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Erstes bis viertes Bändchen
XX
Der Zauberstab

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Weit entfernt, gegen Mina ihre Adoptivfamilie zu mißstimmen, bestärkten diese Züge und ähnliche Justin und seine Schwester nur in der guten Meinung, die, sie vom Herzen der kleinen Waise hatten; statt sie zu tadeln munterten sie Mina auf, dem Impulse ihrer reizenden Natur zu folgen, welche einige Strahlen der Heiterkeit in das Haus warf;. sie hätten ihr gern aus allen ihren Arbeiten ein Vergnügen, aus allen ihren Tagen ein Fest machen mögen: sie wußten wohl, diese reinen Herzen daß die Kindheit ein ewiger Sonntag ist.

Doch die Mutter war blind; die Schwester oft krank; alle Drei in dürftigen Umständen.

Die Verwandten konnten nur ihre Traurigkeit der Kleinen geben: sie war es also, welche durch die Gnade Gottes ihnen ihre Heiterkeit gab.

Sie gewann am Ende im Hause eine so große Herrschaft, daß es mit dem Hause war, wie es mit der Natur beim Ausgange aus dem Winter ist: zuerst kahl und trostlos, schien es zum Leben wiedergeboren zu werden, und allmählich nahm es unter einem unsichtbaren Safte Knospen, Blätter und Blüthen an.

Der Schulmeister war trotz der Bemühungen des alten Professors, – und obgleich er nach dem Ausdrucke von diesem die Welt mit dem Ellenbogen berührt hatte, – der Schulmeister war in diesem Kampfe zwischen seinem Gewissen und seinen Neigungen, zwischen seiner Pflicht und seinen Begierden unterlegen; er war, wie es Herr Müller vorhergesagt, verwelkt mitten im schönen Frühling seiner Jugend; in drei Jahren war er um zehn Jahre älter geworden.

Das war das Gegentheil bei der kleinen Mina: bei ihrer Berührung verjüngte sich die Familie. Es ist in der That das Eigenthümliche der sorglosen Kindheit, daß sie Alles, was in ihre Nähe kommt, wiederbelebt und verjüngt.

Überall, wo ihr weißes Kleid hinstreift, wächst das Gras, blühen die Knospen.

Die kleine Mina war kaum zwei Jahre in der Familie des Schulmeisters, und schon hatte das Haus eine völlige Umwandlung erlitten.

Einmal ging sie auf der Ebene von Mobtrouge spazieren, und auf dieser dürren Ebene war sie im Stande, ein Dutzend Büschel Maßlieben und wilde Veilchen zu entdecken.

Sie entwurzelte sie mit einem Messer, legte sie in ihr Taschentuch, brachte sie nach Hause, und Madame Corby war sehr gerührt, als sie unter ihrer Hand zwei Blumentöpfe fühlte, die sie an die Sonne erinnerten, welche sie nicht mehr sehen konnte.

Ein andermal waren es zwei Zwergrosenstöcke, die ihr ein Gärtner aus der Nachbarschaft geschenkt; sie setzte sie in zwei Gläser und stellte sie auf den Kamin von Justin, während er ausgegangen war. Am Abend fand sie der Schulmeister bei seiner Rückkehr, und es ergriff ihn eine süße Gemüthsbewegung, als er diese Rosen anschaute, die ihn daran erinnerten. daß es um Paris einen Frühling mit blühendem Kleide gab, den er nicht genoß.

Die Schwester Céleste hatte auch ihre Ueberraschung; mehrere Male äußerte sie vor der Waise ihren Wunsch, eine kleine Katze zu besitzen, und wäre es nur, um sie durch das Verwirren ihres Fadens zu zerstreuen, der immer so gut entwirrt war: eines Abends war sie sehr erstaunt, als sie, ihr Kopfkissen aufhebend, ein weißes Kätzchen mit einem blauen Bande um den Hals hervorkommen sah. Es war abermals Mina, welche diese Katze entdeckt und derselben ein Halsband aus ihrem Gürtel gemacht hatte.

Jeden Tag hatte sie einen andern Einfall; das ganze Erfindungsgenie der Kindheit war in diesem blonden Kopfe concentrirt; man hätte glauben sollen, dem Zephyr ähnlich athme sie nur, um den Frühling zu beleben und die Rosen und den Jasmin blühen zu machen.

