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June March, Barbara Holland und Captain Toby P. Rogers, der gewichtige Leiter der Mordkommission Manhattan C/II, standen auf der Terrasse. June schaute über die Brüstung. Dort unten zuckten nach wie vor nervös die Rotlichter der Einsatzfahrzeuge. Dort drüben strahlten die Scheinwerfer der Mordkommission. Hektische Betriebsamkeit herrschte auf dem nächtlichen Baugelände.

Barbara ging in den Livingroom. Sie kam mit einem glänzenden Silbertablett wieder, auf dem drei Gläser Orangensaft standen. Wortlos griffen June und Toby zu. Nachdem der blonde, vierschrötige Captain kurz an seinem Glas genippt hatte, fuhr er fort: „Also noch mal, Miss March. Sie sahen Robert Vicker auf die Baustelle fliehen ... Und dann tauchten die Killer auf.“

June nickte. „So war es, Captain.“

„Sie versteckten sich hinter dem Kastenwagen dort unten, wussten sofort, dass Sie Mörder vor sich hatten. Wieso?“

„Weil die Kerle bewaffnet waren. Revolver mit Schalldämpfern. Wenn Sie das Fabrikat wissen wollen, muss ich leider passen.“

„Versuchen Sie noch einmal, die Männer zu beschreiben. Ihren ersten diesbezüglichen Anlauf kann man nicht gerade als geglückt bezeichnen.“

„Ich hatte nicht viel Zeit, mir die Gesichter der Männer einzuprägen“, rechtfertigte sich June March.

„Das ist mir schon klar, aber ein bisschen mehr, als Sie mir vorhin erzählten, müsste meiner Meinung nach schon hängen geblieben sein.“ June schloss einen Moment die Augen. Sie drehte im Geist das Rad der Zeit ein Stück zurück. Da waren die beiden wieder. Annähernd gleich groß. Dunkelhaarig. Weder besonders elegant noch besonders schlampig gekleidet. Das war wirklich alles, was dem Mädchen einfiel. Sie sagte es Toby. Der kräuselte unzufrieden die Nase. „So sieht zumindest jeder vierte New Yorker aus“, sagte er enttäuscht.

June hob seufzend die Schultern. „Ich weiß. Aber ich kann’s nicht ändern.“

„Bei jeder anderen Person würde ich mich mit dieser Antwort zufriedengeben. Sie aber, June, sind Detektiv-Volontärin.“

June March brauste verärgert auf. „Muss ich deswegen hellsehen können?“

„Das gerade nicht, aber ein geschulteres Gedächtnis sollte man in Ihrem Fall doch wohl voraussetzen dürfen.“

June hob trotzig ihr Kinn. „Dann tut es mir leid, Sie enttäuscht zu haben, Toby.“

Die Klingel schlug an. Barbara stellte ihr Glas auf die Brüstung. „Entschuldigt mich.“ Sie durchquerte den Livingroom, trat in die Diele und öffnete die Tür. Vor ihr stand ein gut aussehender Mann: eins achtzig groß, schlank, breitschultrig, durchtrainiert, wie zu erkennen war. In dem schmalen Gesicht fielen vor allem die hellen, durchdringenden Augen auf. Der Mann hatte dunkles Haar, und sein Lächeln ging jeder Frau unter die Haut – auch dann, wenn sie in festen Händen war.

„Sie müssen Bount Reiniger sein.“ Barbara Holland lächelte und reichte Bount Reiniger die Hand.

„Bedauerlich, dass ich Ihre Bekanntschaft unter diesen Umständen machen muss, Miss Holland“, sagte Bount höflich.

„Sie dürfen mich Barbara nennen.“

„Okay.“

„Treten Sie ein.“

„Vielen Dank. Ist June da?“

„Auf der Terrasse.“

„Und Captain Rogers?“, fragte Bount.

„Er ist bei June.“

„Wie fühlt sie sich?“, erkundigte sich Bount besorgt.

„Ich denke, sie ist über den ärgsten Schock bereits hinweg.“

„Dem Himmel sei Dank.“

Barbara Holland bedachte Bount mit einem bewundernden Blick. Sie lächelte freundlich. „June scheint Ihnen sehr viel zu bedeuten, Bount.“

Dieses Thema war Reiniger unangenehm. Er sprach nicht gern mit jemandem über seine Gefühle zu June. Er wollte sich kaum selbst eingestehen, dass June für ihn viel mehr war als nur seine Sekretärin. Noch viel weniger war er bereit, mit anderen über diese ganz und gar privaten Dinge zu sprechen. Tabu war das – wohl das einzige Tabu, von dem Bount Reiniger erwartete, dass es respektiert wurde.

