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4. Mystische Theologie

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Allerdings scheint Clemens an diesem Punkt nicht völlig konsequent zu sein. Neben die Gründung in der christlichen Tradition setzt er gelegentlich auch eine unmittelbare Weise der Vergewisserung der Wahrheit seiner gnostischen Einsichten: das Schauen. Er spricht von „der Gnosis gemäß der eingeweihten Schau“ (I 15, 2) und drückt deren Unmittelbarkeit dadurch aus, daß er von der „Gnosis des Sohnes und Vaters“ als einem „Bemerken und Auffassen der Wahrheit durch die Wahrheit“ redet (V 1, 4). Dieses Schauen wird von Gott her ermöglicht; durch den „Logos“ als „die Sonne der Seele … wird deren Auge erleuchtet“ (P VI 68, 4).

Die Gnosis als Schauen „führt den Menschen durch ein ihr eigenes Licht in den mystischen Schritten, bis sie ihn wieder zu dem obersten Ort der Ruhe gebracht hat“ (VII 57, 1). Denn „die Vollendung der gnostischen Seele“ liegt darin, daß sie „mit dem Herrn zusammen ist“ (VII 57, 3). Dieses „ewige Schauen“ wird freilich vollgültig erst nach diesem Leben eintreten (VII 56). Aber der Schauende hat „vielleicht schon von hier aus vorwegnehmend die Möglichkeit, den Engeln gleich zu sein“ (VII 57, 5), ja, „schon jetzt Gott“ zu werden (IV 149, 8) und „als ein Gott im Fleische umherzugehen“ (VII 101, 4). Clemens sagt freilich an anderer Stelle einschränkend, um der christlichen Erfahrung der Ferne Gottes Rechnung zu tragen, daß auch „der vollkommene Gnostiker“ nicht „zur Ähnlichkeit mit Gott angenommen wird“ (VII 88, 5).

Hier also finden sich Ansätze zu einer mystischen Theologie, und sie stimmen in den Grundzügen mit dem oben dargestellten neuplatonischen Gottesbegriff überein. Aber es bleibt bei den Ansätzen. Zudem ist der philosophische Charakter auch dieser mystischen Theologie fragwürdig. Der Versuch einer Begründung des Schauens weist immer wieder auf die Notwendigkeit einer Übernahme der christlichen Überlieferung zurück. „Wenn Ziel des Weisen die Schau ist, dann strebt zwar der noch Philosophierende nach der göttlichen Einsicht, erreicht sie aber noch nicht; es sei denn, er empfange durch Lernen die prophetische Stimme, die ihm Aufschluß gibt und durch die er das Seiende, das Künftige und das Gewesene, wie es sich damit verhält, verhalten hat und verhalten wird, erfährt“ (VI 61, 2).

Was aber für das Schauen gilt, gilt auch für den gesamten Entwurf einer „wahren Philosophie“, wie ihn Clemens in seiner Gnosis unternimmt. Auch sie weist in der Frage nach einer Begründung ihrer Wahrheit auf die christliche Tradition und auf den Glauben zurück. Das Element des Philosophischen reicht nicht bis in die Wurzeln dieser „Philosophie“, weshalb es denn auch konsequent ist, daß die griechische Philosophie zwar zum Teil akzeptiert, aber in den Rang einer Vorbereitung verwiesen und dem Glauben als letztem Kriterium unterworfen wird. Die Gnosis des Clemens ist somit im Grunde keine Philosophie, sondern eine spekulative christliche Theologie, die gelegentlich mit philosophischen Mitteln arbeitet und überdies mystische Gedanken heranzieht. Sein Versuch, in seiner „wahren Philosophie“ eine christlich bestimmte und doch zugleich wahrhaft philosophische Philosophische Theologie zu schaffen, scheitert.

1 Soweit den im Text aufgeführten Zitaten Zahlenangaben ohne Siglum beigefügt sind, stammen sie aus den „Stromateis“ des Clemens Alexandrinus. Die wenigen Zitate aus anderen Werken dieses Kirchenvaters werden unter den Siglen: P =Protreptikos und Pa=Paidagogos zitiert. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

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