Читать книгу Gott der Philosophen - Wilhelm Weischedel - Страница 70

§ 19. Dionysios Areopagita 1. Die Weisen der Theologie

Оглавление

Die Möglichkeit einer Philosophischen Theologie auf dem Boden des Christentums hängt daran, daß ein anderer Weg zur Erkenntnis Gottes eröffnet wird als der, der in der Offenbarung in Jesus Christus gegeben ist. Seit der Gnosis wird in wachsendem Maße die Schwierigkeit dieser Bemühung gesehen. Daher die Verlegenheit, in die die christlichen Denker, etwa Clemens und Origenes, aber auch die großen kappadokischen Theologen geraten: daß sie nach einer von sich selber her sicheren Gnosis der Gottheit suchen und sich dann doch gezwungen sehen, eben um der Sicherung ihrer Erkenntnis willen, auf die kirchliche Tradition zurückzugreifen. Auf diesem Felde nun wird ein für die weitere Geschichte der Philosophischen Theologie entscheidender Schritt mit dem christlichen Neuplatonismus des Dionysios Areopagita1 getan.

Den Ausgangspunkt der Überlegungen des Dionysios bildet – genuin griechisch, aber vom christlichen Denken her einsichtig –, daß Gott als „Ursache, Ursprung, Sein, Leben von allem“ verstanden wird (D I 3).2 Hinzu tritt – aus der neuplatonischen Tradition – das Bewußtsein der ungeheuren Distanz des rein gedachten Göttlichen zu allem Endlichen. Die Gottheit wird, nicht anders als bei Platin, durch das Moment des „Darüberhinaus“ gekennzeichnet; die „Ursache von allem“ „liegt in überseiender Weise über alles hinaus“; Gott ist ὁ πάντων ἐπέϰεινα (M 13). Dies beides zusammenzudenken – die Beziehung zur Welt in der Weise der Ursache und die Ferne zu allem Seienden – ist die Aufgabe, vor die sich Dionysios gestellt sieht; die Frage ist, wie von Gott gesagt werden kann, er sei „für alles Ursache des Seins, die aber selbst nicht ist, weil über alles Sein hinaus“ (D I 1).

Die Problematik verschärft sich noch, wenn die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes hinzugenommen wird. Dieses Problem betrifft nicht so sehr Gott, sofern er in seinem Walten als Ursprung betrachtet wird; hier weist Dionysios darauf hin, daß man ihn in gewisser Weise „aus der Ordnung alles Seienden“ erkennen könne (D VII 3) und daß wir demgemäß durch eine „analogische Erkenntnis zu der Ursache von allem emporgeführt werden, soweit wir dazu imstande sind“ (D V 9). Die eigentliche Schwierigkeit liegt vielmehr darin, Gott „von seiner Natur her“ (D VII 3), also wie er in sich selber ist, zu erfassen. Dazu reichen ersichtlich die sinnlichen Weisen des Wahrnehmens nicht aus. Aber auch das Denken kann das Wesen der Gottheit nicht ergreifen; „das über den Gedanken hinaus Eine“ ist „für alle Gedanken undenkbar“ (D I 1). Geht man also von den nächst gegebenen Erkenntnismöglichkeiten des Menschen aus, dann zeigt sich: „das überseiende Sein, als überseiend, … ist unaussprechlich …, unerkennbar und gänzlich unoffenbar“ (D V 1). Und doch redet Dionysios von Gott, auch und gerade von dessen verborgenem Wesen. Die Frage ist, wie eine solche Theologie der Geheimnisse Gottes möglich ist, „wie wir Gott erkennen, der nicht geistig vernehmbar und nicht sinnlich wahrnehmbar ist“ (D VII 3).

