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Ungleiche Partner und unfreiwilliges Verstummen

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Es ist auch niemand sein eigner Lehrer im Sprechen.

(Johann Conrad AmmanAmman, Johann Conrad, 1692)

Spracherwerb ist Gemeinschaftsarbeit. Jeder Spracherwerb ist zugleich Sprachvermittlung. So gesehen können auch Lehrer, die in den Schulen unter ganz anderen Bedingungen eine Muttersprache, Zweit- oder Fremdsprache vermitteln, von der Art und Weise lernen, wie die Natur Unterricht quasi inszeniert. Ausgangspunkt ist das Einverständnis der Beteiligten.

Wie ungleich sind doch die Partner in diesem Spiel! Die einen kennen sich in der Welt aus, der andere muß sie sich noch erobern. Die einen haben die Sprache, der andere hat sie nicht. Sprache will Schritt für Schritt, ja Laut für Laut gewonnen werden. Dabei ist dem Neugeborenen nicht einmal gezielte Gestik möglich. So müssen die Eltern die Führungsrolle übernehmen und Einvernehmen herstellen. Sie tun das auf eine Weise, deren Raffinement ihnen zumeist gar nicht bewußt wird. Mit welcher Freude, mit welchem Stolz registrieren Eltern selbst kleinste Entwicklungsschritte ihrer Sprößlinge!

Umso schlimmer, wenn Eltern sterben oder auch sonst kein Einverständnis da ist. Manchem hat es gar die Sprache verschlagen (Fachjargon: elektiver oder selektiver MutismusMutismus, das Erstummen nach Erwerb der Sprache bei Intaktheit der Sprachorgane). Die Mutter des amerikanischen Schriftstellers Harold BrodkeyBrodkey, Harold (Die flüchtige Seele) starb, und der trinkende Vater verkaufte das Kind regelrecht für 350 Dollar an Verwandte, die ihn adoptierten:

Als meine Mutter starb, war ich zwei Jahre alt. Das Trauma dieses Verlustes war so stark, daß ich nicht mehr das Englisch meiner Mutter sprechen konnte – ich verstummte, sagte zwei Jahre kein Wort mehr.1

Nichts vermag die Macht der Affekte über die Sprache besser zu verdeutlichen als dieses plötzliche Verstummen. Kinder, die sprechen können, sprechen plötzlich nicht mehr!

Extremfälle sind lehrreich. Sie zeigen uns, wie wenig wir im Grunde über die sprachliche Verfaßtheit des Menschen wissen und wie sensibel wir als Kommunikationspartner sein sollten.

Ein Therapeut schreibt ein Buch über seine Arbeit mit Laura. Laura wird von ihren Eltern, unzurechnungsfähigen Alkoholikern, aufs Blut gepeinigt und entrinnt knapp dem Tode, als sie mit eineinhalb Jahren mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert wird. Von dort kommt sie ins Kinderheim und spricht zwölf Jahre lang kein Wort, bleibt stumm und teilnahmslos. (Kommen wir aber deshalb nicht auf die Idee, daß ein solches Trauma Ursache für Mutismus sein muß!) Später führt der Autor mit ihr eine Therapie durch: er spricht wie gegen eine Wand, hält fast drei Jahre lang wöchentliche Monologe vor ihr. Sie liefert ihm nicht die geringsten Angriffspunkte für eine gezielte Therapie. Die Schwestern im Heim behaupten aber, daß Laura Sprache verstehe.

Dann stellen sich erste Erfolge ein: Sie nimmt ein Stück Schokolade an. Oder: der Therapeut möbliert ein Puppenhaus vor ihren Augen, und plötzlich reagiert sie, greift hinein und stellt die Möbel um, wie sie es haben will. Und so schmilzt ganz langsam der Eispanzer, der sie umgibt. Dabei wird immer klarer: Laura kann im Grunde sprechen (das jedoch hatte der Therapeut bislang ja nie erlebt), aber auch wenn sie möchte, scheint sie zum Zuschauen verdammt, braucht unendlich viel Liebe und Geduld. Die Sprache ist ein Hauptmittel für uns, die Welt vernünftig zu erfassen, und ein Kind benennt die Dinge aus Liebe, erklärt der sie behandelnde Therapeut, der ihr schließlich die Zunge löst.2

Wie Kinder sprechen lernen

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