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Vom Gurren und Lallen zum SilbenplappernSilbenplappern

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Man unterscheidet zwei große Etappen von Lautierungen:

1 Das Vorsilbenalter: Gurren und Lallen (0–5 Monate)

2 Das Silbenalter: Silbenplappern (6–12 Monate), die eigentliche Lallphase

Achtung: Die Streubreite des ersten Auftretens regulärer Silben ist hoch und liegt zwischen 5 und 11 Monaten. Sie hängt wahrscheinlich mit einer unterschiedlichen Hirnreifung zusammen. Hat das Kleinkind dann noch nicht mit dem Silbenplappern angefangen, sollte man fachlichen Beistand suchen – ebenso, wenn es keinen Blickkontakt sucht oder mit dem Lallen plötzlich wieder aufhört.

Der Säugling beginnt zu quietschen und zu brummen, zu gurgeln und zu schnalzen, zu krähen und zu flüstern, zu prusten und Spuckebläschen zu formen. Er versucht, akustische Augenblickserzeugnisse wiederaufzugreifen und erneut hervorzubringen. Bei dem Spiel mit der Stimme entstehen Laute wie zufällig und werden dann mit einigem Eifer ausprobiert. Deutlich zeigt er seine Freude über die eigenen Hervorbringungen. Es ist, als ob er die wachsenden Möglichkeiten seines Stimmapparats auslotet und unter Kontrolle zu bringen versucht: Atemmuskulatur, Stimmbänder, Feinmotorik des Kehlkopfs, des Rachen- und Mundraums, besonders von Zunge und Lippen. Das alles gilt es zu koordinieren: Welche Muskelgefühle gehen mit welchen Tönen einher? Dies ist die »doppelte Gegebenheit des LautesRückbezüglichkeit, der ebenso motorischer Vollzug des Sprechwerkzeuges wie selbstgehörter, zurückgegebener Klang ist. Wir verhalten uns dem selbst produzierten Laut gegenüber sowohl aktiv, ihn eben artikulierend, wie passiv, nämlich das Produkt unserer Tätigkeit fällt mühelos in das Ohr zurück.«1

Das Baby hat Spaß daran, seinen Bewegungsapparat auszuprobieren und sich selbst zuzuhören. Es animiert sich selbst. Der Psychologe und Sprachtheoretiker Karl BühlerBühler, Karl (seine Frau Charlotte wurde nach der gemeinsamen Auswanderung in die USA Begründerin der »humanistischen Psychologie«) prägte hierfür den Ausdruck FunktionslustFunktionslust.2 Arbeit und Üben, Spiel und Spaß sind eins. Das gilt fürs Gehenlernen ebenso wie fürs Sprechenlernen. Dabei gehen das Strampeln, Kriechen und Krabbeln dem Gehenlernen voraus wie die Spuckebläschen den regulären Sprachsilben. Diese Vitalität des Kleinkindes, seine Sinnes- und Muskelfröhlichkeit, ist vielleicht die schönste Mitgift der Natur. Sie macht nach HerderHerder, Johann Gottfried den Menschen zum »Lehrling aller Sinne«, zum »Lehrling der ganzen Welt«3. Wo sie fehlt, sind die Aussichten trüb, und der Spracherwerb entpuppt sich als äußerst mühseliges, langwieriges und schwieriges Geschäft, das von geschulten Therapeuten angekurbelt werden muß.

Das gesunde Baby übt oder spielt mit seiner Stimme nicht nur im Dialog, zu dem es die Eltern ermuntern, sondern auch im Monolog, vor allem in entspannten Perioden kurz vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen, wenn es sich wohl fühlt. Hier nimmt stimmliches Lernen einen breiten Raum ein. In diesen Perioden wird die StimmeStimme zum liebsten Spielzeug des Kindes.4 Allmählich wird sie ihm immer besser verfügbar: Sie wird melodischer, einzelne Laute erhalten festere Konturen, die Geräuschbeimengungen nehmen ab. Dieses Spiel mit der Stimme erreicht einen ersten Höhepunkt gegen Ende des ersten Halbjahres, wird jedoch noch weit in das zweite Lebensjahr hinein fortgesetzt. Wir werden diesen Einschlaf- und Aufwachmonologen später wieder begegnen, wenn das Kleinkind nicht mehr mit seiner Stimme, sondern mit Sätzen jongliert.

