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Lernstunde
ОглавлениеEin wesentliches Element im Tagesablauf bildete die Lernstunde; sie fand in unseren Klassenzimmern statt und dauerte 1 ½ Stunden. Viel zu kurz, wie mein Vater monierte. Jeder saß auf dem Platz, den er auch im Unterricht einnahm. Das mit einer Nebenfolge: Keiner von uns besaß eine Schulmappe; sämtliche (der wenigen) Bücher lagen im Fach unter dem Tisch. Vorne am Lehrerpult saß der Erzieher, der sich allerdings um das Inhaltliche unserer Hausaufgaben selten kümmerte – weil er keinen Bezug dazu hatte. Man war also ganz auf sich selbst gestellt; Reden war verboten. Nur wenn eine Aufgabe unlösbar schien, was sich durch ein allgemeines Grummeln offenbarte, dann durfte das Schweigen durchbrochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden. War man mit den Aufgaben fertig, musste man am Platz bleiben, bis das offizielle Ende durch Klingeln angezeigt wurde. Bis dahin durfte man machen, was man wollte: Hefte führen, Briefe schreiben, lesen oder malen. Ständiger Streit entzündete sich an der Frage, wann denn die Lernstunde stattfinden sollte. Die Puritaner unter den Erziehern forderten: gleich nach dem Mittagessen, getreu dem Motto, erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Im Sommer wurde das akzeptiert, nicht aber im Winter, denn dann fiel die Freizeit ganz in die dunklen Stunden. Und auch die Sommerregel hatte ihre Gegner; bekanntlich gilt „plenus venter non studet libenter“ und vor allem, auf einer Insel im Watt viel wichtiger: sie nahm keine Rücksicht auf Ebbe und Flut. Ein überbestimmtes Problem. Es wurde quasi gordisch gelöst, indem immer wieder einmal gewechselt wurde.
WHH, Feder, nach Vorlage
Später, ab Obertertia, brauchte man sich nicht mehr an die Lernstunde zu halten. Wir machten die Schularbeiten gemeinsam auf unserer Bude. Je nach Fach gab immer einer den Ton an, und die anderen schrieben auf, was der sagte. Das galt vor allem für Mathe. Statt dass man selbst nach der Lösung suchen musste, wusste sie schon immer jemand; das eigene Nachdenken unterblieb. Sehr bald sollte sich zeigen, dass mir diese Art von Freiheit überhaupt nicht bekam. Ich fiel in der Schule zurück. Niemand bemerkte das, auch unser Klassenlehrer Dr. Haase nicht, und am Ende wäre ich todsicher sitzengeblieben, wenn ich nicht rechtzeitig, d.h. im Sommer, nach der Konfirmation, abgegangen wäre. In Husum gab es ein böses Erwachen.