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Erstes bis viertes Bändchen
XXIII
Die Moschiten

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Es gibt in Indien, besonders in Korrah, ein häßliches Insekt, eine Art von Mücke genannt Moschit, dessen Stich höchst gefährlich ist; es begnügt sich nicht damit, daß es das Blut aussaugt wie der Zinzaro, oder mit einem Stachel sticht wie die Wespe; es legt in das Loch, welches es seinem Opfer ins Fleisch gemacht hat, ein kleines Ei, das in drei Tagen auskriecht, und einen Wurm gebiert, der wiederum eine Anzahl anderer Würmer erzeugt, die Euch bei lebendigem Leibe verzehren.

Meistens stirbt man hieran in zwölf bis dreizehn Tagen.

Um diesem Unfall zuvorzukommen, muß man, sobald man sich gestochen fühlt auf der mit einem Bistouri losgestrammten Wunde ein Blatt Kautabak ausbreiten.

Es gibt rings um uns her, in Europa, in Frankreich, in Paris, allerdings unter einer andern Form, aber noch gefährlichere Insekten in der Art der Maschiten von Korrah: das sind die Nachbarn.

Gefährlicher haben wir gesagt, denn man weiß, welchen Balsam man auf die von der Mücke gemachte Wunde anzuwenden hat, während die von den Nachbarn gemachten Wunden tödtlich sind.

Der Nachbar ist ohne Mitleid. ohne Gemüth, ohne Herz; er tritt bei Euch durch die Thüre ein, wenn Ihr die Thüre offen laßt; durch das Fenster, wenn Ihr das Fenster offen laßt; durch das Schlusseilloch, wenn Ihr das Fenster schließt. Er stiehlt Euch Euer Geheimnis mit derselben Frechheit, mit der Euch der abgefeimteste Dieb in der Nacht Euer Geld stiehlt; dabei findet in dessen ein Unterschied zwischen den Nachbarn und den Dieben zum Vortheil des Diebes statt: der Dieb setzt wenigstens sein Leben aufs Spiel, während der Nachbar das Leben der Andern aufs Spiel setzt.

Man würde sich mit einem Seufzer begnügen und sich in diese Geißel fügen, wie sich Indien in die Cholera fügt, wie sich Aegypten in die Pest fügt, wie die Engländer sich in den Nebel fügen, wenn in der Naturgeschichte nachgewiesen wäre, das Gebrechen, das man die Nachbarschaft nennt, klebe der ganzen Gattung an; aber keines Weges; es ist dem privilegierten Lande, das man Frankreich nennt, eigenthümlich; überall, in Deutschland, in England, in Spanien, hat man die Achtung von den Andern, weil man die Selbstachtung hat.

In unserem Frankreich allein, in sein Zimmer zurückgezogen, bei verschlossener Thüre und verschlossenen Läden fühlt man um sich her das Auge und das Ohr des Nachbars.

Nicht als wäre er Euch gerade gehässig, nein – dann würde der Strafcodex eine Rechtfertigung für ihn zulassen; oft sogar, wenn er Euch Böses anthut, geschieht es unwillkürlich, obschon er es immer thut; nein: er will ganz einfach sehen, was bei Euch vorgeht; Ihr seid ihm Rechenschaft schuldig über das, was in Eurem Hause gesagt wird, geschieht; Ihr seid sein natürlicher Schuldner; er ist Gläubiger Eures Glückes.

Außerdem sind alle diese Leute redlich, wenn Ihr wollt; sie beobachten die im Bulletin aufgeführten Gesetze; sie unterwerfen sich streng allen Polizeiverordnungen; sie bezahlen pünktlich ihre Steuern, fegen die Schwelle ihrer Bude im Winter, besprengen das Vordertheil ihres Magazins im Sommer, halten ein neues Brunnenfell für den Brandfall bereit, gehen am Sonntag in die Kirche, am Montag ins Theater, beziehen einmal wöchentlich die Wache, kurz, sie führen sich auf wie Jedermann, vergessen jedoch, daß die Discretion eine erhabene Tugend ist, und die Neugierde natürlich ein abscheuliches Laster.

Wir verzweifeln auch gar nicht, binnen einigen Jahren, – das fängt schon an, – die intelligente Bevölkerung von Paris diese Kasernen, welche man die Häuser von vier Stockwerken nennt, verlassen und mit Hilfe der Eisenbahnen sich aus einen Rayon von zehn Stunden um Paris in abgesonderte Wohnungen verbannen zu sehen, wo die Schwächen der Einen verborgen und die Tugenden der Andern vor dem Verdachte geschützt sein werden.

