Читать книгу Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch) - William Shakespeare, William Shakespeare - Страница 220
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ZWEITE SZENE
Troja. Priams Palast
Es treten auf Priamus, Hektor, Troilus, Paris und Helenus.
PRIAMUS
Nachdem viel Stunden, Wort' und Leben schwanden,
Spricht nochmals Griechenland durch Nestor dies:
Gebt Helena, und jeder andre Schaden,
Als Ehre, Zeitverlust, Aufwand und Müh,
Blut, Freund' und was noch Teures sonst verschlang
Des nimmersatten Krieges heiße Gier,
Sei abgetan. – Hektor, wie dünkt es dich?
HEKTOR
Scheut niemand auch die Griechen weniger
Als ich, was mich allein betrifft; dennoch,
Erhabner Priamus,
Gabs nie ein Weib von zärtlicherm Gefühl,
Empfänglicher dem Sinn der Furcht, geneigter
Zum bangen Ruf: »Wer weiß, was draus entsteht?«
Als Hektor. Sicherheit macht Frieden krank,
Zu sichre Sicherheit; doch weiser Zweifel
Wird Klugen Leuchte, wird dem Arzte Sonde,
Der Wunde Grund zu prüfen. Geh denn Helena!
Seitdem für sie der erste Schwertstreich fiel,
War jede zehnte Seel aus tausend Zehnten
In unserm Volk so teur als Helena,
Verloren wir so manches Zehnt der Unsern,
Für eine, die uns fremd, für uns nicht wert,
Wenn sie die Unsre war, ein Zehnteil nur.
Was für vernünftger Grund denn, der uns hindert,
Sie auszuliefern?
TROILUS
Nein, o nein, mein Bruder!
Wagst du die Ehr und Würde eines Königs
Wie unsers hohen Vaters nach dem Maß
Gemeiner Unzen? Willst mit Pfenngen zählen
Seiner Unendlichkeit maßlosen Wert?
Ein unabsehbar weit Gebiet umzirken
Mit Zoll und Spanne so geringer Art,
Wie Fürchten und Vernunft? O pfui der Schmach!
HELENUS
Kein Wunder, wenn Vernunft du schiltst, der selbst
Vernunft entbehrt. Soll unser Vater nicht
Sein großes Herrscheramt baun auf Vernunft,
Weil unvernünftig deine Rede war?
TROILUS
Du bist für Träum und Schlummer, Bruder Priester,
Und fütterst deine Handschuh mit Vernunft!
Dies sind nun deine Gründe:
Du weißt, ein Feind sinnt drauf, dir weh zu tun,
Du weißt, gezückte Schwerter drohn Gefahr,
Und die Vernunft flieht das, was Schaden bringt;
Was Wunder denn, wenn Helenus gewahrt
Den Griechen und sein Schwert, daß er selbst Flügel
Tiefer Vernunft sich an die Fersen bindet
Und wie Merkur, wenn Zeus ihn schilt, entflieht,
Schnell wie ein Sternschuß? Predigen wir Vernunft,
So schließt die Tor und schlaft! Mannheit und Ehre,
Wenn sie mit Gründen nur sich mästeten,
Gewännen Hasenherz; Vernunft und Sinnen
Macht Lebern bleich und Jugendkraft zerrinnen.
HEKTOR
Bruder, sie ist nicht wert, was sie uns kostet,
Sie hier zu halten.
TROILUS
Was hat wohl andern Wert, als wir es schätzen?
HEKTOR
Doch nicht des einzeln Willkür gibt den Wert;
Er hat Gehalt und Würdigkeit sowohl
In eigentümlich innrer Kostbarkeit
Als in dem Schätzer. Wahn und Tollheit ists,
Den Dienst zu machen größer als den Gott!
Und töricht schwärmt der Wille, der sich neigt
Zu dem, was seine Liebe fälschlich adelt,
Wenn innrer Wert dem Scheinverdienst gebricht.
TROILUS
Ich nehme heut ein Weib, und meine Wahl
Hängt von der Leitung meines Willens ab;
Mein Wille ward entflammt durch Aug und Ohr,
Zwei wackre Lotsen durch die schroffen Klippen
Von Trieb und Urteil. Sollt ich denn verstoßen,
Wenn einst dem Willen meine Wahl mißfiele,
Das Weib, das ich erkor! – Da ist kein Ausweg,
Kein Wanken gilt, wenn Ehre soll bestehn.
