Читать книгу Tage des Terrors. Tatsachenroman - Walter Laufenberg - Страница 22
18.
ОглавлениеNein, damit hatte er keine Chance. Da konnte Frieder noch so oft drängen und bitten und betteln. Ich in der Kommune? Nein. Das kam mir damals so vor, als würde mir zugemutet, meine Individualität aufzugeben, mich selbst als einfach austauschbar zu deklarieren, überlegte Renate. Was Frieder zum Glück nicht davon abhielt, weiterhin zu mir zu kommen, wann immer ihm danach war.
Frieder und Renate in ihrem Apartment beim Tapezieren. „Ja, ich komme auch weiterhin zu dir, wann immer die Zeit es zuläßt“, sagt er.
„Findest du nicht, daß das eine ganz beschissene Ausdrucksweise ist?“
„Ja, zugegeben, das klingt verdammt bürgerlich angepaßt.“
„Allerdings. Das ist nichts als die üblich üble Verschleierung der sexuellen Bedürfnisse und anderer Egoismen in der Bourgeoisie.“
„Na und? Kann sein, ich finde nicht die richtigen Worte, es dir zu sagen, weil du immer noch bourgeois denkst. Deshalb lasse ich mir meine Ausdrucksweise von dir diktieren. Besser gesagt, von dem, was ich bei dir als Reifestadium des Bewußtseins voraussetzen kann.“
„Und du meinst, Frieder, das dient unserer Beziehung zueinander?“
„Die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind regelmäßig von so komplizierter Art, daß man sie nicht durch unnötiges Zerreden noch stärker belasten sollte. Deshalb bleibe ich gelegentlich bei an sich nicht zu akzeptierenden, aber kurzen Erklärungen, wenn sie nur zu deinem Bewußtsein passen.“
„Und bist dabei noch stolz auf die Überwindung der patriarchalischen Besitzansprüche, wie?“
„Immerhin ein Fortschritt.“
„Und wenn ich die Intervalle unserer Gemeinsamkeit mit anderen Männern gestalte?“
„Das geht mich nichts an.“
„Sag doch gleich, daß du mir das nicht zutraust. Daß du mich lange genug kennst, um dich auf meine Schwierigkeiten, mich einem Mann zu öffnen, also auf meine Anhänglichkeit verlassen zu können.“
Danach sind wir vermutlich wieder auf die Matratze gegangen. Mich in den Arm zu nehmen, das war seine Art, Diskussionen abzubrechen, wenn sie für ihn unangenehm wurden. War ja auch keine schlechte Lösung. Das wäre auch jetzt die beste Lösung. Aber er in Stammheim, ich hier in Berlin? Es ist alles falsch gelaufen. Dabei verstanden wir uns so gut. Trotz solcher Auseinandersetzungen. Das waren ja nur intellektuelle Fingerübungen. Er wußte, daß er bei mir immer gern gesehen war. Und es gab für ihn auch keine dogmatischen Schwierigkeiten. Die Kommune erlaubte Außenkontakte. Sah sie sogar gern, weil sie der Beschaffung spaltbaren Materials dienten, wie es einmal in einer Kommunediskussion geheißen haben soll. Von dieser Betrachtungsweise hätten sie sich aber sofort distanziert, erzählte Frieder hinterher ganz stolz. Und zwar nicht durch Mehrheitsbeschluß, sondern einstimmig. Nach eingehender Erörterung und erfolgreicher Überzeugungsarbeit gegenüber dem, der das schiefliegende Bewußtsein eingeschleppt hatte.
Das mit der Einstimmigkeit war eine große Errungenschaft und eine schwere Hypothek zugleich. Sie kamen zwar nicht ins Bett, weil sie nicht zuende kamen mit der Diskussion, weil Stunde um Stunde verging, ehe auch noch der letzte Einwand ausgeräumt war. Doch sie hatten wenigstens die Majorisierung einer Minderheit vermieden, diese Brutalität. Und sie hatten ja so recht damit. Diese Repressivität, die der unterlegenen Minderheit abverlangt, den Mund zu halten und sich der Meinung der Mehrheit nicht nur zu beugen, nein, sie sogar mitzutragen, – eine Unverschämtheit. Damit hatten sie in der Kommune ein Stück überkommene Demokratie als Gewaltherrschaft entlarvt und konsequent abgeschafft.
