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Erstes bis viertes Bändchen
II
Die Cavaliere der Halle

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Wir haben unsere Leser schon darauf aufmerksam gemacht, das erste Blatt unseres Buches trage das Datum der Fastnacht vom Jahre der Gnade 1827 an sich.

Nur berührte dieser Tag der äußersten Tollheit seine letzte Stunde: es sollte Mitternacht schlagen.

Drei junge Leute gingen Arm in Arm die Rue Saint-Denis hinab; zwei von ihnen trällerten die Hauptmotive der Quadrillen, die sie im Colyssée gehört, wo sie die ersten Stunden der Nacht zugebracht hatten; der Dritte beschränkte sich darauf, daß er spielend in den goldenen Knopf eines Stöckchens biß.

Die zwei Trällernden trugen die Livree des Tages und die Verkleidung jener Zeit.

Der Dritte, derjenige, welcher nicht sang, der in der Mitte zwischen den zwei Andern ging. der der Aelteste von den Dreien zu sein schien, oder wenigstens der Ernsthafteste. der seine zwei Freunde um einen Kopf überragte und, wie gesagt. in den Knopf seines Stockes biß, – war in einen von den braunen Tuchmänteln mit Sammetkragen gehüllt, wie man sie zu jener Zeit trug, heute aber nur noch an den Giebeln der Werte von Chateaubriand und Byron sieht.

Dieser kaut aus einer Künstler-Soirèe, welche in der Rue Sainte-Appoline stattgefunden hatte.

Unter seinem Mantel war er bekleidet mit schwarzen langen Hosen, die ein nerviges Bein mit feinen Gelenken hervorheben, und an seinem zierlichen Fuße trug er einen durchbrochenen seidenen Strumpf und einen lackierten Escarpin; militärisch zugeknöpft, – obschon es sichtbar war, daß der Mann durchaus in keiner Beziehung zur Armee stand. – ließ sein schwarzer Frack oben und unten nur die äußersten Enden einer weißen Piquéweste vorschauen; sein Hals spielte bequem in einer Binde von schwarzem Atlaß. und sein Kopf, dessen Haare sich von Natur kräuselten, war bedeckt mit einem von jenen abgeplatteten Hüten, die man auf dem Ball unter dem Arme trug und, wenn man wegging, bis auf die Ohren eindrückte, eine Kopfbedeckung, die man Claque-Hut nannte.

Hätten die spärlichen Wanderer. welche zu dieser Stunde der Rue Saint-Denis folgten, den Mantel aufheben können, in den sich der Unbekannte drapiere, dessen Anzug wir in diesem Augenblicke beschreiben, sie würden sich versichert haben. daß dieses unter dem Knöchel zugeknöpfte und wie Tricot anliegende Beinkleid. dieser Frack mit dem eleganten Schnitt und den anmuthig fallenden Schößen. diese Weste von englischem Piqué mit ciselirten goldenen Knöpfen offenbar aus dem Magazin von einem der ausgezeichnetsten Schneider des Boulevard de Gand kamen und für einen von den jungen Modeherren verfertigt werden waren. die man zu jener Zeit noch Dandys nannte, während man sie heute mit dem schon ein wenig abgenutzten Namen Löwen bezeichnet.

Und dennoch schien derjenige, welcher diese Kleidung trug, entfernt nicht die Prätension zu haben, für einen Elegant gelten zu wollen; es genügte in der That, ihn einen Moment anzuschauen. um die Gewißheit zu erlangen, daß man vor den Augen nicht das hatte, was man einen Mann nach der Mode nennt: er hatte in seinem ganzen Wesen etwas, was eine zu große Unabhängigkeit der Bewegungen offenbarte, um auf eine von den Gliederpuppen, welche Sklaven der Falten ihrer Halsbinde oder der Steife ihres Kragens sind, anwendbar zu sein. Sodann hatten sich seine Hände, als widerstrebte ihnen diese fashionable Fessel, bei seinem Abgange aus der Soirèe eiligst der Handschuhe entledigt, was am Zeigefinger der Rechten einen von den dicken Ringen zu sehen erlaubte, welche, genannt Ringe à la chevalièr als Siegel dienten, mochten sie nun mit einer persönlichen Devise oder einem Familienwappen versehen sein.