Das Wort, das der Straßenjunge ausgesprochen: der Liebhaber der Kleinen, war übrigens nicht das erste dieser Art, von dem die Ohren von Justin betroffen worden.

Mehr als einmal, wenn er mit dem Mädchen am Arme durch die Vorstadt ging, hatte er in den Augen der Nachbarn spöttische Blicke und auf ihren Lippen zweideutiges Lächeln wahrgenommen.

Dieses schöne Mädchen, am Arme des jungen Mannes, das mit ihm ausging, während er weder der Gatte, noch der Bruder, war das nicht etwas, um darein zu beißen und hieß das nicht die am wenigsten scharfen Zähne der Vorstadt versuchen?

Es ist wahr, man hatte Mina als Kind gekannt; doch plötzlich vergessend, daß man sie nach und nach hatte heranwachsen sehen, wollte man sie nicht für das nehmen, was sie war, nämlich für ein großes, heirathsfähiges Frauenzimmer, das aber nicht heirathete.

Man suchte auf jede Weise die Ursache dieses doppelten Cölibats zu finden; man vergaß, daß keine Zeit verloren war, da Mina kaum fünfzehn und ein halbes Jahr zählte; man dachte, es stecke ein Geheimnis dahinter; die Neugierigsten ließen sich wie diebische Vögel auf die Familie nieder, um ihr ihr Geheimnis zu stehlen; sie wurden sanft zurückgetrieben; man war auf Muthmaßungen reduziert; von Muthmaßungen ging man zu den Geschwätzen über und von den Geschwätzen zum Geschrei. Endlich mischte sich die Verleumdung darein, klopfte an die Schwelle des friedlichen Hauses, stieg von Stufe zu Stufe hinauf, und erstürmte es völlig.

Das Leben war so nicht mehr möglich. Justin hatte den Gedanken, auszuziehen; doch das Quartier verlassen hieß Gefahr laufen, ein schlimmeres zu finden, hieß der Bosheit der Nachbarn Recht geben; und dann, im Grunde war es leicht, von diesem Hause zu scheiden, wo man zugleich so glücklich und so elend gelebt hatte? war es nicht ein Theil von sich selbst, den man so fern von sich werfen sollte? war nicht das ganze Leben dieser vier Personen in unvertilgbaren Charakteren an die Wände dieser zwei Stockwerke geschrieben?

Nein. das war mehr als schwierig, das war unmöglich!

Man verzichtete also darauf, das Haus zu verlassen; da man jedoch einen Entschluß fassen mußte, da man nicht mit einem Rasirmesserschnitte alle schlimme Zungen des Quartiers abschneiden konnte, so beschloß man, den alten Professor um Rath zu fragen.

Dazu griff man übrigens immer in verzweifelten Lagen

Herr Müller kam zur gewöhnlichen Stunde; man ließ das Mädchen in der Wohnung oben: die Mutter ging für dies Mal in das Zimmer ihres Sohnes hinab, und als alle Vier, Herr Müller die Mutter, die Schwester und der junge Mann, versammelt waren, hielt man einen Familienrath.

Der Rath des alten Professors war ganz einfach.

»Laßt Morgen die Kinder als Verlobte aufbieten, und verheirathet sie in vierzehn Tagen.«

Justin gab einen Freudenschrei von sich.

Dieser Rath von Müller entsprach dem Verlangen seines Herzens.

Eine Heirath brachte in der That sogleich jeden Verdacht zum Schweigen. Man hatte also nicht zu schwanken, es war unnütz, ein anderes Mittel zu suchen; dieses war das wahre, das gute, das einzige.

Man würde diesen Beschluß gefaßt haben, hätte die Mutter nicht die Hand ausgestreckt und gesagt.

»Einen Augenblick Geduld! ich habe nur eine Einwendung zu machen, doch sie ist ernst.«

»Welche?« fragte Justin erbleichend.

»Es gibt keine Einwendung,« sprach der alte Professor.

»Doch. Herr Müller,« erwiderte Madame Corby, »es gibt eine.«

»Welches Lassen Sie hören.«

»Sprechen Sie, meine Mutter, murmelte Justin mit zitternder Stimme.

»Man kennt die Eltern von Mina nicht.«

»Ein Grund mehr, daß sie über sich selbst verfügt, da sie nur von sich allein abhängt, versetzte der alte Professor.

