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3. Kapitel
Die Philosophische Theologie im Mittelalter § 21. Die Philosophie des Mittelalters als Philosophische Theologie

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In dem Zeitraum von Thales bis Augustinus kommen fast alle wesentlichen Gesichtspunkte und Probleme der Philosophischen Theologie zur Sprache. Die Folgezeit entwickelt, modifiziert und verfeinert diese Problematik in immer neuen Ansätzen. Dies Geschehen in seinem Fortgang eingehend zu beschreiben, gehört zu den Aufgaben einer vollständigen Geschichte der Philosophischen Theologie im Abendland. Eine solche Darstellung übersteigt jedoch den Rahmen der vorliegenden Untersuchung. Es muß vielmehr genügen, ehe der Verfall der Philosophischen Theologie geschildert und dann im Band II die systematische Problematik wieder aufgenommen wird, einen Blick auf wichtige Etappen der weiteren Geschichte der Philosophie als Philosophischer Theologie in der Zeit nach Augustinus zu werfen, und zwar zunächst in der Hinsicht, wie sie im Denken des Mittelalters auftritt.

Die mittelalterliche Philosophie nun ist in einem betonten Sinne, nicht anders als das Denken des Dionysios Areopagita und des Augustinus, Philosophische Theologie. Das ergibt sich schon daraus, daß sie sich als Fortsetzerin sowohl der antiken wie der patristischen Philosophie weiß, die ja beide, wie sich zeigte, ihrer wesentlichen Intention nach theologisch orientiert sind. Der philosophisch-theologische Charakter des mittelalterlichen Denkens wird überdies noch dadurch verstärkt, daß dieses sich – nicht anders als die Patristik, aber in einem höheren Grade von Selbstbesinnung – in eine ständige Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben verstrickt, der beansprucht, von der Offenbarung her im vollen Besitz der Wahrheit zu sein. Dieser Kampf muß auf der Ebene ausgetragen werden, um die es der Philosophischen Theologie wie dem Glauben geht: auf der Ebene der Frage nach Gott. So zieht sich denn durch das ganze Mittelalter hindurch ein gewaltiger Strom philosophisch-theologischen Denkens. Man kann ihn – freilich in einer Vereinfachung, die der Verschlingung der Traditionslinien nicht ganz angemessen ist – in drei großen Armen dahinfließen sehen: einmal in der philosophischen Mystik, von Dionysios Areopagita herkommend, über Johannes Scotus Eriugena, Bernhard von Clairvaux, die Victoriner und Bonaventura, bis hin zu Eckhart und Nicolaus von Cues; sodann in der von Augustinus ausgehenden Gedankenbewegung, von Anselm von Canterbury über Roger Bacon bis zu Bonaventura; schließlich in der durch den neu entdeckten Aristoteles bestimmten Richtung, von Abälard über Alexander von Hales und Thomas von Aquino bis hin zu den Denkern des späten Mittelalter, Duns Scotus und Wilhelm von Ockham.

Überall steht die Frage nach Gott im Mittelpunkt der philosophischen Problematik. Das wird schon im Beginn des mittelalterlichen Denkens, bei Johannes Scotus Eriugena, deutlich ausgesprochen, „Was anderes heißt es, von der Philosophie zu handeln, als die Regeln der wahren Religion auseinanderzusetzen, in der die höchste und vornehmste Ursache aller Dinge, Gott, demütig verehrt und vernünftig erforscht wird? Dadurch wird bewirkt, daß die wahre Philosophie die wahre Religion, und umgekehrt die wahre Religion die wahre Philosophie ist“1. In verwandtem Sinne bestimmt Hugo von St. Victor die Philosophie als „ Studium der Weisheit der Gottheit“ 2. Das gleiche drückt Thomas von Aquino aus; nachdem er gezeigt hat, daß alle spekulativen Wissenschaften von der Philosophia prima, der Metaphysik, abhängen, fährt er fort: „Die erste Philosophie selbst wird als ganze auf die Erkenntnis Gottes als auf ihr letztes Ziel hingeordnet; daher wird sie auch die göttliche Wissenschaft genannt.“ 3. Selbst Roger Bacon, dem doch die Wissenschaft von der Natur bedeutende Anstöße verdankt, behauptet: „Der Fortgang der ganzen Philosophie besteht darin, daß durch die Erkenntnis seiner Schöpfung der Schöpfer erkannt werde“; „daher ist die Philosophie nichts als die Entfaltung der göttlichen Weisheit“ 4. Alexander von Hales schließlich bezeichnet die erste Philosophie, „die auf die Ursache der Ursachen geht“, ausdrücklich als Philosophische Theologie: „Prima Philosophia … est theologia philosophorum“.5

