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Erstes bis viertes Bändchen
XIV
Der Kampf des Lebens

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Der Vater todt, die Mutter blind, die Schwester noch zu jung, um zu arbeiten, das Haus verbrannt, die Ernte vernichtet, – was konnte der arme Justin thun? – Ein Knabe von sechzehn Jahren!

Er schrieb Alles dies seinem alten Professor, und bat ihn um Rath.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten.

Herr Müller rieth Justin lebhaft, nach Paris zurückzukommen. War Paris nicht das Land der Mittel und Quellen?

Ueberdies würde er da seien um ihn mit allen seinen Kräften zu unterstützen.

Der wackere Mann war arm; doch er hatte Niemand auf der Erde, und so war er reich.

Er stellte seinen kleinen Schatz, die Ersparnisse von zehn Jahren, zur Verfügung von Justin, und er lud ihn ein in einem Hause in der Nähe des seinigen abzusteigen.

Es wäre Hochmuth gewesen, dies auszuschlagen; Justin kam nicht einmal ein solcher Gedanke: er nahm an.

Da geschah es, daß er sich in Paris in dem Hause des Faubourg Saint-Jacques, wo Jean Robert und Salvator eingetreten waren, niederließ.

Er nahm sein Quartier in der elenden Stube, von der wir unsern Lesern einen Begriff zu geben versucht haben.

Ein Jahr lang bewarb er sich vergebens auf allen Seiten um Lectionen.

Jeder lachte diesem Professor von fünfzehn und einem halben Jahre ins Gesicht.

Erst im zweiten Jahre erhielt er einige Repetitionen; doch das wenige Geld, das sie eintrugen, genügte entfernt nicht für die Nahrung von drei Personen.

Diese Repetitionen nahmen ihm nur drei Stunden im Tage weg; er suchte, welchen andern Erwerbszweig er betreiben könnte.

Da erfuhr er, die Stelle eines Musiklehrers an einem Pensionat von jungen Mädchen sei erledigt: er präsentierte sich, versehen mit einem Empfehlungsbriefe von Herrn Müller an die Vorsteherin der Anstalt.

Justin wurde mit offenen Armen empfangen.

Der gute alte Meister hatte in seinem Briefe gesagt, man würde ihm einen wahren Dienst erweisen, wenn man seinen Schößling annähme und ihm die erledigte Stelle gäbe. Der junge Mann habe es nötig, fügte er bei.

Die Vorsteherin der Anstalt, welche wußte, daß Herr Müller arm war, dachte, sie werde wohlfeilen Kaufes ihren Zweck erreichen.

Sie bot ihm zwanzig Franken monatlich an.

Der alte Professor, der auf seinen Zögling stolz war, rieth ihm, dies auszuschlagen.

Justin nahm das Gebot an.

Mit diesen zwanzig Franken monatlich und dem Gelde der Repititionen konnte man leben. – allerdings bescheiden, sehr bescheiden leben; doch das materielle Leben war gesichert.

Von dieser Seite hatte man also keine ernste Ursache der Besorgniß: die Vergangenheit war schwarz, die Gegenwart war nur düster.

Wo die Unruhe anfing, das war, wenn man den Namen des theuren Meisters im Hause ausgesprochen hatte.

Und die Stunde schlug nicht ein einziges Mal in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas, ohne daß dieser Namen ausgesprochen wurde.

Man war ihm den von ihm geborgten Schatz schuldig: eine Summe von tausend Franken, eine ungeheure Summe, welche Justin nicht einmal in einem Jahre verdiente; wie sie zurückbezahlen? wie Arbeit finden?

Man bewarb sich überall darum.

Wir wiederholen:die Mutter war blind; die Tochter war fleißig, aber von schwächlicher Gesundheit und fast immer krank.

Ein Holzhändler des Boulevard Mont Parnasse brauchte zweimal wöchentlich einen Buchführer.

Justin begab sich zu ihm.

Sein Anzug, ohne sehr dürftig zu sein, war doch höchst bescheiden; der Holzhändler gab fünfzig Franken seinem Vorgänger, einem Vorstadt-Dandy, der nur kam, wenn er keinen Sou mehr in der Tasche hatte, oder wenn ihm seine Liebesabenteuer Zeit ließen.

Der Holzhändler bot Justin fünf und zwanzig Franken: Justin nahm es an.