Wir senden nicht die Seide heim dem Kaufmann,
Die wir verderbt, noch werfen wir verächtlich
Übriggebliebne Speisen in den Abfall,
Weil wir nun satt. Man hielt es wohlgetan,
Daß Paris Rache nehm am Griechenvolk;
Einmütger Beifall schwellt' ihm seine Segel;
Die alten Kämpfer, Meer und Wind, sie ruhten,
Ihm beizustehn; den Port erreicht' er schnell,
Und statt der alten Base, dort gefangen,
Bracht er 'ne griechische Fürstin, deren Frische
Apollo runzlicht, welk den Morgen macht.
Mit welchem Fug? Die Griechen halten jene!
Und ist sie's wert? Ha, eine Perle ist sie,
Die mehr denn tausend Schiffe jagt' ins Meer
Und Kaufherrn schuf aus Königen.
Gesteht ihr ein, recht wars, daß Paris ging
– Ihr müßt; denn alles rief: Zieh hin, zieh hin! –,
Bekennt ihr, daß ein Kleinod seine Beute
– Ihr müßt, denn alle schlugt ihr in die Hände
Und rieft: unschätzbar! –, warum schmäht ihr nun
Den Ausgang eures eignen weisen Plans
Und tut, was selbst Fortuna nicht getan,
Entwürdgend, was ihr reicher habt geschätzt
Als Land und Meer? Dann pfui dem schnöden Raub!
Wir stahlen, was wir fürchten zu behalten,
Als Dieb', unwert des so gestohlnen Guts;
Was wir vergeltend raubten ihrem Strand,
Scheun wir zu schützen in der Heimat Land!
KASSANDRA
draußen. Weint, Troer, weint!
PRIAMUS
Welch Laut? Welch Schrein ist das?
TROILUS
Die tolle Schwester; ihre Stimm erkenn ich.
KASSANDRA
draußen. Weint, Troer!
HEKTOR
's ist Kassandra!
Kassandra kommt, in Verzückung [mit fliegenden Haaren ].
KASSANDRA
Weint, Troer, weint! Leiht mir zehntausend Augen,
Und alle füll ich mit prophetschen Tränen!
HEKTOR
Still, Schwester, still! –
KASSANDRA
Jungfraun und Knaben, Männer, schwache Greise,
Unmündge Kindheit, die nichts kann als weinen,
Verstärkt mein Wehgeschrei! Und zahlt voraus
Die Hälfte all des Jammers, der uns nah!
Weint, Troer, weint! Gewöhnt eur Aug an Tränen!
Troja vergeht, das schöne Ilium sinkt!
Paris, der Feuerbrand, verzehrt uns alle.
Weint, weint! O Helena, du Weh der Wehen!
Weint! Troja brennt! Verbannt sie, heißt sie gehen!
Geht ab.
HEKTOR
Nun, junger Troilus, weckt dies grause Lied
Der prophezeinden Schwester kein Gefühl
Der Reu im Herzen? Oder ist dein Blut
So toll erhitzt, daß Überlegung nicht,
Noch Furcht vor schlechtem Ausgang schlechter Sache
Die Glut dir mäßgen kann?
TROILUS
Ei, Bruder Hektor,
Wir dürfen nicht die Güte jeder Tat
Ermessen nach dem Ausgang des Erfolgs,
Noch unsre Herzen gleich entmutgen, weil
Kassandra rast. Ihr hirnverrücktes Toben
Verbittre nicht die Lust an einem Streit,
Dem unser aller Ehre sich verpfändet
Als wohlgeziemend. Mir für meinen Anteil
Gilt er nicht mehr als jedem Sohn des Priam;
Und Zeus verhüte, daß wir etwas täten,
Verföchten, drauf beharrten, was auch nur
Rechtmäßgen Grund zum kleinsten Tadel gäbe.
PARIS
Sonst dürfte wohl die Welt des Leichtsinns zeihn
Mein Unternehmen so wie euern Rat.
Doch, bei den Göttern, eur vollkommner Beifall
Gab Flügel meinem Wunsch und schnitt ganz weg
Jeglich Bedenken vor so kühner Tat.
Denn was vermag allein mein schwacher Arm?