Unter den Aufgaben, die sich die Philosophische Theologie im Mittelalter stellt, nimmt die des Beweises des Daseins Gottes eine hervorragende Stellung ein. Es gibt kaum einen bedeutenderen Denker in diesem Zeitraum, der sich nicht daran versucht hätte. Dabei läßt sich – wenn man von den Differenzierungen im einzelnen absieht – eine doppelte Weise des Vorgehens unterscheiden: eine mehr augustinische, die von der inneren Erfahrung ausgeht (so etwa bei Anselm von Canterbury), und eine stärker von Aristoteles und der Stoa beeinflußte, die bei den natürlichen Gegebenheiten des welthaften Seienden einsetzt (so etwa bei Thomas von Aquino). Zumeist aber finden sich die verschiedensten Arten des Gottesbeweises nebeneinander.

Die Gottesbeweise bilden jedoch keineswegs das einzige Thema der Philosophischen Theologie des Mittelalters. Deren Frage richtet sich auch und vorzüglich auf das Wesen Gottes. Hier wird zum Problem, wie das Sein Gottes zu bestimmen ist, in welchem Verhältnis in ihm Existenz und Essenz zueinander stehen, welche Eigenschaften ihm aus der philosophischen Perspektive zugesprochen werden können, wie sich etwa in seinem Wesen Einsicht und Wille zueinander verhalten, und vor allem, wie die Gottheit – was von der Lehre des Glaubens her gefordert ist – als Trinität begriffen werden kann. Die Frage geht ferner auf das Verhältnis Gottes zur Welt; zum Problem wird, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem Logos und den Ideen zukommt, was Schöpfung aus dem Nichts und Vorsehung bedeuten. Schließlich gehören in den Bereich der Philosophischen Theologie des Mittelalters auch die Fragen nach der Freiheit des Menschen, nach seiner zeitlichen und ewigen Bestimmung sowie nach dem Ende aller Dinge. All das kann jedoch im folgenden nur in Andeutungen besprochen werden.

Angesichts der vielfältigen Intention auf eine Erkenntnis Gottes, wie sie das mittelalterliche Denken durchherrscht, entsteht zunächst die Frage, ob und in welchem Maße die Philosophie diese aus sich selber heraus verwirklichen kann. Zum Thema werden daher Rolle und Reichweite des menschlichen Erkenntnisvermögens, und zwar vor allem auf dem Felde der Gotteserkenntnis. Fraglich wird dabei einmal, wie sich die natürliche Vernunft zum übernatürlichen Glauben verhält, sodann, welche Rolle dabei die Analogie zwischen Gott und dem Seienden und insbesondere dem Menschen als dem Bilde Gottes spielt, und schließlich, ob es jenseits von Vernunft und Glauben noch eine weitere, die Möglichkeit einer Philosophischen Theologie begründende Erkenntnisweise gibt, etwa die der mystischen Schau.

Zunächst ist zu fragen, wie die wesentlichen Denker des Mittelalters die Rolle der Vernunft einschätzen. Zwei extreme Positionen stehen sich gegenüber. Die Mehrzahl der Philosophen aber nimmt eine Mittelstellung ein, indem sie der Vernunft eine begrenzte Bedeutung und eine mehr oder minder große Abhängigkeit vom Glauben zuspricht.

1 Johannes Scotus Eriugena, De divina praedestinatione I 1.

2 Hugo von St. Victor, Eruditio didascalica I 3.

3 Thomas von Aquino, Summa contra gentiles III 25.

4 Roger Bacon, Opus maius II 7 und 18.

5 Alexander von Hales, Summa theologica I 1 sol.

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