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Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben §§ 249 I, 252, 255, 177 V Nr. 2 StGB
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Mit »Gefahr für Leib oder Leben« droht der Täter, wenn er – ausdrücklich oder schlüssig – eine von seinem unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss abhängige Situation ankündigt, bei der – mindestens – die naheliegende Möglichkeit (Gefahr) einer erheblichen Körperverletzung oder des Todes besteht. »Gegenwärtig« ist die angedrohte Gefahr stets, wenn der Schaden nach dem Inhalt der Ankündigung unmittelbar bevorsteht. Zur »gegenwärtigen Gefahr« gehören aber auch – angedrohte – Situationen, in denen der Schaden jederzeit eintreten kann (»gegenwärtige Dauergefahr« Rn. 182) oder, insbesondere in Fristsetzungsfällen, nur durch sofortiges (»gegenwärtiges«) Handeln abgewendet werden kann (sog. »Dauergefahr i.w.S.« Rn. 183).
Literatur:
LK-Vogel § 249 Rn. 13 ff, § 255 Rn. 7 f; SK-Sinn, 8. Aufl., § 249 Rn. 18 ff (mit Einbeziehung von Gefahren lediglich leichter Körperverletzungen). Einführend: W/Hillenkamp Rn. 353 f. Monographisch: Blanke, Das qualifizierte Nötigungsmittel der Drohung (usw.), 2007, insbes. S. 26 ff, 205 ff, 211 ff.
Rechtsprechung
Grundlegend: BGHSt 16, 316 (318 – Bedrohung Dritter). Beispielhaft: Vgl. die nachfolgend zitierten Entscheidungen.
RGSt 72, 229 (231): „Die Nebeneinanderstellung von ›Leib‹ und ›Leben‹ läßt … erkennen, daß der Gesetzgeber … eine Drohung mit einer völlig unerheblichen, wenn auch gegen den Körper … des anderen gerichteten Handlung nicht genügen lassen will.“
BGH NStZ 1987, 222 (223): „Für die Anwendung des § 255 StGB ist nicht erforderlich, daß der Genötigte die Bedrohung des Dritten selbst als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben empfindet. Es genügt vielmehr, daß die Bedrohung des Dritten mit Leib- und Lebensgefahr für den Erpreßten selbst ein Übel darstellt. Andernfalls könnte der Täter die an sich gebotene Strafschärfung dadurch vermeiden, daß er nicht den Genötigten, sondern einen anderen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bedroht.“
BGH StV 1982, 517 f: Hinsichtlich der Frage, „ob gegenwärtig eine Gefahr nur dann ist, wenn der Eintritt des schädigenden Ereignisses unmittelbar bevorsteht…, reicht es auch aus, daß eine Gefahr als Dauergefahr über einen längeren Zeitraum gegenwärtig ist, sei es, daß sie jederzeit – zu einem ungewissen Zeitpunkt, alsbald oder später – in einen Schaden umschlagen kann, sei es, daß der zu besorgende Schaden zwar nicht unmittelbar bevorsteht, aber doch nur durch sofortiges, gegenwärtiges Handeln abgewendet werden kann“
BGH NJW 1997, 265 (266): „Eine zur Drohung benutzte Gefahr für Leib und Leben ist … dann als ›gegenwärtig‹ zu beurteilen, wenn die in Aussicht gestellte Schädigung an Leib oder Leben bei ungestörter (natürlicher) Weiterentwicklung der Dinge nach menschlicher Erfahrung als sicher oder höchstwahrscheinlich zu erwarten ist, falls nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird. Erforderlich ist dabei nicht, daß das schädigende Ereignis mit Sicherheit unmittelbar bevorsteht. Es genügt eine Gefahr, die als ›Dauergefahr‹ über einen längeren Zeitraum in dem Sinne gegenwärtig ist, daß sie jederzeit – zu einem ungewissen Zeitpunkt, alsbald oder auch später – in einen Schaden umschlagen kann.“
Erläuterungen
I. Allgemeines
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Beim Begriff der qualifizierten Drohung (»mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben«) kehren zunächst die »allgemeinen« Probleme des Drohungsbegriffs wieder, die auch bei der »Drohung mit einem empfindlichen Übel« auftreten. Dies gilt z.B. für das »Bedingungselement« der Drohung, den Anschein der Ernstlichkeit und für die Frage, ob es bereits zum Begriff der »Drohung« gehört, dass der Adressat den Inhalt der Ankündigung tatsächlich ernst nimmt (die Verwirklichung zumindest für möglich hält), oder ob es insoweit allein auf die Vorstellung des Drohenden ankommt, also auf das »Ernst-Nehmen-Sollen« aus der Perspektive des Täters; vgl. hierzu das Stichwort »Drohung mit einem empfindlichen Übel« Rn. 166 ff.
