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Erstes bis viertes Bändchen
XV
Das Hauswesen des Schulmeisters

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Das Haus, dessen Erdgeschoß Justin bewohnte, hatte über dem Erdgeschoße nur einen Stock.

Dieser Stock bestand aus zwei Stuben und einem Cabinet, und dem man eine Küche gemacht hatte.

In diesem ersten Stocke wohnten die Mutter und die Schwester des jungen Mannes.

Das einzeln im Hofe stehende Hündchen, das mit den benachbarten Häusern nur durch eine seiner Seiten zusammenhing, war aller Wahrscheinlichkeit nach gebaut worden, um als Wohnung für den Werkführer der Spinnerei zu dienen, deren Trümmer man einige Schritte von da erblickte.

In diesem finsteren, ungesundeste Winkel, dem sein Licht nur von einem mit hoben Gebäuden umgebenen Hofe zukam, schmachteten eine Mutter. ihre Tochter und ihr Sohn.

Die Mutter, eine von Blindheit geschlagene arme Frau hielt sich im ersten Zimmer auf, wo ihre Kinder sich alle Abende versammelten; sie überschritt vielleicht nicht dreimal im Jahre die Schwelle diesen Zimmers.

Fromm, vereinzelt, des Gesichtes beraubt, war sie geduldig.

Man hatte sie nie klagen hören: sie besaß die erhabene Resignation einer Matrone des Alterthums und übte die strengen Tugenden einer solchen; Sparta hätte sie göttlich verehrt, ein Decret den römischen Senats hätte befohlen, sich vor ihr zu entblößen, wie vor einer Priesterin der großen Göttin.

Die französische Gesellschaft marterte sie.

Ah! die französische Gesellschaft, sie ist es, der wir diesmal zu Leibe gehen.

Wir wissen wohl, daß wir unterliegen werden, wie Jakob in seinem Kampfe mit dem Engel; doch wenn wir einst Gott Rechenschaft ablegen. und Gott spricht zu uns: »Was habt Ihr gethan?« so werden wir ihm antworten: »Es war uns unmöglich, zu siegen; wir haben gekämpft.«

Die Tochter, ein kränkliches, schwächliches Geschöpf, ohne Athem; eine Blume der Felder, eine Maßliebe der Wiesen, ein Maiblümchen des Waldes in einen Keller verpflanzt, die Tochter besaß einige von den soliden Tugenden der Mutter, doch sie hatte entfernt nicht ihre Selbstverleugnungsstärke.

Mit einem Aneurysma behaftet, das sie bei der ersten heftigen Erschütterung zu tödten drohte, instinktartig ihre junge Existenz durch die Mauer eines Kirchhofes geschlossen fühlend, wurde ihre Resignation manchmal zur Verrätherin an ihr; nicht, als ob ihr je ein Wort der Bitterkeit entschlüpft wäre, – sie war zu christlich hierzu – doch sie ließ sich wenn man so sagen darf innerlich brechen; ihre Verzweiflung war in ihr: von Zeit zu Zeit trug ihre elfenbeinfarbige Stirne das Gepräge davon an sich, und ihre Mutter erblickte mit den Augen des Herzens diese düsteren Spuren . . .

Vom Morgen bis zum Abend in seiner Classe beschäftigt, konnte der Sohn selten am Tage zu den zwei Frauen hinaufgehen; diese Freude war ihm nur dann vergönnt, wenn ihn sein alter Professor besuchte und sich herbei ließ, auf eine Stunde seine Stelle in Beaufsichtigung der Kinder einzunehmen.

Die Schule wurde im Sommer um acht Uhr Morgens geöffnet und um sechs Uhr Abends geschlossen, im Winter um neun Uhr geöffnet und um fünf Uhr geschlossen.

Fast alle diese Kinder waren Söhne von Arbeitern der Vorstadt. bestimmt. früher oder später das Handwerk ihres Vaters zu ergreifen; sie halten also nicht nötig, Studien im Lateinischen und Griechischen zu machen.

