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Fünftes bis achtes Bändchen
XXIX
Resignation

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Die Trostlose, wie die schöne Susanne von Valgeneuse ihre Freundin nannte, ließ ein Herz zurück, welches nicht minder trostlos, als das ihre.

Diesen Herz war das von Justin. Wir täuschen und wir müßten sagen Herzen.

Diese Herzen waren die von Justin, von seiner Mutter, von Schwester Céleste, vom guten Professor und vom Pfarrer der Bouille, der nicht wußte, was er Schlimmes that und sich in der Einfalt seiner Seele für einen Boten der Freude hielt, während er im Gegenteil ein Bote der Schmerzen war.

Doch diejenige, welche von Allen am meisten gelitten, denn sie hatte für sich und ihren Sohn gelitten, war die Mutter.

Sie, die am Anfang so stark, war am Ende gelähmt gewesen.

Vor dem Abschied war sie, ohne ein Wort zu sagen, ohne einen Schrei von sich zu geben, ohne eine Thräne zu vergießen, unmerklich ohnmächtig geworden.

Keiner von diesen egoistischen Unglücklichen hatte ihre Ohnmacht bemerkt.

Derjenige, welcher es bemerkte, weil es ihm schien, als ränge ein Theil seines Herzens mit dem Tode, war Justin.

»Meine Mutter! meine Mutter!« rief er, »ei! seht doch meine Mutter!«

Man stürzte sich auf die Blinde; Justin fiel vor ihr auf die Kniee und umschlang sie mit seinen Armen.

Ihr Gesicht war wachsfarbig geworden; ihre Hände waren kalt wie Marmor; ihre Lippen bläulich.

Die Letztgeborenen der Hoffnungen ihres Alters waren gestorben.

Das Erschreckliche bei Allem dem war, daß man die Schuld nicht auf irgend Jemand werfen, nicht gegen irgend Jemand Anklage erheben konnte.

Jedermann hatte eine gute Absicht gehabte selbst der arme Pfarrer der Bouille.

Das war Verhängniß, nichts Anderes.

Man lief zum Apotheker, der Satze gab.

Mittelst der Salze und des Essigs kam Madame Corby wieder zu sich.

Das Erste, nicht was sie sah, die arme Blinde sondern was sie fühlte, war ihr Sohn, der sie tröstete er, der des Tröstens selbst so sehr bedurfte.

Doch der gute Justin bemerkte seinen Schmerz nicht, wenn Jemand in seiner Nähe litt, und besonders, wenn dieser Jemand seine Mutter war.

Er blieb also bei Madame Corby, nicht nur bis sie wieder zu sich gekommen war, sondern sogar bis sie sich zu Bette gelegt hatte.

Dann aber, da sie begriff, daß es für ihren Sohn Bedürfnis war, selbst zu weinen, und wohl fühlte, er wage es nicht in ihrer Gegenwart zu weinen, aus Furcht, sie in Verzweiflung zu bringen, verlangte sie von ihm, daß er sich in sein Zimmer zurückziehe.

Justin ging in sein Stübchen hinab; Alles, was er vom ersten Stocke mitnahm, war der Orangenblüthenkranz, den Mina, als sie ihn verlassen, von ihrem Kopf gerissen und ihm zugeworfen hatte.

Der gute Professor ging mit Justin hinab.

Was den Pfarrer der Bouille betrifft, – er hatte nichts mehr in Paris zu thun; er setzte sich um sechs Uhr Abends wieder in den Wagen nach Rouen und nahm das verfluchte Geld mit, das ein so großes Unglück verursacht hatte.

Während er sich von dem Babylon entfernte, wo sich bald unser Drama entrollen wird, waren Justin und sein Professor wieder in die Stube der Schüler hinabgegangen, denen man auf Anlaß der großen Feierlichkeit, welche statthaben sollte, und zugleich wegen des Fasching-Monntags, der ausnahmsweise in diesem Jahre auf den Anfang des Februars fiel, Vacanz gegeben hatte.

Das düstere Gesicht seines Zöglings flößte dem guten Müller eine tiefe Angst ein; er fing an, in der Hoffnung, ihn zu zerstreuen, Justin an alle mögliche gemeinschaftlich erlebte Geschichten zu erinnern, und ging dabei bis zu dem Augenblicks wo das Zusammentreffen mit dem kleinen Mädchen vorgefallen war.

