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Was Hänschen nicht lernt…?

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… lernt Hans nur zur Hälfte? Die Tatsache, daß sich Babys schon früh auf die Muttersprache einstimmen, indem sie etwas verlernen, sowie Meldungen der Hirnforscher über absterbende, weil nicht genutzte Hirnzellen haben eine regelrechte Frühförderungswelle angestoßen. Kommerzielle Anbieter schüren die Ängste der Eltern, sie könnten Chancen auslassen, sei es bei der Musik, der Mathematik oder den Sprachen, und suggerieren, man könne seinem Vorschulkind den entscheidenden Vorsprung fürs Leben verschaffen, indem man mit ihm auf allen Hochzeiten tanzt. Überall sollen »neuronale Netze« geknüpft und »Synapsen« gepflegt werden: pädagogische Allmachtsträume.

Early English für Vorschulkinder zweimal oder dreimal die Woche wird nahezu wirkungslos verpuffen. Das gleiche gilt nun aber auch für die zwei Wochenstunden in der Grundschule, für die sich viele Bundesländer entschieden haben. Da werden Saatkörner ausgestreut, aber sie können nicht keimen, weil die Keimlinge von der Muttersprache überwuchert und erstickt werden. Es ist keineswegs erwiesen, daß Grundschulkinder die besseren Sprachlerner seien. Für jeden Einstieg in eine Fremdsprache gilt: Wenn schon, denn schon; also nicht kleckern, sondern klotzen und kumulieren, so dass jeder Lernfortschritt den nächsten unterstützen kann.

Wenn man Jugendliche mit Grundschulkindern vergleicht, wird auch die Gegenthese »Je älter, desto besser« durch einige Studien gestützt. Sekundarschüler haben mehr Verstand und können bewusster lernen.

Wir müssen eben streng scheiden zwischen Unterricht mit den üblichen Wochenstunden – ob in der Schule oder in Privatkursen – und einem Eintauchen in fremdsprachliche Lebensmilieus. Das kann man auch in Kindergärten und Schulen schaffen, aber nur, wenn man mindestens die Hälfte der Zeit an die Fremdsprache gibt, wie im Elsaß. Es gibt keine Schnellstraßen zu fremden Sprachen – es sei denn, man lebt sie. Stets brauchen Sprachen viel Lebenszeit, d.h. immer wieder reichlich Hör- und Sprechgelegenheiten – wie bei der Muttersprache. Es ist unseriös, damit zu werben, früher Spracherwerb sei »kinderleicht«, und dabei den Faktor Zeit zu unterschlagen. Der Zeit kann man bekanntlich kein Schnippchen schlagen. So sind reiche New Yorker auf die alte Idee verfallen, die wirklich Erfolg verspricht: Sie engagieren ein chinesisches Kindermädchen (gut für die Karriere, weil China als eine kommende Führungsmacht gilt), wie weiland die europäische Oberschicht französische Gouvernanten beschäftigt hat, die die Kinder über Jahre begleiteten. Ein Au-pair-Mädchen für ein Jahr genügt auch nicht, die Sprache muß kontinuierlich weiterverwendet werden. Da ist es schon naiv, wenn man glaubt, man könne etwas erreichen, wenn man die Kleinen einmal in der Woche zum fremdsprachlichen Samstagsunterricht zusammenbringt.

Was ist nun mit dem Argument der frühkindlichen Sensibilität für Lautkontraste? Verluste zeigen sich ja schon im ersten Lebensjahr, und so wären ja auch schon Grundschüler fürs authentische, akzentfreie Sprechen reichlich spät dran. Aber wie wir alle wissen, können auch Sekundarschüler noch eine sehr gute Aussprache erwerben. Unsere Ohren werden nicht ein für alle mal taub für Lautkontraste, die unsere Muttersprache nicht kennt. Ein günstiger Lernzeitraum für die Aussprache ist gewiß vor der Pubertät. Das Paradebeispiel ist Henry Kissinger. Seine Familie wanderte aus Fürth in die USA ein, als er 15 war, und er behielt zeit seines Lebens einen deutlichen deutschen Akzent, nicht aber sein jüngerer Bruder. Dennoch gibt es wohl keinen Zweifel daran, wer von beiden der größere Meister des Worts geworden ist. Eine quasi muttersprachliche Aussprache ist für Spione, nicht aber für Außenminister notwendig.

Und noch etwas ist zu beachten: Kleinkinder kann man nicht gut zu vorher festgesetzten Zeiten unterrichten. Man muss abpassen, wann sie entspannt sind, aufmerksam und aufnahmefähig für Neues. Wenn sie Unlust zeigen und sich abwenden, darf man nicht einfach weitermachen, weil Englisch auf dem elterlichen Lehrplan steht. Im Vorschulalter gilt: Die Kinder geben den Schritt vor. Sie bestimmen die Lernzeiten. Erst mit der Schulreife ist der Gleichschritt des Lernens und der Stundentakt der Fächer möglich.

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