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Erstes bis viertes Bändchen
III
Die Freischenke

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Die Schenke war voll, übervoll.

Das Erdgeschoß, das Man nur mit Mühe erkennen würde sieht man das reizende, zierliche Magazin,.welches heute seine Stelle einnimmt. – das Erdgeschoß bestand aus einem niedrigen, räucherigen, feuchten,. übelriechenden Saale, wo in einem unglaublichen Durcheinander angehäuft eine ganze Welt auf die verschiedenste Art costumirter Männer und Frauen sich bewegte, unter denen übrigens die Verkleidungen der Malins und der Poissarden vorherrschend waren. Einige von diesen Frauen, – und wir müssen sagen, das waren die zierlichsten und hübschesten, – einige von diesen Frauen verriethen, als Poissarden verkleidet, am Halse und an den Schultern tief hinab entblößt, die Aermel bis an die Achsel zurückgeschlagen, mit Zinnober geschminkt, mit Schönfleckchen besäet, sie verriethen,. sagen wir, durch eine männlichere Stimme, durch einen Fluch, den sie kräftiger aussprachen, als es sich für ihren seidenen Rock und ihre Spitzenhaube geziemte, eine doppelte Verkleidung: Verkleidung im Costume und Verkleidung des Geschlechts; doch durch einen seltsamen Mißbrauch der Carneval-Fantasieen, ohne Zweifel, waren es nicht diese, welchen am Wenigsten die Männerschaar huldigte aus der ungefähr zwei Drittel der edlen Versammlung bestanden.

Stehend, sitzend, liegend, lachte, schwatzte, sang Alles das in den unzusammenhängendsten Tonarten und mit einer solchen Verwirrung, daß die Masse jeder Beschreibung entging und sich nur einige Einzelheiten aus dem ungestalten Ganzen hervorheben und in die Augen fielen.

Es war ein undurchdringliches Gewimmel, in dem sich Alles vermischte und verlor: die muskeligen Arme der Männer schienen den Frauen zu gehören; die zarten Beine der Frauen schienen den Männern zu gehören; ein bärtiger Kopf schien aus einem üppigen Busen hervorzukommen; von einer haarigen Brust glaubte man sie trage den schwermüthigen Kopf einer fünfzehnjährigen Jüdin! Es wäre selbst Petrus, nachdem er mit großer Mühe die Rümpfe wieder aufgebaut und jedem seinen Kopf zurückgegeben, unmöglich gewesen, zu unterscheiden, wem er die Füße, die Beine. die Arme gehörten, dergestalt waren alle diese Glieder vermengt, verknüpft, verdreht, unentwirrbar in einander verhalftert!

Die Gruppen, die man besonders unterschied, waren ein Pierrot. der sich den Anschein gab, als schliefe er an der Wand, mit einer Pierrette rittlings auf den Schultern: so daß der Pierrot, dessen Kopf das kattunene Wamms der Pierrette verbarg, das Aussehen eines Riesen mit zu kleinem Kopfe und zu kleinen Armen hatte; ein Polichinelle, der die Runde im Saale, ein Kind auf jedem von seinen zwei Höckern tragend. Zu machen versuchte; ein Türke. der auf einem Beine umherhüpfte. um zu beweisen. daß er nicht betrunken war; ein junger Bursche als Affe verkleidet, – eine von Mazurier in die Mode gebrachte Verkleidung. – der von Stuhl zu Stuhl, von Gruppe zu Gruppe sprang und die Priester der Göttin Thorheit und des Gottes Carneval – die Traurigste der Göttinnen und der Lustigste der Götter. – die unerwartetsten Ausrufungen mit ihren kreischenden Stimmen von sich zu geben veranlaßte.

Ein furchtbares Hurrah empfing die drei Freunde bei ihrem Eintritt in den Saal.

Der Pierrot offenbarte seine Androgencität dadurch, daß er das Wamms der Pierrette aufhob und seinen zweiten Kopf zeigte.«

»Die Polichinelle hielt in seiner umdrehenden Bewegung an, wie ein Gestirn, das mit einem Kometen zusammen stoßen würde

»Der Türke versuchte es, beide Beine zugleich aufzuheben, was seinen augenblicklichen Sturz und den völligen Bruch eines Tisches, auf den er fiel, herbeiführte.

»Der Affe endlich befand sich mit einem Sprunge auf der Schulter von Petrus und fing an unter dem Gelächter der Gesellschaft die aristokratischen Camelien seines Hutes zu entblättern.