Hier wollte er anhalten; nun war es aber Justin, der seinerseits umständlich das anbetungswürdige Leben erzählte, das er seit sechs Jahren geführt hatte.

»Wir sind zu glücklich gewesen,« sagte er; »viele Ahnungen haben mir verkündigt, ich müsse mich darauf vorbereiten, früher oder später den Sieg, den ich über mein schlimmes Geschick davongetragen, teuer zu bezahlen. Ich habe sechs Jahre lang eine unaussprechliche Glückseligkeit genossen; das ist beinahe das Sechstel des Lebens: wenige Menschen können dasselbe sagen. Ich habe die Freuden dieser sechs Jahre vergessen; ich werde das Unglück vergessen, wie ich die Freude vergessen habe: Freuden und Schmerzen werden sich eines Tages in der grauen Tinte der Vergangenheit verschmelzen. Seien Sie also nicht besorgt nur mich, mein lieber Meister; halten Sie mich nie für fähig, einen finstren Vorsatz zu fassen . . . Gehöre ich übrigens mir? bin ich mich nicht meiner guten Mutter, meiner armen Schwester schuldig? Nein, nein, mein lieber Meister, mein Entschluß steht fest: ich habe gegen die Armuth gekämpft, ich werde gegen den Schmerz kämpfen . . . Lassen Sie ein paar Tage meine Wunden sich vernarben; erlauben Sie besonders, daß ich allein bleibe; in der Einsamkeit ist für die ergebenen Herzen eine unbekannte Religion: die Resignation, lieber Meister, ist die Stärke der Schwachen, und Sie werden mich stärker und geprüfter in den Kampf des Lebens zurückkehren sehen.«

Der alle Meister entfernte sich erstaunt, beinahe erschrocken über die Macht der Resignation dieses Menschen, aber völlig beruhigt über die Folgen seiner Verzweiflung.

Justin, nachdem er Müller bis zur Hausthüre begleitet hatte, lehrte in sein Zimmer zurück und ging langsam und lang mit gekreuzten Armen und gesenktem Kopfe auf und ab, wobei er von Zeit zu Zeit die Augen zur Decke empor richtete, als hätte er vom Himmel eine Erklärung des Räthsels verlangen wollen, das man das Verhängnis nennt.

Zwei- oder dreimal ging er bis zur Thüre des Schrankes, wo das Violoncell in seinem Kasten schlummerte.

Doch er öffnete die Thüre nicht einmal.

An diesem Abend war er noch zu schwach.

Bis Morgens um drei Uhr ging er so auf und ab;er hatte vom vorhergehenden Morgen an nicht weinen können.

Sein Schmerz versteinerte sich, so zu sagen, in seinem Busen und erstickte ihn. Er warf sich auf sein Bett: die Müdigkeit gewann die Oberhand, und er entschlief.

In der Nacht vorher hatte er dieselbe Schlaflosigkeit und denselben Schlaf gehabt: nur hatte die Freude seine Augen offen gehalten, und die Müdigkeit des Glückes hatte sie geschlossen!

Glücklicher Weise war an diesem Tage Faschingsdienstag und folglich Vacanz: es stand ihm also frei, sich mit seinem Schmerz zu isolieren, ihm zu Leibe zugehen, mit ihm zu ringen, es zu versuchen, ihn zu Boden zu werfen.

Der Kampf dauerte den ganzen Tag. Nachdem er seine Mutter und seine Schwester umarmt hatte, ging er bei Tagesanbruch aus; er wollte aufs Reue den Ort besuchen, wo er in einer schönen Juninacht das Kind im Getreide und in den Blumen liegend gefunden hatte.

Es gab weder Kornblumen, noch Klapperrosen, noch blonde Aehren mehr; die Erde war, wie sein Herz, kahl, entblößt, gesprungen durch den Winter.

Er erging sich im Walde von Meudon, der so heiter, so lachend, so voll Sonne und Grün, wenn er mit seinem Professor darin lustwandelte; er gelangte bis zu den Thoren von Versailles.

Doch er hatte die Stärke, nicht bis zum Pensionat-zu gehen.

Wozu sollte es nützen, die Arme wiederzusehen?

War er nicht sicher, daß sie fern von seinem Anblick weinte? war er nicht sicher, daß sie bei seinem Anblick noch mehr weinen würde?