Eine solche Möglichkeit sieht Dionysios zunächst darin, daß er annimmt, die verborgene Gottheit habe einiges von sich selber kundgetan. Das bildet den Gegenstand der „bejahenden Theologie“ (ϰαταφατιϰῆϛ ϑεολογίαϛ; M III). Sie redet vornehmlich davon, „wie die göttliche und gute Natur einfach genannt wird, wie dreifaltig; was die in Bezug auf sie ausgesagte Vaterschaft und Sohnschaft ist; was die Theologie des Geistes offenbaren will“ (D III). Diese bejahende Theologie geht in doppelter Weise vor. Einmal deutet sie die von Gott geoffenbarten göttlichen Namen und zeigt, wie Gott „gut genannt wird, wie seiend, wie Leben, Weisheit und Kraft, und was sonst noch Sache der geistigen Gottesnamenlehre (τῆϛ νοητῆϛ … ϑεωνυμίαϛ) ist“. Zum andern bilden den Ausgangspunkt die „vom Sinnlichen her in Bezug auf das Göttliche (verwendeten) Bezeichnungen“; hier entsteht die Frage, was es bedeutet, wenn im Blick auf Gott etwa von „Gestalten“, „Teilen“, „Organen“ oder von „Empfindungen“, „Betrübnissen“, „Zornausbrüchen“, überhaupt von Phänomenen der „symbolischen Gottesgestaltenlehre“ (συμβολιϰῆϛ … ϑεοτυπίαϛ) die Rede ist (M III).

Diese bejahende Theologie entbehrt freilich alles philosophischen Gepräges. Dionysios betont ausdrücklich, daß sie ihren Ausgang bei den Heiligen Schriften nehme (vgl. M III). Dazu tritt, ebenso wie bei Clemens und Origenes, die mündliche Traditi0n, „die geheime Überlieferung“ der „Gotteserfüllten“ (D I 4).

Aber auch abgesehen von diesem Bezug auf die kirchliche Überlieferung ist die bejahende Theologie des Dionysios insofern problematisch, als sie nicht erreichen kann, was in ihr intendiert wird: eine wirkliche Erkenntnis Gottes, wie er von sich selber her ist. Was wir erfassen können, ist nur das, was durch den göttlichen Strahl erleuchtet wird. „Alle Erkenntnisse gehen auf das Seiende und haben zum Seienden hin ihre Grenze.“ Der Strahl selber dagegen, der „über alles Sein hinaus ist, ist auch aller Erkenntnis entzogen“ (D I 4). Man kann nur „den sein-schaffenden Hervorgang der ursprünglich göttlichen Seinsherrschaft zu allem Seienden hin“ erfassen, nicht aber „das überseiende Sein selber“ (D V 1). Daher gilt für die Erkenntnis Gottes, daß selbst „das Göttlichste und Höchste des Gesehenen und geistig Vernommenen untergeschobene Worte sind für das, was man dem alles überragenden unterstellt“ (M I 3).

In dieser Verlegenheit stellt Dionysios – nicht als erster, aber doch mit einer bis dahin nicht gekannten Intensität – neben die bejahende Theologie die verneinende; die ϑεολογίαι sind sowohl ϰαταφατιϰαί wie ἀποφατιϰαί (M III). Die negative Theologie nun macht mit der Einsicht Ernst, daß der Mensch unfähig ist, Gott, so wie er von sich selber her ist, zu erfassen, daß dieser „über alle Einsicht und Erkenntnis hinaus“ ist (V. Brief). Den „überseienden Strahl“ kann man nicht begreifen; er ist „unfaßbar, und es gibt von ihm weder Wahrnehmung, noch Vorstellung, noch Meinung, noch Namen, noch Rede, noch Berührung, noch Verstehen“ (D I 4f.). Dionysios redet demgemäß von der „verborgenen Gottheit“ (D I 2) und gibt dem ersten Kapitel seiner „Mystischen Theologie“ die Überschrift: „Was das göttliche Dunkel ist“.

Wenn Gott dergestalt ins Ungreifbare entrückt ist, dann läßt sich, wenn überhaupt, nur indirekt von ihm reden: daß er nämlich das ganz Andere des ihm radikal entgegengesetzten Endlichen ist. In dieser Behauptung der negativen Theologie liegt alles andere als eine Negation Gottes. Im „Aufstieg durch Verneinungen“ (D XIII 3) wird vielmehr die Endlichkeit verneint; „wir nehmen alles hinweg, damit wir unverhüllt … jenes überseiende Dunkel sehen, das von dem Licht, das im Seienden ist, verborgen wird“ (M II). Auf diesem Wege der Negation zeigt sich: Gott „ist nicht etwas vom Seienden, auch wird er nicht in etwas vom Seienden erkannt“ (D VII 3); das Göttliche ist „alles Seienden Ursache, selbst aber nichts“ (D I 5). Es ist „aller Beschaffenheit, Bewegung, Leben, Vorstellung, Meinung, Name, Rede, Gedanke, Vernehmen, Sein, Stand, Stellung, Einung, Ende, Unendlichkeit, (kurz:) allem, was Seiendes ist, … entzogen“ (D I 5).

