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Fünftes bis achtes Bändchen
XXXI
Rose-de-Noël

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Eines Abends, – das war am 20. August ungefähr um neun Uhr, – kam die Brocante mit einem Karren, den Justin im Hofe hätte sehen können, und mit einem Esel, den er hätte können in einem Stalle schreien hören, – die Brocante kam, sagen wir, von einem Verkaufe einer Last Lumpen in der Papierfabrik in Essonne zurück, da sah sie am Rande der Straße, als käme sie aus dem Graben hervor, die Silhouette eines Kindes sich erheben, das mit offenen Armen, mit bleicher Stirne, die Brust keuchend, den ganzen Leid schauernd, und mit allen Zeichen des tiefsten Schreckens auf sie zustürzte und schrie:

»Zu Hilfe! zu Hilfe! zu Hilfe!«

Die Brocante gehörte zu jener Rare von Zigeunerinnen, die den seltsamen Instinkt hat, die Kinder zu entführen, wie die Raubvögel die Lerchen und die Tauben entführen; sie hielt ihren Esel an, sprang von ihrem Karten herab, nahm die Kleine in ihre Arme, stieg wieder mit ihr auf und peitschte ihren Esel.

Und wir müssen sagen, indem sie diese Handlung vollbrachte, hatte sie viel mehr das Ansehen einer Wölfin, die ein Lamm fortschleppt, als einer Frau, die ein Kind rettet.

Schnell wie der Gedanke, war dieses Ereigniß fünf Meilen von Paris zwischen Juvisy und Fromenteau vorgefallen.

Die Kleine kam von der linken Seite der Straße.

Ganz nur beschäftigt, sich rasch zu entfernen, dachte die Brocante erst nachdem sie ungefähr eine Viertelmeile im Trabe ihres Esels gemacht, daran, das Kind zu untersuchen.

Die Kleine war baarköpfig, ihre langen Haare, deren Flechten sich entweder bei dem Laufe, den sie gemacht, oder in dem Kampfe, den sie ausgehalten, aufgelöst hatten, hingen hinten ihr herab; ihre Stirne rieselte von Schweiß; ihre Füße zeugten von einem langen Laufe querfeldein, und ihr weißes Kleid war ganz durchfurcht von einer Blutrinne, die aus einer zum Glücke nicht sehr tiefen Wunde kam, welche mit einem spitzigen oder schneidenden Instrumente gemacht oder vielmehr versucht worden zu sein schien.

Einmal im Karren, war die Kleine, welche höchstens fünf bis sechs Jahre alt zu sein schien, – den Umstand benützend, daß die Brocante beide Hände brauchte, um ihren Esel zu führen und zu peitschen, – wie eine Natter vom Schooße der alten Frau auf den Boden des Karrens geschlüpft und hatte sich in die entfernteste Ecke geflüchtet, von wo sie alle Fragen nur mit den Worten erwiderte:

»Sie läuft mir nicht nach? nicht wahr, sie läuft mir nicht nach?«

Wonach die Brocante, welche, wie es schien, ebenso sehr als das kleine Mädchen verfolgt zu werden befürchtete, den Kopf verstohlen aus ihrem Karten hervorstreckte, auf die Straße schaute, und da sie dieselbe öde und verlassen sah, das Kind beruhigte, bei dem der Schrecken so groß zu sein schien, daß die materielle Thatsache seiner Wunde und der Schmerzen, die es hierdurch empfinden mußte, nur eine fast vergessene Einzelheit war.

Gegen Mitternacht, – dergestalt hatte die Brocante, den Eifer des Mädchens unterstützend, den Esel zu raschem Trabe angetrieben, – gegen Mitternacht kaut man an der Barrière von Fontainebleau an.

