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Prolog
ОглавлениеWas werden? Und wie? Man kann sich gar nicht früh genug damit beschäftigen, welchen Beruf man ergreifen will, wie man ihn erlernen und was man damit anfangen kann. Anfangs eher spielerisch; später wird’s ernst. Die Antworten prägen den Lebenslauf; sie sind maßgeblich für den Erfolg, die Lebensfreude und den Lebensstil. Die Ausbildung, der Einstieg in den Beruf, die einzelnen Abschnitte bei seiner Ausübung und, last not least, der Abschied von der aktiven Tätigkeit bestimmen das Lebensglück. Natürlich nicht sie allein. Die Partnerin, die Familie, der Wohnort und dessen Umfeld sowie die Hobbies, sie alle tragen dazu bei. Die Akzente setzt jeder auf seine Art, sehr unterschiedlich. Bei dem, was folgt, geht es allein um den Beruf.
Zu Antworten auf die Fragen „Was“ und „Wie“ kommt man – zumindest hypothetisch - auf zwei ganz unterschiedlichen, ja konträren Wegen:
Zum einen trifft man die Auswahl aus der Fülle von Möglichkeiten rein emotional. Mehr oder weniger zufällig ist einem ein Beruf aufgefallen, der einen besonders beeindruckt . Den möchte man ergreifen, selbst wenn man kaum Einzelheiten über ihn weiß. Ein Sprung ins Ungewisse. Wie man diesen Beruf erlernt - Lehre oder Studium – ist durch die Wahl vorgegeben.
Dieser erste Weg kann auch anders herum beschritten werden: Erst einmal studieren; dann sieht man weiter. „Globales“ Ziel: Im Beruf möglichst weit nach oben kommen, Führungskraft werden, andere für sich arbeiten lassen, ihnen zeigen, wo es langgeht und gutes Geld verdienen. Wie man aus dem Erlernten einen Beruf macht, das wird sich schon finden. Die Wirtschaft bietet eine Vielfalt von Einstiegsmöglichkeiten; der Durchstieg zum Management, gar zum Geschäftsführer, sollte mit einer soliden akademischen Basis schon „drin“ sein. Während des Studiums orientiert man sich durch begleitende Praktika. Das um herauszufinden, in welchem Anwendungsbereich, in welcher Branche man nach erfolgreichem Abschluss des Studiums beginnen möchte.
Dieser erste Ansatz führt fast zwangsläufig auf ein Fach wie Betriebswirtschaftslehre, BWL, gleichermaßen bei Frauen wie Männern. Das legt einen nicht auf eine bestimmte Branche fest; überall ist man einsetzbar. Jedoch, schon der Besuch der ersten Vorlesung ist ernüchternd: Der Hörsaal quillt über; viele andere haben sich von den gleichen Vorstellungen leiten lassen. Das Resultat: heftige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und später im Betrieb.
Auf dem zweiten Weg geht man die Frage nach dem Beruf analytisch an. Die wesentlichen Kriterien werden definiert und in einer Matrix angeordnet. Zuerst natürlich solche, die den Beruf selbst betreffen: Was will man am liebsten machen?
Recht sprechen, Menschen unterrichten, beraten oder kurieren? Häuser oder Brücken bauen, Straßen anlegen, Tunnel bohren, das Wetter vorhersagen, Maschinen oder Computer bauen? Hard- oder Software? Und weiter: Wie sieht das Machen im konkreten Fall aus? Rechnen, Programmieren, Konstruieren, Experimentieren?
Schließlich, wie lässt sich der Beruf ausüben: als Selbständiger, Angestellter oder gar als Beamter? Und in welchem Umfeld möchte man arbeiten, in einem kleinen oder einem großen Betrieb? In welcher Branche? Wie innovativ ist diese? Wie kompetitiv? Welche Zukunftschancen, bietet sie? Letztlich auch die Frage, wie lange man den Beruf ausüben kann? Das sollte nicht nur Dachdecker, Sportler, Artisten, oder andere „Exoten“ interessieren.
Natürlich sind auch die berufsfernen Kategorien zu beachten; sie seien hier nur schlagwortartig zusammengefasst: Anliegen der Familie? Der mögliche Wohnort, seine soziale Infrastruktur, Gesellschaft, Kultur, Schulen? Freizeitwert? Kann man dort seinen Hobbies nachgehen, Rad fahren, segeln, bergsteigen, fliegen? Lebensqualität und auch das Klima sind nicht zu vergessen? Alle diese Kategorien werden bewertet und damit gewichtet; die Matrix wird mit konkreten Fakten vervollständigt. Der Prozess führt zu einem Entschluss.