»Und dann,« wagte schüchtern Céleste zu bemerken, die Eltern von Mina haben auf sie von dem Tage an verzichtet, wo sie aufhörten, die Rente zu bezahlen, die sie der Mutter Boivin zukommen zu lassen sich verpflichtet hatten.«

Diese fast mit leiser Stimme, durch einen schüchternen Mund, gemachte Bemerkung schien indessen Justin vortrefflich.

»Ah! Ja!« rief er, »Céleste hat Recht.«

»Ich glaube wohl, daß sie Recht hat,« sagte der Professor.«

»Sie könnte in der That nicht Unrecht haben, erwiderte Madame Corby, und ich will einen Mittelweg vorschlagen, der hoffentlich Jedermann befriedigen wird.«

»Sprechen Sie, meine Mutter,« rief Justin; »wir wissen Alle, daß Sie die auf hie Erde herabgestiegene Weisheit sind.«

»Die Gesetze erlauben erst mit fünfzehn Jahren und fünf Monaten zu heirathen; heirathet Ihr sogleich, so werdet Ihr das Ansehen haben, als hättet Ihr nur auf den Augenblick wo das Gesetz die Heirath erlaubte, gewartet und von seiner Wohlthat mit einer Geschwindigkeit Gebrauch gemacht, deren Intention schlecht ausgelegt werden kann.«

»Das ist wahr, Justin.« sagte der Professor.

Justin seufzte.

Es ließ sich in der That nichts hierauf erwidern.

»In sieben Monaten, am nächsten 5. Februar wird Mina sechzehn Jahre alt; warten wir so lange. Sechzehn Jahre, das ist beinahe das Alter der Vernunft für eine Frau; es ist wichtig. mein Sohn. daß man erfahre, Mina habe sich gegeben: heirathest Da sie heute, so hättest Du das Ansehen, Du habest sie genommen.«

»Und dann?« fragte Justin ganz zitternd vor Freude.

»Dann, da der Pfarrer der Bouville zur Stunde den Vormund von Mina vertritt, wirst Du Dir zum Voraus die Einwilligung des würdigen Priesters verschaffen, und am nächsten 6. Februar wird Mina Deine Frau sein«.

»Oh! meine Mutter! meine gute Mutter!« rief Justin. Und er fiel vor seiner Mutter auf die Kniee, drückte sie an sein Herz und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.

»Aber mittlerweile?« fragte Céleste.

»Ja,« sagte der Professor, »mittlerweile werden die Schwätzereien, die Verleumdungen ihren Fortgang nehmen.«

»Man müßte auch daran bedacht sein, Mina während der sieben Monate irgendwohin zu bringen.«

»Irgendwohin, meine Mutter? Wohin sollen wir sie denn bringen, die Arme?«

»In ein Pensionat . . . gleichviel, wohin, wenn sie nur nicht hier bleibt.«

»Ich kenne Niemand, dem ich Mina anzuvertrauen mich entschließen würde!« rief Justin.

»Warten Sie doch, warten Sie doch.« versetzte der gute Professor, »ich habe, was Sie brauchen.«

»Wahrhaftig, mein lieber Herr Müller?« fragte Madame Corby, indem sie mehr der Stimme des alten Professors, als dem alten Professor selbst, den sie nicht sah, die Hand reichte.

»Was haben Sie im Blicke und man wollen Sie uns vorschlagen?« fragte Justin mit dem Tone entschiedener Ungeduld.

»Was ich vorschlagen will, mein lieber Justin? Das Einzige, bei Gott! was unter den schwierigen Umständen, in denen wir uns befinden, vorzuschlagen ist. Ich habe in Versailles eine alte Freundin von dreißig Jahren her, die einzige Frau, dies ich vielleicht geliebt haben würde,« fügte der gute Professor mit einem Seufzer bei, »wenn ich Zeit gehabt hätte; sie hält gerade ein Pensionat von Mädchen: Mina wird diese sieben Monate bei ihr bleiben, und einmal in der Woche . . . nun, einmal in der Woche wirst Du ihr Deinen Besuch im Sprachzimmer machen . . . Steht Dir das an, mein Junge?«

»Ei! das muß mir wohl anstehen,« erwiderte Justin.

»Potz Tausend! wie schwierig Du wirst! vor sechs Monaten hättest Du das mit schönen Kußhänden angenommen.«

»Und ich nehme es noch mit Dank an, mein guter, theurer Freund,« sprach Justin, indem er Müller beide Hände reichte.