Beim Gitter durch die Octroi-Beamten angehalten, brauchte die Brocante nur ihren Kopf zu zeigen und zu sagen: »Ich bin es, die Brocante,« und da die Octroi-Beamten sie einmal im Monat mit ihrer Ladung Lumpen heran fahren und am andern Tage mit dem leeren Karten zurückkommen zu sehen gewohnt waren, so entfernten sie sich sogleich, und der Esel, der Karren, die alte Frau und das kleine Mädchen zogen in die Stadt ein.

Durch die Rue Monffetard und die Rue de la Clef reichten sie sodann die Rue Triperet.

Das in der entferntesten Ecke des Karrene gekauerte oder vielmehr auf sich selbst zusammengerollte Mädchen hatte, wie gesagt, kein anderes Lebenszeichen von sich gegeben, als daß es von Zeit zu Zeit die Brocante mit einer Stimme voll unaussprechlicher Angst gefragt:

»Sie läuft mir nicht nach? nicht wahr, sie läuft mir nicht nach?«

Kaum war sie vom Wagen herabgestiegen, da stürzte sie in den Gang, sie erreichte, als hätte sie die Fähigkeit, bei Nacht zu sehen, die Treppe und kletterte so rasch die Stufen hinauf, als es nur die behendeste Katze hätte thun können.

Die Brocante stieg hinter ihr hinauf, öffnete die Thüre ihres elenden Winkels und sagte zu dem Mädchen:

»Tritt ein, Kleine! Niemand weiß, daß Du hier bist; sei also ruhig.«

»Sie wird mich nicht hier suchen?« fragte das Kind.

»Es ist keine Gefahr.«

Und die Kleine schlüpfte wie ein Wiesel durch die geöffnete Thüre.

Die Brocante machte die Thüre zu und verschloß sie mit dem Schlüssel; dann ging sie hinab, um ihren Karren unter den Schuppen und ihren Esel in den Stall zu bringen.

Wieder hinaufsteigend, nahm sie dieselben Vorsichtsmaßregeln, schloß die Thüre hinter sich, und schob den Riegel vor.

Sie zündete ein auf dem Scherben einer zerbrochenen Flasche aufgespießtes Lichtstümpchen an und suchte, mit diesem bleichen Scheine leuchtend, die arme kleine Flüchtige.

Diese war tappend in den entferntesten Winkel des Speichers gelangte hier war sie niedergekniet und sprach nun Alles, was sie von Gebeten wußte.

Die Brocante rief ihr.

Aber die Kleine machte ihr mit dem Kopfe ein Zeichen der Weigerung.

Die Brocante nahm sie bei der Hand und zog sie nach sich.

Die Kleine kam, jedoch mit einem offenbaren Widerwillen.

Die Alte zog sie an sich, um sie zu befragen.

Doch auf alle ihre Fragen erwiderte das Kind nur die Worte:

»Nein, sie würde mich tödten!«

So konnte die Brocante weder erfahren, aus welcher Gegend das Kind war, noch wer seine Eltern, noch wie es hieß, noch warum man es tödten wollte, noch warum man ihm die Wunde gemacht, die es an der Brust hatte.

Die Kleine beobachtete fast ein Jahr lang eine völlige Stummheit; nur einmal rief sie in ihrem von einem erschrecklichen Traume bewegtest Schlafe, einem gräßlichen Alp preisgegeben:

»Ah! Gnade! Gnade, Madame Gerard! ich habe Ihnen nichts zu Leide gethan; tödten Sie mich nicht!«

Alles, was man also wußte, war, daß die Frau, die sie hatte tödten wollen Madame Gèrard hieß.

Was das Kind betrifft, da man es mit irgend einem Namen rufen mußte, und da es so bleich war, als die Rosen. welche mitten im Winter blühen, so nannte es die Brocante, ohne zu vermuthen, welche poetische Taufe sie ihm gab, Rose-de-Noël.10

An demselben Abend, als sie sah, daß die Kleine nichts sagen wollte, zeigte ihr die Brocante in der Hoffnung, sie werde am andern Tage ein wenig geschwätziger sein, eine Art von Bett, auf dem ein Kind lag, das ein paar Jahre älter als sie, und hieß sie bei dem Kinde Platz nehmen.

