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Erstes bis viertes Bändchen
XXIV
Das Pensionat

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Am ersten Donnerstag des Monats Juli im Jahre 1826 führte sie Justin in Begleitung seines alten Lehrers nach Versailles.

Den ganzen Wegs entlang that Mina den Mund nicht auf; sie war bleich und düster und schaute kaum umher.

Einen Augenblick, da er sie so traurig sah, fühlte Justin sein Herz schwach werden. und er gedachte sie, allem Weibergeklatsche des Quartiers trotzend, nach Hause zurückzuführen.

Er theilte seine Absicht Herrn Müller mit.

Aber mochte nun der alte Professor einsehen, welches egoistische Interesse unwillkürlich die Worte von Justin dictirte, oder mochte er minder interessiert bei der Frage und mit seinem freieren Gewissen, um zu handeln, begabt, bis zum Ende zu gehen entschlossen sein, Herr Müller hielt fest und warf Justin seine gefährliche Schwäche vor.

Man kam nach dem Pensionat.

Der Unschuldige, den man zum Schaffot führt, hat kein so bestürztes Gesicht, wenn er auf den Richtplatz kommt und das Werkzeug der Todesstrafe sieht, wie es das der armen Mina war, als sie die großen steinernen Mauern, welche die Pension umgaben, und das eiserne Gitter sah, durch das man eintrat.

Diese Martern waren doch mit Epheu bedeckt und von Waldreben überragt; die Spieße dieses Gitters waren doch vergoldet.

Frau von Staël sehnte sich, vor dem Genfer See, nach ihrer Gasse in in der Rue Saint-Honoré zurück.

Die arme Mina hätte sich von einem Palaste nach dem traurigen Hause des Faubourg Saint-Jacques zurückgesehnt.

Sie schaute ihre beiden Reisegefährten mit ihren in Thränen schwimmenden Augen an.

Mein Gott! welch ein schmerzlicher Blick! Die zwei Männer mußten wahrhaftig Herzen von Stein gemacht wie die Mauern dieses Pensionats haben, daß sie nicht vor diesen schönen flehenden Augen schmolzen.

Sie schaute sie so Beide lange, von Einem zum Andern übergehend, an, ohne in diesem äußersten Augenblick zu wissen, an wen sie sich wenden sollte, an den, welchen sie als ihren Vater betrachtete, oder an den, welchen sie ihren Freund nannte.

Justin wäre bald schwach geworden; er hatte die Augen abgewandt, nur die Wunde zu vermeiden, die ihm dieser Blick ins Herz bohrte,.

Müller nahen seine Hand und drückte sie kräftig; dieser Druck der Hand bedeutete:

»Muth, Junge! ich habe auch große Lust, zu weinen, und zum Beweise dient, daß ich ersticke, doch Du siehst, ich bewältige mich. Muth! wenn wir in ihrer Gegenwart weich werden, sind wir verloren! Suchen wir also stark zu bleiben; wir werden mit einander bei der Heimkehr weinen!«

Das sind die tausend Dinge, welche der einfache Händedruck des alten Professors bezeichnete.

Man führte Mina zur Vorsteherin der Pension; diese empfing sie in ihren Armen und küßte sie mehr wie eine Tochter, als wie eine Kostschülerin.

Ach! dieser mütterliche Kuß verdüsterte Mina, statt sie aufzuheitern.

So war also die Welt! eine Fremde hatte also das Recht, Euch zu küssen mir eine Mutter? Sie erinnerte sich ihres ersten Erwachens im Zimmer der Schwester: die Tapete bei der Vorsteherin der Pension war ungefähr der im Zimmer von Céleste ähnlich.

Alle Erinnerungen ihrer ersten Stunden der Einsamkeit kehrten in ihren Geist zurück; sie fühlte sich mehr verlassen und allein als je.