»Wenn Du mir glauben willst. so gehen wir von hier weg,« sagte Jean Robert zu Petrus: »es wird mir übel.«

»Weggehen, ehe wir eingetreten sind?« erwiderte Petrus; »was fällt Dir ein? Man würde glauben, wir haben Angst, und Jagd auf uns in den Straßen von Paris machen. rote Seine Majestät Karl X. auf die Wildschweine des Waldes von Compiègne Jagd macht.«

»Was ist Deine Ansicht?« fragte Jean Robert Ludovic.«

»Meine Ansicht ist, daß wir, da wir einmal hier sind, bis zum Ende gehen müssen.«

»Ah!«

»Gebt Acht!« sprach Petrus. »man schaut nach uns: Du, der Du ein Theatermensch bist, weißt, daß Alles von den Debuts abhängt.«

Und er ging gerade auf den Krater zu, der sich unter dem Türken geöffnet hatte, und wo der Unglückliche so tief niedergesunken war, daß nur noch die Spitze seiner Stiefel und das äußerste Ende seines Reiherbusches sichtbar blieben, und sagte, immer mit seinem Affen auf den Schultern:

»Herr Muselmann, Ihr keimt das Wort Eures Patrones Mahomet Ben Abdallah, des Neffen vom großen Abu Thaleb, Fürsten von Mekka?«

»Nein,« antwortete eine Stimme aus den Tiefen des eingebrochenen Tisches.

»Da der Berg nicht zu mir kommt, so komme ich zum Berge.«

Er nahm sodann unversehens den Affen an der Haut seines Halses hob ihn auf, wie er es mit seinem Hute gethan hätte, grüßte den,Türken mit dem Jungen, der am Ende seines ausgestreckten Armes zappelte. und sprach:

Empfangt den Ausdruck meiner Ehrfurcht. Guter Muselmann.«

Und er setzte den Jungen wieder aus seine Schulter; dieser glitt aber eiligst an seinem ganzen Körper hinab, wie er es an einem Klettermaste gethan haben würde. und verschwand, um Grimassen in einer Ecke zu schneiden, wohin nicht das Licht der drei oder vier Lampen gelang, welche die Schenke erhellten.

Dieser Beweis von Höflichkeit und zugleich von Stärke trug Petrus allgemeinen Beifall ein.

Der Türke erwiderte den Gruß nun sehr maschinenmäßig; doch er klammerte sich wie ein Ertrinkender an die Hand an, die ihm Petrus reichte. welcher ihn mit einem Ruck wieder auf seine Füße stellte, eine sichtbar unzulängliche Basis, für den Augenblick wenigstens, für ein so tief erschüttertes Monument.

»Es sind offenbar zu viel Leute hier,« sprach Petrus,als er die von uns erzählte That vollbracht hatte. »Gehen wir in den ersten Stock hierauf.«

»Wie Du willst,« erwiderte Ludovic, »obschon es diesem Schauspiele nicht an Interesse gebricht.«

Ein Kellner. der ihnen bei ihrem Eintritt in die Anstalt folgte, ohne Zweifel um sich zu versichern. Daß er es mit Consumenten zu thun habe, mischte sich unverzüglich ins Gespräch.«

»Diese Herren wünschen in den ersten Stock hinaufzugehen?« fragte er.

»Es, wäre uns in der That nicht unangenehm.« antwortete Petrus.

»Hier ist die Treppe.« sprach der Kellner. indem er auf eine Art von schneckenförmiger Stiege deutete.«

Die drei Freunde begannen die schwierige Aufsteigung unter dem Gezische und dem Gelächter der Masken, welche zischten und lachten, ohne zu wissen, warum – um den Lärmen zu machen, mit dem sich die Leute, die nur bespitzt sind, zu berauschen, und diejenigen, welche nun trunken sind. zu besaufen.

Im ersten Stocke war der Saal voll wie im Erdgeschoße, es war dieselbe Anhäufung von Leuten in einer und derselben räucherigen Stube, mit neugierigen Wänden, welche durch die Risse einer schmutzigen, grauen Tapete schauten, mit grün und gelb gestreiften rothen Vorhängen und einem schwarzen Plafond.

Von der Thürschwelle aus gesehen, war diese Welt die noch einen Grad unter der, welche man verlassen, zu stehen schien. – diese Welt beleuchtet, wenn nicht verdunkelt, durch die röthlichen und fahlen Scheine von drei bis vier Lampen, war das lebendige Bild, die fühlbare Verkörperung, der verworrenen, buntscheckigem unvereinbaren Ideen, die sich im Gehirne eines Betrunkenen durchkreuzen.