Doch sie weigerte sich hartnäckig: die Farbe der Matratze, der Schmutz der Decke widerstrebten der Klenen, welche ihre feine Wäsche und der elegante Schnitt ihren Kleides als einer reichen Familie angehörend bezeichneten.

Sie nahm einen Stuhl, lehnte ihn an die Wand an, setzte sich darauf und sagte, sie werde so sehr gut sein.

Sie brachte die Nacht wirklich auf diesem Stuhle zu.

Bei Tagesanbruch entschlief sie aber.

Gegen sechs Uhr Morgens, während das Kind schlief, stand die Brocante auf und verließ das Haus.

Sie ging nach der Rue Neuve-Saint-Médard, um einen vollständigen Anzug für das kleine Mädchen zu kaufen.

Die Rue Neuve-Saint-Médard ist der Temple des Quartier Saint-Jacques..

Dieser vollständige Anzug bestand aus einem Kleide von blauem Baumwollzeug mit weißen Tüpfeln, einem gelben Halstuche mit rothen Blumen, einer Kinderhaube, zwei Paar wollenen Strümpfen und einem Paar Schuhe.

Das Ganze hatte sieben Franken gekostet. Die Brocante hoffte wohl die Verlassenschaft des kleinen Mädchens um die vierfache Summe zu verkaufen.

Eine Stunde nachher kam sie mit ihrem Einkaufe zurück; sie fand die Kleine immer noch auf ihrem Strohstuhle gekauert und allen Lockungen widerstehend, die ihr Babolin machte, um sie zu bestimmen, mit ihm zu spielen.

Als sich der Schlüssel im Schlosse drehte, zitterte das kleine Mädchen an allen Gliedern, als die Thüre sich öffnete, wurde es bleich wie der Tod.

Da sie die Kleine einer Ohnmacht nahe sah, fragte sie die Brocante, was sie habe.

»Ich glaubte, sie sei es!« antwortete das Mädchen.

»Sie! . . . « Also war es entschieden eine Frau, die es floh.

Die Brocante breitete auf einem Schemel das blaue Kleid, das gelbe Halstuch, die Haube, die Strümpfe und die Schuhe aus.

Das Kind schaute ihr mit einer gewissen Unruhe zu.

»Komm hierher!« sagte die Brocante zu der Kleinen.

Ohne sich vom Stuhle zu rühren, deutete die Kleine mit dem Finger auf die Kleider.

»Diese Kleider sind nicht für mich?« fragte sie mit«einer verächtlichen Miene.

»Und für wen denn?« sagte die Brocante.

»Ich werde sie nicht anziehen,« erwiderte das Kind.

»Du willst also, daß Sie Dich wieder erkennt?«

»Nein, nein, nein, das will ich nicht.«

»Dann mußt Du diese Kleider anziehen.«

»Und mit diesem Anzug wird sie mich nicht erkennen?«

»Nein.«

»Dann kleiden Sie mich sogleich an.«

Und ohne eine Schwierigkeit zu machen, ließ sie sich ihr hübsches weißes Kleid, ihren Batistunterrock, ihre feinen Strümpfe und ihre zierlichen Schuhe ausziehen.

Alles dies war übrigens mit Blut befleckt: man mußte es sogleich waschen, um nicht Verdacht bei den Nachbarn zu erregen.

Das Mädchen zog die Kleider an, die ihm die Brocante gekauft hatte: eine demüthige Livree des Elends, ein offenbares Symbol des Lebens, das ihrer harrte.«

Die Brocante wusch die Kleider des Kindes, ließ sie trocknen und verkaufte sie um dreißig Franken.

Das war schon ein gutes Geschäft.

