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JUAN CORTEZ BLIEB SO lange unter Wasser, wie er Luft hatte. Ein heftiger Schmerz pochte in seiner Schulter. Er tauchte prustend auf und schwamm in Richtung George Washington Bridge.

Über ihm flogen Möwen. Ihr Gekreische hörte sich an, als würden sie sich über ihn lustig machen. Kann ein Mann denn immer nur Pech haben?, fragte sich Juan verzweifelt. Kann es so etwas denn geben?

In Mexiko war es ihm dreckig gegangen, aber er hatte den Mund gehalten und niemals geklagt. Er hatte für einen lächerlichen Lohn jede Arbeit verrichtet, um das Geld zusammenzubekommen, das er haben musste, wenn er illegal in die USA gelangen wollte.

Oft hatte er tagelang gehungert, um Geld zu sparen. Ein Freund hatte ihm schließlich eine Adresse verkauft, und er hatte gehofft, dass die Not nun bald ein Ende haben würde.

Man hatte ihn und einige andere Mexikaner in einem umgebauten Tankwagen über die Grenze geschmuggelt. Er hatte geglaubt, dass sein Leidensweg nun zu Ende war, aber das Martyrium war weitergegangen.

Und dann ...

Endlich New York. Ein Lichtblick. Neue Hoffnung. Die Bekanntschaft mit Wilkie Lenning. Der erste Job.

Doch dann das Fiasko.

Und nun schwamm er hier in dieser öligen Brühe, war des Mordes an einem Polizisten dringend verdächtig und wusste nicht, wo er sich verstecken sollte. Der Schmerz in seiner Schulter ließ ihn ächzen.

Er blickte zurück. Verfolgten sie ihn noch? Die Schmerzen wurden heftiger. Er versuchte, die Schwimmbewegungen nur mit einem Arm auszuführen, aber das wollte nicht so recht klappen.

Er war an und für sich kein besonders guter Schwimmer. Hustend und spuckend kämpfte er sich mit beiden Armen wieder hoch.

Auf der Höhe der 187.Straße wandte er sich dem Ufer zu. Erschöpft erreichte er die Grünanlagen. Triefnass kroch er aus dem Wasser.

Wie ein Tier auf der Flucht blickte er sich um. Er fühlte sich nirgendwo sicher. Was würden sich die Leute denken, wenn sie seine nassen Kleider sahen? Er sank vor einem wild wuchernden Busch auf die Knie.

Mit verzerrtem Gesicht besah er sich die Verletzung, die ihm der Lieutenant zugefügt hatte. Es handelte sich zum Glück nur um eine Fleischwunde. Aber auch sie hätte behandelt werden müssen.

Juan Cortez zerriss sein Hemd und legte sich selbst einen Druckverband an. Dann nahm er die Waffe des toten Cops aus seinem Hosenbund und betrachtete sie von allen Seiten.

Er hatte zum ersten Mal einen Revolver in der Hand.

Wenn ihn jemand gefragt hätte, warum er die Waffe an sich genommen hatte, er hätte es nicht sagen können. Im Grunde genommen wusste er mit diesem Schießeisen nichts anzufangen.

Konnte man damit überhaupt noch feuern? Jetzt, nach dem Bad im Hudson River. Juan steckte den Revolver wieder weg. Er hatte hier am Ufer keine Ruhe. Er brauchte ein Versteck, wo er sich für eine Weile verkriechen konnte.

Der Mexikaner quälte sich wieder auf die Beine.

Er überquerte die Gleisanlagen, die parallel zum Riverside Drive verliefen. Ein Gebäude mit kaputten Fenstern fiel ihm auf.

Ein Abbruchhaus vielleicht.

Juan Cortez eilte sofort darauf zu. Der Zahn der Zeit hatte an den Mauern des Mietshauses unübersehbare Spuren hinterlassen. Das Gebäude war tatsächlich unbewohnt. Glück im Unglück für Juan Cortez.

Er beachtete das Schild am Eingang nicht, das verkündete, dass das Betreten dieses Hauses verboten war. Die Tür ächzte und knarrte schaurig, als er sie öffnete.

Es roch muffig. Düster war es in den Gängen. Aus den Wänden hingen Drähte. Im Keller fiepten Ratten. Sämtliche Wohnungen waren leer. In einer stand ein alter Diwan.

Juan ließ sich darauf nieder. Wieder verzerrte sich sein Gesicht. Er griff mit der rechten Hand nach dem linken Arm und brachte ihn in Ruhestellung. Dann legte er sich hin und schloss die Augen.

Wirre Bilder tanzten vor seinen Augen. Er sah den toten Cop. Er sah den Lieutenant, der seinen Revolver auf ihn gerichtet hatte. Er sah Wilkie Lenning, der ihm helfen wollte, es aber nicht konnte ...

Juan versuchte abzuschalten, doch es gelang ihm nicht. Die nassen Kleider klebten kalt an seinem Körper. Er fröstelte. Er hatte nach wie vor große Schmerzen in der linken Schulter.

Er fühlte sich so erbärmlich wie noch nie in seinem Leben. Nicht einmal zu Hause in Mexiko war ihm so elend gewesen.

Plötzlich Sirenengeheul!

Juan Cortez erschrak zutiefst. Er stieß einen heiseren Schrei aus und sprang auf. Angst flackerte sofort wieder in seinen Augen. Er rannte zum Fenster und blickte hinaus.

Zwei Patrolcars fegten über den Riverside Drive. Sie waren nicht seinetwegen unterwegs. Dennoch wollte Juan nicht mehr länger in diesem unsicheren Versteck bleiben. Man konnte ihn durch Zufall hier aufstöbern. Er brauchte ein besseres Versteck. Er lief aus der Wohnung. Jetzt erst fiel ihm auf, dass er, als er die Polizeisirenen gehört hatte, den Revolver aus dem Gürtel gerissen hatte. Diese Tatsache entsetzte ihn.

Hatte er wirklich vorgehabt, sich mit der Waffe zu verteidigen? Hatte er sich seinen Fluchtweg freischießen wollen? Hätte er tatsächlich den Nerv gehabt, den Revolver auf einen Menschen zu richten und abzudrücken?

Erschüttert presste der Mexikaner hervor: „O Gott, was wird nur aus mir?“ Aber er trennte sich nicht von der Waffe.

Vier besondere Krimis Januar 2019

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