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Erstes bis viertes Bändchen
XVII
Die Kette des guten Gottes

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Die Kleine, die sie so zu ihrem Erstaunen erblickten, und vor der sie stehen blieben, vergebens umherchauend, um den Vater oder die Mutter zu suchen. trug ein weißes Kleid, das um ihren Leib von einem blauen Bande umschlossen war.

Sie war blond und rosig, und so mitten unter den schon gelben Aehreth den Kornblumen und den Klapperrosen liegend, welche um sie her stehend, wie eine Wiege über ihrem Kopfe bildeten, hatte sie das, Ansehen einer kleinen Heiligen in ihrer Nische oder einer Taube in ihrem Neste.

Ihre mit blauen Stiefelchen bekleideten Füße hingen am Rande des Grabens der Straße mit einen Nachläßigkeit herab, die eine tiefe Ermattung bei dem armen Kinde bezeichnete.

Man hätte glauben sollen, es sei die Fee der Ernte, welche ausruhe von den Anstrengungen des Tages während, der milden Wache des Mondes, der er seine himmlische Bahn durchlaufend mit Liebe anschaue.

Ihr Athem, obgleich ein wenig gepreßt, war sanft wie der sanfteste Ostwind, und unter diesem reinen Hauche schaukelte sich mit Coquetterie der bewegliche Halmschmuck des Korns.

Die zwei Freunde würden die Nacht mit dem Anschauen diesen anbetungswürdigen schlafenden Kindes zugebracht haben, ein solches Entzücken bereitete ihnen diesen frische blonde Köpfchen; als bald aber wurden sie ihrer Beschauung durch die Besorgniß entzogen die ihnen der Gedanke an die Gefahren einflößte, denen in seiner Vereinzelung dieses reizende kleine Wesen preisgegeben War.

Welche Frau war denn seine Mutter, die man der vergebens mit den Augen suchte, und warum ließ sie mitten im Felde, in der Nacht, dem Winde und der Feuchtigkeit ausgesetzt, diesen so schwächlichen und so zarten Körper liegen.

Die arme Kleine mußte schon lange da sein; ihr Schlaf bezeugte es. Die zwei Freunde, welche mitten in ihrem Marsche stehen zu bleiben pflegten, so oft ein streitiger Punkt ihnen schwer festzustellen schien, die zwei Freunde waren ein paar Schritte von da stille gestanden; hier hatten sie ungefähr eine Viertelstunde über folgenden Punkt discutirt, der in der That wohl aufgeklärt zu werden verdiente aber dennoch in der Dunkelheit geblieben war:

»Entlehnt die Schönheit des Gesichts etwas von der Schönheit der Seele oder entlehnt sie nichts?

Und die zwei Freunde hatten während dieser Viertelstunde weder Jemand gesehen, noch gehört.

Wo war denn nur die Mutter dieser Kleinen?

Müde von einem langen Spaziergang, – die Stiefelchen der Kleinen waren mit Staub bedeckt – ruhten übrigens die Eltern der Kleinen vielleicht irgendwo in der Nachbarschaft im Korne.

Justin und Herr Müller hatten schon umhergeschaut, jedoch vergebens; Sie waren so sehr überzeugt, die Mutter der Kleinen könne nicht weiter von ihr entfernt sein, als es eine Grasmücke von ihrem Neste sein kann, daß sie abermals schauten.

Nichts!

Endlich entschlossen sie sich die Kleine zu wecken.

Sie öffnete ein Paar große, azurblaue Augen.

Es war, als sähe man zwei lebendige Kornblumen.

Sie schaute die zwei Männer ohne Schrecken, fast ohne Erstaunen an.

»Was machst Du denn da mein Kind?« fragte Herr Müller.

»Ich ruhe aus« erwiderte die Kleine.

»Wie Du ruhst aus?« riefen gleichzeitig die zwei Männer.

»Ja, ich war sehr müde, konnte nicht mehr gehen, legte mich nieder und bin eingeschlafen.«

Der erste Schrei dieses durch zwei Fremde aufgeweckten Kindes war also nicht, daß es seine Mutter rief!

»Da sagst Du seist müde gewesen, meine Kleine?« wiederholte Herr Müller

»Oh! ja, mein Herr!« erwiderte das Kind, während es seinen Kopf schüttelte, um die blonden Locken seiner Haare wieder an ihren Platz zu bringen.

»Du Hast Also einen weiten Weg gemacht?« fragte der Schulmeister.

»Ja; sehr weit.«

»Wo sind denn Deine Eltern?« sagte der alte Professor.

»Meine Eltern?« erwiderte die Kleine, indem sie sich aufsetzte und die zwei Fremden mit einer Verwunderung anschaute, als hätten sie von Dingen einer unbekannten Welt mit ihr gesprochen.

