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Das war Ende 1968 gewesen. Da hatte Frieder vor Gericht gestanden. Und ich saß im Zuschauerraum. Das war ein Erlebnis. Damals durfte noch gelacht werden. Renate Hobbes versuchte es nochmal, mit nur mäßigem Erfolg. Ja, inzwischen ist uns das Lachen vergangen. Wahrscheinlich sogar Frieder, drüben in Stammheim. Direkt nach dem Prozeß, das war in meinem Apartment. Ich nannte es Studentenbude. Was für einen Frieder Fehlhaber aber viel zu bürgerlich war. „Scheißbürgerlich, mit deinem Nierentisch und den putzigen Sesselchen“, hatte er sich anfangs entsetzt. Und ich hatte mich verteidigen müssen: „Alles vom Sperrmüll.“ Doch dann war er ganz froh, nach dem Prozeß, einen Unterschlupf zu haben. Sich von seiner öffentlichen Rolle als Politclown bei mir erholen zu können. Wenn er dabei auch oft hinter Atem kam. Jedenfalls brauche er sich nicht über einen Sexualnotstand zu beklagen wie Hans-Dieter, hat er damals gesagt. Das habe ich als eine feierliche Belobigung für Verdienste um Fronturlauber aufgefaßt. Ja, sogar mit einem gewissen Stolz. Warum nicht? Damals konnte ich ihm Wort für Wort wiederholen, was er gesagt hatte. Wie es in der Bibel irgendwo heißt: Und Maria verwahrte all seine Worte in ihrem Herzen.

„Doch, wirklich, das hast du großartig gebracht, Frieder. Der Vorsitzende wußte überhaupt nicht mehr, wo er dran war mit dir.“

„Aber das Klassenziel nicht erreicht.“

„Was hast du nicht erreicht?“ fragt Renate irritiert. „Morgen sind alle Zeitungen voll von deinen Späßen. Jede Wette.“

„Aber er ist nicht mit mir einen trinken gegangen.“ Frieder mit säuerlicher Miene.

„Mit so einem würdest du doch nicht in eine Kneipe gehen.“

„Aber“, nörgelt Frieder Fehlhaber weiter, „ich hatte es meinem hochverehrten Publikum fest versprochen, daß ich diesmal so lieb zum hohen Gericht sein würde, daß der Vorsitzende nachher mit mir einen trinken gehen würde.“

„Ja, du warst wirklich sehr lieb zu ihm. Einfach prima dieses: ich habe ja so viel auf dem Kerbholz, ich kann nachts nicht mehr schlafen. Darum bitte ich Sie, mit aller Schärfe des Gesetzes gegen mich vorzugehen. Einfach Klasse. Und vor mir in der Reihe, da saß eine alte Frau, die fragte ihren Nebenmann, ob das wahr sein, daß du abends mit dem Richter einen hebst.“

„Und, was hat der Kerl dazu gesagt?“

„Das war ein ganz lockerer Typ. ,Ich glaub überhaupt nix‘, hat der nur gesagt.“

„Ein frühreifer Typ. Wir sollten mehr davon haben.“

„Daß du sogar Rudi als gefährlichen Verführer der Jugend und als Demagogen bezeichnet hast, der leider nicht erschossen wurde, das war schon umwerfend überzeugend.“

„Das wird Rudi nicht mehr schlafen lassen.“

„Also, da würde ich mir keine Sorgen drum machen. Da muß Rudi drüberstehen. Der muß doch wissen, daß revolutionäre Solidarität auch Opfer vom einzelnen fordert. Auch, daß man sich mal so karikieren lassen muß, wenn es darum geht, den Gegner zu demaskieren.“

Dazu Frieder, nach einer Pause, in der es scheint, als wollte er dies und das sagen und schlucke es doch Stück für Stück herunter: „Das hast du sehr schön gesagt.“

