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Berlin, Frauenhaftanstalt Lehrter Straße. Eher Fluch als Adresse. Und der Hochsicherheitstrakt, das kranke Herz des schwerblütigen Gebäudekomplexes, ist der gräßlichste Fluch. Ist wie eines dieser Schwarzen Löcher im All, in denen eine ganze Welt verschwunden ist. Die Wirklichkeit einer vergessenen Art von Lebewesen. Verloren. Doch in diesem Schwarzen Loch gab es plötzlich Unruhe. Denn einer aus der Welt der Menschen war zu den Verschwundenen herabgestiegen. Was selten geschah. Um so verständlicher, daß Renate Hobbes viele Klopfzeichen und Zurufe zu hören kriegte, als sie nun über die langen, leeren Gänge geführt wurde. Hin zu dem Besprechungszimmer, wo sie mit ihrem Rechtsanwalt und dem Ermittlungsrichter eingeschlossen wurde. Der Richter mußte dabei sein, wußte sie. Wenn er in dem Moment auch nicht ermitteln durfte, bloß zuhören. Als zwar stummer, aber immer noch gefährlicher Augen- und Ohrenzeuge.

„Untersuchungsgefangene Renate Hobbes“, hatte die Schließerin gesagt und sie wieder so verliebt angesehen, als sie die Gefangene aus ihrer Einzelzelle abholte, „Ihr Wahlverteidiger will mit Ihnen sprechen.“

Jetzt saß die Gefangene da, eine Frau von Mitte dreißig, die unter dem kalten Neonlicht, faltig-grau im Gesicht und mit seltsam leeren Handbewegungen, eher wie eine Endvierzigerin wirkte. Sie begrüßte ihren Wahlverteidiger mit einem bemühten Lächeln.

„Frag nicht, wie es mir geht, Mani“, sagte sie, „und starr mich nicht so an. Sag mir lieber, wie es weitergeht.“

„Ich finde, die Sache läuft gut“, tröstete der Anwalt sie. „Die Staatsanwaltschaft hat nur heiße Luft in der Flinte. Du hast doch die Akte gelesen?“ Und als sie leicht nickte. „Nun, erkennst du dich darin wieder?“

Der Ermittlungsrichter sah so unbeteiligt drein wie möglich. Der Anwalt strahlte soviel Optimismus aus, wie ihm nötig schien. Die Frau zwischen den beiden Männern sah sich hilflos nach den kahlen Wänden um und schwieg. Dann griff sie mit der linken Hand in ihr volles, dunkles Haar und drehte versonnen Löckchen um den Zeigefinger. Der Richter hielt sich hinter seinem ausdruckslosen Pokerface versteckt. Der Verteidiger blieb der Strahlemann, doch wurde er zunehmend unruhiger, je länger seine Mandantin schwieg. Daß sie sich nur nicht durch meine saloppe Frage zu einer Äußerung verleiten läßt, die gegen sie verwandt werden kann. Davor muß ich sie bewahren. Aber noch ehe er seine Frage mit einem nächsten Satz wegwischen konnte, stöhnte Renate Hobbes auf: „Nein, ich erkenne mich nicht darin. Ich erkenne überhaupt nichts mehr hier, hier in diesem...“

„Reiß dich zusammen, Renate“, unterbrach er sie schnell, „du weißt, es geht um sehr viel. Und du darfst dich dabei nicht als unwichtig ansehen.“

Der stumme Zeuge hätte zu gern nachgehakt, hätte gern gewußt, wobei die Beklagte nicht unwichtig sein sollte. Aber das hier war die Sprechzeit ihres Verteidigers, nicht seine. Und so sagte er sich: Keine Frage, es geht natürlich um den demnächst anstehenden ersten Verhandlungstermin in der Sache Renate Hobbes. Und war, was er am liebsten war: beruhigt.

„Ja, ja“, sagte die Gefangene endlich. Sehr nachdenklich geworden. „Ja, – daß ich nicht unwichtig bin, das sage ich mir täglich, seit ich hier einsitze. Seit über einem Jahr sage ich mir das nun schon, Tag für Tag. Und du willst mir das jetzt auch noch einreden. Hast du mir sonst nichts zu sagen, Manfred?“

Ihr Ton war zuletzt energisch geworden, protestierend und fordernd. So daß ihr Anwalt sich beeilte, zu beschwichtigen: „Alles gut, alles gut, wirklich alles. Aber ich nehme an, daß du noch Fragen hast zu den Angaben in der Akte.“

