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Fünftes bis achtes Bändchen
XXXVI
Wo bewiesen ist, daß man zufällig und einmal unter hundert gute Nachbarn treffen kann

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Das 12. Arrondissement war im Jahre 1827 und ist noch heute das ärmste Arrondissement der Hauptstadt, wie man dies aus dem von der Administration der öffentlichen Unterstützung nach der letzten Zählung veröffentlichten numerischen Etat ersehen kann.

So ist im 1. Arrondissement die Zahl der dürftigen Bevölkerung 3.707 Individuen auf 112.740 Einwohner,während im 12. Arrondissement aus eine Bevölkerung von 95.243 die Zahl der Dürftigen 12.204 beträgt.

Bedenkt man, daß in diesem Arrondissement die größte Anzahl von Schuhflickern, Kutschern, Lumpensammlern, Trödlern, Wasserträgern, Lastträgern und Tagelöhnern aller Art wohnt, so wird man sehen, daß wir nicht übertreiben, wenn wir sagen, dieses Quartier sei heute noch das elendste.

Dieses Quartier bietet in der Vogelperspective eine beinahe viereckige Form; es ist abgetheilt in vier Quartiere, welche den Namen Quartier de l’Observatoire, Quartier Saint-Jacques, Quartier du Jardin des Planetes und Quartier Saint-Marcel führen.

Sowie wir in unserer Erzählung vorrücken, werden wir, da ein großer Theil der Ereignisse dieser Geschichte im 12. Arrondissement vorgehen soll, nach und nach unseren Lesern die Physiognomie dieser Quartiere zeigen.

Bemerken wir vor Allem: einer der pittoreskestien Theile ist der zwischen der Rue du Val-de-Grace und der Rue de la Bourbe begriffene des Quartier Saint-Jacques.

Steigt man die Rue Saint-Jacques von der Rue du Val-de-Grace zum Faubourg hinauf, so führen in der That alle Häuser der rechten Seite, alt, häßlich und schlecht gebaut, zu bezaubernden Gärten, wie sich kaum noch einige um gewisse aristokratische Hotels in Paris finden.

In ein zwischen den Nummern 330 und 350 der Rue Saint-Jacques liegendes Haus wollen wir unsern Leser geleiten, und Jeder, der an das Quartier Saint-Jacques denkend aus Gewohnheit sich die üblen Gerüche des Elends zu Gehirn steigen fühlt, wird, wie wir hoffen, entzückt sein, wenn er mit und den Duft der Rosen und Jasmine athmet, der durch die Fenster dieser bevorrechteten Wohnungen, welche auf einen wahren Lichtwinkel des irdischen Paradieses gehen, eindringt.

Die Facade des Hauses, das die Helden der von Herrn Jackal erzählten unglücklichen Geschichte, bewohnen, hatte jenen traurigen Ton, mit dem die Zeit und der Regen die alten Mauern von Paris überziehen.

Man trat in das Haus durch eine kleine, schmale Thüre ein, und man gelangte in einen selbst mitten am Tage finsteren Gang.

Derjenige, welcher zum ersten Male in diesen Gang gekommen wäre, würde ihn für den gefährlichen Weg zu der Werkstätte eines Falschmünzers gehalten haben; doch die letzte Schwelle überschreitend, hätte sich der Forscher sogleich in einer Art von Eden gesehen.

Aus dem Gange ausmündend, trat man in der That in einen Hof ein, der zu einen großen Garten führte; hier war man wahrhaft geblendet, da man ein kleines weißes Haus mit grünen Läden, die Seiten geschmückt mit emporrankenden Rosen, mit Gaisblatt und Waldreben, sah.«

Das Haus bestand aus einem Erdgeschoße und zwei Stockwerken, deren Fenster, vermöge der entzückenden, Lage des kleinen Gebäudes, alle auf den Garten gingen; diese drei Stockwerke, das Erdgeschoß einbegriffen, bildeten sechs Wohnungen, jede gleichmäßig auf drei Zimmern und einer Küche bestehend.

Vier von diesen Wohnungen, die zwei des Erdgeschosses und die des ersten Stockes, hatten Arbeiterfamilien inne, welche, nüchtern und geordnet, statt sich vor der Barrière zu betrinken wie ihre Werkstattkameraden, ihren Sonntag dem Anbau eines Gartenstückchens weihten, das die Zubehör ihrer bescheidenen Wohnung bildete.

