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ZWEITE SZENE

Inhaltsverzeichnis

Troja. Pandars Garten

Pandarus und Troilus' Page treten auf.

PANDARUS

Heda! Wo ist dein Herr? ist er bei meiner Nichte Cressida?

PAGE

Nein, Herr, er wartet auf Euch, daß Ihr ihn zu ihr führt.

Troilus kommt.

PANDARUS

Oh, hier kommt er. Nun, wie gehts, wie gehts?

TROILUS

Du da, geh fort.

Page ab.

PANDARUS

Habt Ihr meine Nichte gesehn?

TROILUS

Nein, Pandarus. Ich wank um ihre Tür

Gleich einer neuen Seel am Strand des Styx,

Des Fährmanns wartend. O sei du mein Charon

Und schaff mich schnell zu jenen selgen Fluren,

Wo ich mag schwelgen in dem Lilienbeet,

Bestimmt für den Beglückten! Liebster Pandar,

Von Amors Schulter nimm die bunten Schwingen

Und flieg mit mir zu Cressida!

PANDARUS

Weilt hier im Garten, und ich rufe sie.

Pandarus geht ab.

TROILUS

Mir schwindelt; rings im Kreis dreht mich Erwartung;

Die Wonn in meiner Ahnung ist so süß,

Daß sie den Sinn verzückt. Wie wird mir sein,

Wenn nun der durstge Gaumen wirklich schmeckt

Der Liebe lautern Nektar? Tod, so fürcht ich,

Vernichtung, Ohnmacht oder Lust zu fein,

Zu tief eindringend, zu entzückend süß

Für meiner gröbern Sinn Empfänglichkeit.

Dies fürcht ich sehr, und fürchte außerdem,

Daß im Genuß mir Unterscheidung schwindet,

Wie in der Schlacht, wenn Scharen wild sich drängend

Den fliehnden Feind bestürmen.

Panduras kommt zurück.

PANDARUS

Sie macht sich fertig; gleich wird sie hier sein. Nun seid gescheit! Sie errötet und holt so kurz Atem, als wäre sie von einem Gespenst erschreckt. Ich will sie holen; es ist die niedlichste Spitzbübin; sie atmet so kurz wie ein eben gefangner Sperling.

Geht ab.

TROILUS

Die gleiche Angst umspannt auch meine Brust;

Mein Herz schlägt rascher als ein Fieberpuls,

Und alle Kräfte stocken regungslos,

Vasallen gleich, die unversehns begegnen

Dem Aug der Majestät.

Pandarus kommt mit Cressida zurück.

PANDARUS

Komm, komm; wozu dies Erröten? Scham ist nur ein einfältiges Kind. – Hier ist sie nun; schwört ihr nun die Eide, die Ihr mir geschworen habt. – Was, willst du schon wieder entfliehen? Muß man dich erst durch Wachen zähmen, sag? Komm doch heran; komm heran! Wenn du zurückgehst, stellen wir dich in die Deichselgabel. – Warum sprecht Ihr nicht mit ihr? Nun, zieh doch diesen Vorhang weg und laß dein Gemälde betrachten. Liebe Zeit! Wie sie sich fürchtet, dem Tageslicht ein Ärgernis zu geben! Wenn es dunkel wäre, ihr würdet einander schon näher kommen. So, so; jetzt bietet Schach, und Ihr nehmt die Dame. Seht, dieser Kuß war das Handgeld – hier baue Zimmermann; hier ist die Luft lieblich. Ja, wahrhaftig, ihr sollt alle Karten ausgespielt haben, ehe ich euch voneinander lasse – nur zu, nur zu!

TROILUS

Ihr habt mich aller Worte beraubt, Liebste!

PANDARUS

Worte zahlen keine Schulden; gebt ihr Taten; aber sie wird Euch auch um die Taten bringen, wenn sie Eure Tätigkeit in Anspruch nimmt. – Was, wieder geschnäbelt? Hier heißts, »zur Bekräftigung dessen von beiden Parteien wechselseitig«. – Kommt herein, kommt herein, ich will ein Feuer machen lassen.

Pandarus geht ab.

CRESSIDA

Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?

TROILUS

O Cressida, wie oft habe ich mich so gewünscht!

CRESSIDA

Gewünscht, mein Prinz? Die Götter gewähren – o mein Prinz!

TROILUS

Was sollen sie gewähren? Was verursacht dies liebliche Abbrechen? Was für tiefverborgne Trübung erspäht mein süßes Mädchen in dem klaren Brunnen unsrer Liebe?

CRESSIDA

Mehr Trübung als Wasser, wenn meine Furcht Augen hat.

TROILUS

Die Furcht macht Teufel aus Engeln; sie sieht nie richtig.