Doch die alte Hexe hoffte eines Tags ein besseres dadurch zu machen, daß sie die Eltern des Kindes entdecken und es seiner Familie zurückgeben, oder vielmehr an seine Familie verkaufen würde.

Denselben Widerwillen, den es dem Kinde bereitet Kleider geringerer Art zu tragen, offenbarte es, als es sich darum handelte, die Mahle der Familie zu theilen.

Ein Ueberrest von Fleisch in einer Pfanne gewärmt, ein Stück schwarzes Brod beim Ausschuß gekauft oder in der Stadt erbettelt, das war die gewöhnliche Kost der, Brocante und ihres Sohnes.

Babolin, der nie an einer andern Tafel, als an der seiner Mutter gespeist, hatte keine gastronomische Wünsche über seiner Lage.

Nicht dasselbe war bei Rose-de-Noël der Fall.

Ohne Zweifel war die Arme gewohnt, ausgesuchte Gerichte mit Silbergeschirr, von Tellern und Schüsseln von Porzellan zu essen, denn sie warf nur einen Blick auf das Frühstück von Babolin und Brocante und sagte:

»Ich habe keinen Hunger.«

Beim Mittagessen war es dasselbe.

Die Brocante begriff, das elegante Kind würde eher vor Entkräftung sterben, als etwas von ihrer Küche anrühren.

»Was brauchst Du denn? Fasanen mit Orangensauce oder getrüffelte Poularden?«

»Ich verlange weder getrüffelte Ponlarden, noch Fasanen mit Orangensauce; aber ich möchte gern ein Stück Weißbrod haben, wie man es bei uns am Sonntag den Armen gab.«

Die Brocante, so hart sie war, wurde gerührt von dieser so einfachen und zugleich so kläglichen Antwort; sie gab Babolin einen Sou und sagte:

»Hole ein Brödchen beim Bäcker in der Rue Copeau.

Babolin nahm den Sou, machte nur einen Satz die Treppe hinab, nur einen Sprung von der Rue Triperet zur Rue Copeau, kam nach fünf Minuten zurück und brachte ein Brödchen mit weißer Krume und goldener Kruste.

Die arme Rose-de-Noël hatte großen Hungers sie verzehrte es bis auf das letzte Krümchen.

»Nun, behagt Dir das besser?« fragte die Brocante.

»Ja, Madame, und ich danke Ihnen,« erwiderte das Kind.

Nie war es einem Menschen eingefallen, die Brocante Madame zu nennen.

»Schöne Madame!« sagte sie. »Und nun, Fräulein Zierling, was wollen Sie zu Ihrem Nachtische?«

»Ich möchte gern ein Glas Wasser haben,« erwiderte das Mädchen.

»Gib den Krug,« sagte die Brocante zu ihrem Sohne.

Babolin brachte einen ganz abgestoßenen Krug ohne Henkel und reichte ihn der Kleinen.

»Sie trinken hieraus?« sagte sie mit sanfter Stimme zu Babolin.

»Das heißt, die Mutter trinkt hieraus; ich stütze mir das Wasser in den Hals.«

Und er hob den Krug einen halben Fuß über seinen Kopf, ließ einen Wasserstrahl herauslaufen, und empfing ihn in seinem Munde mit einer Geschicklichkeit, welche die Gewohnheit, die er in dieser Uebung hatte, beurkundete.

»Ich werde nicht trinken, sagte das Kind.

»Warum nicht?« fragte Babolin.

»Weil ich nicht wie Sie zu trinken verstehe.«

»Gut! Du siehst, daß das Fräulein ein Glas braucht,« sprach die Brocante, die Achseln zuckend.

»Wenn das nicht zum Erbarmen ist!«

»Ein Glas?« versetzte Babolin, es muß irgendwo eines sein.«

Und nachdem er einen Augenblick gesucht, entdeckte er eines in einer Ecke.