Im zweiten Stocke wohnten auf demselben Boden, der eine rechts, die andere links, die zwei Hauptpersonen dieser Geschichte.

Derjenige, welcher die Zimmer links bewohnte, war ein junger Mann von zwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, – ein hübscher Mensch mit treuherzigem Gesichte, mit hellblauen Augen und blonden Haaren, welche gerade auf seine viereckigen Schultern fielen. Er war eher klein, als groß von Wuchs; doch die Breite seiner Schultern bezeichnete bei ihm eine ungewöhnliche Stärke. Er war geboren in Quimper; es wäre aber eine unnütze Mühe gewesen, die Augen auf seinen Geburtsschein zuwerfen, um zu sehen, daß er Bretagner, so sehr trug sein Gesicht das Gepräge der Energie und der Redlichkeit der schönen gälischen Race an sich.

Sein Vater, ein armer alter Edelmann, der zurückgezogen in einem Thurme, dem letzten Ueberreste eines während der Kriege in der Vendee niedergerissenen Schlosses aus dem dreizehnten Jahrhundert, lebte, hatte ihn in Paris gelassen, wo er seine Erziehung gemacht, um die Rechte zu studieren. Bei seinem Austritte aus dem Collége hatte der junge Colombau von Penhoël seinen Aufenthalt in diesem Zimmer des erwähnten Hauses der Rue Saint-Jacques genommen, das er seit drei Jahren, das heißt seit 1823, um welche Zeit unsere Erzählung beginnt, bewohnte.

Sein Vater gab ihm jedes Jahr zwölfhundert Franken: der wackere Mann theilte so mit seinem Sohne Alles, was ihm von seinem Erbe blieb.

Die Wohnung von Colombau kostete diesen nur zweihundert Franken Miethzins jährliche; es blieben also dem jungen Manne tausend Franken, das heißt ein ganzes Vermögen für einen nüchternen, sparsamen, geordneten jungen Mann, wie er es war.

Wir täuschen uns, wenn wir sagen, es seien ihm tausend Franken jährlich geblieben; von den tausend Franken müssen wir die Miethe eines Klaviers, zehn Franken monatlich abziehen, der einzige Luxus, den sich Colombau erlaubte, ohne Zweifel, um nicht eines der politischen Axiome der alten Bretagner lügen zu machen, ein bis auf unsere Tage übergegangenes Axiom, das wie Augustin Thierry sagt, den Musiker neben den Ackerbauer und den Handwerksmann, als einen der drei Pfeiler der gesellschaftlichen Existenz, stellt.

Man war im Monat Januar des Jahren 1823. Colombau hatte sein drittes Jahr der Rechtsstudien begonnen; es schlug zehn Uhr in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas.

Der junge Mann saß an der Ecke seines Kamins und war beschäftigt, den Codex Justinians zu studieren, als er plötzlich erschreckliches Weheklagen und Gestöhne hörte.

Er öffnete die Thüre des Ruheplatzes und sah an der mit der seinen parallelen Thüre ein bleiches Mädchen mit aufgelösten Haaren, das in Thränen zerfließend und die Hände ringend um Hilfe rief.

Die Wohnung der von Colombau gegenüber hatten ein junges Mädchen und seine Mutter inne; die Mutter war Witwe eines Kapitäns, der bei Champ Aubert im Feldzuge von 1814 getödtet worden, und lebte von einer Pension von zwölfhundert Franken und einigen Nadelarbeiten, die ihr die Weißzeughändlerinnen des Quartiers verschaffen.

Sie wohnte seit sechs Monaten allein hier, als eines Morgens Colombau, von der Rechtsschule zurückkehrend, auf Einem Ruheplatze ein schönes, großes Mädchen erblickte, das ihm völlig unbekannt war.

Colombau war von Natur wenig gesprächig, und erst ein Paar Tage nach dieser Erscheinung, die sich übrigens zwei oder dreimal wiederholt hatte, erfuhr er von einem seiner Nachbarn im Erdgeschosse, Mademoiselle Carmelite sei die Tochter von Madame Gerats, seiner Nachbarin; sie sei, als Tochter eines Ritters der Ehrenlegion, in der königlichen Anstalt von Saint-Denis erzogen worden, und da ihre Erziehung beendigt, so sei sie zurückgekommen, um bei ihrer Mutter zu leben.