Justin küßte sie auf die Stirne, der alte Professor küßte sie auf beide Wangen, und fünf Minuten nachher hörte die arme Mina die Thüre des Pensionats mir der Herzbeklemmung des Gefangenen schließen, der die Riegel seines Kerkers hinter sich verschieben hört.

Die Vorsteherin der Pension ließ sie zu sich sitzen, nahm ihre Hände und suchte sie, auf dem Gesichte des Mädchens die Spuren eines riefen Kummers mehr errathend als lesend, zu trösten.

Doch statt sie zu beruhigen, reizten sie diese Alltagströstungen nur: sie verlangte in das Zimmer geführt zu werden, das man für sie bestimmte: denn es war zwischen der Vorsteherin der Pension und den zwei Freunden verabredet worden, daß ihr ein besonderes Zimmer gegeben werden sollte, um ihr das Verdrießliche des gemeinschaftlichen Schlafsaales zu ersparen.

Man entsprach ihrem Wunsche und führte sie in ihr Zimmer. Es war ein wahres Boudoir einer Pensionaire, zu zierlich für eine Nonne nicht genug für ein Mädchen der Weit; die Kattuntapete mit blauen Blumen erinnerte an die, welche Mina für das Zimmer von Justin gewählt hatte; eine zwischen zwei Alabastervasen, welche künstliche Blumen enthielten, stehende Pendeluhr stellte Paul vor, wie er Virginie über den Fluß bringt; ein Kupferstich das Martyrium der heiligen Julie, der Patronin der Vorsteherin, vorstellend zierte die Wand, oder befleckte sie vielmehr, unserer Ansicht nach, mit ihrem schwarzen Rahmen: sechs leichte Stühle von Bambus und verschiedenfarbigem Stroh, ein Lager mit blauen, von einem Baldachin herabfallenden Zitzvorhängen, ein Klavier zwischen dem Fenster und dem Kamin, ein paar Meubles von einfachem Geschmack vervollständigten das Geräth des Zimmers, mit dem sich streng genommen auch ein Mädchen, das mehr als Mina an Luxus und Comfort gewöhnt gewesen wäre, hätte begnügen können.

Das Kind war selbst betroffen von der Heiterkeit, die man in diesem Zimmer athmete; wenn es einmal eine Einsamkeit sein sollte, so war sie blühend und duftend immerhin mehr werth.

Blühend und duftend war das richtige Worte durch das geöffnete Fenster erstreckte sich der Blick über ungeheure Gärten voller Bäume und Blumen.

Plötzlich hörte Mina ein gewaltiges Freudengeschrei fast unter ihr.

Sie trat aus Fenster.

Es war die Erholungsstunde, und ungefähr dreißig Mädchen stürzten in den Hof, um diese Stunde, einen Sonnenstrahl zwischen der doppelten Nacht der Classen, so fröhlich als möglich anzuwenden.

Der Hof war mit Sand bestreut, mit Linden und Maulbeerfeigenbäumen bepflanzt.

Durch das Blätterwerk der Bäume sah Mina wie durch einen beweglichen Schleier die geräuschvolle Schaar auf alle Arten laufen, spielen, springen, tanzen.

Die Großen gingen zu Zwei und Zwei in den abgelegensten Winkeln spazieren. Wovon sprachen diese vierzehnjährigen Herzen und Lippen?

Oh! wie verlangte sie auch nach einer Gefährtin, um ihr das Geheimnis ihres Herzens zu sagen, dem Justin nichts hatte wissen wollen.