Es waren aber zwei unter der Zahl, von denen der Vater, der, früher Arbeiter bei einem Mechanikus, ein wohlhabender Meister geworden war, den Einen für die Ecol Polytechnique, den Andern für die Ecol des Arts-et-Métiers bestimmt hatte.

Man sollte sie ins Collége bringen, sobald sie ihr zwölften Jahr erreicht hätten. Sie hatten noch, der Aeltere zwei Jahre, sein Bruder drei Jahre vor sich. Justin, der sie mit wunderbaren Fähigkeiten begabt sah, befruchtete diese guten Keime und theilte ihnen, der arme Prometheus, ein. wenig von dem heiligen Feuer mit, das der alte Professor in ihm entzündet hatte.

Diese zwei Knaben ausgenommen, welche die hohen Studien ein wenig in ihm zurückriefen, wollten die anderen Kinder nur die im Programme ausgesprochenen, einfachen Elemente lernen, und ihre Eltern wollten nicht, daß man sie etwas Anderes lehre.

Durch diese geringe Anforderung. hinsichtlich des Unterrichtes, erfolgte, daß die Mutter und die Schwester den jungen Mann unterstützen und im Nothfall ersetzen konnten.

Befand sich die Schwester wohl, so ging sie in die Stube von Justin hinab, welche, wie gesagt, als Schule diente, und während der Sohn einige Augenblicke, der Mutter Gesellschaft leistete, ließ sie die Kinder lesen und lehrte sie dieselben bis hundert zählen. indem sie die Ziffern mit einem Stück Kreide auf die Tafel zeichnete.

Jeden Tag empfing die Mutter in ihrer Stube das Drittel der Classe, sechs kleine Kinder, das war die Verthältlichung des sinite parvulos ad me venire. Die sechs Kinder knieten um den Strohstuhl, wo sie saß, lehrte sie ihr Gebet sprechen und erzählte ihnen eine rührende Episode aus dem Alten Testament.

Das war ein anbetungswürdiges Schauspiel, diese sechs blonden Köpfe und diese zwölf rosigen Lippen, gleichförmig geöffnet, um Gebete zu murmeln.

Man hätte glauben sollen, so knieend verbinden sie ihre Herzen, um Gott zu bitten, daß er der armen Bresthaften das Gesicht wiedergebe.

So war bis zum Monat Juni des Jahres 1821 das einsiedlerische, traurige Leben, das diese kleine Familie führte.

Den alten Professor ausgenommen. der oft einige Stunden bei ihnen zubrachte, störte nichts den Lauf dieses friedlichen Daseins, das so flach wie eine Ebene, so monoton wie sie.

Zuweilen im Sommer erlaubte man sich einen Spaziergang: in diesem Falle wandte man sich gewöhnlich gegen Montrouge.

Ach! man hatte von den Wäldern von Meudon, Versailles und Montmorency. von den grünen Teppichen Abschied genommen, um dem Rande ausgetrockneter, kreidiger Gräben zu folgen; die Mutter und die Tochter konnten nicht, die Eine blind, die Andere schwach und kränklich, die langen Spaziergänger unternehmen, welche ein Mann von fünfundvierzig Jahren und ein Knabe von zwölf machten.

Bei den großen Gängen erreichte man Montrouge, in der Regel hielt man aber bei zwei Dritteln oder auf der Hälfte des Weges an; man setzte sich an den Rand der Straße, und ein paar Stunden lang entlehnte man von der Sonne Licht und Wärme für den Rest des Tages.

Im Winter setzte man sich an einen kleinen Porzellanofen und in diesen legte man gewissenhaft zwei kleine Scheiter für den ganzen Abend, der bis neun Uhr dauerte.

Es war wohl ein Kamin da, doch ein ungeheurer, in welchem man alle acht Tage eine Fahre Holz verbrannt hätte.

Man hatte ihn verstopft: wenn die Kamine nicht warm halten, so halten sie kalt.

Kam Herr Müller um neun Uhr, so machte man unabänderlich den Vorschlag, ein Scheit in das Feuer zu legen; aber ebenfalls unabänderlich schlug es der gute Professor aus, unter dem Vorwande, er sei in vollem Schweiße, und von diesem Augenblick rückte man ein wenig näher um den unnützen Ofen zusammen.