„Nur, sag mal, Frieder, mußtest du denn auch Horsti anscheißen?“

„Ein gewiefter Anwalt muß alles verkraften können.“

„Aber das hat er nicht verkraftet. Fand ich ja auch blöd von ihm. Als du sagtest, du möchtest lieber einen Pflichtverteidiger bekommen, der das Gericht nicht immer so anschreit wie Horst, da hab ich auch die Luft angehalten. Dann dachte ich, da macht Horst jetzt was draus. Da kann er was Grundsätzliches bringen über diese Farce mit den Pflichtverteidigern. Und dann diese lahme Reaktion von Horst. Zu sagen, er könne solche Angriffe nicht ernst nehmen. Dir so die Luft abzulassen, einfach blöd. Und daß er es dann sogar fertiggebracht hat, sein Mandat niederzulegen und dich allein zu lassen, das hätte ich nicht von ihm erwartet. So wie Horst eingestellt ist.“

„Das war der Bourgeoisietest“, meint Frieder herablassend, „den hat er nicht bestanden.“

„Da hat Jörg doch eine bessere Figur gemacht. Überhaupt nicht aus der Spur zu bringen, als du seinen Ausdruck , borniert‘ getadelt hast. Dabei war er gerade so richtig schön in Rage, machte den Vorsitzenden derart zur Sau. Und dann dein Einwurf: ,So ein netter, jovialer Opa, und da sagst du borniert‘. Das war Klasse.“

„Jörg hat wenigstens sofort geschaltet.“

„Aber am besten fand ich, wie du dann den Antrag gestellt hast, noch mehr Polizisten in den Saal einzulassen, viel mehr Polizisten. Weil sich die Notwendigkeit ergeben könnte, daß Jörg zusammengeschlagen werden muß.“

Irgendwann hatte Frieder an dem Abend offenbar genug von meinem Applaus. Aber ich war einfach so begeistert. Er machte wortlos die Kerze auf dem Tisch an, stand auf, knipste die Stehlampe mit den drei Lichttütten aus und fing an, sich auszuziehen. „Genug der Worte, laß uns Taten tun“, sagte er, als er die Unterhose runterzog. Das hieß Programmwechsel. Und ich habe mich nicht lange bitten lassen. Ich war wie immer ruck-zuck ausgezogen. Als er seine Brille mit den dicken Gläsern behutsam neben die Kerze legte, meinte er: „Aber nur, wenn du auch deine Kontaktlinsen wegtust. Gleiche Waffen.“ Und ich wollte nicht: „Dann sehe ich ja nichts mehr.“ Und er darauf: „Dann werden wir im Schatten kämpfen.“ Das haben wir dann auch. – Aber, daß er das Liebemachen so gern als Kämpfen bezeichnete, – schon komisch.

Renate und Frieder am Frühstückstisch. Sie, die Zeitung aufgeschlagen in den Händen: „Siehst du, jetzt steht es sogar in der Zeitung, das mit der Verführung minderjähriger Töchter von Polizeibeamten. Das hättest du ja nicht zu sagen brauchen, finde ich.“

Wofür Frieder nur ein Gähnen übrig hat.

„Und daß der Intimverkehr mit ihnen dir keinen Spaß mehr macht, das kann ich dir nicht abnehmen. Schon gar nicht nach dieser Nacht.“

„Hast ja recht.“

„Aber das sage ich dir: nochmal so ein Ding, und ich trete als Zeugin der Anklage gegen dich auf.“

„Das wäre überhaupt die Idee“, war Frieder da plötzlich hellwach. Aber ich habe ihn nicht über neue Strategien nachdenken lassen. Ich habe ihm die Zeitung in die Hand gedrückt. Ich wollte ihn nicht schon wieder mir entgleiten lassen. Zurück in seine komplizierten Überlegungen. Um dann wieder warten zu müssen, beinahe endlos warten zu müssen, bis er sich wieder losreißt von all dem, was ihm wichtig ist. Und auch mir wichtig ist, ja, selbstverständlich. – Schon ein Widersinn, einen Mann gerade wegen seiner Engagiertheit so zu lieben und dabei immer auf die Stunden der Nichtengagiertheit zu hoffen.