Man sah auch nur noch durch sie, man unterhielt sich auch nur noch von ihr: Mina hier, Mina da! Wie eine angenehme Note, welche Jedermann gefällt, hörte man ihren Namen von oben bis unten im Hause ertönen.

Hatte man einen Einkauf zu machen so überließ man es ihrem Geschmack; einen Entschluß zu fassen, ihrer Entscheidung; einen Plan auszuführen, ihrem Willen.

Sie war souveraine Gebieterin einen kleinen Staates; sie regierte ihre drei Unterthanen mit ihrem gesunden Verstande, ihrem guten Herzen und ihrer Heiterkeit.

Alle Drei fühlten und anerkannten auch den wohlthätigen Einfluß, den dieses Kind auf sie übte; der Tod von einem der drei Mitglieder der Familie hätte nicht mehr Schmerz den zwei Ueberlebenden bereitet, als der Abgang des Mädchens ihnen allen Dreien verursacht haben würde.

Sie nannten sie den Engel der Heiterkeit.

Und in der That. es war eine Bezauberung aller Stunden.

Eines Tage war sie nach dem Walde von Meudon mit Herrn Müller und Justin gegangen; – es war ein Sonntag. wohlverstanden; – sie erblickte auf ein Dutzend Fuß auf einem Aste ein Finkennest. Ihre Lüsternheit erwachte alsbald, und sie unternahm es, dem alten Professur und Justin zu beweisen, es sei etwas äußerst Leichtes, ihr dieses Nest zu holen, wobei sie bemerkte, sie verstehe es, auf Bäume zu klettern, und wenn keiner von den Männern hinaufsteige, so werde sie selbst steigen. Justin hatte in seiner Jugend diese Kunst geübt, und er hatte sie sicherlich nicht so sehr vergessen, daß er vor einem so geringen Aufsteigen zurückweichen mußte. Eines aber erregte Besorgniß bei ihn: um auf Bäume zu steigen, mußte man den Stamm mit den Armen und den Knieen umfangen, und diese Operation konnte nur zum wahrscheinlichen Schaden des Rockes und der Hose des jungen Mannes geschehen.

Justin kratzte sieh »ein Ohr und schaute nach dem Neste.

Der gute Professor begriff, was Justin beschäftigte; er warf seinen breitkrämpigen Hut auf den Boden, lehnte sich an den Baum an, verband seine Hände und erbot sich seinen Zögling als kurze Leiter zu dienen.

Dieser bat um Verzeihung wegen der großen Freiheit, die er sich nehme, stieg auf seine Schultern, hob den Arm empor, erreichte das Nest, und legte fünf Finken in die Hände von Mina, die sie springend vor Freude empfing.

Es ist in der Kindheit eine so unwiderstehliche Kraft, ein so gebieterischer Wille, eine solche Macht des Befehlens, daß man durchaus gehorchen muß.

Fügen wir bei: es ist das Eigenthümliche der Greise, daß sie duldsamer gegen die Kindheit sind. als die jungen Leute, ohne Zweifel, weil die jungen Leute näher bei diesem Alter sind und die Greise weiter davon entfernt.

Sie wußte übrigens wohl. was sie that, die kleine Halsstarrige, wenn sie die Finken verlangte, und das war nicht das erste Nest nach dem es sie gelüstete; sie hatte, irgendwo, im Keller oder aus dem Speicher, – einen schmutzigen, schwarzen, alten Käfig gefunden, den sie abkratzte, abwischte, glättete; und diesen von ihr wiederhergestellten Käfig wollte sie benützen.

Sie nahm also die Finken mit, ohne Justin zu antworten, der ihr sagte, sie werde nicht wissen, wohin sie dieselben bringen sollte; und fünf Minuten nach ihrer Rückkehr kam sie ganz triumphierend in die Stube des Schulmeisters mit ihrem glänzenden Käfig und ihrer häuslich eingerichteten Finkenfamilie.

Hierbei tauchte in ihr aber eine Idee auf, welche lange ihr kleines Gehirn beschäftigte, ehe sie zu Tage ausging, das war die Idee, für den Käfig von Bruder Justin zu thun, was sie für den Käfig ihrer Finken gethan hatte.

Nur handelte es sich hier nicht darum, zu scheuern zu waschen und zu poliren, man mußte die Tapete, die Fenstervorhänge, die Bettvorhänge wechseln.