»Ja, Deine Eltern,« wiederholte Justin mit sanftem Tone.

»Ich habe keine Eltern,« sprach einfach das Mädchen mit demselben Tone, als ab es gesagt hätte: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Die zwei Freunde schauten sich gegenseitig mit Erstaunen an, und schauten dann die Kleine mitleidig an.

»Wie, Du hast keine Eltern?« fragte der Professor.

»Nein, mein Herr«

»Wo ist denn Dein Vater?«

»Ich habe keinen.«

»Deine Mutter?«

»Ich habe keine.«

»Wer hat Dich denn aufgezogen?«

»Meine Amme.«

»Wo ist sie?«

»In der Erde.«

Und die Kleine, indem sie diese Worte sprach, zerfloß in Thränen, jedoch ohne einen Schrei von sich zu geben.

Die zwei Freunde wandten sich gerührt jeder auf eine Seite um, um vor einander zu verbergen, daß sie weinten.

Die Kleine blieb unbeweglich und schien neue Fragen zu erwartet.

»Wie kommt es, daß Du ganz allein hier bist?« fragte Herr Müller nach einer Pause von einem Augenblick.

Sie wischte nun ihre Augen mit dem Rücken ihres Händchens ab; ihre, um wie der Kelch einer Blume den Thau ihrer Thränen zu empfangen, vorwärts gerundete Unterlippe schloß sich wieder und nahm wieder ihren Platz ein.

Dann antwortete sie mit zitternder Stimme:

»Ich komme vom Lande.«

»Von welchem Lande?«

»Von der Bouille.«

»Bei Rouen?« fragte Justin mit Freude, als wäre er, der selbst aus der Gegend von Rouen, entzückt gewesen, der Landsmann dieses schönen Kindes zu sein.

»Ja, mein Herr,« antwortete das Mädchen.

In der That, das war ein frisches Kind der Normandie mit prallen. fleischigen Backen, ein Mädchen weiß und rosenfarbig, ein wahres blühendes Apfelbäumchen.

»Wer hat Dich denn aber hierher gebracht?« fragte der alte Meister.

»Ich bin allein gekommen.«

»Zu Fuße?«

»Nein, im Wagen bis Paris.«

»Wie, bis Paris?«

»Ja, und zu Fuße von Paris bis hierher.«

»Und wohin gingst Du?«

»Ich ging in eine Vorstadt von Paris. in den Faubourg Saint-Jacques wie sie es nennen.«

»Und was wolltest Du dort machen?«

»Ich wollte dem Bruder meiner Amme einen Brief von unserem Pfarrer bringen.«

»Damit der Bruder Deiner Amme Dich bei sich aufnehme, ohne Zweifel?«

»Ja, mein Herr.«

»Wie kommt es nun, mein Kind, daß Du Dich hier befindest?«

»Weil die Diligence zu spät angekommen ist, wie man gesagt hat. – so daß Jedermann in der Vorstadt über Nacht blieb. Da sah ich die Barrière, ich dachte es müssen Felder in der Nähe sein, suchte und fand dieses.«

»Somit warst Du hier in Erwartung des Morgens, um Dich zu der Person zu begeben, der Du empfohlen bist?«

»Ist Will Herr, so ist es: ich wollte den Tag erwartend wachen, doch ich bin zwei Nächte in kein Bett gekommen: ich war müde, streckte mich unwillkürlich auf der Erde aus, und sobald ich lag, entschlief ich.«

»Du hast keine Angst, daß Du so in freier Luft liegst?«

»Wovor soll ich Angst haben? fragte das Mädchen mit dem stolzen Vertrauen der Blinden und der Kinder, die, da sie nichts sehen, nichts zu fürchten vermöchten.

»Aber,« versetzte Herr Müller, erstaunt über den offenen Verstand, mit dem alle diese Antworten gegeben wurden, »fürchtest Du nicht wenigstens die Feuchtigkeit, die Kälte?«

»Oh!« erwiderte sie, »schlafen die Bügel und die Blumen nicht in den Feldern?«

So viel naive Vernunft in einem Kinde von diesem Alter, so viel Anmuth, so viel Elend bewegten tief das Herz der zwei Freunde.

Es war die Vorsehung selbst, welche dieses Kind hierher gebracht, um Justin dadurch zu trösten, daß sie ihm zeigte, es gebe unter dem gestirnten Himmelsgewölbe Geschöpfe, welche noch mehr enterbt als er.

Sie brauchten nicht mit einander zu berathen, um über den Entschluß, der zu fassen wäre, überein zu kommen; Beide boten gleichzeitig der Kleinen an, sie mitzunehmen.

Doch sie schlug es aus.

