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§ 20. Augustinus 1. Die Genesis der Philosophischen Theologie des Augustinus

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In weit einschneidenderer Weise als Dionysios Areopagita ist Augustinus 1 in seiner Theologie durch christliche Erfahrungen bestimmt. Aber diese verbinden sich mit philosophischen Reflexionen, die ihrerseits an die Tradition des griechischen, insbesondere des neuplatonischen Denkens anknüpfen. In dieser Synthese kommt es zu einer eigentümlichen Weise christlicher Philosophischer Theologie, die, noch mehr als die des Origenes und des Dionysios, für die Folgezeit von maßgebender Bedeutung wird. Sie stellt – neben dem Werk des Thomas von Aquino – das bedeutendste Beispiel einer Philosophischen Theologie auf dem Boden des Christentums dar.

Die Berührung des Augustinus mit der überlieferten Philosophie vollzieht sich nicht in der Weise einer bloßen Kenntnisnahme, sondern in leidenschaftlicher Auseinandersetzung; wesentliche philosophische Richtungen werden zu Stadien seines eigenen denkerischen Weges. Zunächst schließt er sich einem Eklektizismus an, wie ihn Cicero vertritt. Dessen Dialog „Hortensius“ „änderte meine Geistesverfassung“ (C III 4, 7); über seiner Lektüre „bin ich von einer solchen Liebe zur Philosophie entbrannt, daß ich sofort darauf bedacht war, mich auf diese zu verlegen“ (B 1, 4).

Schon in dieser ersten Begegnung mit der Philosophie wird deutlich, daß Augustinus an sie von vornherein mit bestimmten, aus seiner religiösen Herkunft erwachsenden Ansprüchen herantritt. Bei aller Begeisterung zeigt er sich doch insofern von der Schrift Ciceros enttäuscht, als „dort der Name Christi nicht vorkam“ (C III 4, 8). Andererseits aber versperrt sich ihm der Ausweg, sich unter Verzicht auf die eben erst entdeckte Philosophie völlig dem christlichen Glauben zuzuwenden; „wenn nämlich mein Geist auf den katholischen Glauben zurückzukommen versuchte, wurde er zurückgestoßen“ (C V 10, 20). Die Heilige Schrift, so wie sie Augustinus damals liest, kann seinen an Cicero geschulten denkerischen Bedürfnissen nicht genügen (vgl. C III 5, 9). Zudem erscheint ihm einiges an der christlichen Lehre allzu anstößig: etwa daß Gott „die Gestalt menschlichen Fleisches“ angenommen habe und also „von den körperlichen Umrissen unserer Glieder begrenzt“ werde (C V 10, 19). Schließlich befremdet ihn der Autoritätsanspruch der christlichen Kirche; er ist der Überzeugung, „man müsse eher den Lehrenden glauben als den Befehlenden“ (B 1, 4).

In der doppelten Unbefriedigung an einem Philosophieren im Sinne Ciceros und an einem Denken in der Unterwerfung unter die kirchliche Autorität fühlt sich Augustinus zu der philosophisch-theologischen Gedankenwelt des Manichäismus hingezogen, der eben damals in schärfster Konkurrenz mit dem kirchlichen Christentum steht. Auf der einen Seite enthält die manichäische Lehre christliche Elemente, ja, ein Teil ihrer Anhänger bezeichnet sich ausdrücklich als Christen (U 14, 30f.). Auf der anderen Seite „rühmen sich“ die Manichäer, ihren Anhängern „nicht das Joch des Glaubens aufzuerlegen, sondern den Quell der Belehrung zu erschließen“ (U 9, 21); sie versprechen, „in der Trennung von der schrecklichen Autorität würden sie diejenigen, die auf sie hören wollten, durch die reine und einfache Vernunft zu Gott hinführen und von jeglichem Irrtum befreien“ (U 1, 2).

