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Die Insel

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Auf der Insel fühlten wir Internatler uns als Fremde. Unser Aktionsradius war zunächst nur klein: der Südstrand bis zum Ende der Strandmauer, der Ort Wyk, der sehr bald beliebtes Seebad wurde. Dort vor allem der Sandwall, eine wunderschöne Promenade mit Schatten spendenden Bäumen – die später abgeholzt wurden, jetzt aber wieder „da“ sind.

Die Großen gingen gern dorthin und lästerten über die Kurkapelle. Was uns den Vorwurf eintrug, wir Internatler seien arrogant – ein Begriff, den uns der Papst erst erläutern musste. Kontakt zu den „Eingeborenen“ hatten wir kaum, auch zu unseren Externen nicht. Dabei waren da ganz nette Kerle dabei: Steffen Boetius; er übernahm das Elektrogeschäft seines Vaters in Wyk und baute es aus; Harro Sohnrey, ein guter Turner; Kalli Tim, der rot gelockte Wirbelwind; Eberhard Keller, mit einer ziemlich großen Klappe, Fritz Clausen, Sohn des Niblumer Küsters, Karl-Heinz Pinks, ein hochintelligenter Bursche, der mehrere Klassen im Sprung nahm und später Kapitän wurde. Sein Vater, so sagte man, sei Kunstmaler, male so ähnlich wie Nolde; Bilder von ihm habe ich leider nie gesehen.

Insel Föhr, Öl auf Sperrholz, 112 x 79 cm, unvollendet, WHH, frei nach unserem Zeichenlehrer Hans v. Gerhardt

Zu Freundschaften über den Zaun des Internates hinaus ist es kaum gekommen. Diese Distanz äußerte sich unter anderem darin, dass einen die Externen, wenn man nach Jahren zum Urlaub nach Wyk kam, nicht mehr erkannten, sich nicht mehr an einen erinnern konnten. Und an dem volksfestartigen Brauch, zu Himmelfahrt die Insel zu umrunden, zu Fuß natürlich, „Rund Föhr“, beteiligten wir uns auch nicht.

Aquarell von Volkmar Pferdmenges

Später organisierte das Internat einige Ausflüge: zweimal fuhren wir mit dem Dampfer nach Hörnum auf Sylt. Die Fahrt dort hin, vorbei am Kniepsand der Insel Amrum, das Baden im offenen Meer, das waren Erlebnisse, ebenso das Herumtollen in den Dünen, das damals noch nicht verboten war. Wir holten uns einen ordentlichen Sonnenbrand. Mit dem Motorboot „La Paloma“ – noch heute liebe ich den gleichnamigen Schlager, vor allem mit Hans Albers – zur Hallig Hooge. Dort schipperten Matzel und ich in einem geteerten Futtertrog auf einem der Priele herum, bis wir unter einer Brücke stecken blieben. Natürlich besichtigten wir den Königspesel. Frederic VI, König von Dänemark, hat dort genächtigt, 1825, um die Schäden nach einer großen Sturmflut zu besichtigen. Dänischer König, wie das? Was hatte der auf einer deutschen Insel zu suchen gehabt? Niemand konnte darüber Auskunft geben. Wer wusste schon, dass Schleswig-Holstein einmal zu Dänemark gehört hatte, bis 1864. Auch dass es gegenwärtig im Verhältnis zu Dänemark kritische Felder gab – lebte auf Föhr eine Dänische Minderheit ? – das alles blieb uns verborgen.

Auch die Schule tat nicht viel, uns die Insel näherzubringen. Was nicht zuletzt daran lag, dass anfangs sämtliche Lehrer Flüchtlinge waren – wie die meisten der Schüler –die sich ebenso wenig auskannten, wie wir. Ich erinnere mich an einen Schulausflug zur Lembecksburg. Ein endloser Fußmarsch bis zu einem hohen kreisförmigen Erdwall, eine sumpfige Wiese in seiner Mitte, keine Mauern, keine Türme, wie man das von einer Burg erwartete. In der Nähe ein paar Hügel, Hünengräber, das war alles. Niemand wusste etwas dazu zusagen. Später unternahmen wir einen Ausflug nach Amrum; ob wir dabei die Höhe des Leuchtturms bestimmt haben, ich weiß es nicht mehr.

All’ diese eher sporadischen „Events“ reichte jedoch nicht, um mit der Inselwelt, ihren Bewohnern und deren Sprache, ihrer Geschichte vertraut zu werden. Hätte nicht Fränzchen Agthe in der von ihm ab und zu herausgegebenen Zeitung von der großen „Mandränke“ berichtet – realiter gab es deren mindestens zwei – nie hätten wir etwas davon gehört. Niemand sprach Platt – einzige Ausnahme der pensionierte Rektor der Mittelschule, Großvater von Dirk und Uwe Foizig, der uns einige Male aus Reuters Werken vorlas: „Ut mine Stromtied“ und „Ut mine Festungstied“ – und Friesisch habe ich nie gehört. Das Internat und die Schule, beide blieben Inseln auf der Insel.

Sturmflutsäule mit Wyker Wappen

Erst mit dem Aufkommen der Fahrräder – das Wirtschaftwunder machte sich bemerkbar – hellte sich die Szene etwas auf; ich bekam eines zur Konfirmation. Gern sauste ich damit auf der Insel herum, meist ohne Ziel und erkannte, wie wunderschön dieses Eiland ist. Auch andere schwärmten aus. Wir stiegen in Vogelkojen ein, streng verboten! Ein paar Mal zelteten wir in der Witsumer Kuhle. Die Nächte waren immer unheimlich, der kreisende Lichtstrahl des Amrumer Leuchtturms, das Pfeifen aller möglicher Vögel, Möwen und Austernfischer, und schließlich die Überfälle durch andere Internatler. Auch Geländespiele, die sich über die ganze Insel erstreckten, machten uns ein wenig näher mit unserem Umfeld bekannt. Einige versuchten sich frühzeitig mit dem Segeln. Ein Unglück konnte glücklich vermieden werden: Adolf v. Ribbentrop – Sohn von Hitlers Außenminister – kenterte mit einer Jolle, bei ablaufendem Wasser, das ihn weit hinausgezogen hätte. Ein Arzt aus dem benachbarten Haus „Schöneberg“, der selbst eine O-Jolle segelte, hatte das zufällig beobachtet. Mit seinem Boot eilte er zur Hilfe und fischte Adolf und seinen Kumpel auf.

Das Fahrrad – und das Auto – veränderten das Leben auf der Insel. Es wurden Verkehrsschilder aufgestellt; zuvor gab es kaum welche. Das merkwürdigste von diesen Dingern war das der Einbahnstraße. Wir sahen nicht ein, wozu das gut sein sollte. Einen Umweg fahren, nur wegen eines Schildes? Ganz anders dachte darüber der Wyker Polizist, Wachtmeister Bleinagel – der hieß wirklich so. Der Papst hatte einen weiteren Konflikt-Partner „gewonnen“.

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