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DAS SÄGEWERK BEFAND sich in der Nähe des Inwood Hill Parks, nahe dem Hudson River. Der Holzlagerplatz erstreckte sich fast bis ans Wasser.

Juan Cortez war in seinem Leben noch nie so glücklich gewesen wie an diesem Vormittag. Endlich hatte er - durch Wilkie Lennings Vermittlung - Arbeit gefunden.

Endlich würde es mit ihm aufwärts gehen. Die Tage des Kummers und der Not würden bald schon der Vergangenheit angehören. Juan verdiente im Sägewerk zwar kein Vermögen, aber er war ein sparsamer Junge, der sich von dem wenigen Geld bestimmt noch etwas weglegen konnte.

Der Sägewerksbesitzer war so freundlich gewesen, ihm einen geringen Vorschuss zu geben. Der Mann hätte das bestimmt nicht getan, wenn Wilkie Lenning das Ganze nicht eingefädelt gehabt hätte.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Juan Cortez das Gefühl, reichlich Geld in der Tasche zu haben. Er zeigte sich des Vertrauens, das ihm von allen Seiten entgegengebracht wurde, würdig.

Er schuftete doppelt so viel wie die anderen Arbeiter, packte überall mit Eifer an und war gelehrig und wissbegierig, denn es lag ihm sehr viel daran, diesen Job zu behalten.

Um zehn holte ihn der Vorarbeiter aus dem Sägewerk auf den Lagerplatz. Der Mann war groß und kräftig. Seine Augen hatten einen gutmütigen Schimmer. Ihm war es egal, welche Rasse oder Nationalität ein Mann hatte.

Für ihn zählte nur, dass erstklassige Arbeit verrichtet wurde. „Du scheinst einer von denen zu sein, denen die Arbeit Spaß macht“, sagte der Vorarbeiter.

„Wer arbeitet, hat Geld. Wer Geld hat, kann sich etwas kaufen. Und wer sich etwas kauft, hat Freude am Leben“, gab Juan zurück.

„Eine vernünftige Einstellung“, lobte der Vorarbeiter. „Bist du schon mal mit einem Gabelstapler gefahren?“

„Nein, Sir.“

„Macht nichts, das kann jeder Trottel.“

„Ich werde mir Mühe geben ...“

„Das weiß ich. Komm mit. Ich zeige dir, was du zu tun hast.“

Die Männer überquerten den Lagerplatz. Der Vorarbeiter führte Juan zu einem verwaist zwischen Bretterbergen stehenden Gabelstapler. Er erklärte dem Mexikaner, wie man das Gerät bediente und ließ ihn dann einen Versuch machen. Juan stellte sich sehr geschickt an.

Er hatte im Nu heraus, wie man den Gabelstapler am besten in den Griff bekam. Der Vormann bescheinigte ihm ein gutes technisches Einfühlungsvermögen und erklärte ihm anschließend, was er zu tun hatte.

Cortez werkte mit Feuereifer. Es war für ihn eine Auszeichnung, mit diesem Gabelstapler arbeiten zu dürfen. Stolz saß er im Sattel. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.

Er war zuversichtlich, dass er es hier in diesem Betrieb noch zu etwas bringen würde. Vielleicht brachte er es einmal sogar bis zum Vorarbeiter.

Juan dachte an zu Hause. So hätten sie ihn sehen sollen. Auf einem Gabelstapler. Selbständig arbeitend. Mit echten Aufstiegschancen. Er hatte erreicht, wovon viele seiner Landsleute nur träumten.

Kein Wunder, dass er glücklich war und die ganze Welt am liebsten umarmt hätte. Er war voll guter Vorsätze. Wenn man ihn brauchte, würde er zwölf oder sechzehn Stunden am Tag arbeiten.

Er würde niemals jammern und alles für den Betrieb tun, um den Job behalten zu können, denn nichts machte ihn glücklicher, als arbeiten zu dürfen.

Mitten in seinen seligen Taumel hinein kam plötzlich die eiskalte Dusche.

Polizei!

Streifenwagen!

Juan Cortez zuckte heftig zusammen. Er stoppte den Gabelstapler. Seine Gesichtshaut färbte sich aschgrau. War der schöne Traum schon wieder zu Ende? Eine unsichtbare Hand schnürte seine Kehle zu.

Verzweiflung schimmerte in seinen Augen. Er zählte drei Patrolcars. Uniformierte Polizisten sprangen aus den Fahrzeugen und schwärmten sogleich auf dem Gelände des Sägewerks aus.

Juan vernahm das Wort „Razzia“.

Es versetzte ihn in Panik. Er fühlte sich so verletzbar wie eine Seifenblase. Man brauchte ihn nur mit dem Finger anzutupfen und schon war alles kaputt. Die Papiere, die er im Personalbüro abgegeben hatte, waren nicht echt.

Er hatte keine Berechtigung, hier zu arbeiten. Es war ihm nicht erlaubt, sich in den Vereinigten Staaten von Amerika aufzuhalten. Er hatte sich die Papiere für sehr viel Geld gekauft.

Gangster hatten ihn erpresst. Sie hatten ihn zwingen wollen, für sie zu arbeiten, aber es war ihm gelungen, ihnen zu entwischen. Bei einem mexikanischen Freund hatte er Unterschlupf gefunden.

Er hatte gehofft, dass niemand seine Spur finden würde, und nun passierte das hier. Razzia! Wenn die Papiere nicht gut genug gefälscht waren, würde man ihn festnehmen und in die Heimat abschieben.

Juan konnte nicht beurteilen, wie gut die Dokumente waren. Würden sie die Beamten der Einwanderungsbehörde täuschen können? War das überhaupt möglich? Juan Cortez kamen plötzlich Zweifel. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.

Die Worte eines mexikanischen Freundes fielen ihm ein. Er hatte den Mann aus den Augen verloren, aber er konnte sich noch gut an dessen Rat erinnern: „Wenn du in den USA bist, muss dein oberstes Gebot stets lauten: Lass dich nicht erwischen. Selbst wenn du so unschuldig wie ein neugeborenes Kind bist, du darfst dich niemals fassen lassen, sonst ist es für dich vorbei mit der schönen Zeit in Amerika.“

Juan sprang vom Gabelstapler.

Flucht war für ihn die einzig mögliche Lösung seines Problems. Im Augenblick schien keiner auf ihn zu achten. Das war seine Chance. Vielleicht die letzte, die sich ihm bot. Wenn er sie nicht nützte, geriet er mit Sicherheit in einen gefährlichen Strudel, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Juan rannte zwischen den hohen Holzstapeln hindurch - in Richtung Hudson River. Ihm war so heiß, dass er sich den Arbeitshelm vom Kopf riss und ihn fortwarf.

Weg! Weg! Nur weg!, hämmerte es in seinem Kopf. Er lief so schnell, als ginge es um sein Leben.

Vier besondere Krimis Januar 2019

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