Mit dem Lallen baut das Kind sein Sprechvermögen auf eine Weise aus, die es befriedigt und genießt. Eltern unterstützen es dabei. Denn wir sprechen ihm in diesem Zeitraum außerordentlich deutlich und sorgfältig zu und grenzen die Laute klar voneinander ab. Zwischen dem zweiten und fünften Monat sind es besonders die Vokale, die aus dem Sprachfluß hervorgehoben und den Kindern geradezu vorgekaut werden. Sie werden in ihrem Eigenklang übertrieben lang gezogen und prägnant dem Baby zugesprochen: Ach, was bist du süüüß! Siehst du das Vöööglein da? Nicht ohne Effekt; etwa eine Terz höher tauchen dann die gleichen Vokale ab dem 5. Monat vermehrt im Babbeln der Kinder wieder auf.5

Ein deutlicher Schritt in Richtung Sprache ist getan, wenn das Baby zwischendurch echte Sprachsilben formt. Dieselbe Silbe wird mehrfach wiederholt, denn der Säugling freut sich, sie wiederzuerkennen und zielgenau zu produzieren. Diese Silbenketten bestimmen immer mehr seine Einschlaf- und Aufwachmonologe. Ein Verschlußlaut wird mit einem Vokal gepaart, z.B.:

bababababababa

mamamamamama

dädädädädädädä

Zugleich oder etwas später treten aber auch Silbenkombinationen auf:

mamemame

däläjäjäjä

und manchmal etwas, das man als Jargon bezeichnet hat: ein sprachähnlicher Singsang aus verwaschenen Silbenkombinationen, die aber schon muttersprachen-typische satzähnliche Rhythmen und Melodien aufweisen. Astor presst eine Tonbandkassette ans Ohr und »spricht« in sein Telefon, im Tonfall der Muttersprache, aber in völlig unverständlichem Kauderwelsch. Kinder brabbeln vor sich hin, nehmen aber auch auf diese Weise regelrecht an Gesprächen teil, wie die mundfreudige Tabea, die noch kein Jahr alt ist und ihr erstes Wort noch nicht gesprochen hat. Als sie bei Tisch dabei sitzt, wirkt das Gespräch der Erwachsenen so ansteckend auf sie, daß sie sich plötzlich einmischt und etwas daher sabbelt, was wie Sprache klingt, aber keine ist. Solches KauderwelschKauderwelsch produzieren sie auch noch später, im Stadium der Mehrwortsätze, mitunter mit richtigen Wörtern vermischt, etwa wenn sie so tun, als läsen sie vor. Der eineinhalbjährige Axel Preyer holt sich eine Zeitung aus dem Papierkorb, breitet sie auf dem Boden aus, legt sich platt darauf, hält das Gesicht dicht über die Druckschrift und »liest« vor:

»E-ja-e-e-ja nanana ana nana atta ana aje ja sa.«6

Wenn etwas Neues beginnt, ist das Alte nicht zwangsläufig abgelegt. In den Plappermonologen (ab 8. Lebensmonat) beginnt das Baby, artikulatorisch auf die besondere Klanggestalt der Muttersprache zu zielen, die es ja schon bei der Geburt hörend wiedererkennen konnte. Es hat sich nicht nur die Melodie der Muttersprache gemerkt, sondern sich inzwischen auch in die der Muttersprache eigenen Lautkontraste eingehört und lernt sie schließlich stimmlich zu bewältigen. Wie beim Hören geht dieses Sich-Einstimmen auf die muttersprachliche Klangwelt mit einem Verlust einher: Es produziert keine Laute mehr, die nicht zum Repertoire der Muttersprache gehören. Das eigentliche Lallen ist also nicht mehr vorsprachliche Stimmübung, sondern zielt auf den Erwerb der Muttersprache. Chinesische Babys lallen anders als deutsche. Kurz: Das Klangmaterial, aus dem Wörter und Sätze gebaut werden, wird bereitgestellt. Es treten Protowörter auf, wortähnliche Gebilde, die wie Wörter klingen, bei denen aber unklar ist, ob und was sie bedeuten. Protowörter und erste Wörter können schon ab dem fünften, aber auch erst im fünfzehnten Monat auftreten. Die Spannweite einer normalen Entwicklung ist groß!

Sind acht Monate nicht eine lange Zeit, um so etwas wie ein schönes, sauberes da da oder daba hervorzubringen? Weil es uns so wenig bewußte Anstrengung gekostet hat und es auch schon so lange zurückliegt, ist uns gar nicht bewußt, welch großartige Stimm-Virtuosen wir alle sind. Im Grunde ist der Lauterwerb ein hartes Stück Arbeit. Aber eben Arbeit, die allen Beteiligten Spaß macht.

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