Читать книгу Vier besondere Krimis Januar 2019 - A. F. Morland - Страница 20
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REGINALD CHAN GRIFF nach dem Hörer, als das Telefon läutete. „Chan“, meldete er sich.
„Der Chef hat jetzt für Sie Zeit“, sagte eine angenehme Mädchenstimme.
„Oh, danke, Vera. Ich bin Ihnen sehr verbunden.“ Chan legte den Hörer in die Gabel und erhob sich. Er war mittelgroß und hatte das glatte, kohlschwarze Haar der Asiaten. Seine Mutter war Chinesin gewesen.
Sein Vater hatte sie in Chinatown aufgelesen, hatte sich eine Nacht lang mit ihr vergnügt und sie dann wieder dahin zurückgeschickt. Was bei dieser Nacht herausgekommen war, war er: Reginald Chan.
Er war ohne Eltern auf gewachsen. Sein Vater hatte sich wenigstens so nobel gezeigt, ihm den Aufenthalt in einem Internat zu bezahlen. Die Mitschüler hatten ihn wegen seiner Mandelaugen und der leicht gelblichen Haut verspottet. Er hatte niemals einen echten Freund gehabt, und es war ihm im Leben vieles schiefgegangen.
Als er mitten im Jurastudium steckte, starb sein Vater. Die finanzielle Unterstützung blieb nun aus. Chan musste arbeiten.
Und arbeiten und studieren schaffte er einfach nicht, deshalb war er heilfroh, als er die Anstellung beim „New York Defender“ bekam. Seit zehn Jahren arbeitete er nun schon für das Blatt.
Zunächst hatte er sich in der Sportredaktion nützlich gemacht, dann mit dem Wirtschaftsteil beschäftigt, und schließlich hatte ihn sein Chef, Dean Ballard, für die Sensationsreportagen herangezogen.
Doch gerade auf diesem Gebiet war Reginald Chan bisher ziemlich glücklos gewesen. Die Sensationen, die er lieferte, vermochten keinen Hund hinter dem Ofen hervorzulocken, doch das sollte sich nun ändern.
Chan war da einer großen Sache auf der Spur, die Dean Ballard bestimmt gefallen würde. Er hatte deshalb um einen Termin beim Chef gebeten und diesen soeben erhalten.
Rasch kramte er ein paar Zettel aus seiner Schreibtischlade. Dann verließ er sein kleines Büro und machte sich auf den Weg zum Zeitungsherausgeber. Ballard war ein großer Boss.
Viele Politiker zitterten vor ihm, denn er konnte sie populär machen oder vernichten. Ganz, wie es ihm beliebte. Dean Ballard hatte sehr viel Macht, und er genoss sie.
Aber er setzte sie auch rücksichtslos gegen diejenigen ein, die ihn sich auf irgendeine Weise zum Feind gemacht hatten. Er konnte Karrieren aufbauen und zerstören.
Reginald Chan flatterten leicht die Knie, als er den Fahrstuhl betrat. Er hatte immer ein mulmiges Gefühl, wenn er zum Chef unterwegs war.
Dean Ballard zeigte keine Geduld mit seinen Mitarbeitern. Er konnte nicht zuhören. Wenn es einem nicht gelang, ihn schon mit dem ersten Satz zu interessieren, schickte er einen schon in der nächsten Minute zum Teufel.
Ballard war ein hektischer, unleidlicher Mensch, mit dem kaum jemand gut auskommen konnte, obwohl sich alle die denkbar größte Mühe gaben.
Mit Schaudern dachte Reginald Chan an seine letzte Artikelserie, in der er über einen Callgirl-Ring berichtete, den ein Privatdetektiv im Alleingang hatte hochgehen lassen.
„Mann!“, hatte Dean Ballard gebrüllt. „Was Sie zusammenschmieren, interessiert doch kein Aas.“ Beinahe hätte der Chef dem Reporter die Zeitung um die Ohren geschlagen. „Die Serie wird sofort gestoppt! Haben Sie gehört, Chan? Sofort!“
„Chef“, hatte Chan einzuwenden gewagt, „es waren zehn Folgen geplant, und wir sind erst bei der zweiten ...“
„Interessiert mich nicht. Diesen Käse werden wir unseren Lesern nicht vorsetzen. Ziehen Sie den Monkton-Report vor und werfen Sie Ihre Story in den Papierkorb.“
Der Fahrstuhl blieb stehen.
Reginald Chan betrat die Chefetage. Der Reporter sammelte Speichel im Mund und schluckte dann schnell eine von seinen gelben Pillen, ehe er an die dunkle Tür aus Mooreiche klopfte und eintrat.
Vera nickte ihm freundlich zu. Sie war ein Engel, und Chan fragte sich zum x-ten Mal, wie sie es nur so lange an der Seite dieses Mannes aushalten konnte. Sie musste eine verdammt dicke Haut haben. Aber man sah es ihr nicht an.
Vera wies mit dem Bleistift auf die Tür, die in Ballards Allerheiligstes führte. „Gehen Sie gleich hinein. Mister Ballard erwartet Sie bereits.“
„Vielen Dank“, sagte Chan, und er ärgerte sich, dass seine Stimme so kratzte. Er betrat ein gediegen eingerichtetes, riesiges Büro. Sein Büro hätte hier drinnen mindestens fünfzehnmal Platz gehabt.
Dean Ballard war ein Mann, dem der Charakter ins Gesicht geschrieben war. Ihm schien die ganze Welt zuwider zu sein. Er zog die Mundwinkel stets verächtlich nach unten, hatte dicke Tränensäcke unter den böse funkelnden Augen und sah aus wie ein Panther kurz vor dem Sprung.
Die Fleisch gewordene Aggression stellte Dean Ballard dar.