»Und Sie. was sagen Sie, liebe Madame Corby?« fragte der Professor.

»Ich sage, daß Sie schon morgen mit Justin nach Versailles gehen müssen, lieber Herr Müller.«

Hiernach trennte man sich, indem man sich Rendezvous in der Rue de Rivoli bei der Station gab, wo man zu jener Zeit die Gondoles7 nahm; das waren die einzigen Wagen, welche mit den Coucous8 der Place Louis XV. den Transport der Reisenden von Paris nach Versailles besorgten.

Nach einer Unterredung von einer Viertelstunde mit der Vorsteherin des Pensionats bemerkte der junge Mann daß Müller die soliden Tugenden seiner alten Freundin durchaus nicht übertrieben habe.

Als sie erfuhr, welches Interesse Müller für ihre zukünftige Pensionaire hegte, erbot sie sich Mina für den Preis ihrer Kost zu nehmen, und man kam überein, sie am nächsten Sonntag zu bringen.

Die zwei Freunde verließen das Pensionat entzückt über die Vorsteherin und kehrten zu Fuß durch den Wald von Versailles zurück, der für sie von unaussprechlichen Erinnerungen erfüllt war.

Wir sagten, man habe von diesem Familiencomplott nichts gegen Mina merken lassen, die Arme wußte also nicht das erste Wort davon. Sie hatte wohl einiges Geflüster gehört; sie hatte wohl die Einen und die Andern sich gewisse Blicke zuwerfen sehen, deren Ausdruck sie nicht ganz verstand, sie fühlte unbestimmt, daß ein Geheimnis sie umschwebte; sie witterte es, so zu sagen, jedoch ohne die Spuren davon finden zu können.

Diese Kunde traf sie also eines Morgens wie ein Donnerstreich. Sie hatte nie gedacht, ihr Leben könnte, sich ändern,. so sehr hatte sie sich aus diesem Leben eine süße Gewohnheit gemacht; wie die Mauer des Hofes ihr ganzer Horizont war, so war ihr Leben in der Familie von Justin ihre ganze Zukunft; es war ihr nie in den Sinn gekommen, sie könnte eine andere Zukunft oder einen andern Horizont haben; sie verschloß freiwillig ihre Augen ihrem Geschicke, ohne etwas Anderes zu denken, wenn die Blätter fielen, als der Winter sei nahe, ohne etwas Anderes zu sehen, wenn die Blätter wiederkamen, als die Rückkehr des Frühlings.

Eines Tags hatte sie die Mutter gefragt:

»Was wird nach meinem Tode aus Dir werden mein Kind?«

»Ich werde Ihnen folgen,. hatte Mina lächelnd geantwortet; »müssen Sie nicht Jemand haben, der Sie im Himmel bedient wie auf der Erde?«

»Im Himmel werde ich alle Engel des Paradieses um mich haben.«

»Das ist wahr; doch sie haben nicht, rote ich fünf Jahre mit Ihnen gelebt.«

Und wie es ihr unmöglich geschienen, die arme Blinde zu verlassen, so schien es ihr unmöglich, je das Haus zu verlassen. Mit tiefem Kummer nahm sie also die Kunde dieser plötzlichen Abreise auf; man erklärte ihr Anfangs die Gründe davon nur sehr unvollkommen; sie war so rein, daß sie nicht zu begreifen vermochte, man könne von ihren Ausgängen übel reden, sie war so keusch, daß sie nicht wußte, welche Folgerungen man aus ihrem Zusammenwohnen mit einem jungen Manne ziehen konnte.

Sie würde unschuldig in seinem Zimmer geschlafen haben, ohne daß es ihr eingefallen wäre, es konnte Jemand etwas daran zu mißbilligen finden.

Man mochte ihr immerhin zu verstehen geben, es sei ein Gebrauch, der Gesetzeskraft habe, daß ein sechzehnjähriges Mädchen nicht in demselben Hause mit einem jungen Manne wohnen dürfe; trotz der Ansicht der Mutter und der Schwester, trotz der Meinung selbst des Professors, wollte sie es nicht glauben, und sie nahm nie das seltsame Princip an, man könnte sich darüber aufhalten, daß man Justin mit ihr wohnen sah, während man sich nicht darüber aufhielt, daß er mit Céleste wohnte.

Mit beklommenem Herzen und die Augen voller Thränen sollte sie also dieses traurige Haus verlassen, das für sie das Paradies ihres Glückes geworden war.

7

Gondeln

8

Kukuke

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