Graue Theorie! Denn um die Matrix auszufüllen, müsste man von der Berufswelt viel mehr wissen, als einem „normalen“ Heranwachsenden zugängig ist. Das zwei- bis dreiwöchige Praktikum während der Schulzeit – zu meiner Zeit gab es nicht einmal das - reicht dafür nicht annähernd aus. War es damals so, dass einem so gut wie alle Informationen zu den obigen Kriterien fehlten, so ist es heutzutage genau umgekehrt: Man wird von Informationen zum Thema Beruf und von Vorschlägen zu einem Weg dahin geradezu überflutet, in Zeitungen mit Serien wie „Beruf und Chance“, „Bildung und Karriere“, mit Magazinen und im Internet, auf Veranstaltungen, die sich „Jobbörse“ oder ähnlich nennen.
Die Wirklichkeit spielt sich irgendwo zwischen den beiden skizzierten Extremen ab, meist wohl näher an ersterem, dem Emotionalen, Empirischen, mehr oder weniger nahe der Zufälligkeit.
Einer der wenigen Ratschläge, die man in dieser Phase des Suchens aus der Generation der Älteren überhaupt zu hören bekommt, lautet: Bei der Berufswahl solle man allein seiner Neigung folgen und keinesfalls sogleich nach dem Geld fragen, das man damit verdient. Das sei nicht so wichtig. Ersteres setzt voraus, dass man sich über seine Neigungen im Klaren ist; aber oft ist nicht einmal das der Fall. Jedoch, letzteres, ist ein widersinniger, ja ein absurder Rat! Besteht doch der primäre Zweck des Berufes darin, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Und das bei Lebensbedingungen, die man als angenehm und motivierend empfindet.
Bei den Glücklichen, die über eine spezielle Begabung verfügen, wie z.B. für Musik oder darstellende Kunst, ist die Berufswahl so gut wie vorbestimmt – zumeist von den Eltern. Vor allem dann, wenn diese das Talent früh erkannt und unerbittlich „gepflegt“ haben. Alle übrigen Suchenden, die Allrounder, müssen sich selbst genauer unter die Lupe nehmen, siehe oben.
Hat man sich durch das Dickicht aus Informationen und Ratschlägen durchgekämpft und sich für einen Beruf entschieden, dann gilt es herauszufinden, wie man die dazu nötigen Fähigkeiten erwirbt: Lehre oder Studium?
Die Lehre – heute spricht man lieber von der dualen Ausbildung – ist ganz eindeutig auf einen bestimmten Beruf zugeschnitten. Beispielhaft sind die klassischen Handwerke: Schlosser, Schmied, Mechaniker, Elektriker, Tischler, Maurer, Friseur, Bäcker,… Wie man das in drei Jahren Erlernte anwendet, hängt von dem Betrieb ab, in dem man seine Tätigkeit aufnimmt. Immer weniger junge Leute entscheiden sich für diese Diretissima; im Jahr 2015 blieben ca. 300.000 Lehrstellen unbesetzt. Die Erklärung dafür: Ein gewerblicher Beruf gilt als nicht sonderlich attraktiv; nicht selten ist das Einkommen zu gering, um davon eine Familie ernähren zu können. Und trotz überwundener Differenzierung von Arbeitern und Angestellten ist das gesellschaftliche Ansehen eher mäßig.
Fast 60% der Schüler erreichen derzeit (Mitte 2017) einen Abschluss mit Zugangsberechtigung zur Fachhochschule oder zur Universität. Etwa drei Viertel macht davon Gebrauch und studiert, Tendenz steigend. Der Arbeitsmarkt nimmt sie alle auf. Einmal wohl deshalb, weil eine wachsende Zahl von Berufsfeldern akademisiert wird: die Kindergärtnerin wird durch ein Studium zur Erzieherin; in Norwegen studiert man sogar Krankenschwester. Zum anderen aber auch, weil Stellen mit Studierten besetzt werden, bei denen eine akademische Vorbildung gar nicht erforderlich ist.
