Читать книгу Vier besondere Krimis Januar 2019 - A. F. Morland - Страница 22
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WILKIE LENNING STELLTE seinen Wagen in einer schmalen Seitenstraße ab und schlenderte dann zum ,Mighty Eagle“. Über dem Eingang des Nachtlokals prangte tatsächlich ein mächtiger Adler. Seine Schwingen waren weit ausgebreitet. Die Fänge waren nach vorn gestreckt, als wollte der Adler jeden packen, der es wagte, auf den Clubeingang zuzugehen.
Potenzierte Aggression, das stellte der mächtige Raubvogel dar.
Wilkie betrat das Lokal.
Obwohl noch einige Stunden bis zur Nacht fehlten, war in dem Laden bereits Betrieb.
Der Türsteher musterte Wilkies Jeans missbilligend. Aber er hatte nichts dagegen, dass der Junge an ihm vorbeistakste.
Je reicher die Leute, desto weniger Wert legten sie hin und wieder auf ihre Kleidung, diese Erfahrung hatte der Türsteher gemacht. Und wenn der Gast die Preise im „Mighty Eagle“ zu hoch fand, würde er von selbst nach dem ersten Drink das Weite suchen.
Das Lokal war stufenförmig angelegt. Ganz unten befand sich die gläserne Tanzfläche. Je höher oben man saß, desto besser war der Überblick über den gesamten Club.
Auf einem Podium saßen fünf Musiker. Sie trugen weinrote Jacketts und Rüschenhemden. Jeder einzelne beherrschte sein Instrument hervorragend. Links neben dem Eingang begann der Tresen. Schnurgerade wie ein Lineal.
Wilkie enterte einen Hocker und winkte den Mixer zu sich.
„Was darf’s sein?“, fragte dieser.
„Ein Glas kalte Milch.“
Der Mann musterte Wilkie, als habe er nicht richtig verstanden. „Sagten Sie Milch?“
„Gibt die Kuh neuerdings etwas anderes?“
„Vermutlich nicht. Ich arbeite nun schon seit acht Jahren hier, aber Sie sind der Erste, der ein Glas Milch verlangt.“
„Sie haben doch welche, oder?“
„Doch, doch. Natürlich. Wir brauchen sie für die Milk-Shakes ... Also, Sie möchten ein Glas Milch. Ohne was hinein.“
„Ich bitte darum“, sagte Wilkie. Er bekam seine Milch und fragte, was zu bezahlen sei. Der Mixer nannte den Preis. Wilkie grinste. „Anderswo bekomme ich dafür schon eine ganze Kuh.“
„Was könnten Sie schon mit einer ganzen Kuh anfangen?“
„Ist auch wieder wahr“, sagte Wilkie und trank. Mit weißem Oberlippenbart sagte er: „Schmeckt vorzüglich. Sie sollten sich ab und zu auch ein Gläschen genehmigen. Ich bin übrigens nicht zu meinem Vergnügen hier.“
„Sondern?“
„Ich suche einen Job.“
„Was können Sie denn?“
„Ein bisschen von allem.“
„Das reicht hier nicht. Mister Madigan, der Besitzer dieses Lokals, legt Wert auf ein bestens geschultes Personal.“
Wilkie wies mit dem Daumen über die Schulter. „Die Band spielt nicht schlecht.“
„Verstehen Sie was von Musik?“
„Mann, ob ich was davon verstehe? Ich hab’ die Musik im Blut. Geben Sie mir eine Gitarre, und ich beweise es Ihnen. Ich spiele Ihnen, was Sie wollen. Aber nicht bloß zum Hausgebrauch, sondern professionell. Hab’ mein letztes Engagement wegen einer Mieze verloren.“
Der Mixer warf einen Blick auf Wilkie Lennings feinnervige Hände. „Vielleicht hast du Glück, Milchkind. Rühr’ dich mal nicht von der Stelle. Ich werde sehen, ob ich etwas für dich tun kann. Nuckle inzwischen weiter an deinem Lieblingsgetränk. Bin gleich wieder zurück.“
Der Mixer zog ab.
Drei Minuten später kam er mit einem gelackten Kerl zurück. Der Mann trug einen eleganten weißen Anzug und dazu ein himmelblaues Hemd. Und über sein dunkles Haar hatte er mindestens eine halbe Flasche Pomade geleert.
„Du suchst einen Job, Junge?“, fragte er. Seine Stimme musste ausgebildet sein. Sie klang melodisch und voll.
„Das ist richtig, Mister Madigan“, sagte Wilkie.
„Ich bin nicht Madigan. Mein Name ist Owen Clark.“
„Entschuldigung.“
„Macht nichts. Wie heißt du?“
„Wilkinson Lenning. Meine Freunde nennen mich Wilkie.“
„Du spielst Gitarre?“
„Eigenlob stinkt - sagt man. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich auf der Gitarre unschlagbar bin.“
„Ich leite hier die Band, schreibe die Arrangements, studiere mit den Kameraden die Nummern ein und singe“, sagte Owen Clark.
