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Sicherheit durch personale Bindung
ОглавлениеSo finden in den ersten Lebensjahren wichtige Entwicklungen auf vielen Ebenen zugleich statt. Das herausragende Thema gerade auch im Hinblick auf Sprache ist das kindliche Bedürfnis nach BindungBindung, personale B., die Entwicklung zum sozialen Wesen, das Aufeinander-Eingehen und Miteinander-Umgehen-Können. Zunächst bildet sich die Fähigkeit heraus, sich auf den Partner einzustimmen (das ist ganz buchstäblich gemeint) und sich gefühlsmäßig mit ihm auszutauschen.
Die seelische Not schwer hörgeschädigter und noch sprachloser Kinder macht uns auf das Zusammenspiel von Körper- und Lautsprache aufmerksam. Sie können ja zunächst nur abgucken und nachahmen, sind beim Verstehen oft ganz auf das Mienenspiel angewiesen. Wenn man ihnen etwas abschlagen muß, gehört zur verneinenden Geste auch die strenge Miene. Wie einfach haben wir es dagegen, wenn wir ein notwendiges »Nein« mit einem freundlichen Blick und herzlichem Ton begleiten können, mit Körpersprache, die unmißverständlich signalisiert: »Ich hab dich lieb, es ist nicht bös gemeint.« Wieviel einfacher ist es, wenn wir unser »Nein« erklären und um Verständnis werben können!
Berühmt geworden sind Harry F. HarlowsHarlow, Harry und Margaret Beobachtungen an Rhesusäffchen, die er isoliert von ihren Müttern aufzog, ohne es sonst an etwas fehlen zu lassen.1 Als sie später in die Affengemeinschaft entlassen werden, zeigen sie kein Interesse an anderen, spielen nicht mit, wippen, wie man es auch bei Autisten beobachtet hat, oft stundenlang stumpfsinnig hin und her, kneifen sich an immer derselben Stelle, bis sie bluten, sind entweder übermäßig aggressiv oder ängstlich und als Sexualpartner ungeeignet. Kurz: Sie erweisen sich als asozial und letztlich lebensuntauglich. Ebenso wurden in Einzelboxen aufgezogene Schimpansen zu sozialen Krüppeln, wenn auch ihre Verhaltensschäden nicht ganz so gravierend waren. Weniger bekannt geworden ist die Tatsache, daß Harlow sich später teilweise korrigiert hat: Es muß nicht unbedingt eine Mutter da sein; soziale Bedürfnisse können z.B. auch durch Geschwister und Spielkumpane befriedigt werden. So können sich auch Kinder, die in einer großen Geschwisterschar aufwachsen, besonders eng an ein älteres Kind anschließen und dabei Liebe und Fürsorge erfahren.
Der Unterschied zwischen Rhesusäffchen und den intelligenteren Schimpansen ebenso wie Lauras Geschichte deuten darauf hin, daß es dem Menschen, der wie kein anderes Wesen bis ins Alter lernfähig bleibt, doch noch möglich ist, frühe psychische Schäden später zu überwinden oder abzumildern. Unser Leben muß nicht durch eine unglückliche Kindheit auf alle Zeiten verpfuscht sein.
Gleichwohl steht fest: Beim gesunden Kind sind Bindungen, d.h. liebevolle Beziehungen zu anderen Menschen, der Transmissionsriemen für die sprachliche, ja die gesamte soziale und geistige Entwicklung. Denn »der Mensch wird nur unter Menschen ein Mensch« (Johann Gottlieb FichteFichte, Johann Gottlieb).