»Ho! Ho!« sagte Jean Robert, der vorangegangen war und die Thüre aufgemacht hatte. »es scheint, die Hölle von Bordier ist gerade das Gegentheil von der Hölle von Dante: je höher man hinaufsteigt desto tiefer kommt man hinab.«

»Nun. was sagst Du dazu?« fragte Petrus

»Ich sage, daß es nur abscheulich war, daß es nun aber interessant wird.«

»Gehen wir immer weiter hinauf!« sprach Petrus.

»Thun wir das!« billigte Ludovic.

Und die drei Freunde setzten ihre Aufsteigung auf der immer schlechteren und schmäleren Treppe fort.

Im zweiten Stocke dasselbe Gedränge, dasselbe Schauspiel in einer ungefähr ähnlichen Decoration, wenn nicht etwa. daß der Plafond niedriger war, die Atmosphäre dicker und die athembare Luft folglich mit mehr ungesunden Dünsten beladen.

»Nun?« sprach Ludovic . . .

»Was sagst Du. Jean Robert?« fragte Petrus.

»Gehen wir immer weiter hinauf!« antwortete der Dichter.

Im dritten Stocke war es noch schlimmer.

Es fanden sich hier auf den Tischen und unter den Tischen. auf den Bänken und unter den Bänken etwa fünfzig menschliche Geschöpfe, – wenn der unter das Niveau des Viehes gesunkene Mensch diesen Namen zu behalten verdient.«

Diese fünfzig Geschöpfe. Männer. Weiber und Kinder, waren gelagert. ausgestreckt. eingeschlafen neben zertrümmerten Tellern und zerbrochenen Flaschen, befleckt von Brühen. geröthet von den Weinen.

Eine einzige Lampe erleuchtete düster die Stube.

Man würde geglaubt haben, es sei die Lampe eines Grabes, hätte nicht rauhes heiseres Schnarchen, aus der Brust mehrerer Schläfer hervorkommen. laut die materielle Existenz dieser, intellektuell todten Trunkenbolde geoffenbart.

Es wurde Jean Robert schwach ums Herz; doch Jean Robert war Meister über sich: sein Herz hätte brechen können. sein Wille würde sich nicht gebeugt haben.

Petrus und Ludovic schauten einander an, ganz bereit, der Eine trotz seiner Begeisterung. der Andere trotz seiner Kälte. umzukehren,

Jean Robert aber, da er sah. daß die Treppe gleichsam an die Mauer angeklebt, zu dem höheren Stocke an die Art einer Müllerleiter aufstieg, Jean Robert betrat die Treppe und sagte, behaglicher dem Anscheine nach, je weniger er es in Wirklichkeit war:

»Vorwärts meine Herren, Sie haben es gewollt; höher hinauf, immer höher!«

Jean öffnete halb die Thüre des vierten Stockes.

Die Dekoration blieb hier dieselbe, doch die Scene änderte sich.

Fünf Männer saßen um einen Tisch. auf welchem man die Ueberreste von Würsten und Schlitten mitten unter acht bis zehn Flaschen erblickte, die sich wie Kegel, nur weniger symmetrisch geordnet, erhoben.

Diese Männer waren im Stadtkleide.

Wenn wir sagen im Stadtkleide, so wollen wir damit einfach sagen, sie seien nicht Costümirt gewesen, und haben nur Blousen, Kittel oder Wämmser getragen

Die drei Freunde traten ein; der Kellner, der ihnen von Stock zu Stock gefolgt war, trat hinter ihnen ein

Die Ankömmlinge blieben auf der Thürschwelle stehen, ließen einen Blick in der Stube umherlaufen, und Jean Robert machte ein Zeichen. welches besagen wollte: »Das ist es, was uns ansteht.«

Die Pantomime war so ausdrucksvoll, daß Petrus erwiderte:

»Wahrlich! wir werden hier sein wie Prinzen!«

»In der That,« sprach Ludovic, »es wird uns nichts mehr fehlen, als athembare Luft.«

»Gut!« versetzte Petrus. »man wird dadurch machen, daß man ein Fenster öffnet.«

»Wo soll man den Herren den Tisch decken?« fragte der Kellner.

»Hier!« antwortete Robert. Und er bezeichnete mit dem Finger die Seite der Stube der entgegengesetzt wo sich die fünf ersten Gäste befanden.

Die Stube war so niedrig, daß man nothwendig beim Eintritt seinen Hut abnehmen mußte, und selbst wenn man den Hut abnahm, stieß Jean Robert, der Größte von den drei jungen Leuten, mit dem Kopfe an der Decke an.

»Was wünschen die Herren?« fragte der Kellner.

»Sechs Dutzend Austern, sechs Hammelcotelettes und einen Pfannkuchen,« antwortete Petrus.

