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Erstes bis viertes Bändchen
VII
Wo Jean Taureau definitiv seinen Rückzug nimmt und die Menge ihm folgt

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Seit dem Eintritte des Geheimnisvollen Fremden, den man mit dem Namen Salvator begrüßte, herrschte die tiefste Stille im Saale, und man hörte kaum das Athmen von dreißig bis vierzig Personen, die ihn füllten.

Diese Stille wurde vom Zimmermann für einen Tadel genommen; einen Augenblick verblüfft und betäubt durch die Gegenwart des Ankömmlings und durch die Art, wie dieser ihn entwaffnet hatte, erholte er sich allmählich wieder, und er sagte, so sehr als es ihm möglich die heiseren Töne seiner Stimme mildernd:

»Herr Salvator, lassen Sie mich Ihnen erklären . . . «

»Du hast Unrecht,i« unterbrach der junge Mann mit dem Tone eines Richters, der ein Urtheil ausspricht«

»Wenn ich Ihnen aber sage . . . ‹

»Du hast Unrecht!« wiederholte der junge Mann.

»Aber . . . «

»Du hast Unrecht. sage ich Dir.«

»Bisher wissen Sie das im Ganzen, da Sie nicht da gewesen sind, Herr Salvator?«

»Brauche ich da gewesen zu sein. um zu wissen, wie sich die Dinge zugetragen haben?«

»Ei! mir scheint . . . ‹

Salvator streckte die Hand gegen Jean Robert und seine zwei Freunde aus, die sich in einer Gruppe vereinigt hatten und sich aus einander stützten.

»Schau,« sprach er.

»Nun, ich schaue,« erwiderte Jean Taureau.

»Was dann?«

»Was siehst Du?«

»Ich sehe drei Muscadins, denen ich eine Tracht Prügel versprochen habe, und die sie früher oder später bekommen werden.«

»Du siehst drei wohl gekleidete, elegante, anständige junge Leute, welche das Unrecht hatten, in eine solche Schenke zu gehen. doch das war kein Grund, um Streit mit ihnen zu suchen«

»Ich, Streit mit ihnen suchen?«

»Ah! wirst Du nicht am Ende sagen, sie haben Dich herausgefordert, Dich und Deine vier Gefährten?«

»Sie sehen aber, daß sie im Stande waren, sich zu vertheidigen.«

»Weil sie die Geschicklichkeit und besonders das Recht auf ihrer Seite hatten . . . Du glaubst, die Stärke sei Alles, Du, der Du frecher Weise Deinen Namen Barthélemy Lelong in Jean Taureau verwandelt hast? Du hast den Beweis vom Gegentheil bekommen. Gott gebe, daß Dir die Lection von Nutzen sein möge.«

»Wenn ich Ihnen aber sage. daß sie es sind, die uns Bursche, Thiere, Lümmel genannt haben!«

»Und warum haben sie Euch so genannt?«

»Daß sie uns gesagt haben. wir seien betrunken . . . «

»Ich frage Dich. warum sie Euch das gesagt haben?«.

»Weil wir wollten, daß sie das Fenster schließen.«

»Und warum wolltest Du nicht, daß das Fenster offen sein sollte?«

»Weil . . . weil . . . «

»Weil . . . was? Laß hören.«

»Weil ich den Luftzug nicht liebe,« antwortete Jean Taureau.«

»Weil Du trunken warst, wie es Dir diese Herren gesagt haben; weil Du Streit mit Jemand suchen wolltest und die Gelegenheit bei den Haaren ergriffen hast; weil Du abermals Händel zu Hause gehabt hast und dann sollten Dir Unschuldige die Launen oder die Untreuen bezahlen von Mademoiselle . . . ‹

»Schweigen Sie, Herr Salvator! sprechen Sie ihren Namen nicht aus,« unterbrach rasch der Zimmermann; »die Unglückliche, sie wird mir noch den Tod bringen!«

»Ah! Du siehst, daß ich den rechten Fleck berührt habe,« sprach der Fremde.

Und die Stirne faltend, fügte er bei:

»Diese Herren haben wohl daran gethan, daß sie das Fenster öffneten; die Luft, die man hier athmet, ist verpestete; und da es nicht zu viel ist an zwei offenen Fenstern für vierzig Personen, so wirst Du auf der Stelle ein zweites öffnen.«

»Ich?« versetzte der Zimmermann, der sich, so zusagen. mit den Füßen am Boden anklammerte; »ich ein Fenster öffnen. während ich verlange, daß man das andere schließe? Ich. Barthélemy Lelong, der Sohn meines Vaters?«

»Du. Barthélemy Lelong, ein Trunkenbold und Zänker, der Du den Namen Deines Vaters entehrst und darum wohl daran gethan hast, einen Uebernamen anzunehmen, – ich sage Dir, daß Du sogleich dieses Fenster öffnen wirst, um Dich dafür zu bestrafen. daß Du die drei Herren herausgefordert hast.«

»Und sollte der Donner über meinem Haupte rollen, ich würde nicht gehorchen, erwiderte Barthélemy Lelong, indem er seine Faust gegen die Stubendecke erhob.

