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Als der Pfarrer den Riedlinger-Hof erreichte, saß dessen Besitzer gerade bei einer Brotzeit draußen auf der Holzbank, von wo aus man einen Ausblick auf das gewaltige Panorama der schneebedeckten Berggipfel hatte.

"Grüß dich, Riedlinger!", begann der Pfarrer etwas zögernd.

Er wusste nicht so recht, wie er die Unterhaltung beginnen sollte.

Jakob Riedlinger war ein stattlicher Mann, dessen Haare in den letzten Jahren mehr und mehr ergraut waren.

Buschige Augenbrauen wuchsen über den hellblauen Augen. Der Riedlinger musterte den Pfarrer von oben bis unten und raunte dann: "Mei, ein seltener Besuch ist das! Einer wie du, mit einem dunklen Rock, ist schon lang net mehr hier bei mir gewesen. Womit habe ich diese Ehre verdient?"

"Das braucht man sich net zu verdienen", erwiderte der Pfarrer. "Ich bin für jedes Schaf in der Herde zuständig, wenn du verstehst, was ich meine!"

Um die Augenwinkel des Riedlingers bildeten sich ein paar listig wirkende Falten.

"Auch für die schwarzen Schafe?", fragte er dann zurück.

Der Pfarrer nickte.

"Gerade für die, Riedlinger! Für die schwarzen Schafe ganz besonders!"

"Na, dann bist bei mir ja vielleicht doch an der richtigen Adresse!", lachte der Riedlinger daraufhin und nahm einen großen Bissen.

Sein Blick ging in die Ferne zu den weißen Gipfeln hin, wo die Sonne langsam milchig zu werden schien. Nicht mehr lange und sie würde sich anschicken hinter der Gipfelkette zu versinken.

Der Riedlinger schüttelte nachdenklich den Kopf.

"Solang ich zurückdenken kann ist es das erste Mal, dass ein Pfaffe mich besuchen kommt!", meinte er dann. "Und damals, als die böse Geschichte passierte, da war der Mann in Schwarz net gerad' auf meiner Seite oder hätte es auch nur für nötig befunden, mich wenigstens anzuhören! Sein Urteil war schon im Vorhinein gefällt, in dem Punkt war er net einen Deut besser als alle anderen!"

"Du red'st über meinen Vorgänger", erklärte der Andreas Sterninger in ruhigem Tonfall. "Net über mich."

Der Riedlinger wandte leicht den Kopf.

"Das stimmt", musste er dann zugeben.

Und der Pfarrer fügte hinzu: "Du weißt, ich war damals ein ganz junger Pfarrer in einer anderen Gemeinde hier in der Gegend und hab' die ganze Geschicht' nur aus der Ferne vom Hörensagen mitbekommen..."

Der Riedlinger zuckte die Schultern und wischte sich mit der Hand über das Gesicht.

"Mei, was geschehen ist, ist geschehen. Was soll man daran nachträglich noch ändern können? Ich denk', das kann net einmal der Herrgott! Oder irre ich mich, Pfarrer?"

Der Pfarrer setzte sich jetzt neben den Riedlinger auf die Bank. Nachdem er die schmerzenden Füße von sich gestreckt hatte, meinte er: "Es muss doch net allzeit der alte Groll bleiben! Meinst net auch?"

Der Riedlinger murmelte nur etwas unverständliches in seinen grauen Bart hinein. Er schien nicht viel von der Idee einer Versöhnung zu halten, äußerte sich aber zunächst nicht weiter dazu.

So fuhr der Pfarrer fort.

"Schau", sagte dieser. "Der alte Bachsteiner liegt schwer krank im Sterben. Er wird net mehr lang zu leben haben!"

"Und du meinst, das ist ein Grund, um vor dem vermaledeiten Hund zu Kreuze zu kriechen?", brauste der Riedlinger dann auf. "Mei, sterben muss jeder von uns einmal! Und wenn ich nun als erster dran gewesen wär', dann hätte der Bachsteiner sicher als letzter den Weg zu mir gefunden!"

Der Riedlinger war richtig aufgebracht. Er stand auf und legte seine Brotzeit zur Seite.