Und das schallende Gelächter, das freudige Geschrei der Mädchen wirkten doch ganz anders auf sie, als die Beileidsbezeigungen der alten Freundin des Professors; sie durchging alle Erinnerungen ihrer ersten Jahre; sie sah das Häuschen der Boivin wieder, die Mutter Boivin, die weiß und schwarze Kuh, welche so gute Milch gab, daß sie nie ähnliche getrunken, ihren guten Pfarrer, der ein und sechzig Jahre alt gewesen war, als sie ihn verlassen, und nun siebzig sein mußte. Sie dachte von diesem Fenster aus, wo sie war, viele von den reichen Mädchen, die sie in den Winkeln spazieren gehen und plaudern sah, wären zu glücklich gewesen, wie sie ein abgelegenes Zimmer in diesem aristokratischen Hause bewohnen zu dürfen; sie gedachte endlich der wackeren Leute, die sie, arm, umherirrend, eine Waise, bei sich aufgenommen, die sie zu dieser Erziehung geführt, zu diesem Range erhoben; sie dachte an die fromme Mutter Corby, an die gute Schwester Céleste, an den trefflichen Professor und besonders an Justin! an Justin, dessen Thränen sie gesehen, dessen Hand sie zittern gefühlt, und der ihr mit einem so zarten Tone, während er seine Lippen auf ihre Stirne drückte, zugeflüstert hatte: »Muth, meine geliebte Mina! sechs Monate sind bald vorüber!«

Da . . . da fand sie ihre Klagen egoistisch, ihre Traurigkeit undankbar; da schaute sie umher, sah Tinte, Feder und Papier, nahm Alles dies mit beiden Händen, setzte sich an den Tisch und schrieb an die Familie des Faubourg Saint-Jacques einen anbetungswürdigen Brief des Dankes und der Segnungen.

Es war Zeit, daß dieser Brief ankamt der arme Justin war beim Ende seiner Kräfte, und es bedurfte nicht weniger als dieser Erinnerung des Mädchens, um Ihn der Niedergeschlagenheit zu entreißen, in die ihn diese traurige Abreise versenkt hatte.

Ach! welch eine düstere Wanderung hatten sie bei der Heimkehr gemacht, – sein alter Freund und er!

Sie waren zu Fuß zurückgekehrt, im Glauben, eine Zerstreuung auf diesem lachenden Wege zu finden, – wenigstens sicher, hier die Einsamkeit zu finden.

Sie hatten nicht ein Wort gewechselt; man hätte denken sollen, es seien zwei Geächtete, welche aufs Gerathewohl fliehen, ohne das Ziel ihres Laufes zu kennen.

Herr Müller, der stärker dem Mädchen gegenüber gewesen, war Justin gegenüber schwach geworden.

Aus der Hälfte des Weges von Versailles nach Paris hatte er von seinem Zögling den Muth verlangt, den er selbst ihm zu geben versprochen.

Als man nach Hause kam, war es eine trostlose Scene; der Abend, der folgte, war ein Trauerabend.

Wäre Mina für immer abgereist, in Lebensgefahr, todt gewesen, man hätte sie nicht mehr beklagt und beweint, als man sie lebend und fünf Meilen von Paris beklagte und beweinte.

Der Greis glaubte vor den Frauen den Muth wiedergefunden zu haben, den er vor Justin verloren, und er versuchte es, sie zu trösten. Doch das stand ihm übel an: er fühlte, daß er falsch griff und wider sein Gewissen, wider sein Herz sprach, und so gestattete er seinen Empfindungen ihren Ausbruch und vermengte seine Thränen mit denen der Familie.

Ja, der Familie, denn Mina gehörte ganz und gar zur Familie.

Man klagte ihn sodann an, er habe seinen Plan, das Mädchen so zu entfernen, nicht genug reifen lassen, er habe die Ausführung zu leichtsinnig beschleunigt, die Abreise zu sehr übereilt, während noch nichts drohte, und man die Waise überdies in ein Pensionat von Paris hätte bringen können, wo man sie alle Tage besucht haben würde; man machte ihn verantwortlich für die Folgen des Ereignisses; Jedes glaubte seinen Theil des allgemeinen Unglücks zu erleichtern, wenn es dem guten Herrn Müller die Schuld beimesse.

Der gute Mann hörte alle diese zu späten Beschuldigungen an, nahm alle diese Vorwürfe mit einem übermenschlichen Heldenmuth auf den Rücken und ging, wie der Sündenbock, mit den Missethaten des Stammes beladen ab.