„Ziemlich viel, was Sie da tun, Mister Clark“, meinte Wilkie.
„Würde es dir etwas ausmachen, mal etwas zum Besten zu geben? Unser Gitarrist fällt für eine Weile aus.“ „Autounfall?“
„Ja“, sagte Clark.
„Es würde mich nicht stören, Ihnen vorzuspielen, Mister Clark.“
Owen Clark nickte. „Okay, Wilkie. Dann komm mal mit.“
Wilkie nickte dem Mixer zu. „Danke für die Vermittlung.“
„Blamier mich nicht“, gab dieser zurück. „Was soll mit deiner Milch geschehen?“
„Die spendiere ich Ihnen“, grinste Wilkie und folgte Owen Clark. Wenig später erreichten sie das Podium. Die Musiker machten gerade Pause. Clark stellte ihnen Wilkie vor und sagte: „Er will’s mal versuchen. Gebt ihm eine Gitarre.“
Wilkie bekam ein teures Stück. Er fischte sich einen Hocker und ließ sich darauf nieder. Er schloss die Augen und zupfte die Saiten. Eine davon war geringfügig verstimmt. Wilkie brachte das in Ordnung.
Dann fragte er: „Was soll ich spielen?“
„Was du willst“, erwiderte Owen Clark. „Aber ich warne dich. Wenn auch nur ein einziger Gast deinetwegen das Lokal verlässt, kriegst du was hinter die Löffel.“
Wilkie konzentrierte sich auf das Instrument. Owen Clark und die Gäste waren ihm gleichgültig. Sie existierten nicht mehr für ihn. Er war allein mit der Gitarre und intonierte eine feurige Samba.
Seine Finger tanzten über die Saiten. Da gab es nicht den kleinsten Fehler, und der Rhythmus ging den Musikern neben Wilkie so sehr ins Blut, dass einer nach dem andern in das Spiel einsetzte.
Zuerst begann der Mann am Schlagzeug, dann der am Klavier. Bass und Saxophon kamen hinzu ... Und bald spielte die ganze Band, als wäre die Nummer Dutzende Male geprobt worden.
Auch den Gästen fiel auf, dass hier etwas Besonderes passierte, und als Wilkie Lenning die Nummer beendete, brandete ihm Applaus entgegen.
Owen Clarks Augen leuchteten vor Begeisterung. „Habt ihr das gehört?“, rief er seinen Freunden zu. „Der Junge ist genial.“
„Der ist super“, rief der Mann am Schlagzeug.
„Oh, vielen Dank“, gab Wilkie bescheiden zurück.
Clark legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du brauchst nicht länger einen Job zu suchen. Du hast bereits einen, Wilkie. Willkommen in unserer Crew. Du lässt Pepe vergessen.“
„Wer ist Pepe?“
„Pepe war dein Vorgänger. Keine Sorge. Du wirst trotzdem bleiben. Pepe ist zwar nicht schlecht, aber er kann dir das Wasser nicht reichen. Er wird anderswo unterkommen.“
Clark holte einen Stapel Noten, und Wilkie spielte die Nummern der Reihe nach herunter. Clark war begeistert. Nach einer Stunde hatten sie alle Titel durch.
Die Mitglieder der Band waren sich einig: Wilkie Lenning war ein As auf der Gitarre. Ein echter Gewinn für die Gruppe. Ein Volltreffer.
Clark steckte Wilkie in ein blütenweißes Rüschenhemd, gab ihm in der Musikergarderobe schwarze Hosen und ein weinrotes Jackett und versuchte, ihm die Hausregeln nahezubringen.
„Zu uns kommt die High Snobiety“, sagte Owen Clark unter anderem. Sie befanden sich noch in der Garderobe. „Stinkvornehme Leute, verstehst du? Die haben so viel Geld, dass sie einen Zwergstaat damit aufkaufen könnten. Die meisten von ihnen kommen durch die Vordertür zu uns. Es gibt aber auch eine Hintertür.“
„Für wen ist die denn?“, erkundigte sich Wilkie. „Wenn du keinen Ärger haben willst, kümmerst du dich am besten nur um deine Gitarre. Alles andere sollte dich nicht interessieren. Tu deinen Job, kassiere eine Menge Geld dafür und scher dich nicht, was zum Beispiel im Keller läuft. Dort unten geht’s hin und wieder heiß her. Da treffen sich gewisse Leute zu einem kleinen Spielchen ...“
„Hasard?“
Owen Clark hob die Schultern. „Man sollte jedem Menschen sein Vergnügen gönnen. Diese Leute sind nicht scharf auf Publicity. Jedenfalls nicht, wenn sie hierherkommen. Deshalb ist es vernünftiger, wenn du ihnen fernbleibst. Einige von ihnen bringen ihre Leibwächter mit. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Aber wenn du keine neugierige Nase bist, wirst du mit denen niemals Ärger kriegen.“
Wilkie Lenning nickte. „Ich habe verstanden. Danke für den Tipp, Owen.“
„Du wirst ihn beherzigen?“
„Selbstverständlich. Ich bin nicht erpicht auf Schwierigkeiten.“
Die beiden verließen die Garderobe. Wilkie und die anderen Bandmitglieder spielten weiter. Owen Clark sang mit viel Schmalz mehrere Lieder.