»Wie viel Flaschen?«

»Drei Flaschen Chablis erster Qualität, mit Selerser Wasser, wenn es in diesem Hause gibt.«

Bei dieser Frage, welche auf eine Meile nach der Aristokratie roch, wandte sich einer von den fünf ursprünglichen Gästen gegen die Ankömmlinge um und sagte:

»Ho! Ho! wir haben es, wie es scheint, mit Muscadins zu thun.«

»Mit Haussöhnen.«

»Oder mit Bürgern von der hohen Pègre!3« rief ein Dritter.

Und die fünf Trinker lachten laut auf. Da die modernen Romane und die Denkwürdigkeiten von Vidocq die Leute der guten Gesellschaft noch nicht mit den Rothwälsche-Ausdrücken vertraut gemacht hatten, so wußten die drei Abenteurer nicht, daß sie ganz einfach als Diebe behandelt worden waren; sie schenkten auch dem Gelächter, das auf die Beleidigung folgte, nur eine geringe Aufmerksamkeit.

Jean Robert hatte schon seinen Mantel auf einen Stuhl gelegt und sein Stöckchen in die Ecke des Feunters gestellt.

Der Kellner schickte sich an, wegzugehen, um das Abendbrod zu bestellen als derjenige von den Männern, welcher zuerst gesprochen und die jungen Leute als Muscadins behandelt hatte, den Kellner an seiner Schürze zurückhielt und ihn fragte:

»Nun?«

»Nun, was?« versetzte der Kellner

»Hat man nicht schon Karten verlangt?«

»Doch.«

»Warum hat man sie dann nicht gebracht?«

»Weil Sie wissen, daß man keine in diesen Stunden gibt.«

»Wie welchen Gründen?«.

»Fragen Sie Herrn Delavau!«

»Wer ist das, Herr Delavau?«

»Der Polizeipräfect.«

»Was macht das mir, der Polizeipräfect?«

»Das mag Ihnen nichts machen, doch das würde uns etwas machen.«

»Was würde es Ihnen machen?«

»Wir müßten das Etablissement schließen und hätten dadurch den Kummer, Sie nicht mehr empfangen zu können.«

»Ei! wenn man nicht spielt, was sollen wir denn hier thun?«

»Man zwingt Sie nicht, zu bleiben«

»Höre, Du kommst mir vor wie ein unhöfliches Bürschchen, weißt Du? und man wird den Herrn davon unterrichten.«

»Oh! Unterrichten Sie den Papst, wenn Sie wollen!«

»Und Du glaubst wir werden hiermit zufrieden sein?«

»Sie müssen wohl«

»Und wenn wir nicht zufrieden sind?«

»Nun,« erwiderte der Kellner mit dem spöttischen Gelächter, das gewöhnlich die Scherze der Leute aus dem Volke begleitet, »wenn Sie nicht zufrieden sind, wissen Sie, was Sie thun werden?«

»Nein.«

»Sie werden Karten nehmen.«

»Tausend Donner! ich glaube, Du machst Dich lustig über mich?« schrie der Trinker, indem er aufstand und auf den Tisch einen Faustschlag that, der die Flaschen, die Gläser und die Teller sechs Zoll hoch aufspringen machte.«Karten! das ist es gerade, was wir verlangen.«

Doch der Kellner war schon auf der halben Treppe; der Trinker sah sich genötigt, wieder niederzusitzen, und wartete aller Wahrscheinlichkeit nach, nur auf eine Gelegenheit, seine schlimme Laune ausbrechen zu lassen.

»Ah!« murmelte er, es scheint, der Bursche hat vergessen, daß ich Jean Taureau heiße und einen Ochsen mit einem Faustschlage töte. Ich werde ihn daran erinnern müssen.

Und er nahm vom Tische eine halbvolle Flasche, setzte den Hals an seinen Mund und leerte sie auf einen Zug.

»Jean Taureau hat Verdruß,« flüsterte einer von den fünf Tischgenossen seinem Nachbar ins Ohr, »und ich kenne ihn, das muß auf irgend Einen zurückfallen!«

»Dann mögen sich die Muscadins4 in Acht nehmen,« erwiderte derjenige, welchem diese vertrauliche Mittheilung gemacht werden war.

3

La haute pègre ist eine Association von ausgezeichneten Dieben. Vidocq hat dieser Association in seinem Werke: »Die wahren Geheimnisse von Paris« (in der Uebersetzung durch den Frank’schen erlag veröffentlichte ein besonderes Kapitel gewidmet. D. Uebers.

4

Muscadin, ein aus der Zeit der Revolution von 89 vererbter Ausdruck; man nannte so die Elegants, Stutzer, als nach musc, Bisam, riechend. D. Uebers.

Die Mohicaner von Paris

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