Besonders bei der qualifizierten Drohung ist zu beachten, ob nach einer vorausgegangenen Gewaltanwendung gegen das Opfer das weitere Täterverhalten als Ankündigung der Fortsetzung der Gewalt und damit als konkludent erklärte Drohung begriffen werden kann oder ob das Opfer ein solches Übel aus Angst nur erwartet;[1] näher dazu bei »Gewalt gegen eine Person« Rn. 302.
II. Die Drohung mit Gefahr für Dritte
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Ähnlich wie bei der »Drohung mit einem empfindlichen Übel« (Rn. 171) bereiten auch bei der – qualifizierten – Drohung mit »Gefahr für Leib oder Leben« die Fälle Schwierigkeiten, in denen die Gefahr nicht für den Nötigungsadressaten selbst angedroht wird, sondern einen »Dritten« treffen soll. Einigkeit besteht darüber, dass dies für die qualifizierte Drohung »jedenfalls« ausreicht, wenn der Dritte eine dem Nötigungsadressaten »nahestehende Person« i.S. des § 35 I StGB ist, insbesondere ein Angehöriger. Im Schrifttum wird z.T. ein solches Näheverhältnis zwingend vorausgesetzt:[2] Der Nötigungsadressat müsse die Bedrohung des Dritten (»Gefahradressaten«) unter dem Aspekt des »Motivationsdrucks« mit annähernd gleicher Intensität erleben (können) wie der Dritte selbst oder wie eine Bedrohung der eigenen Person. Demgegenüber wird aber überwiegend angenommen, dass der »Dritte« grundsätzlich eine beliebige Person sein kann.[3] Für diesen Standpunkt lässt sich geltend machen: Der – historische – Gesetzgeber habe insoweit keine Einschränkung beabsichtigt und das Gesetz deshalb bewusst weit gefasst.[4] Im Gegensatz zu § 241 StGB (Bedrohung), der seit 1976 den Kreis der Gefahradressaten auf »nahestehende Personen« beschränkt,[5] sei bei der »Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben« im Gesetz keine solche Einschränkung vorgenommen worden (Gegenschluss aus § 241 StGB). Auch gehe eine Drohung mit gegenwärtiger physischer Gefahr für Dritte ohnehin über die bloße Drohung mit einem »empfindlichen Übel« erheblich hinaus. Und schließlich liege der gesetzlich typisierte »erhöhte Motivationsdruck« nicht unbedingt nur dann vor, wenn zwischen Nötigungs- und Gefahradressatem eine engere persönliche Beziehung bestehe.[6]
Nach einem Vorschlag Kindhäusers ist in den Fällen der Drohung mit Gefahren für Dritte – gleich ob im Rahmen der §§ 240, 253 oder der §§ 249 ff StGB – eine tatbestandliche Drohung immer dann zu bejahen, wenn der Drohende für das Verhalten des Nötigungsadressaten »rechtlich verantwortlich« sei, weil dessen Reaktion mit Blick auf die Notsituation des bedrohten Dritten z.B. als »quasi-gerechtfertigt« (§ 34 StGB) oder doch als »quasi-entschuldigt« (§ 35 StGB) bewertet werden könne.[7] In diesen Fällen handele der Nötigungsadressat aus einem »rechtlich verständlichen Motiv«.[8]
III. Die »Gegenwärtigkeit« der angedrohten Gefahr
1. Anerkannte Fälle
182
Eine Drohung mit »gegenwärtiger Gefahr« liegt zunächst vor, wenn der Eintritt des Schadens (Körperverletzung, Tod) nach dem Inhalt der Ankündigung »unmittelbar bevorsteht«. Anerkannt ist ferner, dass das Erfordernis der »Gegenwärtigkeit« auch auf eine sog. »Dauergefahr« (i.e.S.) zutrifft, die sich dadurch kennzeichnet, dass die – angedrohte – Gefahr »jederzeit«, früher oder später, in einen Schaden umschlagen kann. Die Ungewissheit des Schadenszeitpunktes, die zugleich die Möglichkeit einschließt, dass die Gefahrverwirklichung unmittelbar bevorsteht, begründet hier die »Gegenwärtigkeit« der Gefahr: Eine »Dauergefahr« dieser Art ist somit nur eine besondere Variante des »unmittelbar bevorstehenden« Schadenseintritts (»gegenwärtige Dauergefahr«).