»Dann kenne ich Dich unter keinem Namen mehr; Du bist für mich nur ein grober, händelsüchtiger Arbeiter und ich jage Dich von da, wo ich bin, fort.«

Und die Hand mit der Geberde eines Kaisers ausstreckend:

»Gehe!«

»Ich werde nicht gehen!« brüllte der Zimmermann schäumend vor Wuth.

»Im Namen Deines Vaters, den Du so eben angerufen, befehle ich Dir, zu gehen.«

»Nein. Donnerwetter! nein. ich werde nicht gehen!« rief Barthélemy Lelong, indem er sich rittlings auf eine Bank setzte und die Bank mit seinen beiden Händen ergriff, als wollte er sich eine Waffe für den Fall der Noth daraus machen.

»Du willst mich also aufs Aeußerste treiben?« sagte Salvator mit einer so ruhigen Stimme, daß man nie hätte denken können, sie enthalte eine schwere Drohung.

Und er ging zu gleicher Zeit auf den Zimmermann zu.

»Nähern Sie sich nicht, Herr Salvator, nähern Sie sich nicht! rief der Zimmermann«

Und er wich die ganze Länge der Bank zurück, so wie der junge Mann verrückte.

Willst Du hinausgehen?« fragte Salvator.

Der Zimmermann nahm die Bank und hob sie auf, als wollte er den jungen Mann damit schlagen. Dann warf er sie aber fern von sich und sagte:

»Sie wissen wohl. daß Sie Alles mit mir machen können, was Sie wollen, und daß ich mir eher die Hand abhauen, als Sie schlagen würde . . . Doch freiwillig werde ich nicht gehen, nein! nein! nein!«

»Elender Starrkopf!« rief Salvator. indem er Jean Taureau zugleich bei der Halsbinde und beim Hosengurt packte.«

Jean Taureau stieß ein Gebrülle der Wuth aus und rief:

»Sie können mich wegtragen; ich werde mit mir machen lassen, doch ich gehe nicht freiwillig.«

»Es soll nach Deinem Wunsche geschehen,« erwiderte Salvator.

Und er gab dem trägen Colossen einen heftigen Stoß, entwurzelte ihn. so zu sagen, vom Boden, wie er eine Eiche von der Erde entwurzelt hätte, trug ihn bis auf die Treppe, schaukelte ihn darüber und fragte:

»Willst Du die Treppe Stufe um Stufe hinabgehen oder auf einmal hinabkommen?«

»Ich bin in Ihren Händen, machen Sie mit mir, was Sie wollen; doch freiwillig gehen . . . nein, das werde ich nicht thun!«

»Also wirst Du mit Gewalt gehen. Elender!«

Und er schleuderte ihn wie einen Ballen vom vierten Stock in den dritten hinab.

Man hörte den Körper von Jean Taureau oder von Barthélemy Lelong, mag nun der Leser den Zimmermann lieber nach seinem Familiennamen oder nach dem Uebernamen, den er sich selbst gegeben, nennen, hinabrollen und von Stufe zu Stufe aufprallen.

Die Menge gab keinen Schrei von sich, that den Mund nicht auf: sie war befriedigt; – sie bewunderte.

Die drei jungen Leute allein waren tief bewegt. Petrus, der Lacher. war düster geworden; Ludovic, der Phlegmatiker, fühlte sein Herz heftig schlagen; Jean Robert, der empfindsame Dichten war scheinbar der Einzige, der seine Kaltblütigkeit behalten.

Nur als er Salvator ohne den Zimmermann zurückkommen sah, steckte er seinen Degen in die Scheide und fuhr mit seinem Taschentuch über seine schweißbedeckte Stirne.

Dann ging er gerade auf Salvator zu, reichte ihm die Hand und sprach:

»Mein Herr, ich danke Ihnen, daß Sie meine Freunde und mich von diesem verteufelten Trunkenbold befreit haben; ich befürchte aber sehr für ihn die Folgen dieses Sturzes.«

»Befürchten Sie nichts für ihn, mein Herr!« erwiderte Salvator, indem er seine weiße, aristokratische Hand. diese Hand, welche ein so wunderbares Kraftstück vollbracht hatte, in die Hand legte, die man ihm bot; »er wird höchstens vierzehn Tage bis drei Wochen das Bett hüten, und während dieser vierzehn Tage oder drei Wochen wird er bitterlich die vorgefallene Scene beweinen.«

»Wie! dieser unbändige Mensch wird weinen?« fragte Jean Robert mit Verwunderung.