Hoffnung blieb ihm keine mehr! Es war für ihn klar, daß Mina einer reichen aristokratischen Familie angehörte; und welche Aussicht war vorhanden, daß man sie ihm, dem Demüthigen, dem Armen, geben würde?

Er konnte sie allerdings sehen; das wollte er aber gerade nicht thun.

Justin kam Abends um zehn Uhr nach Hause; er hatte fünfzehn Meilen am Tage gemacht und fühlte nicht die geringste Müdigkeit.

Seine Mutter und seine Schwester erwarteten ihn-Beide unruhig.

Er kam mit lächelndem Gesichte zurück, küßte sie und stieg in sein Zimmer hinab. Es ereignete sich dasselbe, was sich am Tage vorher ereignet hatte: er ging langsam und traurig auf und ab; er zählte die Stunden bis Mitternacht; sodann nachdem er wie am vorhergehenden Tage, mehrere Male vor dem Schranke, wo sein Violoncell war, stehen geblieben, entschloß er sich, die Thüre zu öffnen, zog das Instrument aus seinem Kasten und schaute es mit tiefer Melancholie an.

Das Mädchen hatte ihn, wie man sich erinnert, in einer kindischen Laune veranlaßt, auf dieses düstere Instrument zu verzichten; wir haben mehrere Male gesehen, wie er es aus seinem Kasten zog, zwischen seine Kniee schloß, sich in der fehlenden Melodie berauschte, aber wir haben ihn keine einzige Note entlocken hören.

Heute kam er zu ihm zurück.

»Ich bin undankbar gewesen, o mein alter Freund! o mein zärtlicher Tröster!« sagte er. »Ich habe dich während meiner Tage der Freude verlassen: ich finde dich in den Tagen meines Unglücks wieder!«

Und er küßte das Violoncell voll Innigkeit.

»O unerschöpfliche Quelle der Tröstungen,« fuhr er fort; »Musik! Zuflucht der weinenden Seelen; ich habe es gemacht wie der verlorene Sohn: ich habe dich eines Tags verlassen, theure Familie meiner Seele! die Schmerzen haben mich in Schaaren überfallen, und ich komme zu dir zurück mit gequetschten Füßen und gebrochenem Herzen, und du streckst mir die Arme entgegen, harmonische Göttin! und du nimmst mich auf, das Herz voll Mitleid und Liebe!«

Und er zog, wie er es mit dem Instrumente gemacht, aus dem Schranke sein altes Musikbuch, legte es auf sein Pult, öffnete es, setzte sich auf das hohe Tabouret, nahm das Violoncell und hielt den Bogen auf die Saiten..

In dem Momente, wo er spielen wollte, entfielen zwei Thränen seinen Augen.

Er schob den Bogen unter seinen Arm, trocknete .langsam seine feuchten Augenlider und fing an denselben ernsten, schwermüthigen Gesang zu spielen, den Salvator und Jean Robert zwei Stunden vor dem Anfange dieser Erzählung gehört hatten.

Man weiß, wie Salvator an die Thüre klopfte, wie die zwei Freunde von Justin eingeführt wurden, wie sie ihn nach der Ursache seiner Thränen fragten, wie der Schulmeister ihnen seine Geschichte zu erzählen einwilligte.

Diese Geschichte ist dies welche wir unsern Lesern so eben vor Augen gelegt haben.

Die zwei jungen Leute hörten sie mit sehr verschiedenartigen Eindrücken an.

Der Dichter war lebhaft bewegt bei gewissen Stellen: bei der Scene der Mutter, die ihren Sohn eher zum Unglück verdammt, als daß sie ihn eine zweifelhafte Handlung begehen läßt, traten ihm die Thränen in die Augen.

Der Philosoph hörte sie von Anfang hie zum Ende mit einer scheinbaren Unempfindlichkeit an; nur bebte er beim Namen von Fräulein Susanne und Herrn Loredan von Valgeneuse; es war, als hörte er diese Namen nicht zum ersten Male aussprechen, und jeder von ihnen schien in moralischer Hinsicht auf ihn denselben Eindruck zu machen, den in physischer die Berührung eines harten Körpers bei einer schlecht geschlossenen Wunde macht.

»Mein Herr,« sagte Jean Robert, »wir wären unwürdig, gehört zu haben, was Sie uns erzählt, versuchten wir es, einem Manne wie Ihnen Alltagströstungen zu geben . . . Hier sind unsere Adressen; bedürfen Sie je zweier Freunde, so bitten wir Sie, uns den Vorzug zu geben.«

Und zugleich riß Jean Robert ein Blatt aus seinem Portefeuille, schrieb die zwei Namen und die zwei Adressen darauf und gab sie Justin.