Von Rom und Brüssel hätten sie das Prinzip der Einstimmigkeit abgeguckt, hatte Frieder gesagt. Von dem eingemauerten Konklave der Kardinäle, die den neuen Papst zu wählen haben, und von den Europafunktionären, die sich in nächtelangen Sitzungen dazu zwangen, aus lauter nationalstaatlichen Einzelinteressen eine europäische Solidarität auszupressen. Ein saures Geschäft. Das blinde Vertrauen auf den Erfolg holten die in der Kommune sich mehr von Rom als von Brüssel. „Als gelernte Marxisten“, hatte Frieder gesagt, „nehmen wir bedenkenlos von jedem, der uns Brauchbares bietet, und das ohne Ansehen der Person und Einstellung.“
Hatte schon seinen Reiz, dieses Kommuneleben. Aber nur als gelegentlicher Gast konnte ich da mitmachen. Diese schöne große Wohnung am Stuttgarter Platz. Wer mag da jetzt wohnen? Hoffentlich wenigstens wieder eine Wohngemeinschaft und nicht so ein Bonze von Gilette. Nur zum Zuhören und Mitreden ging ich da hin. Aber mein Apartment dafür aufgeben, nein. Die eigene Wohnung, das ist ein geschützter Bereich, den ich brauche, habe ich ihnen klarzumachen versucht. Natürlich vergebens. Ich konnte ja nicht sagen: Um nicht jede Stimmung gleich rechtfertigen zu müssen, um nicht alles und jedes verbalisieren zu müssen. Vor allem das, was einem selbst noch nicht klar ist. Und dann dieses psychische Hoserunter – absolut unerträglich.
Frieder und Renate beim Frühstück in ihrem frischtapezierten Apartment. „Aber das ist ja gerade der Unterschied zwischen der Kommune I, unserer lockeren Wohngemeinschaft, und der Kommune II, wo sie solchen Psychoterror pflegen. Die sind damit in eine Sackgasse geraten.“
„Ihr wohl nicht, wie?“
„Nicht daß ich wüßte.“
„Und euer Weibernotstand, ist das etwa keine Sackgasse? Oder müßte man nicht richtiger Männernotstand sagen? – Mir hat mal eine Bekannte geschrieben, sie habe da einen Mann kennengelernt und zu sich genommen, der sei ein einziger Notphall gewesen – mit PH geschrieben. Ist das nicht schön?“
Womit wir wieder bei unserem Thema nummero zwo angekommen sein dürften. Die Nummer eins, das war klar: die Politik. „Erst die Arbeit vergessen, dann das Vergnügen“, pflegte Frieder zu sagen, wenn er schlafen wollte. Hinterher. Er hatte irgendwann eingesehen, daß ich ihm in Sachen Kommune nicht folgen würde. So gern ich ihm sonst folgte. Manchmal habe ich mich damals gefragt, ob das nicht gar Hörigkeit sei. Das Wort hätte Frieder niemals akzeptiert. Für ihn war es einfach nur Bewunderung, was ich ihm bot. Und das war was, das er sammelte, wie andere Leute Briefmarken sammeln. Das habe ich ihm mal gesagt. Und er war überhaupt nicht pikiert. „Ja, das ist die Aktie des kleinen Mannes“, war sein Kommentar. Ob er damit die Briefmarken oder die Bewunderung gemeint hatte, das ließ er offen. Wie das seine Art war.
Als Frieder mal wieder festgenommen worden war – angeblich hatte er Steine auf Polizisten geworfen –, da hatte ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt, mit zu demonstrieren. Für seine Freilassung. Wer sollte auch ein größeres Interesse daran haben als ich. Für die Kommune I war klar, was zu tun war. Die Kommune II tat sich dagegen schwer. Deshalb habe ich da mitgemacht. Wenn ich nur daran denke, was für Schwierigkeiten es gemacht hat, ein Flugblatt herzustellen, das verteilt werden sollte. Vor und im Rathaus Schöneberg, dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters.
Eike hatte einen Entwurf gemacht, Eberhard einen anderen. Die Frauen hatten einen dritten angefangen, aber noch nicht fertig, als die beiden Entwürfe diskutiert wurden. Und die Diskussion konzentrierte sich sofort auf die Papiere von Eike und Eberhard. Die Frauen wurden damit abgetan, was sie da hätten, das sei ja gut gemeint, müßte aber doch ganz anders angepackt werden. Das lief ab wie in tausend anderen Berliner Wohnungen. Dabei wurde keiner der beiden Entwürfe der Männer von allen als optimal angesehen. Deshalb wurden einfach beide als Flugblätter gedruckt und verteilt.
Abend. Manöverkritik in der Kommune II. Zwischen den nicht abgeräumten Abendbrottresten auf dem großen Tisch ein paar brennende Kerzen. Um den Tisch herum die Kommunarden. „Es fehlte eine ganz andere Aussage“, sagt einer. „Was fehlte, das war das Engagement der Mädchen. Und zwar mit einem eigenen Flugblatt, mit einem eigenen Sichzuwortmelden.“ So Eberhard. „Aber unsere Mädchen, die hatten‘s ja wieder nicht gebracht.“
Renate: „Daß man als Mädchen dümmer ist und weniger brauchbar, das muß einfach so hingenommen werden?“
„Nur nicht so grundsätzlich“, so Eike. „Dafür hat man euch ja gern um sich.“
Renate: „Was ja auch schon was ist.“
„Ich schaffe die Abstraktion von mir zur Bewegung nicht“, wirft Marion ein. „Die Veränderung der Umstände erscheint als rationaler Anspruch, der mit dem, was ich tue, nicht vermittelt wird. Konkret war das wieder beim Flugblattmachen zu sehen. In den Arbeitsproblemen dabei und der Repression.“
Und Antje moniert: „Das Herstellen von Flugblättern unter Zeitdruck verhindert den gemeinsamen Lernprozeß.“
„Großartig, Antje. Womit das Thema abgehandelt wäre. Und eine Entschuldigung gleich noch mitgeliefert.“ So Renate.