»Hier,« sagte er, indem er das Glas mit Wasser füllte und es dem Mädchen reichte, »trink!«

»Nein,« erwiderte die Kleine, »ich werde nicht trinken.«

»Und warum wirst Du nicht trinken?«

»Weil ich keinen Durst habe.«

»Doch, Du hast Durst, da Du so eben zu trinken verlangtest.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

»Du siehst wohl, daß wir Lumpenpack sind,« sagte die Mutter, »und daß das Fräulein weder aus unsern Krügen, noch aus unsern Gläsern zu trinken vermöchte.«

»Nein, wenn sie schmutzig sind,« sprach sanft und traurig das Mädchen; »und ich habe doch . . . ich habe sehr Durst,« fügte das Kind in Thränen zerfließend bei.

Babolin eilte hinab, wie er es das erste Mal gethan, lief zum nächsten Brunnen, wusch das Glas drei oder viermal, und brachte es durchsichtig wie ein böhmischer Kristall und voll von einem frischen, klaren Wasser zurück.

»Ich danke, Herr Babolin,« sagte die Kleine.

Und sie leerte das Glas aus einen Zug.

»Oh! Herr Babolin!« rief der Straßenjunge, indem er ein Rad schlug. »Sage doch, Mutter, wenn wir zu Croc-en-Jambe gehen, wird man ›Herr Babolin und Madame Brocante!»melden.«

»Verzeihen Sie,« erwiderte die Kleine, »man hat mich Herr und Madame sagen gelehrt; »ich werde es nicht mehr sagen, wenn es nicht gut ist.«

»Doch, mein Kind, doch, es ist gut»«, versetzte die Brocante, »unwillkürlich unterjocht durch diese Überlegenheit der Erziehung, über welche die Leute aus dem Volke zuweilen spotten, die aber immer ihre Wirkung auf sie hervorbringt.

Am Abend, beim Schlafengehen, wiederholte sich die Scene vom vorhergehenden Tage.

Die Mutter und der Sohn schliefen auf einer einzigen, mitten unter Lumpen, in eine Ecke der Stube geworfenen Matratze.

Rose-de-Noël weigerte sich beharrlich, neben ihnen Platz zu nehmen.

Auch in dieser Nacht schlief sie auf ihrem Stuhle.

Am andern Tage machte die Brocante eine Anstrengung.

Sie steckte in ihre Tasche die dreißig Franken, den Preis der Kleider des Kindes, kaufte eine Schlafbank für vierzig Sous, eine Matraze für zehn Sous, – ein wenig dünn, aber reinlich, – ein Kopfkissen für drei Franken fünfzig Centimes, zwei Paar Tücher von Madapolam11 und eine baumwollene Decke; Alles von einer tadellosen Weiße.

Sie ließ dies in ihren Speicher tragen.

Sie hatte gerade für drei und zwanzig Franken gekauft und war also quitt mit dem Mädchen.

»Oh! das hübsche weiße Bettchen!« rief die Kleine als sie ihr Lager aufgestellt und geordnet sah.

»Das ist für Sie, Fräulein Zierling,« sagte die Brocante; »da es scheint, daß Sie eine Prinzessin sind, so behandelt man sie auch als Prinzessin.

»Ich bin keine Prinzessin,« erwiderte das Mädchen; »ich hatte aber dort ein weißes Bett.«

»Nun, Sie werden hier eines haben wie dort . . . Sind Sie zufrieden?«

»Oh! Sie sind sehr gut!« rief das Mädchen.

»Wo werden Sie nun wohnen? muß man Ihnen nicht in der Rue de Rivoli einen ersten Stock über dem Entresol miethen?«

»Wollen Sie mir diesen Winkel hier geben?« fragte das Mädchen.

Und sie bezeichnete eine Vertiefung des Speichers, die eine Art von Cabinet bildete.

»Das wird Ihnen genügen?« sagte die Brocante.

»Ja Madame,« erwiderte das Kind mit seinem gewöhnlichen sanften Tone.