Dieser nahm sie und legte sie zwischen die Blätter seines Musikbuches.

Hier war er sicher, sie alle Tage wiederzufinden.

Dann reichte er seine beiden Hände den zwei jungen Leuten.

In dem Augenblick, wo diese vier Hände sich drückten, klopfte man heftig an die Thüre.

Wer konnte zu dieser Stunde klopfen? Justin war so losgetrennt von jedem niederen Interesse, als dem, welches sein Innersten erfüllte, daß es ihm nicht einmal einfiel, dieses so kräftige Klopfen könnte ihn betreffen.

Er ließ die zwei jungen Leute hinnausgehen und indem sie hinausgingen, die Thüre dem nächtlichen oder vielmehr morgendlichen Besuche öffnen, denn die ersten Strahlen des Tages fingen an zu erscheinen.

Derjenige, welcher an die Thüre klopfte, war ein Knabe von dreizehn bin vierzehn Jahren, mit blonden, rings um seinen Kopf gekräuselten Haaren, mit rosigen Wangen, mit leicht zerlumpten Kleidern.

Ein echter Pariser Straßenjunge mit einer blauen Blouse, einer Mütze ohne Schild, mit niedergetretenen Schuhen.

Er schaute empor, um zu sehen, wer die Thüre geöffnet.

.

»Ah! Sie sind es, Herr Salvator!« sagte er.

»Was willst Du zu dieser Stande hier, Herr Babolin?· fragte der Commissionär, indem er den Straßenjungen freundschaftlich beim Kragen seiner Blouse nahm.

»Ei! ich bringe Herrn Justin, dem Schulmeister einen Brief, den die Brocante heute Nacht, als sie ihre Runde machte, gefunden hat.«

»Ah! was den Schulmeister betrifft,« sagte Salvator: »Du weist, daß Du mir bis zum 15. März lesen zu können versprochen hast?«

»Nun! Nun! Nun! wir sind erst beim 7. Februar; es ist noch keine Zeit verloren.«

»Du weißt, daß ich Dir, wenn Du am 15. nicht geläufig ließt, am 16. die Bücher wieder nehme, die ich Dir gegeben habe?«

»Selbst die, wo Bilder darin sind? . . . Oh! Herr Salvator!«

»Alle ohne Ausnahme.«

»Nun, so sehen Sie, daß man lesen kann,« sagte der Knabe.

Und er warf einen Blick auf die Adresse des Briefes und las:

»An Herrn Justin, Faubourg Saint-Jacques, Nr. 20. »Einen Louis d’or Belohnung demjenigen, welcher ihm diesen Brief übergibt.

»Mina.«

Die Adresse und der Beisatz waren mit Bleistift geschrieben.

»Ueberbring es geschwinde, geschwinde, mein Kind!« sagte Salvator, während er Babolin gegen die Wohnung des Schulmeisters hinschob.

Babolin eilte mit zwei Sprüngen über den Hof, trat ein und rief:

»Herr Justin! Herr Justin! ein Brief von Medemoiselle Mina!«

»Was machen wir?« fragte Jean Robert.

»Bleiben wir,« antwortete Salvator; »es ist wahrscheinlich, daß dieser Brief ein neues Ereigniß mittheilt, bei welchem unser Beistand diesem wackern jungen Manne nützlich sein kann.

Salvator hatte nicht vollendet, als Justin bleich wie ein Gespenst auf der Schwelle seiner Thüre erschien.

»Sie sind noch da!« rief er, »Gott sei gelobt! . . . Lesen Sie, lesen Sie!«

Und er reichte den zwei jungen Leuten den Brief:

Salvator nahm ihn und las:

»Man entführt mich mit Gewalt, man schleppt mich fort . . . ich weiß nicht wohin! Zu Hilfe, Justin rette mich, mein Bruder! oder räche mich, mein Gatte!

»Mina.«

»Oh! meine Freunde!« rief Justin, indem er die Arme gegen die zwei jungen Leute ausstreckte, »die Vorsehung hat Sie hierher geführt!«

»Nun,« sprach Salvator zu Jean Robert, »Sie verlangten Roman: ich hoffe, hier ist, mein Theurer!«

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