Marion: „Die Beschäftigung mit persönlichen Dingen hier geschieht nur in institutionalisierten Randgesprächen. Ich habe keine neuen Möglichkeiten, mich anders als bisher zu verhalten.“
„Das ist ernstzunehmen“, wirft Eberhard ein, „sehr ernstzunehmen. Dieser grundsätzlichen Kritik von Marion kann man nicht einfach durch die Konstruktion eines Mechanismus beikommen.“
Irritierte Gesichter rundum. Doch ehe noch jemand fragen kann, was er mit diesem Mechanismus meint, nimmt Eike die Gelegenheit zu einem längeren Statement wahr: „Ausgangspunkt ist für mich die Feststellung, daß meine individuellen Probleme gesellschaftlich begründet sind. Und die Erkenntnis, daß diese Misere individuell nicht verbessert werden kann. Daraus ergibt sich die notwendige Konsequenz, daß meine eigene Veränderung nur im Kampf für eine Veränderung der Gesellschaft erfolgen kann. Vor einigen Jahren kam der Gedanke auf, den Ausweg im Zusammenleben zu suchen, als Möglichkeit für bessere und kontinuierlichere politische Arbeit, und gleichzeitig, meinten wir, könnten die persönlichen Probleme eher gelöst werden. Dabei dachten einige, politisch tätig sein zu können, indem man die privatesten Probleme veröffentlicht, sie politisiert. Unter dem Schlagwort: Politisierung des Alltags. Diese Vorstellung ist durch die Empirie des letzten halben Jahres widerlegt worden. Nehmen wir das Beispiel Fidel Castro. Das ist ein Beispiel, wo die Privatexistenz bruchlos in der politischen aufgeht. Aber das nachzuleben, das geht hier nicht, weil die Mädchen mit in der Kommune leben.“
„Wenn du die Kommune in Frage stellst“, wirft Jan ein, „dann muß ich sagen: Die Kommune stand für mich von Anfang an unter dem Aspekt der besseren Möglichkeit meiner eigenen Ausbildung. Für mich resultieren die Frustrationen anders als bei den Mädchen aus der bisher weitgehenden Unmöglichkeit dieser besseren Arbeit in meinem Studienfach.“
„Ich möchte fragen“, so Eberhard, „was Eike damit meint, wenn er immer wieder Andeutungen macht, wir müßten die Mädchen rausschmeißen.“
„Diese Äußerung“, antwortet Eike, „war nicht als Scherz gemeint – aber auch nicht als etwa konkret zu nehmender Vorschlag. Der scheinbare Scherz signalisiert die dahinter steckende Schwierigkeit, mit den Mädchen eine Form der Zusammenarbeit zu finden, die nicht die alte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen reproduziert.“
„Ich meine“, wird Eberhard grundsätzlich, „unsere Hauptaufgabe ist es, die Methode zu finden, unsere Probleme aus dem Zusammenleben, soweit sie gesellschaftliche sind, zu politisieren, weil diese Probleme unsere Bedürfnisse betreffen.“
In dieser Nacht, ich glaube, es war schon fast Morgen, als wir Schluß machten mit der Diskussion, eine der Frauen hatte das Protokollbuch geführt und 3.30 Uhr reingeschrieben, weiß ich noch – in dieser Nacht habe ich das erste Mal in einer Kommune geschlafen. Weil der Heimweg für den Rest der Nacht nicht mehr lohnte. Sie hatten mir als Gast großzügig ein eigenes Zimmer überlassen. Ja, das war sehr anständig. Und der Ernst, mit dem sie an die Dinge herangingen, hat mich schon beieindruckt. Dieser rücksichtslose Ernst. Nur die Stellung der Frau – damals sprachen wir noch von Mädchen – die müßte eine ganz andere werden, hatte ich mein persönliches Fazit gezogen, ehe ich einschlief. Die Männer sollten sich noch wundern. Sie müßten von ihrem angemaßten Thron, der nur aus der historischen Versklavung der Frau resultiert, heruntergeholt werden. Nein, – sie sollten ihn mit der Frau teilen müssen. – Ja, teilen. Wenn er nur schon wieder frei wäre. Sie würden sich noch wundern über Frieder Fehlhaber und seine Lebensgefährtin Renate Hobbes.