»Er wird bittere Thränen, blutige Thränen weinen, sage ich Ihnen . . . Er ist das beste Herz und der redlichste Mensch, den ich kenne. . . . Bekümmern Sie sich nicht um ihn, sondern um Sie.«

»Wie, um mich?«

»Ja . . . Wollen Sie mir erlauben. daß ich Ihnen einen Freundesrath gebe?«

»Sprechen Sie, mein Herr.«

»Nun wohl,« sagte Salvator die Stimme dämpfend, so daß ihn kein Anderer, als der, an welchen er sich wandte, hören konnte, »nun wohl, wenn Sie mir glauben wollen, betreten Sie nie mehr dieses Haus, Herr Jean Robert.«

»Sie kennen mich?« rief Jean Robert erstaunt.

»Ei! ich kenne Sie wie Jedermann,« antwortete Salvator mit ausgezeichneter Höflichkeit; »sind Sie nicht einer unserer berühmten Dichter?«

Robert erröthete bis unter die Augen.

»Und nun,« sprach Salvator, indem er sich an die Menge wandte und Ton und Manieren völlig veränderte, »Ihr müßt zufrieden sein, Ihr Leute! ich denke, Ihr habt für Euer Geld genug gehabt! Erweist mir also die Freundschaft und macht Euch so schnell als möglich aus dem Staube; es ist hier nur Luft für vier: damit sage ich Euch; meine lieben Freunde, daß ich mit diesen drei Herren allein zu bleiben wünsche.«

Die Menge gehorchte. wie es ein Schwarm Schüler auf die Stimme des Lehrers thut; sie ging in Ordnung hinab, nachdem sie mit der Stimme, dem Kopfe und der Hand den jungen Mann gegrüßt. der zu befehlen schien, und dessen Gesicht nach der stürmischen Scene, welche vorgefallen, nicht mehr bewegt war, als das Angesicht des Firmaments nach dem Sturme.

Die vier Kameraden den Jean Taureau, den Aufwühler einbegriffen,. dem seine Wunde den Rausch vertrieben hatte, defilierten mit gesenktem Kopfe vor Salvator, und Jeder, als er an ihm vorbeikam, verbeugte sich so ehrerbietig, wie es ein Militär var seinem Obern gethan hätte.

Als sieh der Letzte entfernt hatte, erschien der Kellner auf der Thürschwelle.

»Soll ich immer noch die Herren bedienen?« fragte er.

»Mehr als je,«antwortete Jean Robert.

Er wandte sich sodann an Salvator und fragte:

»Werden Sie uns das Vergnügen machen mit uns zu Nacht zu speisen, Herr Salvator?«

»Seht gern.« erwiderte Salvator; »verlangen Sie aber nichts für mich; ich bestellte eben mein Abendbrod unten, da hörte ich Geräusch und ging herauf.«

»Sie hören, Kellner?« rief Jean Robert; »das Abendbrod den Herrn Salvator mit dem unsern.«

»Verstanden!« antwortete der Kellner

Und er eilte hinab.

Fünf Minuten nachher saßen die vier jungen Leute bei Tische.

Man trank zuerst auf die Sieger, dann auf die Besiegten, dann auf den, welcher so glücklich erschienen war, um ein größeres Blutvergießen zu verhüten.

»Sie scheinen mir übrigens mit dem Boxen, mit der Savate und der Fechtkunst ziemlich vertraut zu sein!« sagte Salvator lachend zu Jean Robert. »Sie haben dem armen Jean Taureau einen majestätischen Faustschlag an den Schlaf, einen siegreichen Fußtritt an den Oberbauch gegeben, und waren im Begriffe, ihm einen anmuthigen Degenstich beizubringen, als ich zum Glück ins Mittel trat . . . Doch gleichviel! Sie waren bewunderungswürdig aufgepflanzt, und an der Stelle von Herrn Petrus würde ich eine Skizze von Ihnen in dieser Position machen.«

»Ab! Ah! rief Petrus, »Sie kennen mich also auch?«

»Oh! Ja,« erwiderte Salvator mit einem Seufzer, als riefe diese Bejahung eine schwermüthige Erinnerung in ihm zurück; »ehe Sie ein Atelier in der Rue de l’Quest hatten, wohnten Sie in der Rue du Regard; damals hatte ich das Vergnügen, Sie einige Male zu sehen.«