Die arme Kleine brauchte hierzu ein Jahr; sie hatte alle Arten von Launen, und da ihr Justin nichts abzuschlagen wußte so waren es bald zehn Sous für ein Band, das sie nicht kaufte, bald zwanzig Sous für ein Spitzenende, das bei der Händlerin blieb; kurz von zehn zu zehn Sous, von zwanzig zu zwanzig Sous häufte sie eine Summe von siebzig Franken an, von denen fünfzehn verwendet wurden, um durch eine perlgraue Tapete mit blauen Rosen die abscheuliche, erdfarbige, fettige, feuchte Tapete, die das Auge betrübte, zu ersetzen, und fünfundfünfzig um Mousselinevorhänge zu kaufen, welche, von ihr und von Schwester Céleste gemacht, die am Ende ihre Mitschuldige geworden, die Stelle der Verhänge von grüner Sarsche einnehmen.

Die Metamorphose des Zimmere bewerkstelligte sich an einem Abend, durch die Gefälligkeit eines Tapetenhändlers, der seinen Sohn in der Classe von Justin hatte und zu diesem Taschenspielerstückchen dadurch beitrug, daß er vier Arbeiter das Papier an die Wand kleben ließ, während Justin die Dandys und die Coquetten der Barrière du Maine springen machte.

Als Justin nach Hause kam, glaubte er, man habe einen Ruhealtar in seinem Zimmer gemacht; er wollte schmähen, zanken, sich beklagen: Mina reichte ihm ihre beiden rosigen Wangen, und Justin konnte nur das Kind an sein Herz drücken.

Und Stufe um Stufe verjüngte und erheiterte sich dieses traurige Haus, wie seine Bewohner sich verjüngt und,aufgeheitert hatten.

Alb Mina zu diesem Grade des Einflusses gelangt war, erklärte sie den alten religiösen Musikbüchern den Krieg, und sie brachte es dahin, daß Sebastian Bach, Palestrina, Haydn in den Schrank zurückkehrten, und daß, um diese erhabenen Ahnherren zu ersetzen, welche die Freunde der Jugend, des Schulmeisters gewesen waren, Justin eines Tages mit Fragmenten der Partitur einer komischen Oper, die er, auf den Quais Scharteken durchstöbernd, gefunden hatte, nach Hause kam

Wer ganz verblüfft war, wer rückwärts zu fallen dachte, das war Herr Müller, als er eines Abends eintrat und Justin die Hauptmotive von Don Gulistan, diesem lustigen Stücke in drei Akten, entziffernd fand.

Mina erklärte aber,– wahrscheinlich um ihren alten Groll gegen das Violoncell zu befriedigen. – Mina erklärte, die heitersten Melodien scheinen ihr traurig auf diesem Instrumente.

Man beurtheile, in welchem Grade sie dem armen Schulmeister den Kopf verdreht hatte, und wie er den Launen dieses Kindes zu gehorchen bereit war: sie machte Justin so viel Neckereien wegen seines Violoncells. – und Sie wissen, ob der arme Mann sein Instrument den schwermüthigen Gefährten seines melancholischen Lebens, liebte! – die tyrannisches Gewalt der kleinen Mina über ihn war so groß, daß sie ihn bestimmte, auf das Violoncell zu verzichten.

Ach! es war ein sehr trauriger Augenblick, der Augenblick, wo der arme Justin sein Violoncell in das hölzerne Gefängniß einschloß, zu dem es aus Lebenszeit verurtheilt war.

Sie werden mir sagen, es seien ihm drei Tage geblieben, um Contrabaß an den Barrièren zu spielen; doch diese Musik, welche für den frommen Schulmeister im höchsten Grade profane Musik war, dünkte ihm entfernt nicht eine hinreichende Entschädigung für das, was er an Haydn, Palestrina und Sebastian Bach verlor.

Uebrigens hatte Mina, ohne ihm etwas zu sagen den besten Grund für ihr Recht, ihm dieses Opfer aufzuerlegen.

Was war für ihn die Musik?

Der Trost bei seinem Gerame.

Was brauchte er, sich zu zerstreuen, da er sich nicht mehr grämte? getröstet zu werden, da er nicht mehr traurig war?

War sie nicht das lebendige Lied?