„Daß dir der Intimverkehr mit mir keinen Spaß mehr macht, so was öffentlich rauszuposaunen, – einfach unmöglich,“ greift Renate das Thema am Frühstückstisch wieder auf. „Klar, was ich dir hier biete, das ist nur eine bürgerliche Idylle. Fehlte nur noch, daß du vor mir auf bist und die Brötchen holst – und ganz stolz darauf bist.“

„Schaffe ich nie. Ich bin eine Spätentwicklung.“

„Aber gut entwickelt bist du.“

„Und du erst mit deinem strammen Turnlehrerinnenarsch. – Weißt du, du solltest endlich zu uns in die Kommune ziehen.“

„Oh nein, nicht schon wieder die alte Leier.“

„Doch, immer wieder, solange bis du mitsingst.“

„Aber du weißt doch, das kann ich nicht. Da ist bei mir noch immer eine Hemmschwelle, die ich nicht überwinden kann. So sehr ich mit den Intensionen der Kommune...“

„Intentionen meinst du.“

„Meinetwegen. Ich wollte sagen: So sehr ich mit den Intentionen der Kommune übereinstimme, ich bin noch auf dem Weg von der akzeptierten Theorie zur entsprechend praktizierten Verhaltensweise. Ist eben ein langer und beschwerlicher Weg. Und ich befürchte, ich schaffe ihn nie. Da sind Dinge in mir angelegt. Also, ich kann einfach nicht mit mehreren Männern bumsen, wenn ich eine starke emotionale Bindung an einen habe. Und die hab ich nun mal, – immer noch.“

Frieder Fehlhaber überhört die leise Drohung: „Du brauchst deine angelegten Dinge nicht mal abzulegen bei uns. In der Kommune herrscht nicht die Weibergemeinschaft, das weißt du doch.“

„Aber der Weibernotstand herrscht. Das weiß ich auch. Und daß Agathe die Weibergemeinschaft verlangt, mußt du ja wohl zugeben.“ unter uns ist. Die anderen Zimperlieschen bleiben ja nie lange bei der Stange“, lacht Frieder.

„Nun bleib doch mal einen Moment ernsthaft. Ich meine das nämlich ganz ehrlich.“

„Ganz ährlich“, äfft er sie nach.

„Frieder, ich würde ja furchtbar gern, aber es geht nicht. Irgendwas macht es mir einfach unmöglich.“

„Das ist etwas, das du einmal grundsätzlich aufarbeiten mußt. Da nützt es auch nichts, wenn ich dir jetzt erkläre, daß Agathe im Grunde genommen überhaupt nicht die Weibergemeinschaft propagiert, sondern die Männergemeinschaft.“

„Und du meinst, das tröstet mich? Da kann ich nur sagen: Hau ab. Beeil dich, daß du zum Stuttgarter Platz kommst, sonst wird Agathe mit dir schimpfen.“

„Du spinnst ganz schön rum, Renate.“

„Also ehrlich, ich finde, es muß doch möglich sein, einen einzigen Mann zu lieben und sich dabei trotzdem in der revolutionären Arbeit zu engagieren, trotzdem an der Verbesserung unserer Gesellschaft...“

„Bravo. Jetzt hast du die Problematik so geschickt rumgedreht, daß sie keine mehr ist.“