Der Appetit schien ihm gründlich vergangen zu sein.

Der Pfarrer trat neben ihn.

"Einer muss doch den ersten Schritt tun!", forderte der Pfarrer allen Ernstes und sah den Riedlinger dabei fest an.

"Und dir fällt gewiss kein Zacken aus der Krone, wenn du es sein solltest, der das vollbringt!"

Der Riedlinger atmete tief durch. Was er hörte, gefiel ihm ganz und gar nicht.

"Was weißt du schon, Pfarrer!", murmelte er dann. "Mit Fingern haben sie auf mich gezeigt! Mei, das war net einfach! Vorwürfe haben sie mir gemacht - und ich mir selbst am meisten!"

"Du?", fragte der Pfarrer verwundert.

"Nacht für Nacht hab' ich mich gefragt, ob ich damals richtig entschieden hab', als ich die Suche abgebrochen hab!", berichtete der Riedlinger mit gedämpfter, fast erstickter Stimme. Man konnte spüren, dass ihn die Angelegenheit auch jetzt noch, nach all den Jahren innerlich tief bewegte. "Ich weiß es bis heute net mit letzter Gewissheit, Pfarrer! Vielleicht hätt' ich den Buben vom Bachsteiner retten können, vielleicht auch net... Und wenn ich's doch versucht hätte? Möglich, dass dann die Suchmannschaft am Ende net mehr vollzählig gewesen wär..."

"Es war eine schwere Entscheidung damals", sagte der Andreas Sterninger mitfühlend. "Ich hätt' wahrhaftig net in deiner Haut stecken mögen! Und ich glaube auch net, dass irgend jemand das Recht dazu hatte, den Stab über dich zu brechen!" Der Sterninger hob ein wenig die Schultern und fügte dann noch hinzu: "Man kann in eine Lage kommen, da ist jede Entscheidung falsch,ganz gleich, wie man sie auch immer treffen mag!"

Der Riedlinger nickte.

"Und ich habe sie so und net anders getroffen, weil ich davon überzeugt war, dass sie richtig war - und net, um den Bachsteiner-Sohn aus dem Weg zu haben, damit ich freie Bahn hätte bei der Sepha... Die hätt' den jungen Bachsteiner ohnehin net genommen! Ihre Entscheidung für mich stand längst fest, was immer auch die Leute dazu sagen mögen!"

Der Pfarrer legte dem Riedlinger seine Hand auf die Schulter und sagte dann: "Mei, einer muss jetzt über seinen Schatten springen, wenn dieser Zwist endlich aus der Welt soll, nach den Jahren! Und der alte Bachsteiner kann es net sein, dem geht es zu schlecht..."

"Und du meinst ich könnt' es sein?", fragte der Riedlinger mit zweifelndem Unterton.

"Warum denn net?", meinte der Sterninger.

Der Einsiedler schüttelte jedoch ziemlich energisch den Kopf.

"Ich kann verstehen, dass du Frieden in deiner Gemeinde haben willst, Pfarrer! Aber den habt ihr ja auch so! Ich bin hier oben im Angesicht der Berge und lebe mein Leben - und die da unten mögen sagen, was sie wollen. Inzwischen kümmert es mich längst net mehr!"

Der Pfarrer seufzte.

"Denk net nur an dich, Riedlinger! Denk auch an deine Tochter! Für sie ist es auch net schön, einen Vater zu haben, der..."

"...der drei Menschenleben auf dem Gewissen hat?", rief der Riedlinger. "Hast das sagen wollen?"

"Geh, Riedlinger! Das hab ich net sagen wollen! Und das weißt du auch!"

Der Riedlinger atmete jetzt einmal tief durch und nickte dann.

"Entschuldigung", murmelte er und fügte dann, nach kurzer Pause hinzu: "Aber über meinen Schatten springen werd' ich net! Dazu ist es nun zu spät, nach all den Jahren. Es tut mir leid, Pfarrer, du hast deinen Weg umsonst gemacht!"

Sieben Romane: Heimatroman Extra Großband Juli 2021

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