CRESSIDA

Blinde Furcht, von sehender Vernunft geführt, geht sichrer zum Ziel als blinde Vernunft, die ohne Furcht strauchelt. Das Schlimmste fürchten, heilt oft das Schlimmste.

TROILUS

Was könnte meine Geliebte fürchten? In Cupidos Maskenzug wird nie ein Ungeheuer aufgeführt.

CRESSIDA

Auch nie etwas Ungeheures?

TROILUS

Nichts als unsre Unternehmungen: wenn wir geloben, Meere zu weinen, in Flammen zu leben, Felsen zu verschlingen, Tiger zu zähmen; weil wir wähnen, es sei der Dame unsres Herzens schwerer, genug Prüfungen zu ersinnen, als für uns, irgend etwas Unmögliches zu bestehn. Das ist das Ungeheure in der Liebe, meine Teure, daß der Wille unendlich ist und die Ausführung beschränkt; daß das Verlangen grenzenlos ist und die Tat ein Sklave der Beschränkung.

CRESSIDA

Man sagt, jeder Liebhaber schwöre, mehr zu vollbringen, als ihm möglich ist, und behalte dennoch Kräfte, die er nie in Anwendung bringt; er gelobe mehr als zehn auszuführen, und bringe kaum den zehnten Teil von dem, was einer vermöchte, zustande. Wer die Stimme eines Löwen und das Tun eines Hasen hat, ist der nicht ein Ungeheuer?

TROILUS

Gibt es solche? Wir sind nicht von dieser Art. Lobt uns nach bestandener Prüfung und schätzt uns nach Taten; unser Haupt müsse unbedeckt bleiben, bis Ruhm es krönt. Keine Vollkommenheit, die noch erst erreicht werden soll, werde in der Gegenwart gepriesen; wir wollen das Verdienst nicht vor seiner Geburt taufen, und ist es geboren, so soll seine Bezeichnung demütig sein. Wenig Worte und feste Treue! Troilus wird für Cressida ein solcher sein, daß, was Bosheit ihm Schlimmstes nachsagen mag, ein Spott über seine Treue sei; und was Wahrheit am wahrsten sprechen kann, nicht wahrer als Troilus.

CRESSIDA

Wollt Ihr hineingehn, mein Prinz?

Pandarus kommt zurück.

PANDARUS

Wie, noch immer errötend? Seid ihr noch nicht mit Schwätzen fertig?

CRESSIDA

Nun, Oheim, was ich Törichtes beginne, sei Euch zugeeignet.

PANDARUS

Ich danke schönstens. Wenn der Prinz von dir einen Buben bekommt, so soll er mir gehören. Sei dem Prinzen treu; wenn er wankelmutig wird, so halte dich an mich.

TROILUS

Ihr kennt nun Eure Bürgen: Eures Oheims Wort und meine feste Treue.

PANDARUS

Nun, ich will auch für sie gutsagen. Die Mädchen aus unsrer Verwandtschaft wollen lange gebeten sein; aber, einmal gewonnen, sind sie standhaft. Rechte Kletten, sag ich Euch; sie bleiben haften, wo man sie hinwirft.

CRESSIDA

Kühnheit kommt nun zu mir und macht mir Mut.

Prinz Troilus! Euch liebt ich Tag und Nacht,

Seit manchem langen Mond.

TROILUS

Wie warst du mir so schwer denn zu gewinnen?

CRESSIDA

Schwer nur zum Schein, doch war ich schon gewonnen

Vom ersten Blick, der jemals – o verzeiht!

Sag ich zuviel, so spielt Ihr den Tyrannen.

Ich lieb Euch nun, doch nicht bis jetzt so viel,

Daß ichs nicht zähmen kann – doch nein, ich lüge;

Mein Sehnen war wie ein verzognes Kind

Der Mutter Zucht entwachsen. O wir Ärmsten!

Was schwatz ich da? Wer bleibt uns wohl getreu,

Wenn wir uns selbst so unverschwiegen sind?

So sehr ich liebte, warb ich nicht um Euch,

Und doch fürwahr wünscht ich ein Mann zu sein,

Oder daß wir der Männer Vorrecht hätten,

Zuerst zu sprechen. Liebster, heiß mich still sein!

Sonst im Entzücken red ich ganz gewiß,

Was mich dereinst gereut. O sieh, dein Schweigen,

So schlau verstummend, lockt aus meiner Schwachheit

Die innersten Gedanken; schließ den Mund mir!

TROILUS

Gern! Tönt er auch die süßeste Musik.

[Er küßt sie. ]

PANDARUS

Recht artig, meiner Treu!