„Habe ich nicht.“

„Doch. Genau wie dieser uralte Witz von Tünnes und Schäl, die sich darüber streiten, ob Rauchen und Beten sich miteinander vereinbaren lassen. Der eine geht zum Pastor und fragt ihn, und der andere geht zum selben Pastor und fragt ihn. Und dann trumpft der Tünnes vor dem Schäl auf: ,Ich darf.‘ Und der sagt: ,Ich darf nicht. – Das versteh ich nicht.‘ Worauf der Tünnes meint: ,Ja, was hast du den Pastor denn gefragt?‘ Und der Schäl antwortet: ,Ich habe gefragt, ob ich auch beim Beten rauchen darf, und da hat er gesagt: Nein, mein Sohn, das geht nicht an.‘ Da lacht der Tünnes ihn aus und sagt: ,Das war die falsche Fragestellung. Ich habe den Pastor gefragt, ob ich auch beim Rauchen beten darf. Da hat er gesagt: Sehr gut, mein Sohn, du sollst bei allem, was du tust, beten.“‘

„So, das ist also die Art, wie ihr in der Kommune persönliche Probleme aufarbeitet“, entgegnet Renate spitz.

„Zumindest hätten wir unseren Spaß dabei gehabt, wenn Tünnes und Schäl zu uns gekommen wären mit ihrem Problem. Aber du, du lachst ja nicht einmal. Du bist noch zu verbissen, Renate. Mit Verbissenheit schaffen wir es nie. Wir müssen lachen und die anderen lächerlich machen, die Pseudo-Autoritäten unmöglich werden lassen, und damit auch die repressiven Normen, die sie uns eingepflanzt haben. Das muß ineinandergreifen, wie zwei Zahnräder: Sich selbst freisprechen, das heißt, sich selbst freimachen durch Aussprechen und gleichzeitig den anderen ihre angemaßte Autorität absprechen. Das ist für mich das Prinzip Zahn um Zahn. Und nicht dieses verbissene Rachenehmen, dieses Draufschlagen Auge um Auge, Zahn um Zahn. – Ach, Renate, wir könnten soviel besprechen. Du solltest wirklich in die Kommune kommen.“

„Ja, vielleicht – eines Tages. Aber solange ich noch nicht zur Kommune kommen kann...“

„Komm ich zu dir“, bringt er den Satz zuende.

In derselben Ausgabe der Zeitung, das war die von Freitag, dem 4. Oktober 1968, überlegte Renate Hobbes – wie lange habe ich das Zeitungsblatt mit mir rumgeschleppt –, da war ein Artikel über Jean-Paul Sartre und seinen zähen Kampf für die an den Rand Gedrückten. Gleich nachdem Frieder gegangen war, fand ich den Artikel. Und das war für mich ein gutes Zeichen. Das war alles andere als ein dummer Zufall. Heute Sartre, morgen Fehlhaber, wußte ich seit diesem Tag. Und mir war völlig klar, welcher Name dann für Simone de Beauvoir stehen würde. Damals habe ich mir gesagt: Noch ist Frieder mir bewußtseinsmäßig einiges voraus. Aber dieser Vorsprung ist aufzuholen. – Und, habe ich ihn inzwischen aufgeholt? – Das möchte ich doch annehmen.

Die Untersuchungsgefangene Renate Hobbes ging an ihr kleines Bücherregal und nahm das Buch Repressive Toleranz von Herbert Marcuse heraus. So ein Mann mußte uns wegsterben in diesem Scheiß-Sommer, von dem ich kaum einen Sonnenstrahl gesehen habe. Die einzige Vaterfigur, die wir hatten. Tot. – Aber nicht ganz. Er hat ja alles Wichtige für uns niedergeschrieben. Sie schlug das Buch auf und freute sich über all die Anstreichungen, die sie gemacht hatte. Ohne Rücksicht auf die Vorschriften der Gefängnisbücherei. Da fand sie Sätze unterstrichen, die ihr mittlerweile so selbstverständlich schienen, daß sie sich wunderte: Wie konnte er das noch drucken lassen? Was ist denn so Erstaunliches daran, fragte sie sich, als sie sich laut vorlas: „Daß es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein Naturrecht auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben.“ Hier steht es doch schwarz auf weiß, daß diejenigen, die dieses Widerstandsrecht praktizieren, das nur tun, weil sie Menschen sein wollen. – „Auch ich will Mensch sein!“

Tage des Terrors. Tatsachenroman

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