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Erstes bis viertes Bändchen
VIII
Während Petrus und Ludovic schlafen

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Kaum hatten die zwei Schläfer durch ihr Schnarchen angezeigt, sie nehmen ihren Abschied als vernünftige Menschen und überlassen die Conversation Jedem, der sie zu behauptete vermöge, da stützte Salvator seine Ellenbogen auf den Tischs ließ seinen Kopf in seine Hände fallen, schaute Jean Robert starr an und fragte:

»Sagen Sie, Herr Dichter, warum wollten Sie die Nacht in der Halle zubringen?«

»Ei! um meinen Freunden, Petrus und Ludovic, ein Vergnügen zu machen.«

»Einzig und allein?«

»Einzig und allein.«

»Und nichts hat Sie zu dieser Gefälligkeit für sie angetrieben?«

»Nichts, daß ich wüßte.«

»Sie sind dessen sicher?«

»So viel als man seiner selbst sicher sein kann.«

»Dann täuschen Sie mich nicht, doch Sie täuschen sich selbst. Nein. diese Herren. die hier einen so guten Schlaf schlafen, sind nicht die Ursache. sondern nur der Vorwand. Wissen Sie, warum Sie hierher gekommen sind? Sie sind gekommen. um Ihr Handwerk als Philosoph, Beobachter, Sittenmaler, Dichter, Romantiker zu treiben; Sie sind gekommen. um das menschliche Herz in anima villi zu studieren, wie man in der Schule sagt, nicht so?«

»Es ist Wahres in Ihrer Bemerkung,« erwiderte lachend Jean Robert. »Ich habe bis jetzt nur Theaterstücke geschrieben, doch ich will mich nicht hierauf beschränken: ich will Sittenromane machen, auf die Weise, wie es Shakespeare bei seinen Dramen that, indem er eine ganze geschichtliche Periode umfaßte und die ganze Gesellschaft vom Todtengräber bis zu Hamlet, Prinz von Dänemark, in Contribution setzte. Und was soll ich Ihnen sagend im Drama Hamlet ist es nicht die Scene des Todtengräbers, die ich am wenigsten liebe, und unter den Personen sind es nicht diese Gräberschaufler, diese Leichenentheiliger, die ich am wenigsten philosophisch finde.«

»Ja, Sie haben Recht, und ich bin vielleicht Ihrer Ansicht; doch Sie benehmen sich schlecht hierbei, oder Sie wählen vielmehr den Ort der Scene schlecht. Wo zeigt Shakespeare die Todtengräber? Bei ihrem Geschäfte die Füße im Grabe einen Schädel in der Hand und nicht in der Taverne von Yanghan, dem Weinhändler, bei dem sich der erste Todtengräber durch den zweiten ein Glas Branntwein holen läßt . . . Wollen Sie Poesie machen? Lieben Sie ein Weib und laufen Sie in den Wäldern umher . . . Wollen Sie Theater machen? Gehen Sie in die Gesellschaft bis um Mitternacht; studieren Sie Molière und Shakespeare bis um zwei Uhr Morgens, schlafen Sie hierauf sechs Stunden, verschmelzen Ihre Erinnerungen mit Ihren Lecturen und schreiben Sie von neun Uhr bis Mittag . . . Wollen Sie Romane machen? Nehmen Sie Lesage, Walter Scott und Cooper, das heißt den Sittenmaler, den Charaktermaler, den Naturmaler; studieren Sie den Menschen zu Hause; in seinem Atelier, wenn er Maler ist; in seinem Bureau, wenn er Kaufmann ist; in seinem Cabinet, wenn er Minister ist; auf seinem Throne. wenn er König ist; in seiner Krambude wenn er Schuhmacher ist; doch nicht in der Schenke, in der er ermüdet ankommt, aus der er betrunken weggeht. Auf das Schild der Schenken müßte man das Wort von Dante: Lasciate ogni sperenza, setzen. Und dann welch eine erbärmliche Nacht wählen Sie für Ihre Studien! eine Faschingenacht, eine Nacht wo Jeder von diesen Menschen nicht an seinem Platze ist, wo Alle Alles, von ihrer Hofe bis auf den Ueberzug ihres Strohsackes, verpfändet haben, um sich mit prunkenden Costumen aufzuputzen; eine Nacht, wo sie den Reichen nachäffen, eine Nacht, wo sie Alles sind, nur nicht sie selbst. Wahrhaftig, Herr Beobachter.« fügte Salvator, die Achseln zuckend, bei, »Sie beobachten auf eine seltsame Art.«