Sobald Herr Müller weggegangen, sobald diese drei armen Wesen allein waren, senkte sich die monotone Schwermuth der ersten Jahre auf ihr Haupt, breitete, wie die nächtliche Fledermaus, ihre Trauerflügel aus und umschwebte sie stillschweigend.

Und. in der That, nach dem Abgange des heiteren Kindes nahmen die Wände ihre düsteren Tinten wieder an; nachdem der Singvogel entflogen, war der Käfig traurig.

Alles in der Wohnung sprach von Mina, um zu sagen: »Sie war hier; sie ist nicht mehr da!«

Die Mutter!

Der Mutter, die sie Tag und Nacht unter der Hand hatte, der Mutter, die seit sechs Jahren. um ihre kranke Tochter zu erleichtern, die kleine Mina mit der Führung des Hauses beauftragt hatte, wobei sie sich mehr auf sie, als aus ihre eigene Tochter verließ, der Mutter zernagte das Herz der Gedanke, das zerbrechliche Rohr, auf das sie ihr Alter gestützt, werde ihrer Hand fehlen.

Die Schwester!

Die Schwester, dieses schwächliche Geschöpf, sie, die am Abend nicht einschlafen konnte, ohne die Stimme der reizenden Kleinen zu hören, deren Ankunft sie etwas in der Weit außer ihrem Bruder und ihrer Mutter lieben und wieder einigen Geschmack am Leben finden gemacht hatte; die Schwester, die die Güter vergaß, die Gott ihr verweigerte, in der Erinnerung an die Freuden, welche er Andern gab, die Schwester war auch gewohnt, ihn um sie her, welche fast immer unbeweglich saß, gehen, laufen, sich bewegen drehen zu sehen, diesen brennenden Salperter, den man ein Kind nennt.

Und der Bruder!

Der arme Justin, wieder der traurige Schulmeister geworden, war er es nicht, der am meisten durch diese Abwesenheit litt?

Als er in sein Zimmer zurückgekehrt war, – in dieses Zimmer, das Jean Robert und Salvator so jungfräulich und so sauber gefunden, – hatte er nur die alten kahlen Wände, den leeren Kamin, das große schwarze Gemacht, ein klägliches Symbol seiner erloschenen Freuden, seiner entflogenen Illusionen, gesehen.

Er hatte sich ganz angekleidet auf sein Bett geworfen und alle seine, durch die Gegenwart der Familie zurückgedrängtem Thränen geschluchzt.

Wie! dieses kleine Mädchen. einen Vogel des Morgens, – halb Nachtigall, halb Lerche, – dessen Gesang ihn alle Tage zur selben Stunde erweckte; diesen Engel, der alle Abende, ehe er seine Flügel schloß ihm seine weiße Stirne geboten hatte, er sollte ihn nicht mehr sehen, er sollte ihn nicht mehr hören! Mein Gott! Mein Gott!

Welche Nacht brachte er zu und welch ein düsterer Tag folgte aus diese düstere Nacht!

Zum Glücke kam, wie wir oben gesagt haben, der Brief des Mädchens an; das war eine Danksagung von drei Seiten, ein entzückender Lobgesang.

Sie bat die Familie um Verzeihung wegen ihrer Abwesenheit als wäre sie, die man mit Gewalt nach Versailles geschleppt hatte, die einzige Ursache ihres Abgangs gewesen.

Sie dankte für alles Gute was sie den ihnen empfangen, als ob nicht sie das Gute ihnen gegeben hätte!

Es waren die Gedanken eines Engels geschrieben durch die Hand eines Kindes.

Alles dies tröstete ein wenig den armen Justin.

Und dann, wie er dem Mädchen gesagt hatte, so sagte ihm die Hoffnung: »Geduld! sechs Monate sind bald vorüber!«

Wer weiß jedoch, welche Ereignisse im Zeitraume von sechs Monaten aus der halb geöffneten Hand des Geschickes fallen können?

Die Mohicaner von Paris

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