Die negative Theologie bleibt jedoch nicht bei dem bloßen „nicht“ stehen. Ihre andere Seite ist die aus der Negation erwachsende Einsicht in die Überschwenglichkeit Gottes. Das Göttliche ist „nichts, weil in überseiender Weise allem entzogen“ (D I 5); „zum Darüberhinaus … steigen wir auf in der Wegnahme und im Überschwang (ὐπεροϰῇ) von allem“ (D VII 3). Demgemäß ist Gott „das Übergute, das Übergöttliche, das Überseiende, das Überlebendige, das Überweise, und was immer Sache der überschwenglichen Wegnahme ist“ (D II 3), ja, er wird geradezu als „der Überschwang des von allem schlechthin Abgelösten“ bezeichnet (M V). Dionysios spricht davon in den stärksten Ausdrücken. Gott ist ihm „der auf überseiende Weise ursprüngliche Ursprung jeglichen Ursprungs“ (D I 3); er gibt ihm die Bezeichnung einer „über alles hinaus auf überseiende Weise überseienden Übergottheit“ (D XIII 3).

Die überschwengliche Theologie erschöpft sich aber nicht darin, Gott aufgrund dessen, daß von ihm das Sein in jedem endlichen Sinne negiert wird, als das Überseiende zu verstehen. Sie geht ausdrücklich nicht nur über die bejahende, sondern auch und gerade über die verneinende Theologie hinaus. Sie nennt Gott nicht nur unerkennbar und übererkennbar, sondern sogar – im paradoxen Ausdruck – „überunerkennbar“ (ὐπερἁγνωστον) (M I 1).

Dionysios begnügt sich auch mit dieser äußersten Betonung der Ferne Gottes nicht. Er übersteigert die negativen und überschwenglichen Aussagen noch einmal, und zwar insofern, als er nun auch die von der negativen Theologie überholte bejahende Theologie, in der, wenn auch in unzureichender Weise, etwas über Gott erfahren wird, in jene hereinholt. „Sowohl durch Erkenntnis wird Gott erkannt wie durch Unerkenntnis.“ Die bejahende Theologie wird freilich nicht als solche restituiert, sondern nur insofern, als sie in die der Sache angemessenere verneinende Theologie integriert wird; denn „die göttlichste Erkenntnis Gottes ist die, die durch Unerkenntnis zustande kommt“ (D VII 3).

Erst in solchem gestuften Miteinander der verschiedenen Weisen der Theologie – der bejahenden und der negativen und überschwenglichen – kann Gott in äußerster Übersteigerung des Gedankens der Ferne als der intendiert werden, der er ist. Man muß von ihm, „als der Ursache von allem, alle Setzungen des Seienden setzen und bejahen und sie alle mehr noch verneinen, da sie (die Ursache) über alles hinaus ist“ (M I 2).

So wird die Theologie des Dionysios ein vielfältig verschlungenes Gebilde. Von Gott kann man angemessen nur in dialektischer Weise reden: Es gibt von ihm „Vernehmen, Rede … Namen“, und doch „wird er nicht vernommen noch ausgesagt noch benannt“ (D VII 3). Er ist zugleich „das Gute“ und „das Übergute“, „das Seiende“ und „das Überseiende“, „das Lebenzeugende“ und „das Überlebendige“, „das Weise“ und „das Überweise“ (D II 3). „Das göttliche Dunkel ist das unzugängliche Licht“ (V. Brief), „in dem Finstersten das Überscheinendste überstrahlend“ (M I 1). Kurz: Gottes „Einheit“ ist „die Setzung von allem“ und „die Verneinung von allem“ (D II 4).

Aber diese Dialektik der miteinander verknüpften gegensätzlichen Aussagen ruht nicht in sich selber. Ihr Sinn ist, über sich hinauszuweisen. Die Ursache von allem ist „nicht Dunkel und nicht Licht, weder Irrtum noch Wahrheit; es gibt von ihr überhaupt keine Setzung und keine Verneinung“ (M V 1). „Der Überschwang des von allem schlechthin Losgelösten“ ist „über jede Setzung“ und „über jede Verneinung hinaus …: ἐπέχεινα τῶνὃων“ (M V 1). Das ist das letzte Wort der „Mystischen Theologie“ des Dionysios.

Gott der Philosophen

Подняться наверх