»Ich danke! meine guten Herren,« sagte sie, »nicht für Sie habe ich einen Brief.«

»Gleichviel,« versetzte Justin,»komm immerhin bis morgen, und morgen wirst Du, wenn Du willst, zum Bruder Deiner Amme gehen.«

Und der junge Mann bot zu gleicher Zelt die Hand der Waise, um ihr über den Graben springen zu helfen.

Doch sie weigerte sich aufs Neue und sagte. indem sie nach dem Monde, dieser Uhr der Armen schaute:

»Es ist ungefähr Mitternacht, der Tag wird in drei Stunden kommen; es ist nicht der Mühe werth, daß ich Sie belästige.«

»Ich versichere Dich, daß Du uns nicht belästigst.« versetzte Justin, der immer die Hand gegen sie ausgestreckt hielt.

»Und dann, fügte der Professor bei, »wenn eine Abtheilung Gendarmen vorbeikäme, würdest Du verhaftet.«

»Warum sollte man mich verhaften?« entgegnete das Mädchen mit der Logik der Kindheit, welche oft die geschicktesten Advokaten in Verlegenheit setzt. »Ich habe Niemand etwas Böses gethan.«

»Man würde Dich verhaften, mein Kind,« sagte Justin, »weil man Dich für eines von den schlimmen Kindern halten könnte, die man Vagabunden nennt und bei Nacht verhaftet . . . Komm also!«

Justin hatte aber nicht nötig: »Komm also!« zu sagen. Sobald sie das Wort Vagabund hörte, sprang die Kleine über den Graben, Faltete die Hände und sprach mit flehender Stimme:

»Oh! nehmen Sie mich mit, meine guten Herren! nehmen Sie mich mit!«

»Gewiß, mein schönes Kind, nehmen wir Dich mit,« erwiderte der Professor; »gewiß nehmen wir Dich mit.«

»Wohl! wohl!« rief Justin. »So komm geschwinde; ich will Dich zu meiner Mutter und zu meiner Schwester führen; sie sind Beide sehr gut; sie werden Dir Abendbrod geben und Dich dann in ein warmes Bett legen. Du hast vielleicht lange nicht gegessen??

»Ich habe seit heute Morgen nicht gegessen.«

»Ach! die arme Kleine!« rief mit eben so viel Entsetzen als Liebfreundlichkeit der Professor, dessen vier Mahle täglich mathematisch geregelt waren.

Die Kleine täuschte sich im Sinne des zugleich egoistischen und mitleidigen Ausrufs des guten Müller; sie glaubte, man klage den Pfarrer; der sie in die Diligence gebracht, an, daß er es ihr an Proviant habe fehlen lassen; sie beeilte sich daher, ihn zu rechtfertigen, und sagte:

»Oh! das ist meine Schuld; ich hatte Brod und Kirschen, doch das Herz war mir so schwer, daß ich nicht essen konnte. Und sehen Sie,« fügte sie bei, indem sie ein in ihrer Nähe im Getreide verborgenes Körbchen, in welchem sich wirklich ein wenig verwelkte Kirschen und ein wenig ausgetrocknetes Brod fanden, an sich zog, »hier ist der Beweis.«

»Du mußt zu müde sein, um gehen zu können,« sprach Justin zu dem Kinde. »ich will Dich tragen.«

»Oh! nein,« erwiderte muthig die Kleine, »ich würde noch eine Meile zu Fuße machen«

Die zwei Freunde wollten es nicht glauben, und trotz der wiederholten Weigerungen des Kindes streckten sie ihre Arme kreuzweise gelegt aus, verketteten sich durch die Hände, und nachdem die Kleine jeden ihrer Arme um den Hals von einem der Freunde geschlungen hatte, hoben sie sie bis zur Höhe ihres Gürtels auf und schickten sich an, sie auf diesem Palankin von Menschenfleisch wegzutragen, den die Kinder mit dem ausdrucksvollen Namen Kette des guten Gottes bezeichnen.

Doch in dem Augenblick, wo sie sich auf den Weg begeben wollten, hielt sie die Kleine zurück.

»Mein Gott,« sagte sie. »ich habe also den Kopf verloren?«

»Was gibt es, mein Kind?« fragte mit Theilnahme Justin.

»Ich habe den Brief unseres Pfarrers vergessen.«

»Wo ist er?«

»In meinem Päckchen.«

»Und wo ist Dein Päckchen?«

»Dort, im Getreide, beidem Platze, wo ich mit meinem Kornblumenkranze lag.«

Und sie entschlüpfte ihren Armen, sprang über den Graben, ergriff ihr in eine Serviette gewickeltes Päckchen und ihren Blumenkranz, setzte mit einer außerordentlichen Behendigkeit abermals über den Graben, und nahm wieder ihren Platz auf den Händen der zwei Freunde, die sich alsbald nach der Barrière wandten, welche man auf zwei bis dreihundert Schritte erblickte.

Die Mohicaner von Paris

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