»Fahren Sie fort, fahren Sie fort.‹ sagte Jean Robert; »ich höre.«

»Nun! was würden Sie zu einem Menschen sagen. der das menschliche Herz in einem Narrenhause studierte?« Nicht wahr, Sie würden ihn selbst als Narren behandeln? Was machen Sie aber Anderes hier zu dieser Stunde? Hören Sie mich an, Herr Jean Robert; der Zufall hat und zusammengeführt, die gewöhnliche Bewegung wird und bald trennen; wir werden und vielleicht nie wiedersehen. Lassen Sie mich Ihnen einen Rath geben . . . Ich scheine Ihnen sehr vermessen, nicht wahr?«

»Oh! durchaus nicht, das schwöre ich Ihnen.«

»Was wollen Sie? ich habe auch einen Roman gemacht.«

»Sie.«

»Ja; doch einen von den Romanen, die man nicht druckt, seien Sie unbesorgt. ich werde Ihnen nicht Concurrenz machen; damit wollte ich Ihnen nur sagen, ich habe die Prätension, Beobachter zu sein. Die Romane, Dichter, macht die Gesellschaft; suchen Sie in Ihrem Kopfe, durchwühlen Sie Ihre Einbildungskraft, graben Sie in Ihrem Gehirne, Sie werden darin in drei Monaten, in sechs Monaten, in einem Jahre nichts dem Aehnliches finden, was der Zufall, das Verhängniß, die Vorsehung, welchen Namen Sie dem Worte, das ich suche, geben wollen, Sie werden,sage ich. daran nichts dem Aehnliches finden, was der Zufall, das Verhängnis oder die Vorsehung in einer Nacht in einer Stadt wie Paris knüpft und löst, aufwickelt und entwickelt! – Haben Sie ein Sujet für Ihren Roman?«

»Nein. noch nicht. Das Theater nehme ich gern in Angriff: es ängstigt mich nicht so sehr; doch der Roman mit seinen Verzweigungen, seinen Episoden, seinen unerwarteten Entwicklungen, seinen Treppen. welche zur höchsten Stufe der Gesellschaft hinaufsteigen,. seinen Leitern, die in die tiefsten Abgründe hinabgehen, ein Roman mit dem Boudoir der Prinzessin und der Mansarde des Arbeiters; ein Roman mit den Tuilerien und der Freischenke, wo wir sind. mit Notre-Dame und dem Grève-Platze, – ich gestehe Ihnen, daß ich vor dem Werte zurückweiche, daß ich vor der Arbeit erschrecke, und daß es mir scheint, es sei hierbei nicht eine gewöhnliche Last, sondern eine Welt aufzuheben.«

»Nun wohl, ich,« versetzte Salvator, »ich glaube daß Sie sich täuschen.«

»Ich täuscht Mich?«

»Ja.«

»Worin?«

»In dem, daß Sie machen wollen«

»Allerdings.«

»Hierin haben Sie Unrecht! machen Sie nicht: lassen Sie machen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Wie ist Asmodi verfahren?«

»Er hob die Dächer der Häuser auf und sagte zu Don Cleophas: ›Schau!‹

»Haben Sie die Macht von Asmodi? Nein. Ich sage Ihnen auch: machen Sie es noch einfacher; verlassen Sie diese Schenke, folgen Sie dem ersten Manne oder der ersten Frau, die Sie in der Straße, auf dem Kreuzwege, auf dem Quai treffen; dieser erste Mann, oder diese erste Frau wird wahrscheinlich nicht der Held oder die Heldin einer Geschichte sein, aber er oder sie wird einer von den Fäden den großen menschlichen Romans sein, den Gott componirt, – in welcher Absicht? – Gott allein weiß es! – machen Sie sich ganz einfach zu seinem Mitarbeiter, und vom ersten Schritte an seien Sie sicher, daß Sie auf der Spur eines entsetzlichen oder possierlichen Abenteuers sein werden.«

»So ist aber Nach!«

»Ein ein Grund mehr! die Nacht ist für die Dichter, die Verliebten, die Patrouillen, die Diebe und die Romanschreiber gemacht.«

»Ich soll also meinen Roman sogleich anfangen?«

»Er ist schon angefangen«

»Wahrhaftig?«

»Gewiß.«

»Seit welcher Stunde?«

»Seit der Stunde, wo Ihre Freunde zu Ihnen gesagt haben: ›Speisen wir in der Halle zu Nacht.‹