Überdies wird Augustinus auch aus Gründen, die die Problematik seines persönlichen Lebens berühren, zum Manichäismus hingezogen. Seine Erfahrungen haben ihn die Macht des Bösen in der Welt gelehrt; „ich fragte ängstlich, woher das Böse sei“ (C VII 7, 11). Eben auf diese Frage nun gibt der Manichäismus eine Antwort. In weitläufigen Spekulationen entwickelt er eine Lehre vom Ursprung der Welt, der gemäß das Erste die beiden miteinander streitenden Prinzipien des Lichts und der Finsternis bzw. des Guten und des Bösen sind. Das Böse ist also ein Weltprinzip und kann darum dem Menschen nicht als Schuld angelastet werden (vgl. C V 10, 18). Schließlich tragen die Manichäer auch dem Erlösungsbedürfnis des Menschen Rechnung; sie lehren, daß die in die Finsternis versprengten Lichtteile von der Herrschaft des bösen Prinzips befreit werden können, und zwar durch den Erlöser Mani, der seinerseits gelegentlich mit dem präexistenten – nicht freilich mit dem historischen – Jesus gleichgesetzt wird.

Auch beim Manichäismus kann sich Augustinus jedoch nicht auf die Dauer beruhigen. Er wird gegen dessen kosmologische Spekulationen durch die Lektüre naturwissenschaftlicher bzw. naturphilosophischer Werke mißtrauisch (vgl. C V 3, 6); er fühlt sich enttäuscht von den „fabulösen Dingen, von denen die manichäischen Bücher voll sind“ (C V 10, 19). Vor allem stimmt Augustinus bedenklich, daß die Ansetzung zweier in ständig wechselndem Kampf befindlicher Grundprinzipien zu der Konsequenz führt, Gott als veränderlich, ja, als verderblich zu verstehen, während er doch, wie Augustinus meint, von seinem Begriffe her als unveränderlich und unverderblich gedacht werden müsse (CD XI 22). Überdies vermißt Augustinus im Manichäismus eine ausreichende Gewißheit; „es werde dort in unbedachtem Versprechen von Wissenschaft die Leichtgläubigkeit (sc. der Christen) verspottet und nachher so vieles höchst Fabulöse und höchst Absurde zu glauben geboten, da es nicht bewiesen werden konnte“ (C VI 5, 7).

An der Wahrheit des Manichäismus irre geworden, verfällt Augustinus für kurze Zeit einem Skeptizismus im Sinne der Mittleren Akademie; „allmählich entstand mir der Gedanke, klüger als die übrigen seien jene Philosophen gewesen, die man die Akademiker nennt, weil sie der Ansicht gewesen waren, man müsse an allem zweifeln, und den Grundsatz aufgestellt hatten, vom Menschen könne nichts Wahres begriffen werden“ (C V 10, 19). Augustinus übernimmt diesen Skeptizismus freilich nicht in voller Radikalität. An der Überzeugung von Gottes Dasein und Vorsehung hält er auch jetzt noch fest; „Keine Streitlust trügerischer Fragen der Philosophen, die durch so vieles hindurch, was ich gelesen hatte, sich miteinander herumschlagen, konnte mir irgendwann den Glauben entreißen, du seiest, was immer du seiest – ich wußte es nicht –, oder die Leitung der menschlichen Dinge komme dir zu“ (C VI 5, 7).