Mit der strengsten Sparsamkeit brauchte Justin vier Jahre, um die tausend Franken, die er nötig hatte vollständig zu machen.

Seine Repititionen im Griechischen und Lateinischen, seine Lectionen in der Musik seine Buchführung nahmen ihm nicht mehr als acht Stunden im Tage weg.

Es blieben ihm noch vier Stunden Tag und zwölf Stunden Nacht.

Er suchte neue Schüler und einen neuen Gewerbszweig. Justin fühlte sich zu Allem fähig, gestützt auf die doppelte Pflicht seine Mutter und seine Schwester zu erhalten und dem guten Müller sein Darlehen zurückzubezahlen.

Ein neuer Erwerbszweig war leichter zu finden, als neue Schüler.

Es fand ihn.

»Ein paar Schritte vom Hause, ein wenig weiter oben in der Vorstadt, war eine Typographie, wo eine täglich erscheinende Zeitung gedruckt wurde; der Factor, – ein braver Bursche, der wahrscheinlich zwölf Jahre voraus die Revolution von 1830 kommen fühlte, – brach, ohne Zweifel müde, die Bogen royalistischer Elemente seines Patrons, einen hohen Angestellten im Ministerium, zu corrigieren, – der Factor, sagen wir, brach eines Morgens seine Kette, öffnete seine Flügel und entflog.

Der Eigenthümer den Journale und der Drucker, welche am Abend in Verlegenheit waren, wie sie die Correkturen ihres Blattes sollten besorgen lassen, erfuhren, es wohne in der Nachbarschaft ein junger Mann, der mit den für diese mühsame Arbeit erforderlichen Eigenschaften begabt sei.

Man fragte ihn, ob er diese Stelle annehmen wolle.

Diese Stelle war das gelobte Land für Justin.

Justin war so glücklich, nichts von der Politik zu wissen, mit der sich zu beschäftigen er keine Zeit gehabt; so sehr sein Herz hassen konnte, haßte er die Fremden welche in Frankreich eingefallen waren, die Kosaken, die seinen Pachthof angezündet, die Augen seiner Mutter verbrannt seine Schwester zur Waise gemacht hatten.

Meinung hatte er aber keine, oder vielmehr, das arme, ehrliche Wesen! er hatte nur eine, seine Mutter und seine Schwester ernähren; dies tausend Franken Herrn Müller zurückbezahlen.

Man bemerkte ihm, er müsse zwei Drittel der Nacht arbeiten: er nahm dennoch an.

Als man ihn fragte, wie viel er als Verdienst verlangte, antwortete er: »Was Sie wollen.«

Er trat also um die Mitte des Jahres 1818 als Faktor in diese Druckerei ein.

Ein Jahr nachher, auf den Tag, hatte er seinem alten Lehrer die tausend Franken, die dieser ihm geliehen, zurückbezahlt.

Wieder ein Jahr später hatte er sechshundert Franken erspart.

Welche schöne Träume machte der arme Justin! er sah sich nach Verlauf von vier Jahren mit einer Mitgift von dreitausend Franken für seine Schwester und vierhundert Franken Tür die Hochzeitkosten ausgerüstet.

Aber er! er, was war er? Ein Arbeiter, ein Tagelöhner, eine Mühle, deren Ticktack nur von zwei Uhr bis sechs Uhr Morgens still stand.

Von diesen Menschen sprechend, hat ein frommer Mund gesagt: »Arbeiten ist beten.«

Der Traum von Justin hatte das Schicksal von jedem Traume: er entschwand.

»Justin wurde krank, schwer krank eine Hirnhautentzündung führte ihn in acht Tagen an die Pforte des Grabes.

Ein hitziges Fieber, das sie in ihrem Gefolge hatte fesselte ihn zwei Monate an sein Bett.

Ein russisches Sprichwort sagt: die Mißgeschicke kommen in Truppen.

Dieses russische Sprichwort hat Recht, wie wenn es ein französisches oder ein spanischen wäre.

Sobald der arme Justin krank war, entging ihm Alles.

Die Musiklectionen wurden einem von der Mode begünstigten Pianisten übertragen. der keine nötig hatte; doch er war in der Mode; er kam auch nur, wenn er zu kommen Zeit fand.

Die Buchführung wurde dem Dandy zurückgegeben, der sich gebessert zu haben behauptete.

Das royalistische Blatt hatte Bankerott gemacht; es war getödtet worden durch die Heftigkeit, mit der es die unfindbare Kammer zu unterstützen gesucht.