„Fragen? – Nicht direkt Fragen. Aber mir fiel auf, eine der drei Roben, die mich verknacken wollen, ist eine Frau.“

„Das stimmt.“

„Das gefällt mir nicht. Ich habe so ein unbestimmtes Gefühl, als ob mir von daher die größte Gefahr droht. – Und auf meine Gefühle kann ich mich verlassen.“

„Da kann ich dich beruhigen“, war der Anwalt wieder ganz ihr Seelsorger. „Frau Kleine Sextro, diese Richterin, die ist eine sehr ausgeglichene und immer freundliche Frau. Sie ist übrigens in deinem Alter. Ich habe sie noch heute früh im Gericht gesprochen. Da war sie so verstört. Irgendwelche Schmierfinken hatten an die Wand neben ihrer Haustür geschrieben: Es liegt was in der Luft – nicht nur auf der Straße! Sie war ganz aufgeregt, als sie mir das erzählte. Unerhört so was, habe ich ihr gesagt.“

Etwas blitzte auf in den Augen der Beklagten, als sie jetzt ihren Anwalt ansah. Der Ermittlungsrichter kriegte das nicht mit. Jetzt wußte Rechtsanwalt Schallenberg seine Mandantin mit dem Wichtigsten versorgt, mit dem, was sie am dringendsten brauchte. Mit Hoffnung. Er war mit dem Start seiner kleinen Plauderei zufrieden. Die Verständigung hatte geklappt. Der stumme Zeuge war offenbar für die Hintertöne taub. So konnte der Anwalt das lockere Gespräch zielstrebig fortsetzen, konnte schnell zur Sache kommen. Renate Hobbes war hellwach und spielte wunderbar mit, immer noch mit dem Zeigefinger Löckchen drehend. Wie gelangweilt. Wenn nur nicht der lauernde Blick uns verrät, mit dem sie mich ansieht, überlegte Schallenberg. Doch der Ermittlungsrichter sah vor sich hin, offensichtlich über die Harmlosigkeit des Gesprächs glücklich.

Schallenberg suchte die richtige Wendung, die ihn auf Frieder Fehlhaber bringen würde. Klar, daß sie über Frieder was hören will. Klar, daß sie Tag und Nacht an ihren Frieder denkt. Der jetzt so allein ist wie sie. Und ich könnte ihr gute Nachricht bringen. Das aber wieder so auszudrücken, daß ich mich nicht dem Verdacht aussetze, mit den Terroristen gemeinsame Sache zu machen, ihr Postillion in Anwaltsrobe zu sein, das ist die Schwierigkeit.

Doch dann endlich hatte er es. „Vorweihnachtszeit“, sagte er orakelhaft. „Friederfüllt die Welt, in der doch noch so viel passieren kann, ehe das Jahr wirklich zuende ist. Ja, so viel. Aber jedenfalls im Moment geht es gut, ist alles beim alten. Ja, alles noch beim alten.“

Renate Hobbes sah ihn aufmerksam an. Köstlich, dieses Wort friederfüllt, triumphierte es in ihr. Und alles noch beim alten. Das hieß also, daß auch Frieder noch nicht verurteilt war, daß er wartete wie sie. Er in Stuttgart-Stammheim, das wußte sie. Und nun wußte sie auch, daß er nicht auf seinen Prozeß wartete, sondern auf seine Befreiung. Die also noch vor Ende der Jahres durchgeführt werden sollte. Da blieb nicht mehr viel Zeit, aktiv zu werden.

Leider auch nicht mehr für weitere Erklärungen. Die Schließerin kam mit ihrem filmreif rasselnden Schlüsselbund. „Die Sprechzeit ist zuende“, sagte sie.

„Alles, alles mögliche Gute“, wünschte die Untersuchungsgefangene ihrem Anwalt zum Abschied. Und der wunderte sich nicht. Er wußte, daß sie verstanden hatte.

„Geht in Ordnung“, sagte er beim Hinausgehen.

Der Untersuchungsrichter trottete hinter ihm her, stumm, wie es seines Amtes war. Er könnte in seinem Bericht über dieses Gespräch nicht viel bringen, überlegte er. Nur, daß die Beklagte und ihr Anwalt über Weihnachten gesprochen haben, das könnte er hineinschreiben. Und natürlich die Bemerkungen über die Richterin Kleine Sextro. Ja, die natürlich auch. Eine Überlegung, die brisanter war, als der Untersuchungsrichter ahnte.

Tage des Terrors. Tatsachenroman

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