Um den Mangel des Feuers vergessen zu machen, erzählte der wackere Mann sodann eine lustige Geschichte, – wie sie die Witwe von Scarron erzählte, um die Abwesenheit des Bratens vergessen zu machen, – und seine Heiterkeit erwärmte seine Zuhörer wie ein wohlthätiger Strahl.

Die Heiterkeit ist die Sonne, welche von Zeit zu Zeit auf den Winter der Armuth scheint!

Während dieser zwei letzten Jahre besonders schätzte Justin die Wohlthaten der Musik.

Sobald es neun Uhr geschlagen und man sich durch das letzte Vibriren der Glocke von Saint-Jacques-du-Haut-Pas versichert hatte, der Abend werde ohne den Besuch von Herrn Müller vorübergehen. küßte Justin seine Mutter und seine Schwester und. ging in sein Zimmer hinab.

Hier zündete er eine Kerze an, welche von einem an einem Pulte befestigten Leuchter getragen wurde, öffnete auf diesem Pulte ein altes Musikbuch, schaute es einen Augenblick an, nahm das Violoncell aus seinem Kasten, stäubte es sorgfältig mit seinem Taschentuche ab und schloß es wie einen Freund in seine Arme.

E! mein Gott! war es nicht in der That ein Freund? war es nicht die göttliche Stimme, welche, sie harmonisch formend, alle innerste Klagen des jungen Mannes aushauchte, diese Klagen, die, die ganze übrige Zeit stumm, nur zwei Stunden Zeit hatten, um sich zu ergießen? war es, nicht die wohlthätige Quelle, woran sich das durstige Herz tränkte? war es nicht ein anderes Er selbst, ein sprechender Spiegel, dieses sonore Instrument, dem er seine Leiden erzählte, und das sie wie ein getreues Echo wiederholte?

Da seine ganze Familie nur aus einer blinden Mutter und einer kranken Schwester bestand, da er zum einzigen Gefährten nur seinen alten Professor, zu Zeugen nur die kahlen Wände seiner Stube hatte, so hatte er sie aus seinem Violoncell einen jungen Freund, eine Familie, ein Vaterland gemacht.

Er athmete auch am Abend zwei Stunden lang die belebende Luft ein, die ihm den ganzen Tag gefehlt hatte.

allmählich aber wurde seine Atmosphäre, trotz der harmonischen Schwingungen des wohlthätigen Instruments, schwerfälliger; es fing an ihm an Luft zu fehlen; er versank ohne sein Wissen, in eine tiefe Melancholie, der ihn Herr Müller, welcher dies bald gewahr wurde, hartnäckig zu entziehen suchte.

»Du wirst vor der Zeit alt werden,«. sagte er zu ihm; »Du wirst in Deinen besten Jahren verwelken; Du mußt ausgehen, ein wenig Menschen sehen, das Leben wenigstens mit dem Ellenbogen berühren, wenn Du Dich nicht darein mischen kannst. Die Ferienzeit rückt heran, wir müssen einen Ausflug mit einander machen. Triff Deine Anstalten: am 15. August werde ich Dich abholen.

Er verwelkte in der That in seinen schönsten Jahren, der arme Schullehrer! sein Auge wurde trübe, seine Wangen höhlten sich aus, seine Stirne bedeckte sich mit Falten, seine Haut vergelbte, wie das Pergament an seinen alten Büchern; man hätte glauben sollen, er habe dreißig Jahre zurückgelegt, und er trat doch kaum in sein dreiundzwanzigstes Jahr ein; es trug aber auch Alles dazu bei, ihn alt zu machen: die Leute, mit denen er lebte, die Stube, wo er wohnte; sein Gesicht, seine Haltung, sein Gang, seine Stimme, kurz seine ganze Person entlehnte von denjenigen, welche ihn umgaben, und von allen Gegenständen, die er vor Augen hatte, ihr Alter und ihre Armuth.

