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V. Das Sonderproblem der »Drohung mit Unterlassen« 1. Einführung
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Eine »Drohung mit einem empfindlichen Übel« liegt nicht nur vor, wenn der Täter ein Übel in Aussicht stellt, das durch aktives Tun zugefügt werden soll. Die »Drohung« kann auch in der Ankündigung bestehen, den vom Einfluss des Täters abhängigen Eintritt eines künftigen Übels nicht abzuwenden (»Drohung mit Unterlassen«). Dabei geht es nicht etwa um eine »Drohung« in der Verhaltensform des Unterlassens (Unterlassungsdelikt – Drohung durch Unterlassen), sondern um die Bewertung eines aktiven Tuns: der Ankündigung des Täters, dass er ein Übel, dessen Verhinderung ihm möglich sei, durch Nichthandeln (Passivität) »eintreten lassen« könne. Umstritten ist in solchen Fällen, ob eine »Drohung mit einem empfindlichen Übel« nur dann vorliegt, wenn das in Aussicht gestellte Unterlassen zugleich eine Rechtspflicht zum Handeln verletzen würde (für eine tatbestandsmäßige Drohung wäre demzufolge die Ankündigung einer »pflichtwidrigen Unterlassung« erforderlich), oder ob und unter welchen Voraussetzungen auch unabhängig von einer Rechtspflicht zur Übelsabwendung eine »Drohung mit einem empfindlichen Übel« angenommen werden kann. Bei dieser Kontroverse, die in der Literatur allerdings z.T. auf der Ebene des § 240 II bzw. § 253 II StGB (Verwerflichkeit) ausgetragen wird (Rn. 174), ist heute aber immerhin anerkannt, dass die thematische »Rechtspflicht zum Handeln«, wenn sie verlangt werden muss, keine spezifische »Garantenpflicht« i.S. des § 13 I StGB zu sein braucht; auch sonstige rechtliche Pflichten, wie etwa die allgemeine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB, reichen aus.
Die Situationen, die für die Problematik der »Drohung mit Unterlassen nicht pflichtwidrigen Handelns« typisch sind, kennzeichnen sich dadurch, dass der Täter nach dem Inhalt seiner Ankündigung die Verhinderung des Übels von einer bestimmten »Gegenleistung« des Opfers (z.B. Sexualverkehr) abhängig macht: Das Opfer wird vor die Alternative gestellt, entweder den Eintritt des Übels hinzunehmen, weil der Täter seine Abwendungsmöglichkeit nicht realisiert, oder sich auf die Bedingungen des Täters einzulassen und dadurch zu erreichen, dass dieser das Übel aufgrund seiner »Verhinderungsmacht« abwendet. Das Sachproblem der »Drohung mit Unterlassen« resultiert aus der eigentümlichen Ambivalenz der dadurch für das Opfer entstehenden Situation: Man kann eine solche Drohung als »freiwilliges Hilfsangebot«[23] des Täters bewerten, dessen Annahme zwar mit nachteiligen (»unerfreulichen«) Bedingungen verknüpft ist, aber dem Opfer die Möglichkeit eröffnet, dem »eigentlichen Übel«, das es sonst ertragen müsste, zu entgehen. Andererseits wird das Opfer dadurch in eine (neue) Zwangslage versetzt, in der es regelmäßig zwischen zwei Übeln wählen muss, dem ohnehin bevorstehenden und dem zu dessen Abwendung geeigneten Übel, das der Täter anbietet. Diese Zwangslage ist umso gravierender, je nachteiliger die Bedingungen sind, denen sich das Opfer zu unterwerfen hat. Im Extremfall besteht dann nur noch die »Wahl« zwischen zwei annähernd gleich empfindlichen Übeln!