Uebrigens bildeten die zwei anderen jungen Leute einen seltsamen Contrast mit dieser Art von Byron’schen Erscheinung. Costümirt, wie wir schon bemerkt haben, als Starke der Halle oder vielmehr als Malins, wie man damals sagte. bekleidet mit Westen von weißem Plüsch mit kirschrothem Kragen und weiß und blau gestreiften Atlaßhosen; den Leib umschloßen der Eine mit einem rothen Kaschemir. der Andere mit einem gelben; an den Füßen seidene Strümpfe mit goldenen Zwickeln und Schuhe mit Diamantschnallen; von oben bis unten mit Bändern von allen Farben aufgeputzt; den langhaarigen Hut umgeben mit einer Guirlande von weißen und rosenfarbigen Camelien, von denen die bescheidenste in dieser Jahreszeit nicht weniger als einen Thaler bei Madame Bayen oder bei Madame Prevost, den damals berühmtesten Blumenhändlerrinnen, kostete; die Wangen hoch gefärbt vom Purpur der Jugend, das Feuer in den Augen, die Freude auf den Lippen, die Fröhlichkeit tut Herzen, die Sorglosigkeit in goldenen Buchstaben auf ihre ganze Person geschrieben, waren diese zwei jungen Leute wohl die doppelte Verkörperung der französischen Heiterkeit, das Bild der lustigen Vergangenheit, deren Leichenbegängniß ihr Freund, schwarz gekleidet, düster wie die Zukunft, frommer Waise anzuführen schien.

Wie fanden sich nun diese der Tracht nach und wie es schien, den Charakteren nach so verschiedenen Männer beisammen, und warum gingen sie zu Fuß zu einer solchen Stunde in einer der fünfzig kothigen Straßen, welche Paris vom Boulevard Saint-Denis zum Quai de Gèvres durchziehen?

Das ist ganz einfach: die zwei Starken hatten keinen Wagen vor der Thüre des Colyssée gefunden; der junge Mann mit dem braunen Mantel hatte vergebens einen in der Rue Sainte-Appoline gesucht.

Schon ziemlich erhitzt durch den Punsch und den Bischof hatten die zwei Starken beschlossen, Austern in der Halle zu essen.

Bei voller Vernunft erhalten durch ein paar Gläser Orgeat und Johannisbeersaft. kehrte der junge Mann mit dem braunen Mantel, um sich schlafen zu legen, nach seiner Wohnung, in der Rue de l’Université, zurück.

Alle Drei begegneten sich zufällig an der Ecke der Rue Saint-Appoline und der Rue Saint-Denis; die zwei Malins erkannten einen Freund in dem jungen Manne mit dem braunen Mantel, der sie sicherlich nicht erkannt hätte.

Beide riefen einstimmig:

»Sieh da! Jean Robert!«

»Ludovic! Petrus! erwiderte der junge Mann mit dem braunen Mantel.

Im Jahre 1827 nannte man sich nicht mehr Pierre, sondern Petrus, nicht mehr Louis, sondern Ludovic.

Alle Drei drückten sich die Hände auf das Innigste, und man fragte einander, was man zu einer so ungewöhnlichen Stunde auf dem Pflaster des Königs mache.

Die Erklärung wurde von beiden Seiten gegeben.

Wonach die zwei Malins. von denen der Eine, Petrus, ein Maler, und der Andere, Ludovic, ein Arzt, ihrem Freunde, der ein Dichter war, so dringlich zuredeten, er möge mit ihnen bei Bordier in der Halle zu Nacht speisen, daß Jean Robert einwilligte.

Das war also unter ihnen festgesetzt worden, und nach der Geschwindigkeit ihres Marsches dem Ziele zu hätte man glauben können, es sei dies ein Entschluß, von dem Keiner von den Dreien wieder abgehen Würde, als plötzlich, zwanzig Schritte von der Cour Batave, Jean Robert stehen blieb.

