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2.

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Was ist nur los mit ihr? Sie ist nicht wie sonst, wenn ich sie abhole, fiel ihm auf. Sie ist so verstört. Als hätte sich heute die ganze Tristesse dieser öden Gerichtsflure auf sie gestürzt. Dieser Gänge ohne Anfang und ohne Ende. Als hätte ihr enges, kahles Richterzimmerchen mit der seelenlosen Nummer 1035 an der Tür und den paar geschmacklos zusammengewürfelten Möbelstücken sie in die Zange genommen. Dieses kleine Gesicht, so blaß. Und diese ausgeknipsten Augen, erschrak er.

„Laß uns nur ganz schnell gehen, Rainer“, flüsterte sie, als sie ihre Richterrobe auf den Kleiderbügel und in den Schrank hängte. Überhastig, aber ordentlich wie immer, dachte er. Er wollte ihre Aktentasche nehmen, wie gewöhnlich. Diese kleine Hilfe, nie der Rede wert, doch das Mindeste, was er hier in der für ihn fremden Welt für sie tun konnte. Aber sie war schneller als er, packte die Tasche mit beiden Händen, drückte sie fest an sich und hastete hinaus auf den Flur, überließ es ihm, den Schlüssel nach außen zu stecken, ihn herumzudrehen und rauszuziehen. Und klaubte ihm gleich darauf den Schlüssel aus der Hand, übertrieben energisch, wie er fand. Und schob ihn zum Fahrstuhl. „Frag mich jetzt nichts“, sagte sie, als er den Mund aufmachen wollte. Panik, überlegte er, die ganze Frau eine einzige Panik. Und zog es vor, sie nicht weiter zu behelligen.

„Was ist nur mit unserer Richterin Kleine Sextro los“, sagte der Pförtner zu dem Polizisten, der neben ihm stand. „So ist die ja noch nie hier durchgerannt. Schmeißt einem den Schlüssel beinahe an den Kopf. Und nichts wie weg, ohne jeden Gruß. Ohne uns einen schönen Feierabend zu wünschen. Also so was.“

„Da kann ich notfalls drauf verzichten“, meinte der Polizist. „Aber wer war denn das sonderbare Subjekt, das sie abgeholt hat?“

„Das? – Na, ihr Mann, der Maler.“

„Eine Richterin – und ihr Mann ein Maler?“

„Ja, aber ein richtiger Maler. Ein Kunstmaler oder wie der sich nennt. Also nicht so ein Anstreicher.“

„Um so schlimmer. Den könnte man ja wenigstens noch brauchen. Aber so einen, nee.“

Kaum aus dem Bus ausgestiegen, auf den letzten paar hundert Metern Heimweg, kam Rainer dann doch mit der Frage heraus: „Also, Annemarie, nun sag schon. Was ist los? Hat es Ärger gegeben im Büro?“

„Was heißt hier Ärger gegeben“, kam es mehr resigniert als tadelnd. „Bei mir kann es keinen Ärger geben, wie du weißt. Weil ich keinen Chef habe. Bei mir gibt es nur Fälle. Immer andere Fälle. Ärgerliche auch. Und unangenehme. Und der neueste Fall ist wieder so einer. Ein höchst unangenehmer. Ein Terroristenprozeß.“

„Na und? Für dich doch nichts Neues.“

„Nein, eigentlich nichts Neues. Da hast du recht. Aber diesmal ist doch alles anders als sonst. Viel, viel schlimmer.“

„Warum?“

„Still jetzt“, herrschte sie ihn flüsternd an. Passanten kamen ihnen entgegen. Ein harmloses älteres Paar. Danach noch ein paar Kinder. Kein Grund für diese Geheimnistuerei, wurde Rainer ärgerlich. „Also, was ist nun? Wieso steht jetzt ein Terroristenprozeß an, der anders ist als sonst, viel schlimmer?“

Sie waren am Gartentörchen angelangt. Sie schob ihn so ungeduldig wie stumm hindurch und ins Haus. Und als die Haustür hinter ihnen ins Schloß gefallen war und er gerade einen Satz vorformuliert hatte, der mit Unverschämtheit, mich so herumzuschubsen, beginnen sollte, sagte sie: „Weil – na weil die Beklagte Renate Hobbes heißt.“