Das skeptische Stadium findet sein Ende, als Augustinus auf den Neuplatonismus stößt. Er liest – in der lateinischen Übersetzung des Marius Victorinus – die Schriften maßgebender Neuplatoniker (vgl. C VIII 2, 3), vor allem Plotins, „der vorzüglicher als die anderen Platon verstanden hat“ (CD IX 10). Diese Lektüre führt einen Wandel in seiner Vorstellung vom Wesen Gottes herbei. Bis dahin konnte er sich dieses nur „als etwas Körperliches denken, das durch die Weiten der Räume hindurch entweder der Welt eingegossen oder auch außerhalb der Welt durch das Unendliche hin ausgegossen ist“ (C VII 1, 1), als „einen lichthaften und unermeßlichen Körper“ (C IV 16, 31). Dies aber – so erkennt er jetzt – „war die größte und beinahe einzige Ursache meines unvermeidlichen Irrtums“ (C V 10, 19). Nun, „nach dem Lesen jener platonischen Bücher“, weiß er sich „aufgefordert, die unkörperliche Wahrheit zu suchen“ (C VII 20, 26); nun entdeckt er, „daß Gott kein Körper ist“ (CD VIII 6), „nicht ausgegossen durch die endlichen oder unendlichen Räume hindurch“ (C VII 20, 26); daß er vielmehr „über alle Körper hinaus unkörperlich ist“ (CD VIII 10), kurz: „daß Gott Geist ist“ (C III 7, 12). Als solchem kommt ihm zu, was bei den Manichäern zweifelhaft geblieben war: „Unveränderlichkeit und Einfachheit“ (CD VIII 6).

So läßt sich denn Augustinus ernstlich auf den Neuplatonismus ein, und zwar versteht er ihn ausdrücklich als Philosophische Theologie. Was ihn jetzt dazu bringt, „sich in den Schoß der Philosophie zu flüchten“, ist, daß diese „verspricht, sie werde den höchst wahren und höchst verborgenen Gott durchsichtig beweisen“ (A I 1, 3). Augustinus zitiert denn auch im Hinblick auf Platon öfters zustimmend den Satz: „der wahre Philosoph ist ein Liebhaber Gottes“ (CD VIII 1 und 5). Er zollt den „platonischen Philosophen“ Anerkennung, weil sie „gesagt haben, der wahre Gott sei Urheber der Dinge, Erleuchter der Wahrheit und Spender der Glückseligkeit“ (CD VIII 5). Überdies erhält Augustinus vom Neuplatonismus her die Möglichkeit, das ihn quälende Problem des Bösen anders als bisher zu lösen; dieses ist kein selbständiges Weltprinzip, wie die Manichäer behaupten; die Welt stammt vielmehr ausschließlich vom guten Gott, und das Böse ist „nur die Privation des Guten bis dahin, daß es überhaupt nicht ist“ (C III 7, 12).

Angesichts dessen hätte es nahe gelegen, daß sich Augustinus selber an einem Philosophieren neuplatonischer Prägung versucht hätte. Daß das nicht geschieht, liegt daran, daß ihm die Sicht auf eine Welt des göttlichen Geistes, die sich mit dem Neuplatonismus eröffnet, doch nicht jene letzte Gewißheit verbürgt, nach der er so leidenschaftlich sucht. In den „Soliloquia“, geschrieben als Gespräch mit der Vernunft, stellt diese die Frage: „Wenn das, was Platon und Plotin über Gott gesagt haben, wahr ist, ist es dir dann genug, Gott so zu wissen, wie jene ihn wußten?“ Augustinus antwortet: „Ich folgere nicht so: wenn das, was sie gesagt haben, wahr ist, ist es auch notwendig, daß sie es gewußt haben“ (S I 4, 9). Wissen nämlich hat für Augustinus den prägnanten Sinn der Ausschließung des Irrtums (vgl. A I 7, 19). Eben ein solches völlig gewisses Wissen nun vermag die Philosophie nicht darzubieten. Sie ist zwar „der Hafen, von dem aus man zu dem Gebiet und Boden des seligen Lebens vordringt“; aber dieser Hafen „schließt dennoch die Irrfahrt nicht gänzlich aus“ (B 1, 1 und 1, 5).