Er wäre sicherlich unterlegen, hätte ihn nicht ein neuer Kummer erschüttert und ihn homöopathisch. – das Wort war noch nicht erfunden, doch Alles was erfunden werden soll, existiert zum Voraus, – hätte ihn nicht ein neuer Kummer, sagen wir, homöopathisch dem Leben zurückgegeben.

Ach! es ist mit dem Schmerze wie mit gewissen Krankheiten: man heilt die einen durch die andern . . .

Justin verdiente, wie man weiß, tausend und achtzig Franken jährlich, und mit dieser geringfügigen Summe vermochte er die dringendsten Bedürfnisse zu bestreiten; konnte er aber etwas von einem so dürftigen Einkommen ersparen? Trieb er die Sparsamkeit nicht schon bis zur Entbehrung?

»Du mußt die Welt, wenn nicht sehen, doch wenigstens mit dem Ellenbogen berühren,« sagte der alte Meister.

Das ließ sich leicht sagen! – War es aber möglich, dies zu thun mit der fadenscheinigen Kleidung, die man seit vier Jahren im Sommer wie im Winter trug? —

Ueberdies war die ganze Ausstattung des Hauses zu erneuern wie die von Justin.

Die Schwester hatte Wunder der Flickerei an altem Weißzeug vollbracht; die Strümpfe des Bruders waren vom Saume bis zur Fußspitze eine herrliche Mosaikarbeit. Wohl hatte man sich gelobt. nur in der äußersten Noth etwas zu kaufen, doch so weit war man gekommene alle diese ausgebesserte, gestickte Wäsche, welche die armen Leute nie verlassen hätten, sie verließ sie; denn es ist mit der Wäsche wie mit den Freunden. hatte der alte Professor den so bekannten Vers:

Donec eris felix, multos numerabis amicos! citirend bemerkt.

»So lange Ihr keine Strümpfe nötig habt, habt Ihr!« hatte er gesagt, »und habt Ihr nötig, so fehlt es Euch daran!«

Man hatte bei dieser Bemerkung des alten Müller gelächelt«, jedoch traurig.

Man mußte also einen neuen Erwerbszweig aufsuchen, und besonders mußte man sich beeilen, denn der Augenblick sollte kommen, wo er zu schlecht gekleidet wäre, um ihm nachzugehen.

Und warten bis er käme, hieß Gefahr laufen, zu lange zu warten.

Justin klopfte aufs Neue an alle Thüren.

Die Mehrzahl der Thüren blieb verschlossen, einige öffneten sich. um eine Abweisung passieren zu lassen.

Man ging am Abend spazieren, da man nicht mehr bei Tage spazieren zu gehen wagte.

Als sich Justin eines Abends bei der Barrière du Maine befand und auf seinen alten Professor wartete, mit dem er zu einer Dame gehen sollte, deren Sohn eine Repitition verlangte, hörte er über seinem Kopfe einen Streit zwischen dem Contrabassisten und dem zweiten Violinisten.

Woher kam dieser Streits aus welcher Quelle entsprang er? die Sache blieb Justin unbekannt, und dieser schenkte ihr auch nicht mehr Aufmerksamkeit als irgend einer Sache, die für ihn ohne Interesse, – als folgende Worte an sein Ohr trafen:

»Herr Duruflé,« sagte der Contrabassist, »nach dem, was vorgefallen, schwöre ich, daß ich nie mehr einen Fuß in dasselbe Haus mit Ihnen setze, und zum Beweise gehe ich auf der Stelle von hier weg!«

Der Contrabassist kam in der That mit raschen Schritten. seinen Contrabaß unter dem Arm und mit seinem Bogen wie mit einem Flamberg fechtend, heraus.

Es mußte etwas sehr Ernstes zwischen dem zweiten Violinisten und ihm vorgefallen sein.

»Oh!« machte plötzlich Justin, »oh! . . . «

Und er schlug sich vor die Stirne.

Es war ihm ein Gedanke gekommen«

Zu gleicher Zeit, da dieser Gedanke zu Justin durch das Fenster der Schenke kam, kam Herr Müller seinerseits vom Ende der Straße herbei.

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