Das Studium selbst hat sich seit „Bologna“ vollkommen verändert, bei beiden, Fachhochschule (FH) und Universität (Uni). Wie, das lässt sich gut am Beispiel des Ingenieurstudiums demonstrieren: Früher bestand es aus zwei Abschnitten: Im ersten ging es um die Grundlagen: Mathematik, Mechanik und Festigkeit, Thermodynamik, Physik, Elektrotechnik, Werkstoffe, Maschinen- oder Bauelemente. Das Vorexamen war nach dem 5. oder 6. Semester abzulegen. Eine Befähigung zur Ausübung eines Berufs war damit nicht verbunden. Etwa 50% der Studenten scheiterten bis dahin. Zwischenprüfungen sorgten dafür, dass sie das nicht erst nach acht oder mehr Semestern erkannten.
Erst im zweiten Abschnitt erfolgte die Spezialisierung. Angeboten wurde eine begrenzte Anzahl von Fachrichtungen; nicht bei jeder Uni gab es alles. Wichtig für die Wahl der Fachrichtung war – außer der Neigung - auch, wer die Inhaber der Lehrstühle waren. Nur von den Koryphäen ihres Fachs konnte man erwarten, an den aktuellen Stand der Technik herangeführt zu werden. Die große Zahl der Studienarbeiten, Entwürfe und Labore hatte eine dämpfende Wirkung; man richtete sich auf eine längere Verweildauer ein. Ein ungeschriebenes Gesetz wirkte beruhigend: Wer das Vorexamen bestanden hat, für den führt „auf Dauer“ kein Weg am Diplom vorbei. Die Regelstudienzeit von acht Semestern war illusionär; erst nach 12 bis 13 Semestern – oder mehr - war man Dipl.-Ing.
Einige Unis, so die Alma Mater des Autors, bieten noch heute diesen Studiengang an; er führt zum Titel Diplomingenieur (Dipl.-Ing.). Ein Titel, der weltweit noch immer hohes Ansehen genießt.
Heute, „nach Bologna“, ist ein Studium völlig anders angelegt. Bereits nach sechs (oder sind es schon sieben?) Semestern macht man den Bachelor und erwirbt damit die Berufsbefähigung. Die Spezialisierung erfolgt schon im Bachelor-Studiengang: Über 6700 Studiengänge werden angeboten; sie werden von einer bürokratischen Instanz akkreditiert. Wie man da den „richtigen“ herausfindet, bleibt schleierhaft. Offenbar auch den Studenten: 30% brechen das Studium vor dem Bachelor ab; in den Technikfächern sollen es sogar 50% sein – wie gehabt!
Unsere Schulen sind ausschließlich auf den Abschluss fixiert. Ganz im Gegensatz zu Senecas „non scholae sed vitae discimus“ werden ihre Schüler überhaupt nicht auf den Anschluss an das Leben vorbereitet, nämlich auf die Wahl des Berufes und die dorthin führende Ausbildung. Jedoch, hier Hilfe von der Schule zu verlangen, hieße, sie völlig zu überfordern. Lehrer sind keine Berufsberater. Sie können und wollen das auch gar nicht sein, kennen sie doch nur einen Beruf: den ihren.
Die große Zahl derer, die - auch nach Bologna - ihr Studium abbrechen, legt eine klaffende Lücke in unserem Bildungssystem bloß. Man sollte nicht länger versuchen, sich an dieser Erkenntnis vorbei zu mogeln. Die Lücke zu schließen ist Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Berufsberatung, das ist doch eine ihrer Kernkompetenzen. Jedoch, eine Beratungsstunde vor der Klasse, so war das zu meiner Zeit, und heute die homepage mit „Jobbörse“, so billig geht das nicht! Die Agentur muss Programme für die Abschlussklassen der einzelnen Schultypen entwickeln, das Abschlussjahr begleitende Kurse, Betriebsbesichtigungen, gut ausgewählt und vorbereitet. Berufsverbände wie z.B. der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) sollten daran beteiligt sein. Einrichtungen wie das Schoollab des DLR sind dabei hilfreich.
Nach dem Bachelor kann man das Studium fortsetzen, um den Master zu erwerben. Bei den Ingenieuren machen etwa 30% davon Gebrauch. Eine (nicht zu lange) Pause, in der eine berufliche Tätigkeit ausgeübt wird, ist für eine Orientierung bei der Wahl der Fachrichtung nützlich. Auch dieser Studienabschnitt wird mit einer Abschlussarbeit beendet. Gut macht es sich, wenn diese als ein Projekt in Zusammenarbeit mit einer Firma durchgeführt wird, z.B. im Rahmen eines Auftrags, den das betreuende Institut aus der Industrie erhalten hat. So bekommt man einen Einblick in die Arbeitswelt, und möglicherweise ergibt sich dabei ein gleitender Übergang vom Studium in die erste Anstellung.