In dieser Situation, in der Augustinus vom neuplatonischen Philosophieren angezogen wird und doch in ihm letztlich unbefriedigt bleibt, wendet er sich erneut, und nun mit voller Intensität, dem christlichen Glauben zu. Dieser tritt ihm eindrucksvoll in den Predigten des Bischofs Ambrosius von Mailand entgegen, der seinerseits vom Neuplatonismus beeinflußt ist (vgl. C V 13, 23). In die gleiche Richtung weist ein jetzt einsetzendes vertieftes Studium der Briefe des Apostels Paulus (vgl. C VII 21, 27). In der Auslegungskunst des Ambrosius verschwindet, was Augustinus bisher in den Heiligen Schriften als anstößig erschienen war; diese fordern, wie Ambrosius betont, aus ihrem Wesen heraus nicht eine am Buchstaben haftende, sondern eine spirituelle Interpretation. So kommt Augustinus zu der Einsicht: „Was in den kirchlichen Büchern absurd erschien, ist nicht absurd und kann anders und in rechtem Sinne verstanden werden“ (C VI 11, 18).

Am Leitfaden des exegetischen Prinzips des Ambrosius entdeckt Augustinus des weiteren, daß sich zwischen dem von ihm ergriffenen Neuplatonismus und den neu verstandenen Lehren des Christentums kein grundsätzlicher Widerspruch finde (vgl. A III 20, 43). Die Platoniker „stimmen mit uns überein in der Frage nach dem einen Gott, dem Urheber dieses Universums, der nicht bloß über alle Körper hinaus unkörperlich ist, sondern auch über alle Seelen hinaus unvergänglich, unser Ursprung, unser Licht, unser Gut“ (C D VIII 10). Selbst der Begriff der Trinität ist einem Denker wie Porphyrios nicht ganz fremd geblieben (vgl. C D X 29). Auch den Gedanken, daß „im Anfang das Wort war“, findet Augustinus bei den Platonikern; von ihnen „werde zwar nicht mit diesen Worten, aber doch (der Sache nach) durchaus dasselbe mit vielen und vielfältigen Gründen überzeugend dargetan“ (C VII 9, 13). Aus solcher Empfindung der Nähe des Neuplatonismus zum Christentum heraus kann Augustinus schließlich sogar sagen, die Platoniker „würden, wenn sie einige wenige Worte und Ansichten änderten, zu Christen werden“ (V 4, 7, 23).

Andererseits betont Augustinus freilich auch, daß die Platoniker in „vielen … und wichtigen Dingen von uns abweichen“ (CD VIII 13); „ich las dort, daß das Wort, Gott, nicht aus dem Fleische …, sondern aus Gott geboren ist; aber daß ‚das Wort Fleisch geworden ist und bei uns gewohnt hat’, habe ich dort nicht gelesen“ (C VII 9, 14). Eben dies, die Menschwerdung Gottes, ist aber für Augustinus der entscheidende christliche Gedanke; sein Fehlen macht das neuplatonische Philosophieren in seinen Augen unzureichend.

Damit hängt auch jene letzte Ungewißheit zusammen, die Augustinus im Neuplatonismus entdeckt. Dieser kennt nicht den einzigen Weg, der den Menschen zur vollkommenen Wahrheit führen kann. Zwar „haben auch einige Philosophen dieses Zeitalters gesehen, daß Gott … unveränderlich, geistig einsehbar, geistig … ist“, aber sie haben dies nur „von weitem gesehen; sie haben es gesehen, aber sie waren dabei in Irrtum versetzt; und daher haben sie nicht gefunden, auf welchem Wege man zu jenem so großen, unaussprechlichen und seligmachenden Besitz gelangt“ (Se CXLI 1). Denn „für den Menschen führt der Weg zu dem Gott des Menschen durch den Gottmenschen; dieser nämlich, der Mensch Jesus Christus, ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen; … wodurch er Mensch ist, dadurch ist er auch der Weg … Er ist … der einzige gegen alle Irrtümer völlig gesicherte Weg“ (CD XI 2). So steht für Augustinus am Ende der Auseinandersetzung mit der Philosophie die Einsicht in den Vorrang des christlichen Glaubens.

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