»Ah!« fragte er, »nicht wahr, es ist fest beschlossen, daß wir zu Nacht speisen? . . . Bei wem sagt Ihr?«

»Bei Bordier.«

»Gut! bei Bordier?«

»Gewiß ist es fest beschlossen,« erwiderte einstimmig Petrus und Ludovic; warum nicht?«

»Weil es immer noch Zeit ist, zurückzuweichen, wenn man eben eine Dummheit machen will.«

»Eine Dummheit! Und worin?«

»Ei! darin, daß Ihr, statt ruhig bei bei Very, bei Philippe oder bei den Frères-Provencaux zu soupieren, die Nacht in einer gemeinen Schenke zubringen wollt, wo wir einen Aufguß von Campecheholz unter dem Vorwande von Bordeaux trinken und Katzenfleisch statt Gehägekaninchen essen werden.«

»Was Teufels hast Du denn heute Abend gegen Katzenfleisch und Campecheholz, o Dichter? fragte Ludovic.«

»Mein Lieber,« fragte Petrus, »Jean Robert hat einen großen Succeß im Theâtre-Francais gehabte er gewinnt hundert und fünfzig Franken alle zwei Tage; seine Taschen sind voll Gold, und er ist Aristokrat geworden.«

»Werdet Ihr nicht etwa sagen, Ihr geht aus Sparsamkeit dorthin?«

»Nein,« erwiderte Ludovic: »um ein wenig von Allem zu befühlen.«

»Puh! eine schöne Notwendigkeit!« rief Jean Robert.

Ich erkläre,« sprach Ludovic, »daß ich mich nur mit diesem einfältigen Costume, in Dem ich ansehe wie ein Müller der bei der Conscription gezogen, aufgeputzt habe, um heute Abend in der Halle zu soupieren: ich soupiere dort, oder ich soupiere gar nicht.«

»Ah! ja,« versetzte Petrus, »Du sprichst als Mediciner; das Hospital und das Amphitheater der Anatomie haben Dich auf alle Schauspiele, so häßlich sie sein mögen vorbereitet; als Philosoph und Materialist bist Du gepanzert gegen alle Ueberraschungen. Ich, der ich in meiner Eigenschaft als Maler nicht immer Campechwein zu trinken und Katzenfleisch zu essen gehabt habe; ich, der ich in den Vorschlag der Löwen eingetreten und in den Graben der Bären hinabgestiegen bin, wenn ich nicht drei Franken hatte, um den Vater Saturnin oder Mademoiselle Rosine die Blonde zu mir herauskommen zu lassen; ich bin nicht ekel . . . Gott sei Dank! Aber,« fügte er bei, indem er auf seinen Gefährten mit der hohen Gestalt deutete. »dieser eindrucksfähige junge Mann, dieser empfindsame Dichter, dieser Erbe von Byron, dieser Fortsetzer von Göthe, kurz dieser Jean Robert, welches Gesicht wird er in dem schlechten Hause machen? Hat er mit seinen kleinen Händen, mit seinem kleinen Fuß, mit seinem reizenden creolischen Accent die geringste Idee von der Art, wie man sich in der Welt, in der wir ihn vorstellen wollen benehmen muß? Hat er sich je nur gefragt. er, der bei der Nationalgarde nie mit dem linken Fuß abgehen konnte, mit weichem Fuße man in eine Freischenke eintrete, und seine keuschen, an den Jungen Kranken von Millevohe und an die Junge Gefangene vom Andrè Chenier gewöhnten Ohren, sind sie auch beschaffen, um die kleinen Scherze anzuhören, welche unter sich die Nachtcavaliere austauschen, welche diesen Ort emailliren? . . . Nein! . . . Was will er denn bei und machen? Wir kennen ihn nicht! Wer ist dieser Fremde, der sich in unsere Feste zu mischen wagt? Vade retro, Jean Robert!«

»Mein lieber Petrus,« antwortete der junge Mann, welcher der Gegenstand einer Diatribe gewesen, bei der wir, so weit es in unserer Macht lag, den Geist beibehielten, der zu jener Zeit in den Ateliers gang und gäbe war, »mein lieber Petrus, Du bist nur halb trunken, doch Du bist ganz Gasconier.«

»Ah! gut! ich bin von Saint-Lo! Wenn es Gasconier in Saint-Lo gibt, so wollen wir auch behaupten, es gebe Normannen in Tabres.«

»Nun denn! ich sage Dir, Gasconier von Saint-Lo! Du stellst Fehler zur Schau, die Du nicht hast, um gute Eigenschaften, die Du besitzt, zu verkleiden. Du spielst den Sittenlosen, weit Du naiv zu scheinen befürchtest; Du spielst das schlimme Subjekt, weil Du gut zu scheinen eröthest! Du bist nie in den Verschlag der Löwen eingetreten; Du bist nie in den Graben der Bären hinabgestiegen, und Du hast nie den Fuß in eine Schenke der Halle gesetzt, ebenso wenig als Ludovic, ebenso wenig als ich, ebenso wenig als die jungen Leute, die sich achten, oder die Handwerker, welche arbeiten.«

