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Vorwort
ОглавлениеEin Blick auf die Spiegel-Bestsellerliste im Mai 2021, Unterkategorie Essen und Trinken: Auf den ersten zwanzig Plätzen taucht einmal das Thema breifrei auf, zweimal das Thema Grillen, zweimal Jamie Oliver und drei Mal der Salzzitronen-Papst Ottolenghi. Gleichauf mit ihm liegt Lutz Geißler. Zu schreiben begonnen hat der gelernte Geologe 2009, und zwar auf seinem Plötzblog. Heute ist er eine Sauerteiginstanz und Beweis dafür, dass viele Deutsche gern selbst Hand anlegen beim Weltkulturerbe Brot. Vom Foodblogger zum Bestsellerautor? Das Beispiel Geißler zeigt, dass das geht.
Im Dezember 2019 war Geißler beim Sonntagsessen dabei, mit einem Rezept für Dinkel-Franzbrötchen. Seit beinahe zehn Jahren gibt es diese Rubrik bei ZEIT ONLINE, als Ergänzung zu Elisabeth Raethers beliebter Rezeptkolumne Wochenmarkt. Die Idee war und ist, spannende Foodblogs aus aller Welt vorzustellen. Appetit machte schon der erste, am 29. Januar 2012
auf dem „Heiter bis glücklich“-Blog des ZEITmagazins erschienene Eintrag zu Smitten Kitchen: „Deb kocht in New York in ihrer winzigen Küche Rosenkohl mit Pancetta und legt Zuckerschoten in Essig ein.“ Damals noch kurz und knapp, ohne konkretes Menü. Nach 111 Folgen wurde daraus das Sonntagsessen in seiner heutigen Form, ein eigenständiger Artikel bei ZEIT ONLINE. Anstatt lediglich auf lesenswerte Blogs zu verlinken, stellten deren Betreiberinnen und Betreiber ein exklusives Menü zusammen. Mal handelte es sich um eine klassische Abfolge von Nachos über Neapolitanische Pizza bis Naked Cake, mal drehten sich die Rezepte um eine bestimmte Zutat wie Rote Bete. Oft standen auch einfach fünf köstliche Teller im Family Style auf dem digitalen Tisch, von denen sich alle Gäste gleichzeitig bedienen. So wie in der ersten Folge, einem griechischen Brunch mit Rezepten für Spargelsalat, knusprige Riesenbohnen und Sardinenkuchen (!).
Deren Autorin war Inga Krieger, die heute übrigens gemeinsam mit ihrem Partner ein Restaurant in Berlin-Wedding betreibt.
Von ihr habe ich das Format 2016 übernommen. Über die Jahre gab es einige Veränderungen: So werden inzwischen nicht mehr alle fünf Rezepte eines Menüs ausformuliert, sondern nur noch eines, dafür mit exakten Mengenangaben, Arbeitszeit und -aufwand. Mehr noch als früher liegt der Fokus auf Saisonalität, spielen Themen wie Nachhaltigkeit und alternative Ernährungsformen, insbesondere Veganismus, eine Rolle. Und Diversität: Blogs mit türkischen, syrischen oder polnischen Rezepten kommen bei der Leserschaft stets gut an.
Viele der Blogs finde ich durch Instagram oder, ganz oldschool, die Googlesuche, andere aber auch durch einen persönlichen Kontakt. Mit Fabian Dietrich von About Fuel etwa habe ich mir in einem Berliner Hinterhof Apple Crumble geteilt. Aus manchen Kontakten haben sich Abendesseneinladungen in fremden Städten ergeben, aus anderen vegane Pizzadinner im Nachbarkiez. Mit einigen Bloggerinnen und Bloggern bin ich bis heute in Kontakt und verfolge staunend ihren Weg, so etwa bei Steffen Sinzinger von der Berliner Speisemeisterei, der 2020 einen veganen Lieferservice auf die Beine stellte, die tausend verschiedenen Projekte des Italocuisine-Papsts Claudio Del Principe oder jene der veganen Aktivistin Sophia Hoffmann, Autorin von mittlerweile vier Büchern, die einem möglicherweise hinter dem Tresen eines Berliner Kiezcafés begegnet.
Manchmal wundere ich mich selbst, dass mir nach all den Jahren nicht das Material ausgeht. Noch immer gründen sich neue digitale Rezeptsammlungen, immer öfter jedoch in Form von Instagram-Accounts statt Blogs. Nach längerer Überlegung haben die Redaktion und ich uns entschieden, auch diese beim Sonntagsessen zu berücksichtigen – zum Glück, wie das Beispiel von felicitas_kocht beweist.
Und die Welt bleibt nicht stehen. Insbesondere die Generation Z nutzt vermehrt TikTok, dessen lebendige Foodszene so manch etablierte Kritikerin in Staunen versetzt. In gerade mal sechzig Sekunden gehen jetzt schon ikonische Rezepte um die Welt, von Pizza Babka bis Baked Feta Pasta. Dabei sind viele dieser Rezepte weniger zum Nachkochen gedacht als zur Unterhaltung – anders, als das hoffentlich beim Sonntagsessen der Fall ist. Dafür sprechen die regen Diskussionen der ZEIT ONLINE-Leserinnen und -Leser unter den jeweiligen Beiträgen, denen falsche Mengenangaben ebenso wenig entgehen wie schwer erhältliche Zutaten. Dafür sprechen auch meine eigene Erfahrung und die vielen Rückmeldungen von Freundinnen und Bekannten, die begeistert erzählen, wie ihnen zum ersten Mal ein Spargelrisotto oder ein Seitanburger gelang. Ab und zu kommt das Missverständnis auf, ich sei die Urheberin der jeweiligen Rezepte. Um Himmels willen, nein! Zwar koche und backe ich recht gern, aber keinesfalls auf dem Niveau jener Bloggerinnen und Blogger, die das ZEIT ONLINE-Archiv mit so vielen köstlichen Rezepten füllen. Ideen für neue Gerichte entwickeln, sie kochen und fotografisch ins rechte Licht rücken, das ist so viel mehr als eine Sonntagsbeschäftigung, für manche sogar ein Vollzeitjob.
Das Sonntagsessen ist auch dazu da, diese Leistung zu würdigen. Dass es jetzt als Buch erscheint, empfinde ich als großes Glück – weil es immer schön ist, wenn die digitale in die analoge Welt hineinwirkt. Im besten Fall entsteht dann nicht nur Lesegenuss, sondern auch ein selbst gebackenes Dinkel-Franzbrötchen.
Eva Biringer
Autorin der Serie Sonntagsessen