetzt brauchst du dich nicht mehr so heftig zu wehren“, hatte Frieder gesagt, als er es erreicht hatte, mich in die recht schwierig zu praktizierende Horizontallage zu bringen. Und redete und redete weiter. Und zog dabei mich und sich gleichzeitig aus. Und brachte es schließlich fertig, im Ton der Wochenschau festzustellen, daß der überfallene Gegner sich offenbar mit dem Eindringling solidarisiere. Und betete dann vor sich hin: „Make love not war“, als das Dröhnen der Panzerketten auf dem Aphalt die Musikzüge abgelöst hatte. Da war unser Kahn nur noch im leichten Ausschwingen.

Renate und Frieder im Boot, aufeinander. „Die Vergewaltigung alles Weiblichen, das sich finden läßt, das ist das Urrecht der Soldateska. Seit Jahrtausenden der effektivste Motivationsschub bei aller Kampfbereitschaft, viel mehr als Angst und Vaterlandsliebe.“ Frieder, in das ferne Panzerrasseln hineinsprechend.

„Aber das war doch keine Vergewaltigung“, widerspricht Renate.

„Still. Ich lasse mir meinen großen Sieg nicht kaputtquatschen. – Aber eigentlich hast du recht. So bringt das eine geschickte Frau immer. Gäbe es nur noch solche, gäbe es keinen Anlaß mehr, in Feindesland einzufallen.“

„Ein geschickter Mann macht sich ein bißchen leicht, besonders wenn die Unterlage so unbequem ist wie ein Bootsboden“, stößt sie ihn von sich. Und nachdem er – offensichtlich sehr ungern – sich aufgerappelt und neben sie gesetzt hat, überfällt sie ihn mit der Frage: „Hast du mal ,Tage des Überlebens‘ gelesen, von Margret Boveri?“

„Nein“, gesteht er, ziemlich verwundert über ihre plötzliche Abschweifung in die Literatur.

„Darin beschreibt sie, eine echt erfahrene Frau, den Einmarsch der Russen 1945 in Berlin, wo sie als Journalistin gearbeitet hatte. Und wie alles, was weiblich war, vergewaltigt wurde. Und sie sagt so ungefähr: Da es nun schon mal unvermeidlich war, wenn so eine Horde ankam, habe ich mir wenigstens immer den schönsten Kerl ausgesucht, möglichst den Offizier, und den so angeguckt, daß er die anderen fortgejagt hat.“

„Die überlegene Haltung der Unterlegenen. Prima. Die Frau muß ich kennenlernen.“

„Nicht dein Jahrgang. Wie schade für dich.“

„Und erst recht für sie.“

„Für sie natürlich auch. Wenn du auch nicht so eine schicke Uniform trägst.“

„Ach, sieh mal, du wärst wohl doch lieber zu der Alliierten-Parade gegangen, die schnieken Herren Offiziere bewundern, wie alle Frauen.“

„Daß Uniformen auf eine Frau wirken, kann ich gut verstehen“, gibt Renate zu, auf einmal sehr sachlich. „Eine Uniform macht einfach mehr Mann. Allerdings wirkt das auf mich nicht. Ich weiß ja, was darunter ist. Mode ist soziologisch gesehen immer nur ein aufgesetzter Appell.“

Das hatte Frieder nicht aufgegriffen. Wohl weil er nicht sicher war, ob er das noch positiv auffassen könnte. Irgendwie hatten die Uniformen uns aus dem Rhythmus gebracht. So blieb uns nur, uns wieder anzuziehen. Jeder für sich. Wobei der Kahn wieder stark ins Schaukeln geriet. Aber ganz anders als vorher. So lustlos. – Ja, lustlos. Ob ich jemals wieder kahnfahren werde?

Tage des Terrors. Tatsachenroman

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