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Novize, Scholar, Wappentragender
ОглавлениеSt. Laurentii, Süderende
Wer neu ins Internat kam, wurde Novize genannt, ganz wie in einem Kloster. Er bekam einen Mentor, der ihn in das Internatsleben einführte. Nach einer gewissen Zeit musste sich der Neuling einer Prüfung stellen. In der ging es – so meine Erinnerung – vor allem um die Beherrschung des „Knigge“. Den hatte der Papst, im Verein mit der Föchtin, erdacht. Sie hatten die wesentlichen Benimm-Regeln in Versform gebracht, frei nach Wilhelm Busch. Hier ein paar Kostproben:
„Der höchste Mann geht in der Mitte,
und rechts davon marschiert der zweite,
und bist du selber nur der Dritte,
so kommst du auf die linke Seite“.
Und so:
„Schnell die Fingernägel zeigen,
ist ein schwarzer Rand ihn’ eigen,
fort damit in Scham und Eile,
mittels einer Nagelfeile“.
Oder so:
„Hast du dir was ausgelieh’n,
Bücher, etwas anzuziehen,
sei beim Wiederbringen drauf bedacht,
dass dein guter Freund sich freut
über Rein- und Pünktlichkeit“.
Reim dich oder ich fress dich. Nur wer diese Strophen aufsagen konnte, stieg zum Scholaren auf. Erst damit wurde er zu einem vollwertigen Internatler, durfte sich die Anstecknadel mit dem kleinen(!) blau-gelben Wappen anstecken.
Später setzte der Papst noch eines drauf: Er gründete die Verbindung der Wappentragenden. Deren Mitglieder trugen ein sehr viel größeres blau-gelbes Wappen, mit einem Schwert darauf, das wohl als Kreuz interpretiert werden sollte. Aufgenommen wurden nur Größere, Mitglieder des Kapitels. Das führte dazu, dass diese noch abgehobener wurden, als sie es ohnehin schon waren. Als Tertianer war ich zu klein, um in diesen erlesenen Kreis berufen zu werden, und später hat man mich nie dazu aufgefordert, ihm beizutreten. Das, obgleich ich dem Internat lange nach meinem Abgang die Treue hielt, indem ich es öfters besuchte. Zu den traditionellen Pfingsttreffen und auch zwischendurch. Von Husum war es ja nicht weit; die 50 km konnten mit dem Rad leicht überbrückt werden, selbst bei Westwind. Ich habe das als Diskriminierung empfunden. Letztlich hat es mir aber dabei geholfen, mich von dem Internat zu lösen. An den Seniorentreffen habe ich nie teilgenommen. Nur der regelmäßig erscheinende Rundbrief von Pastor Lohmann sorgte für ein Minimum an Kontakt zu der Internatswelt.
Höhepunkt der Internatswoche war der „Sing-Sang“, zu dem sich jeden Sonntag nach dem Mittagessen eine illustre Schar im Musiksaal versammelte, eng gedrängt auf harten Bänken. Der Chor auf der Empore, um den Flügel gruppiert, von dem aus der Papst das Geschehen beherrschte. Seine Kreativität schien grenzenlos zu sein. Jede Veranstaltung eine Premiere. Kein berühmter Wyker Kurgast, den er nicht dafür gewann, im Sing-Sang aufzutreten: Musiker, Physiker, Philosophen, Boxer – der Hamburger „Kuddel“ Schmidt vor seinem letzten Kampf – und sogar ein Schornsteinfegermeister, der sich auf das Anfertigen von Abschriften aus alten Folianten spezialisiert hatte.
Jedes mal wurde ein Zettel mit Liedtexten und Noten verteilt, immer auch ein neues Lied oder gar ein Kanon dabei. Zwischendurch ein oder zwei Sketche, einstudiert von Horschtl Öl, vorgetragen und aufgeführt von Internatlern und –rinnen. Zu besonderen Begeisterungsstürmen riss uns René Kollo hin, auch wenn er mehrmals stecken blieb und sich locker über den Fortgang informierte. Zum Abschluss die Internatslieder, für die Jungs kernig: „Brausend zog der Freude Strom durch Leib und Seel’, Herr in Freud’ und Leide dir ich mich befehl,...“, die Mädchen sehr viel zartfühlender: „Herr wir stehen Hand in Hand, die dein Hand und Ruf verband, ...“. Viel anfangen konnte ich mit den „gefühlsvollen“ Texten nicht; ich habe sie schnell vergessen.