Man schob das Lager in den Winkel.

Allmählich meublierte sich der Winkel und wurde eine Art von Zimmer.

Die Brocante war durchaus nicht so arm, als sie zu sein den Anschein hatte; sie war nur entsetzlich geizig und es kostete sie eine ungeheure Ueberwindung, das Geld aus dem Verstecke zu nehmen, wo sie es aufbewahrte.

Doch die Brocante hatte eine Industrie: sie schlug Karten.

Statt sich in Geld von ihren Kunden bezahlen zulassen, – was oft nicht ohne Schwierigkeit in einem so armen Quartier, wie das, welches sie bewohnte, war, hatte sie die Idee, sich in Naturalien bezahlen zu lassen.

Von der Trödlerin forderte sie einen Zitzvorhang vom Ebenisten einen kleinen Tisch; vom Ausschußwaarenhändler einen Teppich; so daß der Winkel von Rose-de-Noël nach Verlauf eines Monats meublirt war. und die Ecke, die sie auf dem Speicher bewohnte, Ruhealtar genannt wurde.

Rose-de-Noël war glücklich oder beinahe glücklich.

Wir sagen beinahe glücklich, weil ihr Kleid von blauem Baumwollzeug, ihr gelbes Halstuch mit rothen Blumen, ihre wollenen Strümpfe und ihre Kinderthaube ihr ungemein mißfielen.

So wie sich diese Gegenstände abnutzten machte sich auch Rose-de-Noël eine Art von eigener Toilette.

Dies betraf vor Allem ihre Haare, welche sie mit außerordentlicher Sorgfalt kämmte, und die so lang waren, daß sie, wenn sie dieselben zurückwarf, auf ihren Enden mit den Fersen ging.

Sodann bald ein Hemd von rohem Stoffe mit einer improvisierten Knotenschnur um den Leib geknüpft; bald ein Turban auf einer Schürze von lebhafter Farbe gemacht, bald ein alter Shawl, in den sie sich drapierte wie in einen Mantel, bald ein Weißdornzweig, aus welchem sie sich einen duftenden Kranz machte; doch so wie sie sich kleidete, näherte sich ihr pittoreskes Gewand immer einem Typus, wobei der Maler seine Rechnung gefunden hätte, wäre es nun seine Aufgabe gewesen, die Creolin der Antillen, die Gitana Spaniens oder die Druidin Galliens darzustellen.

Da aber Rose-de-Noël nie ausging, da die Sonne in den Speicher nur durch schmale Oeffnungen gelangte, da sie nur Brod aß und Wasser trank, da die Kälte von allen Seiten in die Stube von Brocante eindrang, da sie keinen Unterschied zwischen dem Sommer und dem Winter machte und immer auf dieselbe Art, bei zehn Grad Kälte oder sechs und zwanzig Grad Wärme, gekleidet war, so bot sie den kränklichen. leidenden Anblick, den wir zu schildern versucht haben; abgesehen davon, daß von Zeit zu Zeit ein trockener Husten der auf die Wangen von Rose-de-Noël eine lebhaftere Farbe brachte, so oft er eintrat, andeutete, die elende Wohnung, die sie bedeckte, ohne sie zu schützen, habe schon auf ihre Gesundheit einen unglücklichen Einfluß gehabt und könne in der Zukunft einen noch unglücklicheren Einfluß auf sie haben.

Von ihrer Familie und von dem erschrecklichen Erlebnis, das ihr Zusammentreffen mit der Brocante herbeigeführt, die das arme Kind allmählich so sehr nehm liebte, als sie zu lieben fähig war, hatte man nie mehr gesprochen, als das, was wir gesagt.

Dies war Rose-de-Noël, das heißt das Kind, das zwischen den Beinen der Brocante in dem Augenblick kniete, wo Babolin und der Schulmeister auf der Thürschwelle erschienen.


10

Weihnachtsrose.

11

eine Art von Percal.

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