»Sie scherzen!«

»Nein. bei meiner Ehre! Sie brauchen nur zu wollen. Jean Taureau wird eine Person von Ihrem Roman sein, Gibelotte wird eine Person von Ihrem Roman sein, Toussaint Louverture wird eine Person von Ihrem Roman sein, Sac-à-Plâtre wird eine Person von Ihrem Roman sein Croc-en-Jambe wird eine Person von Ihrem Roman sein; Ihre zwei Freunde, welche schlafen, ohne zu ahnen, daß wir ihnen Rollen zutheilen, werden Personen von Ihrem Roman sein; ich selbst wenn Sie mich für würdig erachten, werde eine Person von Ihrem Roman sein . . . Nur verlassen Sie ihn nicht bei der Exposition.«

»Ah! bei meiner Treue, Sie haben Recht, und ich verlange nichts Anderes, als ihn zu verfolgen.«

»Dann sagen Sie sich wohl Folgendes: daß Sie nicht mehr ein Autor sind, der Situationen schafft, Ereignisse abwägt, Entwickelungen vorbereitet, sondern daß Sie ein Schauspieler des großen menschlichen Dramas sind, dessen Theater die Welt ist, das zu Decorationen die Städte, die Wälder, die.Flüsse, die Meere hat, wo Jeder nach seinem Interesse, seiner Laune, seiner Phantasie dem Anscheine nach handelt, in Wirklichkeit aber durch die unsichtbare, und mächtige Hand des Geschicks angetrieben wird. Die Thränen, welche dabei fließen werden, werden ächte Thränen sein, das Blut weiches dabei vergossen werden wird, wird echtes Blut sein, und Sie selbst werden Ihre Thränen und Ihr Blut mit dem Blute der Andern vermengen.«

»Ei! was liegt dem Dichter daran, daß er leidet wenn die Kunst etwas bei seinem Leiden zu gewinnen hat.«

»Ah! Sie sind so, wie ich Sie beurtheilte. Hören Sie, die Witterung hat sich in eine strengere Kälte verwandelt, die Nacht ist schön, der Mond scheint herrlich, lassen Sie uns gehen und die Fortsetzung der Geschichte suchen, deren erste Kapitel wir nicht geschrieben aber gespielt haben.«

»Ich kann meine zwei Freunde nicht hier lassen.«

»Warum nicht?«

»Wenn ihnen Unglück widerführe?«

»Es ist keine Gefahr: ich werde ein Wort zum Kellner sagen, und wenn man erfährt, daß sie unter meinem Schutze stehen, so wird der kühnste Gauner dieser Schenke nicht ein Haar von ihrem Haupte berühren.«

»Wohl, es sei!« sprach Jean Robert; »nur werden Sie die Güte haben, die Ermahnung in meiner Gegenwart zu geben.«

»Gern!«

Salvator näherte sich der Treppe und ließ ein auf eine gewisse Weise moduliertes Pfeifen hören, das zugleich mit der Pfeife des Maschinisten und mit der des Hochbootsmanns Aehnlichkeit hatte.

Man pflegte Herrn Salvator nicht warten zu lassen, wie es scheint, denn kaum waren die letzten Noten der seltsamen Modulation erloschen, als der Kellner erschien.

»Herr Salvator ruft?« sagte er.

»Ja.«

Erstreckte den Arm gegen die zwei Schläfer aus.

»Diese zwei Herren gehören zu meinen Freunden, Meister Babylas; Du verstehst?«

»Ja, Herr Salvator‹ antwortete einfach der Kellner.

»Kommen Sie!« sagte der junge Mann zum Dichter.

Und er ging zuerst hinaus.

Jean Robert, der zurückgeblieben war, verlangte die Rechnung. Er fügte der Bezahlung fünf Franken für den Kellner bei und fragte:«

»Mein Freund, machen Sie mir das Vergnügen mir zu sagen, wer der Herr ist, der Ihnen meine zwei Freunde empfohlen hat.«

»Das ist kein Herr, das ist Herr Salvator.«

»Wer ist aber Herr Salvator?«

»Sie kennen ihn nicht?«

»Nein, da ich Sie frage, wer er sei.«

»Es isst der Commissionär der Rue aux Fers.«

»Wie?«

»Ich sage Ihnen. es sei der Commissionär der Rue aux Fers.«

Der Kellner antwortete mit solchem Ernste, daß man nicht bezweifeln konnte, er spreche die Wahrheit.

»Herr Salvator hat offenbar die Wahrheit gesagt, und wir fangen einen Roman an, wie noch keiner gemacht worden ist,« murmelte Jean Robert.

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