Was nützt die Kühnheit eines Manns im Kampf, All derer Stoß und Feindschaft zu bestehn, Die solche Fehd erweckte? Dennoch schwör ich, Müßt ich allein den schweren Kampf versuchen Und käme nur die Macht dem Willen gleich, Nie widerriefe Paris, was er tat, Noch wankt' er im Verfolg.
PRIAMUS
Paris, du sprichst
Wie einer, dem von süßen Lüften schwindelt.
Du hast den Honig stets, die Galle sie;
So tapfer sein verdiente Ruhm noch nie.
PARIS
Ich trachte nicht allein den Freuden nach,
Die solche Schönheit ihrem Eigner bringt;
Des holden Raubes Vorwurf wünscht ich auch
Getilgt, indem wir ehrenvoll sie wahren.
Welch ein Verrat an der entführten Herrin,
Schmach euerm hohen Ruhm und Schande mir,
Nun aufzugeben solch ein Eigentum
Nach abgezwungenem Vergleich? Wärs möglich,
Daß so entartete Gesinnung je
Den Eingang fänd in eure edlen Herzen?
Auch dem Geringsten nicht in unserm Volk
Fehlt Mut, zu wagen und das Schwert zu ziehn
Für Helena; und kein so Edler ist,
Des Leben wär zu teur, des Tod unrühmlich,
Ist Helena der Preis. Deshalb beteur ich,
Wohl ziemt es sich, im Kampfe nicht zu weichen
Für die, der auf der Welt nichts zu vergleichen!
HEKTOR
Paris und Troilus, beide spracht ihr gut
Und habt erörtert Frag und Stand des Streits,
Doch oberflächlich – nicht ungleich der Jugend,
Die Aristoteles unfähig hielt
Zum Studium der Moralphilosophie.
Die Gründe, die ihr vortragt, leiten mehr
Zu heißer Leidenschaft des wilden Bluts,
Als die Entscheidung frei und klar zu schlichten,
Was Recht und Unrecht. Denn die Rach und Wollust
Sind tauber als der Ottern Ohr dem Ruf
Wahrhaften Urteils! Die Natur verlangt
Erstattung jedes Guts dem Eigner; nun,
Wo wär in aller Menschheit näheres Anrecht,
Als zwischen Mann und Ehfrau? Wird ein solches
Naturgesetz verletzt durch Leidenschaft
Und große Geister, dem betäubten Willen
Zu leicht sich fügend, widerstreben ihm,
So gibts in jedem Volksrecht ein Gesetz
Als Zügel solcher wütenden Begierden,
Die in Empörung alle Schranken brechen.
Ist Helena des Sparterkönigs Weib
– Wie sie's denn ist –, so ruft Moralgesetz
Des Staats wie der Natur mit lauter Stimme,
Sie ihm zurückzusenden. Fest beharren
Im Unrechttun, vermindert Unrecht nicht,
Nein, macht es schwerer. Dies ist Hektors Meinung,
Wenn er das Recht erwägt. Gleichwohl indes,
Ihr feurgen Brüder, neig ich mich zu euch
In dem Entschluß, nicht Helena zu lassen.
Denn wichtgen Einfluß hat des Streits Entscheidung
Auf aller so wie jedes einzein' Ruhm.
TROILUS
Ja, das ist unsres Trachtens Kraft und Inhalt.
Wärs nicht die Ehre, die uns mehr entflammt,
Als unserm schwellnden Groll genugzutun,
Nicht einen Tropfen Troerblut mehr wollt ich
Für sie vergeudet sehn. Doch, tapfrer Hektor,
Sie ist ein Gegenstand für Ehr und Ruhm,
Ein Sporn zu tapfrer, hochbeherzter Tat,
Gibt jetzt uns Mut, die Feinde zu vernichten,
Und für die Zukunft Preis, der uns verklärt.
Denn, weiß ich doch, Held Hektor gäbe nicht
So reichen Vorteil der verheißnen Glorie,
Wie sie auf dieses Kampfes Stirn uns lächelt,
Für alles Gold der Welt.
HEKTOR
Wohl hast du recht,
Du tapfrer Sproß des großen Priamus.
Ich sandte schon aufreizend Fehdewort
Den trägen und entzweiten Griechenfürsten,
Das ihre Schlummergeister wecken wird.
Wie ich vernommen, schläft ihr bester Held;
Neid und Parteiung schleichen durch das Feld:
Dies, hoff ich, regt ihn auf.
Sie gehn ab.