Eine „alte Weisheit“ lautet: Der Ingenieur beginnt seine berufliche Laufbahn in einem Großbetrieb. Dieser Rat ist meist mit der Aufforderung gekoppelt, nach ca. drei Jahren zu prüfen, ob man auf dem richtigen Pfad sei. Für andere Massenfächer, wie z.B. BWL, dürfte das Gleiche gelten. In einem Großbetrieb lebt man sich schnell ein. Dort sind alle daran gewöhnt, täglich auf Kollegen zu treffen und mit ihnen zu arbeiten, die sie vorher noch nie gesehen haben, die sie allenfalls vom Telefon her kennen. In diesem Umfeld fällt man als Neuer sehr bald nicht mehr auf und wird schnell integriert.
Ganz anders ist das in einem kleinen Unternehmen, besonders, wenn es sich als Familienbetrieb versteht. Da kann es einem passieren, dass man auch nach Jahren noch als ein Fremder angesehen wird, vor allem in kritischen Situationen. Man wird nicht so schnell Teil des unsichtbaren internen Beziehungsgeflechts.
Gleichviel, ob groß oder klein, wichtig ist, dass die Firma komplette Produkte herstellt, zu denen man einen persönlichen Bezug aufbauen kann und die direkt auf den Markt kommen. Systemlieferant, das geht auch noch; aber die Produktion von „dummen“ Kleinteilen, Haken und Ösen, schon weniger. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen. Nach dem Start sollte man damit beginnen, ein berufliches Netzwerk zu knüpfen. Zuerst innerhalb des Betriebs – beispielhaft ist die „Volontärs Mafia“. Dann in der Branche; das Medium dazu bieten Fachtagungen. Und mit Bedacht in den sozialen Netzwerken sowie, äußerst behutsam, mit Personalberatern.
Schon während der Einarbeitung zeigt sich, was einem eher liegt: die Lösung konkreter Probleme im Detail; man wird zum Spezialist, zum Einzelkämpfer. Wer Freude an seinem Fach hat, es beherrscht und mit seiner Entwicklung Schritt hält, kann es weit damit bringen. Oder man strebt eine Führungsaufgabe an. Sei es, um das fachliche Wissen zu erweitern, eine breitere Basis zur Verwirklichung eigener Ideen zu haben und damit die nächste Sprosse auf der Karriereleiter zu erklimmen. Dabei sollte man sich immer voll und ganz der Sache widmen. Nicht ständig an die Karriere denken und nach einer Alternative Ausschau halten. Das hält man nicht lange durch. Ratsam ist, von Zeit zu Zeit innezuhalten, die Lage kritisch zu betrachten, zu beurteilen und dann ggf. zu handeln.
Management-Karrieren werden besonders gern beschrieben, wenn etwas schiefgegangen ist: in Zeitungen und Magazinen, auch in Büchern und sogar in Sammelbänden. Dabei erfolgt in der Regel die Betrachtung von außen, nicht von den Beteiligten selbst, sondern von Beobachtern, von Journalisten, nach mehr oder weniger intensiver Recherche. In der hier vorgelegten Erzählung wird dagegen ein Bild aus der Sicht von innen gezeichnet. Beschrieben wird der berufliche Werdegang des Autors. Mit der Kindheit beginnend, über Schule, Studium und bei der Ausübung des Berufs. Immer geht es um das persönlich Erlebte.
Erzählt wird aus dem Gedächtnis; ein Tagebuch liegt nicht vor. Soweit Zeiten genannt werden, sind sie aus verschiedenen Unterlagen rekonstruiert: Anhand von Zeugnissen, nach dem Studienbuch, aus dem Seefahrtbuch, nach persönlichen Veröffentlichungen in Zeitschriften und Büchern, und, soweit noch vorhanden, mit Hilfe der Terminkalender der letzten 30 Jahre. Beim Lesen der ersten Kapitel könnte man meinen, sie seien Teil einer Autobiografie. Genau das sind sie aber nicht. Sie beschreiben vielmehr die prägenden Erlebnisse und die daraus folgende Entwicklung von Eigenschaften und Eigenarten, die zu dem beruflichen Leben des Autors geführt haben.
Schondorf am Ammersee im Sommer 2017
Wolf-Heinrich Hucho