Zwischen zwei Nummern fragte Wilkie: „Wird Moko Madigan mit mir einverstanden sein?“
„Sei unbesorgt“, gab Clark zurück. „Was die Band angeht, habe ich völlig freie Hand. Da redet mir Moko Madigan nicht rein. Außerdem würde er dich niemals wegschicken, wenn er dich spielen gehört hat. Du gehörst von jetzt ab zum Team. Das ist amtlich.“
Der Abend brach an.
Das Lokal füllte sich. Bald war kein Platz mehr zu bekommen. Der Türsteher musste Neuankömmlinge abweisen. Wilkie Lenning bekam ganz kurz Moko Madigan zu Gesicht.
Owen Clark benützte die Gelegenheit, um dem Besitzer des „Mighty Eagle“ den neuen Mann vorzustellen. Madigan war ein robuster Typ mit breiten Schultern und finsterem Blick.
Er sah aus, als wäre er ständig wütend. Er hatte mit Clark etwas unter vier Augen zu besprechen. Als Clark wiederkam, sagte er beiläufig zu Wilkie, während er mit dem Daumen nach unten wies: „Heute läuft mal wieder was.“
Wilkies Neugier war erwacht. Er ließ es sich jedoch nicht anmerken, machte mit den andern gute Musik und wartete auf seine Chance.
Gegen zehn gönnte ihnen Owen Clark eine Pause von dreißig Minuten. Die Bandmitglieder mischten sich unters Volk oder begaben sich an den Tresen, um einen zu kippen.
Ohne dass jemand es merkte, stahl Wilkie sich in Richtung Garderobe davon. Er warf durch ein schmales Fenster einen Blick in den finsteren Hinterhof. In der Dunkelheit standen einige Superschlitten.
Wilkie notierte die Fahrzeugnummern. Dann begab er sich zu jener Treppe, die zum Keller hinunterführte. Langsam stieg er die Stufen hinunter. Niemand begegnete ihm auf seinem Weg.
Unten angekommen, war er von grün gestrichenen Wänden umgeben. Irgendwo summte ein Ventilator. Gemurmel drang an Wilkies Ohr. Es roch nach Whisky und Rauch.
Raues Männerlachen. Dann das Klappern einer Roulettekugel. Das „Rien ne va plus“ des Croupiers. Wilkie erreichte den Ventilator. Ein Blechschacht überquerte an der Kellerdecke den Gang.
Wilkie sah sich nach einer Möglichkeit um, den Schacht abzumontieren und einen Blick durch die Ventilatoröffnung machen zu können.
Plötzlich vernahm er gedämpfte Stimmen. Zwei Männer unterhielten sich miteinander. Sie hatten den unterirdischen Spielsalon verlassen, um allein zu sein.
Wilkie wollte hören, was sie miteinander zu besprechen hatten. Angeblich liefen hier ein paar Fäden der Menschenhändlerbande zusammen. Folglich konnte es äußerst interessant für Wilkie Lenning sein, zu erfahren, was diese Männer in aller Abgeschiedenheit zu besprechen hatten.
Die Stimmen wurden deutlicher, aber Wilkie konnte die Worte immer noch nicht verstehen. Der Korridor machte einen Knick nach rechts.
Plötzlich gewahrte Wilkie neben sich eine Bewegung. Aus einer schattigen Nische flog ihm ein Mann entgegen. Der Kerl bestand vor allem aus einer riesigen Faust.
Wilkie nahm blitzschnell den Kopf zur Seite. Die Faust streifte sein Ohr. Er konterte, aber sein Schlag zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Etwas bläulichmatt Schimmerndes raste auf ihn zu.
Ein Totschläger!
Wilkie versuchte, den Hieb zu unterlaufen, aber der Treffer war trotzdem verdammt unangenehm. Grellbunte Kreise tanzten vor seinen Augen. Ein heftiger Schmerz pochte in seinem Schädel.
Als der Kerl zum zweiten Mal mit dem Totschläger ausholte, riss Wilkie instinktiv die Arme hoch. Er war auch diesmal nicht schnell genug und kassierte den Schlag voll.
Ihm schwanden augenblicklich die Sinne.