2. Der problematische Bereich
a) »Gegenwärtigkeit« auch bei »künftiger Gefahr«?
183
Eine Bestimmung der »Gegenwärtigkeit« nach dem eben erwähnten Maßstab ist jedoch nicht mehr möglich, wenn der Eintritt des Schadens erst für einen Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird, der so weit in der Zukunft liegt, dass ein »unmittelbares Bevorstehen« ausscheidet (»Dauergefahr« i.w.S.). Ob und wann auch solche Drohungen einbezogen werden können, ist bisher noch wenig geklärt. Der BGH hat eine »gegenwärtige Gefahr« verneint, wenn „ihre Verwirklichung erst in der Ferne liegt“, z.B. bei Drohung mit Erschießen, falls das Opfer nicht binnen Monatsfrist zahlt; eine „künftige Gefahr“ sei keine „gegenwärtig drohende“.[9] Andererseits finden sich auch Äußerungen, die in die Gegenrichtung deuten: So dürfe die »Gegenwärtigkeit« der angedrohten Gefahr „nicht zu eng verstanden werden“: „Genauere zeitliche Grenzen dafür, wann eine für die Zukunft angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist und wann nicht mehr, lassen sich jedoch nicht allgemein festlegen.“[10] Hilfreicher dürfte demgegenüber eine andere von der Judikatur verwendete Formel sein. Danach liegt eine »gegenwärtige Gefahr« vor, wenn der Schaden „nur durch sofortiges, gegenwärtiges Handeln abgewendet werden“ kann.[11] Bei konsequenter Anwendung dieses Kriteriums ist das »unmittelbare Bevorstehen« des Schadenseintritts zwar keine notwendige Voraussetzung der »gegenwärtigen Gefahr« mehr. Gegenwärtig ist aber die Zwangslage, was wiederum Bedeutung für die Bestimmung der Gefahr erlangt (dazu Rn. 184).
Die Literatur hat das Problem bisher wenig behandelt. So finden sich Erwägungen in Richtung einer rein zeitlichen Bestimmung der »Gegenwärtigkeit«,[12] während andere Stimmen sich unter Hinweis auf das Analogieverbot dagegen aussprechen, den Begriff über die Grenzen der »Dauergefahr« (i.e.S.) hinaus auszudehnen.[13] Vorgeschlagen wird auch, dass es allein auf die »Aktualität der Entscheidungssituation« ankommen soll.[14]
b) Bemerkungen zum Problem
184
Die Formel von der Notwendigkeit »sofortigen, gegenwärtigen Handelns« entstammt der Auslegung des Begriffs »gegenwärtige Gefahr« beim – rechtfertigenden und entschuldigenden – Notstand.[15] Dort wird die »Gegenwärtigkeit« der Gefahr in Rechtsprechung und Schrifttum auch dann bejaht, wenn der Eintritt des Schadens zwar überhaupt erst in der Zukunft zu erwarten ist, jedoch zugleich feststeht, dass er nur durch sofortiges Handeln abgewendet werden kann: Entscheidend ist die „Gegenwärtigkeit der Zwangslage“, die den Gefährdeten vor die Alternative stellt, entweder »jetzt« ohne weiteren Aufschub gefahrabwehrend zu handeln oder den drohenden Schaden hinzunehmen.[16] Eine so verstandene »gegenwärtige Gefahr« kennzeichnet beim Notstand die »Erforderlichkeit« der Gefahrabwehr unter zeitlichem Aspekt: als Notwendigkeit unverzüglicher Abwehr zur Verhinderung des Schadenseintritts.[17] Für den Adressaten einer »Drohung mit gegenwärtiger Gefahr« gilt indes das begrenzende, der Vermeidung unnötiger oder voreiliger Rechtsgutsverletzungen dienende Prinzip der »Erforderlichkeit« ohnehin nicht: Es ist unerheblich, ob das Opfer der Drohung die angedrohte Gefahr nur durch das vom Täter verlangte Verhalten oder auf andere Weise beseitigen kann; besondere Anforderungen stellt das Gesetz insoweit nicht. Dies spricht dafür, in die »gegenwärtige Gefahr« als Inhalt einer Drohung auch die Fälle einzubeziehen, in denen das Opfer unabhängig vom Zeitpunkt des voraussichtlichen Schadenseintritts unter »gegenwärtigem Verhaltenszwang« steht.[18] Mit dem Wortsinn des Begriffs »gegenwärtig« ist diese Auslegung – ebenso wie bei §§ 34, 35 StGB – vereinbar, weil er ein normatives Verständnis nicht ausschließt, ohne dass damit die Einschränkung selbst preisgegeben würde.