»Amen!« sprach Petrus gähnend.«

»Gähne und spotte« so lange Du willst, prunke mit Deinen eingebildeten Lastern, um die Galerien zu blenden, weil Du hast sagen hören, alle große Männer haben Laster gehabt, Andrea del Sarto sei Dieb gewesen, Rembrandt Völler; doch vor uns, die wir Dich als gut kennen, doch vor mir, der Dich wie einen jüngeren Bruder liebt, bleibe, was Du bist, Petrus: offenherzig und naiv, gefühlvoll und enthusiastisch. Ei! mein Lieber, wenn es erlaubt ist, blasiert, abgestumpft zu sein, – meiner Ansicht nach ist dies nie erlaubt, – so sei es gestattet, wenn man geächtet war wie Dante, verkannt wie Marchiavelli, oder verrathen wie Byron. Bist Du verrathen, verkannt oder geächtet gewesen? Betrachtest Du das Leben von der traurigen und unfruchtbaren Seite des Horizonts? sind Millionen in Deinen Händen zerschmolzen, ohne etwas Anderes darin zurückzulassen, als den Schmutz des Undanks oder die Narbe der Enttäuschung? Nein, Du bist jung, Du verkaufst Deine Bilder, Deine Geliebte ist Dir aufs Innigste ergeben, die Regierung hat bei Dir einen Tod des Sokrates bestellt: Ludovic wird Dir, wie des verabredet ist, als Phädon stehen, ich stehe Dir als Alcibades; was Teufels willst Du mehr? . . . In einer Freischenke zu Nacht speisen? Speisen wir mein Lieber! Das wird wenigstens ein Resultat haben: das Dich dergestalt anzuekeln, daß Du in Deinem Leben nicht mehr wirst dahin zurückkehren wollen.«

»Bist Du zu Ende, Mann mit dem schwarzen Frack?« sagte Petrus.

»Ja, ungefähr.«

»So laß uns weiter gehen.«

Petrus setzte sich in Marsch, indem er ein halb bacchisches, halb obszönes Lied anstimmte, als hätte er sich selbst beweisen wollen, die ernste und liebevolle Lection,die er von Jean Robert empfangen, habe keinen Eindruck auf ihn hervorgebracht.

Bei der letzten Strophe war man mitten in der Halle; es schlug halb ein Uhr in der Saint-Eustache-Kirche.

»Ah!« sagte Ludovic, der, wie man gesehen, wenig Theil an dem Gespräche genommen hatte und, ein nachdenkender und beobachtender Geist« sich leicht führen ließ, wohin man ihn führen wollte, überzeugt, überall, wohin der Mensch gehe, möge man ihn dem Menschen oder der Natur gegenüber führen, werde er Stoff zur Beobachtung oder zur Träumerei finden, »ah! es handelt sich nun darum, eine Wahl zu treffen . . . Treten wir bei Paul Niquet, bei Barutte oder bei Bordier ein?«

»Bordier ist mir empfohlen: treten wir bei Barbier ein,« erwiderte Petrus.

»Treten wir bei Bordier ein!« wiederholte Jean Robert«

»Wenn Du nicht etwa Deine Gewohnheiten oder Deine Zuneigungen in einem an dem Tempel hast, keuscher Säugling der Musen!«

»Oh! Du weißt wohl, daß ich nie in dieses Quartier gekommen bin . . . Wir gleichviel also! . . . Wir werden überall schlecht soupieren, und ich gebe keiner von diesen Schenken den Vorzug.«

‹Wir sind an Ort und Stelle. Scheint Dir die Schenke hinreichend einäugig?«

»Ich finde sie sogar blind!«

»Dann laß uns eindringen.«

Und seinen Hut auf sein Ohr drückend, lief Petrus in die Schenke mit der Ungezwungenheit, mit dem Sans facon und der Dreistigkeit eines alten Stammgastes der Anstalt.

Seine zwei Freunde folgten ihm.

Die Mohicaner von Paris

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