Da aber ein Factor ohne Zeitung ein Luxus war, den sich der verstorbene Eigenthümer nicht erlauben konnte, so Dunkle das gefallene Journal den Faktor ab.

Es blieben die Repetitionen.

Zum Unglück hatte man die Ferienzeit erreicht, und alle Zöglinge waren abgereist.

Glücklicher Weise aber war der gute Müller da; Müller, die Providenz der armen Familie, der Mann, durch den Gott ersetzt worden war, als Gott, mit dem Sturze eines Reiches beschäftigt, seine Blicke von dem demüthigen, in Brand gesteckten Pachthofe abgewandt hatte.

Man hatte ihm seine tausend Franken zurückgegeben: man konnte ihn wieder darum bitten.

Justin machte ihn zum Gegenstand seines ersten Ausgangs, zum Ziele seines ersten Besuches.

Er schleppte sich, noch schwach, indem et sich an den Wänden hielt, zum Professor.

Er fand ihn in seinem Zimmer auf einem kleinen Koffer sitzend, den er so eben geschlossen hatte.

»Ah! bist Du da, Junge!« sagte er, »es freut mich sehr, zu sehen, daß es besser geht.«

»Ja, Herr Müller« erwiderte Justin, »und Sie sehen. mein erster Besuch war Ihnen bestimmt.«

»Ich danke . . . Bei meiner Treue, ich war im Begriff, von Dir Abschied zu nehmen, Dir Lebewohl zu sagen.«

»Wie! Sie reisen also?« fragte Justin mit Besorgniß.

»Ja. mein Freund, ich mache meine große Reise.«

»Welche große Reise?«

»Ich sprach nie mit Dir davon, weil Du, wenn ich davon gesprochen hätte, nicht die tausend Franken, die Du mir zurückgegeben, von mir entlehnt haben würdest.«

»Mein Gott!« murmelte Justin.

»Ich habe Dir gesagt, ich sei von derselben Stadt, wie der berühmte, der große Weber; als Kinder kannten wir uns; als junge Leute liebten wir uns; als Mann habe.ich ihn bewundert! . . . Immer gelobte ich mir, nicht zu sterben, ohne den Autor vom Freischütz und von Oberon wiedergesehen zu haben; durch angestrengte Arbeit, – Du weißt. was das ist! – hatte ich mir tausend Franken erspart, um diese Krone der Freude und des Stolzes meinem Alter aufsetzen zu können; ich war im Begriffe abzureisen, als Du meine armen tausend Franken brauchtest. Ich sagte: ›Bah! wir sind noch jung: Gott wird Weber und mich lange genug leben lassen, daß Justin Zeit hat, mir die tauend Franken, die ich ihm anbieten will, zurückzugeben.‹

»Theurer Herr Müller!««

»Ich habe sie Dir angeboten, mein Kind; Du hast sie genommen; ich sah, wie Du Dich anstrengtes, armer Galerensclave der Ehre, um es dahin zu bringen, daß Du mir das Geld zurückgeben könntest, und ich alter Egoist, der ich Dir hatte sagen müssen: ›Arbeite weniger, Du hast Zeit die Jugend hat Mittel. doch man muß sie schonen!‹ ich sagte Dir nichts von Allem dem mein liebes armes Kind, und ich bitte Dich deshalb um Verzeihung . . . Ich ließ Dich machen; . . . allerdings hörte ich immer wiederholen: ›Der arme Weber ist krank; er hat es auf der Brust und wird es nicht lange treiben!‹ Abgesehen davon, daß in seiner Musik die letzten Seufzer einer entfliehenden Seele waren. In Folge von Entbehrungen hast Du mir die tausend Franken zurückgegeben; Du wirst aber wenigstens zugestehen, daß ich nie hierüber mit Dir sprach.«

»Ach! Herr Müller! . . . «

»Nein. ich schwöre Dir, mein armes Kind, das ist ein Bedürfniß für mich! Kaum hatte ich das Geld in den Händen. als ich mir sagte: ›Gut, das wird für die Ferien sein!‹ Du begreifst? wenn Weber, den ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe, sterben würde! . . . Aber, Gott sei Dank! ich werde ihn zuvor umarmen! . . . Oh! der liebe große Mann! ich habe gestern einen Brief von ihm erhalten; er ist in Dresden beschäftigt, eine deutsche Oper für den König von Sachsen zu componieren. Diesen Morgen habe ich gepackt, meinen Platz nach Straßburg bestellte hier ist mein Schein; heute Abend reise ich ab! Ich wollte zu Dir gehen, um Dich zum Abschied zu umarmt»mein Kind; Du kommst: wir frühstücken mit einander.«