Er zeigte dem Reporter, dass er nicht viel von ihm hielt, indem er an seinem Schreibtisch sitzen blieb. Chan trat näher heran. Er räusperte sich und hatte das Gefühl, dass er keinen Ton mehr hervorbringen könnte. „Sie wollten mich sprechen, Chan.“
„Ja, Sir - Mister Ballard.“
„Was gibt’s?“
„Ich bin da einer ganz großen Sache auf die Spur gekommen, Sir. Einem wirklichen Knüller. Die Sache wird wie eine Bombe einschlagen.“
Ballard blickte den Reporter skeptisch an. „Diese Worte höre ich aus Ihrem Mund nicht zum ersten Mal, Chan. Aber bisher waren es dann doch immer nur mehr oder wenig große Nieten, die Sie geliefert haben.“ „Diesmal nicht, Chef.“
„Was haben Sie im Köcher?“
„Menschenhandel, Sir.“
Dean Ballard hob eine Braue. Ein Zeichen dafür, dass er interessiert war. „Hört sich nicht schlecht an. Erzählen Sie, Chan.“
„New York wird zur Zeit von illegalen Einwanderern aus Mexiko überflutet.“
„Das weiß ich. Darüber haben wir bereits berichtet“, sagte Ballard ungnädig.
„Wir haben mehr oder weniger das Statement der Polizei abgedruckt. Ich aber möchte die Hintergründe bringen. Diese Mexikaner würden nicht in die USA gelangen, wenn ihnen dabei niemand helfen würde. Die armen Teufel müssen für diese Hilfe sehr viel Geld bezahlen, und wenn sie dann in unserem Land sind, gibt man’s ihnen gewissermaßen mit der Peitsche. Man verkauft sie als billige Arbeitskräfte oder die Menschenhändler lassen sie für sich selbst arbeiten. Man zwingt sie, Verbrechen zu begehen, und wenn einer den Mund aufmachen möchte, wird er eiskalt gekillt.“ „Woher haben Sie diese Weisheiten, Chan?“
„Mir ist so einiges zu Ohren gekommen.“
„Sie wissen, dass wir nur Fakten bringen können.“ „Das werden wir. Niemand wird auch nur eine einzige Zeile meines Berichts anfechten können, Mister Ballard. Die Menschenhändler sollen angesehene Leute sein, Sir. Männer mit lupenreinen Westen.“ „Tatsächlich?“ Dean Ballard stand plötzlich auf. „Mann, Chan, vielleicht gelingt Ihnen diesmal wirklich der große Wurf. Sie kennen mich. Ich liebe es, Bomben hochgehen zu lassen. Je größer der Knall, desto lieber ist es mir. Sie können von mir für Ihre Arbeit volle Unterstützung kriegen. Kaufen Sie alles, was Sie an Informationen bekommen können. Geld spielt keine Rolle. Tragen Sie die Fakten für die brisanteste Story des Jahrhunderts zusammen. Menschenhandel in unserer Zeit. Das wird unsere Leser von den Stühlen reißen. Männer, denen sie ihr Vertrauen entgegenbringen, werden als Verbrecher entlarvt. Die Story hat es in sich, Chan. Damit bringen wir die Stadt ins Wanken. Mehr noch. Den ganzen Staat!“
Ballard kam um seinen Schreibtisch herum. Er legte dem Reporter die Hand auf die Schulter. Das war eine besondere Auszeichnung. So etwas passierte nicht oft. „Ihr Spesenkonto wird ab sofort verdreifacht, Chan.“ „Oh, Sir, das ist sehr großzügig ...“
„Sie müssen sich bewegen können. Sie dürfen jetzt in keinem finanziellen Korsett stecken. Sie brauchen Spielraum, sonst erreicht Ihre Reportage nicht jene Brisanz, die ich mir von ihr erhoffe.“
„Ich werde mir die größte Mühe geben, Sir.“
„Davon bin ich überzeugt. Wann können wir mit Ihrer Story starten, Chan?“
„Ich denke, dass ich in vier Wochen so weit bin.“ „Okay, Chan. Vier Wochen. In dieser Zeit werden Sie kaum schlafen und im Stehen essen, und Sie werden alles zu Papier bringen, was irgendwie mit diesen Menschenhändlern zu tun hat. Vier Wochen völliges Stillschweigen. Es darf nichts vorzeitig durchsickern. Schließen Sie Ihr Material in einen Safe ...“
„Das würde ich tun, Sir, aber mir steht keiner zur Verfügung.“
„Wie wär’s mit meinem?“
„Gut, Chef.“
„Wir werden den Bericht gemeinsam durchgehen. Nach der ersten Niederschrift kriegen meine Anwälte eine Kopie, damit man uns rechtlich nichts anhaben kann. Sobald wir von den Rechtsverdrehern grünes Licht bekommen, stecken wir die Zündschnur in Brand.“ Dean Ballard lachte gehässig. „Ich bin neugierig, wen die Explosion alles zerfetzen wird.“
Reginald Chan verließ schwindelig vor Glück das Büro des Zeitungsherausgebers. Er hatte sich noch niemals so großartig gefühlt.
„Sie scheinen heute wohl das große Los gezogen zu haben“, sagte Vera lächelnd.
Chan blieb stehen. Er grinste. „Wissen Sie, dass Mister Ballard gar nicht so übel ist? Man muss ihn nur zu nehmen wissen.“
Er wandte sich um und eilte aus dem Vorzimmer. Nun wartete eine Menge Arbeit auf ihn, doch das machte ihm nichts aus. In vier Wochen würde jedes Kind seinen Namen kennen.
Die Konkurrenz würde ihn mit Angeboten überhäufen, und er würde mit dem Meistbietenden ins Geschäft kommen.