Ist es endlich richtig, zu sagen, wie wir es gethan, die Mißgeschicke kommen in Schaaren, so ist es auch wahr wenn man sagt, ein Glück komme selten allein.

An einem Herbstabend, beim Wiederbeginnen der Classen, öffnete auch Justin ganz einfach beide Flügel seiner Thüre Fortuna, welche anklopfte.

Die launenhafte Göttin hatte das freundliche Gesicht eines Notars der Rue de la Harpe angenommen.

Sie fragen mich naiv, dessen bin ich sicher: »Es gab also Notare in der Rue de la Harpe?«

Es ab nicht Notare es gab einen Notar.

Diese Notar hieß Meister Jardy.

Er hatte zwei Söhne. deren heißester Wunsch es war, zwei Classen einem Jahre zu machen, oder mit andern Worten, im folgenden Jahre die Classe, welche man die dritte nannte, zu überspringen und von der vierten in die zweite überzugehen.

Justin war den ganzen Tag beschäftigt, und da es die zwei jungen Leute auch waren, so durfte man nicht an Lectionen bei Tag denken.

Auch konnte Justin nicht auf seine Classe verzichten.

Was den jungen Leuten anstand, das waren Lectionen am Abend, drei in der Woche und jede von zwei Stunden.

Unter diesen Bedingungen ging die Sache vortrefflich bei Justin.

Dreimal in der Woche machte er an der Barrière tanzen, und da er wegen des Verbots seiner kleinen Despotin nicht mehr in seinem Zimmer Violoncell spielen konnte, so hatte er eine große Liebe für diese Beschäftigung gefaßt, die ihm noch von Zeit zu Zeit seinen Contrabaß ans Herz zu drücken erlaubte.

Ein Contrabaß ist rein Violoncell; die Musik der Schenke war nicht die Musik von Beethoven; doch wir sind bekanntlich nicht auf dieser Welt, um die duftende Blume aller unserer Wünsche sich erschließen zu sehen.

Justin bot dem Notar seine drei freien Abende an.

Der Notar gab weder den geraden, noch den ungeraden Tagen einen Vorzug; ein Notar der Rue de la Harpe hat weder in der großen Oper, noch bei den Italienern eine Loge.

Die drei Abende von Justin waren die drei Abende von Meister Jardy.

Der würdige Notar bot fünfzig Franken monatlich, und am Ende des Jahres einen Zusatz von fünfzig weiteren Franken, wenn seine zwei Söhne in der zweiten Classe aufgenommen würden.

Justin willigte ein; er machte sich in Bausch und Bogen anheischig, gegen hundert Franken monatlich ein Wunder zu vollbringen.

Es wurde verabredet, daß schon an dem Tage Meister Jardy seine zwei Sühne schicken sollte.

Die Reinlichkeit des Stübchens von Justin hatte den Notar besonders verführt.

Er hatte zweimal wiederholt:

»Was für ein reizendes Stäbchen haben Sie da Herr Pierre Justin Corby!«

In seiner Eigenschaft als Notar erließ Meister Jardy denjenigen, mit welchen er sprach, nicht einen einzigen von ihren Namen.«

»Welch ein reizendes Stäbchen haben Sie da! Ich muß Madame Jardy ein ähnliches einrichten lassen!«

Und wer hatte dieses so freundliche Stäbchen, das sogar den Notar verführte, eingerichtet? Mina, der Engel der Heiterkeit!

Als sich der Notar entfernt hatte, nahm Justin auch, ohne zu bemerken, daß Mina ihrem fünfzehnten Jahre zu ging, diese in seine Arme, küßte sie mit alter Gewalt seiner Lippen und sagte:

»Du bist mein guter Genius, Kind! seit Deinem Eintritte hier hat das Glück sein Nest im Hause gemacht.«

Und er hatte Recht, wenn er das sagte, der wackere junge Mann; es war eine wahre Fee, ein wahrer Genius, dieses Mädchen mit seinem Zauberstabe.

»Mit seinem Zauberstabe?« wird man sagen; »Sie haben noch nicht hiervon gesprochen!«

Im Gegentheil, liebe Lesers im Gegentheil, freundliche Leserinnen! wir haben nur hiervon gesprochen.

Dieser Zauberstab, das war die Jugend.

Die Mohicaner von Paris

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