»Ah! Herr Müller,« murmelte Justin mit erstickter Stimme, »ich esse noch nicht.«

»Welch ein Unglück. daß Du nicht mit mir reisen kannst! Nicht wahr, das ist unmöglich?«

»Ganz unmöglich.«

»Ich sehe es ein . . . Deine‹Musikstunden, Deine Repetitionen, Deine doppelte Buchhaltung, Deine Correkturen, Du wirst alles wieder aufnehmen?«

»Ja,« seufzte Justin.

Müller war so freudig gestimmt, daß er diesen Seufzer nicht hörte.

Dieser Seufzer. – so traurig als der letzte Gedanke von Weber, – war doch das Fahre wohl einer äußersten Hoffnung.

Justin hätte nur sagen dürfen: »Ich brauche Ihre tausend Franken, lieber Herr Müller, um nicht mit unvorsichtig raschem Schritte zur Gesundheit zurückzukehren; ich brauche Ihre tausend Franken, um meine Mutter und meine Schwester zu ernähren; Sie werden Weber später sehen, oder Sie werden ihn sogar nicht sehen, aber bleiben Sie guter Herr Müller, bleiben Sie!« Müller hätte vielleicht einen Seufzer so traurig als der, welcher Justin entschlüpfte, ausgestoßen, doch er wäre sicherlich geblieben.

Justin sagte nichts; er umarmte Herrn Müller, nahm von ihm Abschied, ging weinend nach Hause und fiel ganz niedergeschlagen auf sein Bett.

An demselben Tage, um fünf Uhr reiste Müller nach Dresden ab.

Als Müller abgereist war, erschöpfte mau die letzten Mittel.

Wiedergenesend, machte Justin eine neue, Anstrengung, und er ging dahin und dorthin, um sich seine alten Lectionen und neue Lectionen zu erbitten; doch zwei Drittel der Eltern antworteten ihm mit dem philanthropischen Dank: »Sie haben eine zu schlechte Gesundheit!«

Da kam dem jungen Manne, der Alles, fast seinen Muth, seine Hoffnung. seinen Glauben erschöpft hatte, der Gedanke. eine Prirnärschule in dieser armen Vorstadt, welche zu voll an Kindern, zu leer an Mitteln, zu gründen.

Eine wackere Arbeiterin wagte es zuerst, ihm ihren Sohn zu geben; eine Andere, welche im Tagelohn beschäftigt war und den ihrigen nicht behalten konnte, vertraute ihm denselben, mehr um sich seiner zu entledigen, als um ihn die vier Species lernen zu lassen; eine Dritte brachte ihm zwei Schüler zugleich, Zwillinge von sieben Jahren.

Nach Verlauf von sechs Monaten hatte er acht kleine Schüler, von denen die Einen immer blonder, immer frischer, immer rosiger als die Andern. Doch er mußte sie den ganzen Tag behalten, und seine acht Pensionäre trugen ihm monatlich vierzig Franken ein, denn er beschenkte sie, wie wir am Anfange des vorigen Kapitels gesagt haben, für fünf Franken monatlich mit allen Reichthümern den Schreibens, des Lesens und der vier Species.

Das bezahlt man übrigens auch heute noch den armen Schulmeistern dieser verlorenen Quartiere.

Nach zwei Jahren, im Monat Juni 1820, hatte er es zu achtzehn Schülern gebracht, was ihm tausend und achtzig Franken für den Unterhalt seiner Mutter seiner Schwester und von ihm gab, und mit dieser Summe lebten sie alle Drei, da sich das Wort leben streng genommen durch die Paraphrase: Nichts Hungers sterben! übersetzen läßt.

Was Herrn Müller betrifft, – er war nach Dresden gegangen und von dort wieder zurückgekehrt; er hatte Weber gesehen und umarmt; er war seinen ganzen Ferienmonat bei ihm geblieben, und bei seiner Rückkehr hatte er zu Justin gesagt:

»Ich habe bis auf den letzten Sou meine tausend Franken ausgegeben; doch. bei meiner Geige! ich bereue es nicht!«

Die Mohicaner von Paris

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