CRESSIDA

Mein Prinz, ich bitt Euch sehr, entschuldigt mich;

Nicht wollt ich so mir einen Kuß erbetteln.

Ich bin beschämt – o Himmel! Was begann ich?

Für diesmal muß ich Abschied nehmen, Prinz.

TROILUS

Abschied, mein süßes Mädchen?

PANDARUS

Abschied? Nun ja, ihr mögt bis morgen früh Abschied nehmen.

CRESSIDA

Laßts nun genug sein!

TROILUS

Was erzürnt dich, Liebste?

CRESSIDA

Mein eignes Hiersein, Prinz.

TROILUS

Ihr könnt Euch selbst

Doch nicht entfliehn?

CRESSIDA

Laßt mich, daß ichs versuche.

Zwar eine Art von meinem Selbst bleibt hier,

Doch ein unartges, das sich selbst verläßt,

Als deine Törin. Oh, wo blieb mein Sinn?

Ich möchte gehn – ich sprech, ich weiß nicht was.

TROILUS

Wer so vollständig spricht, weiß, was er spricht.

CRESSIDA

Vielleicht, mein Prinz, zeig ich mehr List als Liebe

Und sprach so dreist ein frei Geständnis aus,

Mir Euer Herz zu fahn. Doch Ihr seid weise,

Liebt also nicht; denn weise sein und lieben

Vermag kein Mensch; nur Götter könnens üben.

TROILUS

O daß ich glaubt, es könne je ein Weib

– Und wenn sie's kann, glaub ichs zuerst von Euch –

Für ewig nähren Liebesflamm und Glut,

In Kraft und Jugend ihre Treu bewahren,

Die Schönheit überdauernd durch ein Herz,

Das frisch erblüht, ob auch das Blut uns altert!

Daß nur die Überzeugung mir erstarkte,

Ihr könntet meine Treu und Innigkeit

Erwidern mit dem gleichgefüllten Maß

Der reinen ungetrübten Herzensneigung –

Wie würde michs erheben! Aber, ach!

Ich bin so wahrhaft, wie der Wahrheit Einfalt,

So einfach, wie die Wahrheit spricht im Kinde.

CRESSIDA

Den Wettkampf nehm ich an.

TROILUS

O hold Gefecht,

Wenn Recht um Sieg und Vorrang ficht mit Recht!

Treuliebende in Zukunft werden schwören

Und ihre Treu mit Troilus versiegeln;

Und wenn dem Vers voll Schwür und schwülstgen Bildern

Ein Gleichnis fehlt, der oft gebrauchten müde,

Als – treu wie Stahl, wie Sonnenschein dem Tag,

Pflanzen dem Mond, das Täubchen seinem Tauber,

Dem Zentrum Erde, Eisen dem Magnet,

Dann, nach so viel Vergleichungen der Treu,

Wird als der Treue höchstes Musterbild

»So treu wie Troilus« den Vers noch krönen

Und weihn das Lied.

CRESSIDA

Prophetisch sei dies Wort!

Werd ich dir falsch, untreu nur um ein Haar,

Wenn Zeit gealtert und sich selbst vergaß,

Wenn Regen Trojas Mauern aufgelöst,

Blindes Vergessen Städte eingeschlungen

Und machtge Reiche spurlos sind zermalmt

Ins staubge Nichts – auch dann noch mög Erinnrung,

Spricht man von falschen, ungetreuen Mädchen,

Schmähn meine Falschheit; sagten sie, so falsch

Wie Luft, wie Wasser, Wind und lockrer Sand,

Wie Fuchs dem Lamm, wie Wolf dem jungen Kalbe,

Panther dem Reh, Stiefmutter ihrem Sohn,

Ja, schließ es dann und treff ins Herz der Falschheit:

»So falsch wie Cressida!«

PANDARUS

Wohlan, der Handel ist geschlossen; das Siegel drauf, das Siegel drauf, ich will Zeuge sein. Hier faß ich Eure Hand, hier die meiner Nichte; wenn ihr je einander untreu werdet, die ich mit so viel Mühe zusammengebracht habe, so mögen alle armen Liebesvermittler bis an der Welt Ende nach meinem Namen Pandarus heißen; alle unbeständigen Liebhaber soll man Troilus nennen, alle falschen Mädchen Cressida und alle Zwischenträger Pandarus. Sagt Amen!

TROILUS

Amen!

CRESSIDA

Amen!

PANDARUS

Amen! Und somit will ich euch eine Kammer und ein Bett nachweisen; und damit das Bett euer artiges Liebeständeln nicht ausschwatze, drückt es tot. Nun fort!

Und Amor gönne allen scheuen Kindern

Bett, Kammer, Pandar, ihre Not zu lindern!

Sie gehn ab.

Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch)

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