Dieses Begegnen des jungen Mannes und des Mädchens hatte im Monat September 1822, zur Ferienzeit stattgefunden. Colombau hatte vierzehn Tage nachher Paris verlassen, um zwei Monate im Thurme von Penhoël zuzubringen, und von seiner Rückkehr im Monat November hatte er bis zum Januar 1823 nur selten Gelegenheit gehabt, das Mädchen zu sehen; man traf sich zuweilen auf der Treppe, die Milchbüchse in der Hand haltend; man grüßte sich artig, doch ohne ein Wort zu wechseln.

Das Mädchen war zu schüchtern; Colombau zu ehrfurchtsvoll.

Eines Tags aber, als der junge Mann frühzeitiger als gewöhnlich, sein tägliches Frühstück tragend, die Treppe hinaufstieg, begegnete er dem Mädchen, das, um ein paar Minuten im Verzug, hinabging, um das ihrige zu holen.

Sie hielt eröthend den jungen Mann an, der, nachdem er sie, nicht als Student, sondern als Edelmanm, – die erste Erziehung verliert sich nie, – gegrüßt hatte, weiter gehen wollte, und sagte zu ihm:

»Ich habe eine Bitte an Sie zu richten, mein Herr; meine Mutter und ich, wir lieben ungemein die Musik, und wir bringen gewöhnlich alle Abende sehr angenehm damit zu, daß wir Sie eine Stunde zum Klavier singen hören; seit drei Tagen aber ist meine Mutter sehr unpäßlich, und obgleich sie sich nicht beklagt hat, hat uns doch der Arzt, als er uns gestern Abend-besuchte, während Sie sangen, gesagt, das Getöse des Klaviers müsse sie ermüden.«

»Verzeihen Sie, mein Fräulein,« erwiderte der junge Mann, ebenfalls bis an die Augen erröthend, »ich wußte durchaus nichts von der Krankheit Ihrer Frau Mutter; glauben Sie mir, ich würde mir nie verzeihen, gespielt zu haben, hätte ich gewußt . . . «

»Oh! mein Gott! mein Herr,« versetzte das Mädchen, »ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie eines Vergnügens beraube, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie sich diese Entbehrung um unseretwillen auflegen wollen.«

Die zwei jungen Leute grüßten sich, und sobald Colombau in seine Wohnung zurückkam, schloß er sein Klavier, um es nicht eher wieder zu öffnen, als bis Madame Gervais gesund wäre.

Nur begegnete er seit dieser Stunde dem Mädchen häufiger. Die Krankheit der Mutter verschlimmerte sich; jede Minute lief Carmelite vom Arzte zur Apetheke; mehrere Male hörte sie Colombau zu einer ziemlich weit vorgerückten Stunde der Nacht hinabgehen: wohl hätte er ihr seine Dienste anzubieten gewünscht, – und nie hätte ein beklagenswertheres Mädchen die Dienste eines redlicheren und uneigennützigeren Herzens empfangen; – doch Colombau war von einer Schüchternheit, welche seiner Redlichkeit gleichkam; die Form seines Anerbietens setzte ihn übrigens noch mehr in Verlegenheit, als das Anerbieten selbst, und erst als er das Mädchen so verezweiflungsvoll um Hilfe rufen hörte, wagte er es sich ihr zur Verfügung zu stellen.

»Leider war es zu späte nicht das Bedürfnis der Hilfe hatte das Mädchen veranlaßt, zu rufen, sondern die Angst, der Schrecken.

Madame Gervais, die das Bett seit vier Tagen nicht verließ, auf die ernste Drohung einer bis zu ihrem höchsten Grade gelangten Pulsadergeschwulst, – was Carmelite mitzutheilen der Arzt sich wohl gehütet hatte, – Madame Gervais, um eine Beklemmung zu bekämpfen, welche sie fast des Athems beraubte, verlangte ein Glas Wassers Carmelite, die es ihr nicht nur geben wollte, ging ins Nebenzimmer, um den Trank zu bereiten; eine Art von Seufzer, der einem Rufe glich, machte, daß sie sich beeilte. Sie ging wieder hinein und fand ihre Mutter den Kopf zurückgeworfen; sie schob den Arm unter ihrem Halse durch und hob ihr den Kopf auf: die arme Frau schaute, ihr Kind auf eine seltsame Weise an; sie konnte Nicht sprechen, wie es schien, doch Ihre ganze Seele war in ihre Augen übergegangen. Bestürzt, zitternd, und dennoch stark, gerade durch ihren Schrecken, hob Carmelite fortwährend den Kopf ihrer Mutter empor, und hielt das Glas an ihre Lippen. Doch in dem Augenblicke, wo die Lippen und das Glas sich berühren sollten, gab Madame Gervais einen tiefen, gedehnten schmerzlichen Seufzer von sich; dann drückte ihr Kopf mit seiner ganzen Last auf den Arm ihrer Tochter und fiel mit ihm auf das Kissen.

