Читать книгу Tage des Terrors. Tatsachenroman - Walter Laufenberg - Страница 23
19.
ОглавлениеNach dem Abendessen blieben sie gern noch ein Weilchen am Tisch sitzen. Annemarie und Rainer Kleine Sextro. Zu einer Art Erntedankfestplauderei. Eine Gelegenheit, die Erfahrungen des Tages auszutauschen. Auch, Pläne zu machen. Alles in dieser gelösten Art, die ein gefüllter Magen einem schenkt.
An einem solchen Abend beklagte sich Annemarie darüber, es sei nicht einfach, einem Staat zu dienen, dessen oberster Repräsentant ein absoluter Ignorant sei.
„Wieso?“
„Ja, weißt du denn nicht, was unser neuer Bundespräsident, der hochgelahrte Herr Professor Karl Carstens, über Bölls Eintreten für Terroristen gesagt hat?“
„Nein. – Müßte ich das wissen?“
„Er hat gesagt, der Schriftsteller Heinrich Böll habe unter dem Pseudonym Katharina Blum die Gewalt verherrlicht.“
„Nett. – Aber weißt du, ein Rechtsprofessor. Der muß ja literarisch nicht so versiert sein wie du. Ich selbst habe übrigens Die verlorene Ehre der Katharina Blum auch noch nicht gelesen. Ich weiß natürlich, daß Katharina Blum Bölls Titelheldin ist und nicht sein Pseudonym. Aber – mehr weiß ich von dem Buch auch nicht.“
„Du äußerst dich ja auch nicht öffentlich dazu. Aber ein Bundespräsident, der so einen Quatsch von sich gibt, das tut mir schon weh.“
„Aber du brauchst dich doch nicht mit jeder Hofschranze zu identifizieren, nur weil du dein Geld vom Hofe beziehst.“
„Da gibt es leider keine Chance, sich zu distanzieren. Die Blödheit der Politiker setzt jeden herab, der ihnen dient.“
„Nein, wirklich, Annemarie, das ist für dich ein Problem?“
„Ja, meinst du, es wäre mir egal, für wen ich arbeite? Dann hätte ich doch gleich als Syndikus zu Coca-Cola gehen können. Da würde ich mehr verdienen als bei der Richterei.“
„Verstehe. Es geht natürlich auch bei dir um nichts anderes als das Ich, das seine Streicheleinheiten braucht“, analysierte Rainer trocken.
„Das zumindest keine Tiefschläge vertragen kann“, gab Annemarie zu, sachlich und keineswegs betroffen oder gar beleidigt. So konnte Rainer es wagen, ihr mit einem Scherz über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen: „Dein Vater würde dazu treffend bemerken: Beruf ist Beruf, Kind, die Hauptsache, er ernährt seinen Mann.“
„Treffend, wirklich treffend“, gab Annemarie sich betroffen, „der Richterberuf ernährt ja meinen Mann.“
„Oh, danke“, sagte Rainer und stand auf, „das genügt. Du erinnerst mich daran, daß ich keine Zeit habe, mich mit Böll, Carstens und Coca-Cola zu beschäftigen. Ich muß endlich das Bild schaffen, das mir den Durchbruch bringt.“ Und wollte in sein Atelier entwischen.
Doch hielt Annemarie ihn fest und dann in ihren Armen: „Entschuldige, Schatz, so war das doch nicht gemeint.“
„Es war aber völlig unmißverständlich.“
„Aber darüber wollte ich doch gar nicht mit dir sprechen.“
„Sondern?“
„Über Bölls angebliche Gewaltverherrlichung.“
Und Rainer, schon die Hand auf der Türklinke: „Na und? Hat er denn die Gewalt verherrlicht? Falls das nicht ein schwarzer Rabe ist, weil Gewalt immer schon die Sache der Herren ist.“
„Sehr schön. Du hättest auch einen guten Linksanwalt abgegeben, Rainer. – Aber was Böll und die Gewalt betrifft, da kann man ihm natürlich keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil, er hat die Gewalt als ein Übel angeprangert.“
„Hat Böll das getan?“
„Ja, und zwar rücksichtslos.“
„Ein Naivling.“
„Naiv nennst du das?“
„Ja, naiv. Dient doch alles, was der Mensch tut, was jeder Mensch tut, nur seinem Ich. Der Vergrößerung, Erweiterung, Verherrlichung seines Ichs. Das ist nun mal die menschliche Natur. Und wo die Menschen zusammenleben, geraten sie sich mit diesem allen gleichen Streben zwangsläufig in die Haare. Was eigentlich gleichgerichtet ist, das haut man sich dann gegenseitig um die Ohren. Unvermeidlich. – Aber was geht mich überhaupt das Thema Gewalt an?“ Und drückte die Klinke runter und ging hinaus, hinüber in sein Atelier. Er konnte ja nicht ahnen, daß ihn das Thema Gewalt doch noch einholen würde.