Er ging mit einem breiten Grinsen über dieses heikle Thema hinweg und sagte scherzhaft: „Nun, June ist die große und einzige Stütze meiner Firma. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie anfangen sollte.“

Barbara hatte gute Ohren. Sie konnte zwischen den Silben hören. Schmunzelnd ergriff sie Bounts Hand und sagte: „Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrer Stütze.“

Rogers war gerade im Begriff, sein Glas zu leeren, als Bount auf die Terrasse trat. Sie hatten einander schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, nur hin und wieder miteinander telefoniert. Privat. Bei beiden reichte die Zeit nicht aus, um oft privat zusammenzukommen.

„Toby, wie geht’s?“ Bount schüttelte die mächtige Pranke des Captain.

„Besch... sch... scheiden“, erwiderte Rogers. Wäre er mit Bount allein gewesen, hätte er das Kind beim richtigen Namen genannt. June machte einen geknickten Eindruck.

Sie war todunglücklich darüber, den Mord an Robert Vicker nicht verhindert zu haben. Bount bedachte das Mädchen mit einem vorwurfsvollen Blick.

Rügend sagte er: „Wir können trotz allem von Glück reden, dass die Sache nicht schlimmer ausgegangen ist.“

„Schlimmer?“, fragte Toby.

„Ebenso gut könnten dort drüben jetzt zwei Leichen liegen“, sagte Bount ernst. „Konnte June dir helfen, Toby?“

„Leider nein.“

June March warf mit beleidigter Miene ein: „Dein Freund erwartet von mir, dass ich ihm Name und Anschrift der Killer nenne, und weil ich das nicht kann, ist er unzufrieden mit mir.“

Bount grinste. „Toby hatte es immer schon gern, wenn ihm die gebratenen Tauben in den Mund flogen.“ Reiniger wandte sich an den Captain. „Tja. Wie’s aussieht, wirst du dich diesmal selbst anstrengen müssen, um Erfolg zu haben.“

Rogers reagierte darauf grimmig. „Natürlich. Der neunmalkluge Bount Reiniger möchte mal wieder ganz besonders witzig sein.“

„Was hast du denn? Du hast doch sonst solche Bemerkungen nicht in die falsche Kehle gekriegt. War nicht böse gemeint, Toby. Nun komm schon, lass doch deswegen nicht gleich den Kopf so tief hängen. Seit wann ist der rauschalige Toby Rogers denn ’ne Mimose?“

„Seit ich so viel Arbeit am Hals habe, dass ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht“, erwiderte Toby ächzend. Jetzt war es ihm unangenehm, sich vorhin nicht beherrscht zu haben. Verlegen wandte er sich an June. „Ich erwarte Sie morgen, im Laufe des Vormittags, in meinem Büro. Möchte Ihnen ein paar Fotos vorlegen. Vielleicht erkennen Sie einen der Kerle darauf wieder.“ Bount nickte statt June und antwortete auch für sie: „Sie wird kommen, Toby.“

Der Captain verabschiedete sich mit einem starren Lächeln. Barbara bot Bount einen Drink an, aber Reiniger lehnte dankend ab. Zu June gewandt sagte er: „Komm, Sorgenkind. Ich fahre dich nach Hause.“

Wieder küsste Barbara die Freundin auf beide Wangen. Ihre Brauen zogen sich kummervoll zusammen. Über ihrer Nasenwurzel entstand eine kleine Falte. „Ist es nicht bedauerlich, dass unser netter Abend ein solches Ende genommen hat?“ June lächelte aufmunternd. „Ich bitte dich, daran bist du doch völlig unschuldig.“

Sie verließen Riverdale in Reinigers Mercedes. Bount lieferte seine Sekretärin ein paar Minuten später in der 123rd Straße ab und fuhr dann nach Hause weiter. Bald lag er wieder im Bett.

Aber er träumte nicht mehr von Hawaii.

Drei Mörder im Paket: Sammelband 3 Krimis

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