Das Mädchen machte eine Anstrengung, hob den Kopf zum zweiten Male auf, schob das Glas zwischen die Lippen von Madame Gervais und sagte:

»Trink doch, Mutter.«

Doch die Zähne waren an einander gepreßt, und die Kranke antwortete nicht. Carmelite lüpfte den Fuß des Glases. Das Wasser floß auf beiden Seiten der Lippen herab, drang aber nicht in den Mund ein.

Die Augen der Kranken blieben übermäßig geöffnet und schienen sich nicht von ihrer Tochter abwenden zu können.

Carmelite fühlte den Schweiß aus ihrer Stirne perlen.

Diese großen, weit geöffneten Augen gaben ihr indessen Muth.

»Aber trink doch, Mütterchen!« wiederholte sie.

Die Kranke antwortete dies Mal ebenso wenig als das erste Mal. Da schien es Carmelite, der Hals, den sie mit ihrem Arme unterstützte;. vereise sich rasch, und diese Todeskälte ergriff auch sie. Erschrocken, ließ sie den Kopf ihrer Mutter auf das Kissen fallen, stellte das Glas auf den Tisch, warf sich auf den Leib ihrer Mutter, umschlang sie mit ihren Armen, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und richtete sich wieder aufs um, sie mit Augen fast so starr als die der Kranken anzuschauen. Da erst hatte die Unglückliche, der es nie eingefallen, das einzige Wesen, das sie auf der Welt besaß und liebte, könnte sterben, eine entsetzliche Ahnung! und dennoch konnte sie, die ihre Mutter erst einen Augenblick vorher hatte sprechen hören, nicht glauben, der Uebergang vom Leben zum Tode ohne eine heftige Erschütterung. ohne Geräusch, ohne Geschrei sei etwas Mögliches; sie drückte ihre Lippen auf die Stirne ihrer Mutter; doch ihre fieberglühenden Lippen wurden von einer entsetzlichen Empfindung durchschauert, als sie diese Marmorstirne berührten.

Sie wich drei Schritte zurück, erschrocken, aber nicht überzeugt.

Der Kopf war leicht auf die Seite des Zimmers gewendet niedergefallen; so daß die starren großen Auen fortwährend Carmelite mit einem Ueberreste mütterlichen Ausdrucks anschauten; aber diese Augen, statt ihr die Ruhe zu geben, singen an sie zu ängstigen.

Verwirrt, nach rechts und nach links schauend, doch immer wieder die Augen auf diese erschrecklichen Augen heftend, rief sie mit aller Gewalt ihrer Lunge:

»Mutter! Mutter! so sprich doch! antworte mir doch, Mutter! oder ich glaube, daß Du todt bist . . . daß Du todt bist!« wiederholte sie, indem sie voll Bangigkeit näher hinzutrat.

Doch vor der leichenartigen Unbeweglichkeit dieses Körpers blieb sie selbst unbeweglich, nachdem sie einen Schritt versucht. Sie rief fortwährend ihrer Mutter mit herzzerreißenden Schreien, aber ohne daß sie sie anzurühren wagte; und müde, keine Antwort erhalten zu können, verlassen vom Muthe, länger in diesem Zimmer unter dem Blicke dieser gespenstischen Augen zu bleiben, Alles befürchtend, doch über Nichts sicher, öffnete sie die Thüre der Wohnung und fing an um Hilfe zu rufen.

Colombau trat auf diesen Ruf aus seinem Zimmer und erblickte wie gesagt, das Mädchen mit aufgelösten Haaren, in Thränen gebadet und die Hände ringend.

»Mein Herr! mein Herr!« sagte sie, »meine Mutter schaut mich an, doch sie antwortet mir nicht!«

»Sie ist wahrscheinlich vor Schwäche ohnmächtig,« erwiderte der junge Mann, da er auch entfernt nicht an den Tod glaubte.

Und er trat in das Schlafzimmer ein.