„Renate Hobbes, Renate Hobbes“, überlegte Rainer Kleine Sextro laut, „den Namen hast du doch – ja, davon hast du schon oft, ja, sag mal, ist das denn nicht – tatsächlich?“

„Ja, tatsächlich. Die Beklagte ist meine Klassenkameradin Renate Hobbes“, kam es fast tonlos, „meine alte Freundin, von der ich dir schon so oft erzählt habe.“

Und nach einer Pause, die er ihr gelassen hatte, um sie nicht noch zusätzlich zu irritieren: „Meine einzige Freundin. Die ich seit dem Anfang des Studiums nicht mehr gesehen habe. Du weißt ja, ich bin mit meinen Eltern schon nach den ersten Semestern nach Bonn gezogen und habe dort studiert. Renate war hier an der Freien Universität geblieben. Damit war etwas zuende gegangen, was wir immer als die schönste und intensivste Freundschaft empfunden hatten, zu der junge Menschen überhaupt fähig sind. Wir haben uns nie mehr wiedergesehen, seitdem unsere Wege so auseinandergelaufen waren. Nie mehr. Sonderbarerweise. Und irgendwann dann auch nicht mehr geschrieben oder angerufen. Wie so was einschläft auf die Entfernung. Na ja, neue Menschen, neue Kontakte. Aber jetzt begegnet sie mir in einer Akte, die auf meinen Tisch kommt. Als leibhaftige Beklagte. Strafsache Renate Hobbes. Jetzt soll ich sie verurteilen wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Beihilfe zur Entführung und zum Mord.“

Nun machte Rainer Kleine Sextro einen ebenso verstörten Eindruck wie seine Frau. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sagen konnte: „Aber das kannst du doch nicht machen. – Ich meine, sie verurteilen. – Deine Freundin Renate. Das kannst du doch nicht tun.“

„Ja, das kann ich nicht tun, da hast du recht. – Aber ich kann es auch nicht lassen.“

„Was?“

„Ich kann sie auch nicht einfach nicht verurteilen. Ich kann mich nicht rausstehlen aus dieser Sache.“

„Aber sicher kannst du. Du kannst dich als Richterin doch selbst ablehnen. Wegen Befangenheit.“ Soviel wußte Rainer von der Stellung einer Richterin. Und er brachte sein Fachwissen mit einem gewissen Stolz an.

„Du weißt ja schon gut Bescheid in meinem Job.“

„Danke für das Lob.“

„Aber dann weißt du auch, was der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist. Das ist das oberste Gesetz des Gerichts, ist quasi unsere Bibel. Dahinter steht das Gerichtsverfassungsgesetz. Das gibt jedem Angeklagten einen Anspruch auf den sogenannten gesetzlichen Richter, das heißt auf einen Richter, der zufällig und nicht per Beschluß oder durch sonstige Manipulation ausgewählt wurde. Deshalb wird die Justitia immer mit verbundenen Augen dargestellt. – Und der Geschäftsverteilungsplan regelt eben nicht nur, welche Akte welchem Richter auf den Tisch gelegt wird, er regelt auch die Vertretung, das heißt wer wen vertreten muß.“

„Du sagst es. Du kannst dich also vertreten lassen.“

„Sehr richtig. Mich selbst ablehnen, mich vertreten lassen, das würde ich am liebsten tun.“ Und nach einer Pause, während der sie im Zimmer auf und ab lief: „Wenn ich nicht wüßte, wer mich dann vertreten müßte: Dr. Grotan. Wenn ich nicht wüßte, was für ein Terroristenfresser der Mann ist. Und was für ein Weiberhasser dazu. – Nein, Rainer“, brach sie plötzlich in Tränen aus, „nein, diesem Richter nicht, dem kann ich Renate nicht ausliefern.“

„Das heißt, dann willst du also selbst...“

„Nein!“ schrie sie, „ich will nicht, ich muß! – Ich selbst muß über Renate zu Gericht sitzen. Ich muß meine beste, meine einzige Freundin verurteilen“, lief sie heulend ins Schlafzimmer.

Tage des Terrors. Tatsachenroman

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