Sodann sich an den dritten Gefährten wendend, der ein beharrliches Stillschweigen beobachtete und, wie es schien, die Lösung eines Problems verfolgte, das er nicht lüften konnte, fragte Salvator:

»Was haben Sie denn. Herr Ludovic? Sie sehen ganz sorgenvoll ans! Ich würde das begreifen, wenn Sie noch Ihr Examen zu machen und Ihre These zu behaupten hätten; das ist aber . . . Gott sei Dankt eine seit drei Monaten abgethane Sache, und zwar mit Ehren abgethan!«

Jean Robert schaute Salvator mit Erstaunen an; Petrus brach in ein Gelächter aus.«

»Ah! bei Gott i Herr Salvator,« sagte Ludovic, »da Sie so viele Dinge wissen . . . «

»Sie sind sehr gut!« unterbrach lächelnd Salvator.

»Da Sie wissen, daß mein Freund Jean Robert Dichter ist; da, Sie wissen, daß mein Freund Petrus Maler ist, da Sie wissen, daß ich Arzt bin, wissen Sie . . . wissen Sie, warum der Katzentödter nach Baldrian stank?«

»Sind Sie Fischer, Herr Ludovic?«

»In meinen verlorenen Augenblicken,« erwiderte Ludovic, »doch ich suche immer beschäftigt zu sein.«

»Nun denn, so wenig Sie Fischer sein mögen, so wissen Sie doch»daß man mit Bisam oder mit Anis das Korn parfümiert, mit dem man die Karpfen ködert.«

»Man braucht nicht Fischer zu sein, um das zu wissen, man braucht nur ein wenig Naturkundiger zu sein.«

»Nun wohl, der Baldrian ist für die Katzen, was der Bisam und der Anis für die Karpfen sind:.er zieht sie an; und da Meister Gibelotte ein Katzenfischer ist . . . «

»Oh!« sagte Ludovic mit sich selbst sprechend, mit dem halbkomischen Phlegma, das eine der originellen Nuancen seines Charakters bildete. »o Wissenschaft! Geheimnisvolle Göttin! wird es denn immer durch Zufall geschehen, daß man eine Ecke deines Schleiers aufhebt? Und wenn man bedenkt, daß, wenn ich mich heute Abend nicht als Maler verkleidet hätte, wenn Petrus nicht den Gedanken gehabt hätte, in einer Freischenke zu soupieren, wenn wir nicht in Streit gerathen wären, – ich mich nicht mit einem Katzentödter geschlagen haben würde, und Sie nicht gekommen wären, um den Frieden wiederherzustellen, und die Wissenschaft brauchte vielleicht noch zehn Jahre, fünfzig Jahre, ein Jahrhundert um zu entdecken, daß der Baldrian die Katzen anzieht, wie der Bisam die Karpfen!«

Das Abendbrod war heiter.

Petrus erzählte, im Atelierstyle, die Geschichte von zwanzig Portraits, welche er in einer Fuhrmannsherberge gewacht hatte, um seine Zeche zu bezahlen, die sich auf zehn Franken und zwanzig Centimes belaufen; was für jedes Porträt den ungeheuren Preis von ein und fünfzig Centimes gab.

Ludovic bewies mathematisch, eine hübsche Frau sei nie schwer traut, und er behauptete dieses Paradoxon mit einer Lebhaftigkeit und einer Begeisterung, wie man sie von seiner phlegmatischen Person entfernt nicht erwartete.

Jean Robert erzählte den Plan von einem neuen Drama, das er für Bocage und Madame Dorval schrieb, über welches Drama ihm der junge Mann mit dem Sammetgewande die richtigsten Bemerkungen machte.

Dann folgten sich die Flaschen, und da Petrus und Ludovic im Complott abgekartet hatten, Herrn Salvator ein Räuschchen aufzuhängen, um ihn sprechen zu machen, so geschah, was alt immer in solchen Fällen geschieht.

Herr Salvator behielt seine Kaltblütigkeit, und die zwei jungen Leute benebelten sich.

Was Jean Robert betrifft. – er trank selbst in der Freischenke nur Wasser.

allmählich überschritten Petrus und Ludovic, sich gegenseitig aufregend für sich selbst die Grenze der Trunkenheit, zu der sie Salvator gern hätten führen mögen: sie erzählten gehaltlose oder moralische Geschichten; sie wiederholten Witze, über die man schon am Anfang des Abendbrods gelacht hattet kurz, sie versanken plötzlich und Beide sympathetisch in die vollständigste Erschlaffung, eine Lage, aus der sie ohne Erschütterung in den tiefsten Schlaf übergingen.

Die Mohicaner von Paris

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