Er bebte, als er diesen Körper erblickte, der gewisser Maßen das ansehen einer Leiche angenommen hatte: das Gesicht war hypokratisch; die Glieder waren starrt die Hand, an deren Gelenk er die Schläge des Pulses suchte, war kalt wie Marmor!

Er erinnerte sich, als ein fünfzehnjähriger Knabe seine Mutter, die edle Gräfin den Penhoël, auf ihrem Paradebette ausgestreckt gesehen zu haben, und er erkannte auf der Stirne des Leichnams, den er zu dieser Stunde vor Augen hatte, die bläulichen Tinten des Todes.

»Nun, mein Herr? . . . nun?« fragte schluchzend Carmelite.

Der junge Mann gab sich den Anschein, als glaubte er beständig an eine Ohnmacht, um allmählich das Mädchen auf den Schlag, der es treffen sollte, vorzubereiten.

»Oh!« erwiderte er, »Ihre Mutter ist sehr schlimm, armes Kind.«

»Warum antwortet sie mir aber nicht, mein Herr? warum antwortet sie mir nicht?«

»Nähern Sie sich, mein Fräulein,« sagte Colombau.

»Ich wage es nicht . . . ich wage es nicht . . . Warum schaut sie mich so an? was verlangt sie denn von mir? . . . was will sie denn, daß sie mich so anschaut?«

»Sie verlangt, daß Sie ihr die Augen schließen, mein Fräulein, sie verlangt, daß wir für die Ruhe ihrer Seele beten!«

»Sie ist aber nicht todt, nicht war?« rief das Mädchen.

»Knieen Sie nieder, mein Fräulein!« sprach Colombau, indem er ihr das Beispiel gab.

»Was sagen Sie, mein Herr?«

»Ich sage, mein Fräulein: Gott, der uns das Leben gegeben, hat das Recht, es uns wieder zu nehmen, wenn es ihm beliebt.«

»Oh!« rief Carmelite, wie vom Blitze getroffen; »oh! ich sehe, ich sehe . . . meine Mutter ist todt!«

Und sie fiel rückwärts, als ob sie selbst sterben sollte.

Der junge Mann empfing sie in seinen Armen und trug sie ohnmächtig auf ihr Bett, das im anstoßenden Zimmer war.

Auf die von dem Mädchen ausgestoßenen Schreie, auf den Lärmen, den die so eben von uns erzählte Scene gemacht, kam die Frau von einem der Arbeiter des ersten Stockes mit einer ihrer Freundinnen, welche in diesem Augenblicke bei ihr war, herauf.

Die zwei Frauen, als sie die Thüren der Wohnung offen fanden, traten ein und erblickten Colombau, der es versuchte, Carmelite dadurch zum Bewußtsein zurückzurufen, daß er ihr in die Hände schlug.

Als dieses Mittel nicht rasch genug wirkte, nahm eine von den Frauen eine Flasche, welche auf der Toilette stand, und übergoß das Gesicht der armen Waise mit Wasser.

Carmelite kam zitternd und mit den Zähnen klappernd zu sich, die zwei Frauen wollten sie auskleiden und zu Bette bringen.

Dach sie raffte ihre Kräfte zusammen, stemmte sich auf ihren Füßen an, wandte sich gegen Colombau und sprach zu ihm:

»Mein Herr, Sie haben gesagt, meine Mutter verlange, daß ich ihr die Augen schließe . . . Führen Sie sie mich zu ihr . . . führen Sie mich, ich bitte Sie! . . . Sonst,« fügte sie bei, indem sie voll Bangigkeit ihren Mund an das Ohr von Colombau hielt, »sonst würde sie mich die Ewigkeit hindurch so anschauen!«

»Kommen Sie!« erwiderte der junge Mann, welcher einen Anfang den Delirium in den Augen der Waise zu sehen glaubte.

Und sie durchschritt, gestützt auf den jungen Mann, ihr Zimmer, trat in das Zimmer ihrer Mutter ein, deren Blick, obgleich schon glasig, seine erschreckliche Starrheit behalten hatte, näherte sich mit langsamen. feierlichen Schritten dem Bette, neigte sich über den Leichnam, und drückte ihm in frommer Weise und eines nach dem andern die Augen zu.

Wonach Carmelite, der die Kräfte vollends entschwanden, auf den Leichnam ihrer Mutter fiel und zum zweiten Mal ohnmächtig wurde.

Die Mohicaner von Paris

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