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Erster Teil
XI.
Im Arbeitszimmer des Kardinals
ОглавлениеEs gibt in der Gallerte des Louvre ein Bild von dem Jansenistischen Maler, Philipp von Champagne, welches getreu, wie man damals sagte, das feine, kraftvolle und trockene Gesicht des Kardinal von Richelieu darstellt.
Im Gegensatze zu den Flamändern, seinen Landsleuten, und zu den Spaniern, seinen Meistern, ist Philipp von Champagne geizig mit den grellen Farben, welche die Rubens und die Murillo über ihre Gemälde ergossen. In der Tat wäre es vielleicht eine Schmeichelei für die Wahrheit, ganz gewiss aber eine Beeinträchtigung der Wahrheit gewesen, in einem Strome von Licht den finsteren Minister zu zeigen, der fortwährend von dem Halbdunkel seiner Politik umgeben war und dessen Wahlspruch lautete: »Aquila in nubibus – Der Adler in den Wolken.«
Dieses Bild mögen Alle studieren, welche gewissenhaft sind und nach zwei und einem halben Jahrhundert zu neuen: Leben den berühmten Todten erwecken wollen, um sich einen richtigen physischen und moralischen Begriff von dem Manne zu machen, den seine Zeitgenossen verleumdeten, den das folgende Jahrhundert verkannte, beinahe vergaß und der erst zweihundert Jahre nach seinem Tode den Platz gefunden hat, welchen er von der Nachwelt zu erwarten berechtigt war.
Tiefes Bild gehört zu denen, welche des Vorrechtes genießen, dass man unwillkürlich vor ihnen stehen bleibt und sich durch ihren Anblick zu Träumereien veranlasst fühlt. Ist es ein Mensch oder ein Phantom, dieses Geschöpf in dem roten Gewand, mit dem weißen Bischofsmäntelchen, dem Chorhemd von venezianischen Spitzen, dem roten Käppchen, der hohen Stirn, den grauen Haaren, dem grauen Bart, den, graben Augen von mattem Blick, den feinen, mageren und weißen Händen? Sein Gesicht lebt in Folge des ewigen Fiebers, das ihn verzehrt, nur in den Backenknochen. Je länger man dieses Bild betrachtet, desto weniger weiß man, ob es das eines lebenden Wesens ist, oder, gleich dem heiligen Bonaventura, ein Verstorbener, der zurückkehrte, um nach seinem Tode seine Denkwürdigkeiten niederzuschreiben. Nicht wahr, wenn dieses Wesen sich plötzlich von der Leinwand ablöste, aus seinem Rahmen heraus träte und auf uns zukäme, so würde man zurückweichen, sich bekreuzigend, wie vor einem Gespenst?
Sichtbar und unbestreitbar ist an diesem Bilde, dass es einen Geist, einen scharfen Verstand, zeichnet; das ist aber auch Alles. Kein Herz, keine Eingeweide, zum Glück für Frankreich. In der Leere, welche zwischen Heinrich IV. und Ludwig XIV. entstand, bedurfte es nur eines Gehirnes und nichts Anderen, um diesen ungelegenen, schwachen, ohnmächtigen, König zu beherrschen, diesen unruhigen, sittenlosen Hof. diese habgierigen Prinzen ohne Treu und Glauben.
Gott erschuf mit seinen Händen den fürchterlichen Automaten, den die Vorsehung in gleiche Entfernung von Ludwig XI. und Robespierre stellte, damit er die großen Herren köpfe, wie Ludwig XI. die großen Vasallen geköpft hatte und wie Robespierre die Aristokraten köpfen wird. Von Zeit zu Zeit sahen die Völker, gleich roten Kometen, an, dem Horizonte einen jener blutigen Schnitter erscheinen, die eine künstliche Schöpfung zu sein scheinen, die herankommen, ohne sich zu bewegen, die sich geräuschlos nähern und dann, wenn sie endlich in die Mitte des Feldes gelangt sind, das ihnen zur Ernte angewiesen ist, sich an die Arbeit machen und nicht eher anhalten, als bis ihre Aufgabe vollbracht, d. h. bis Alles abgemäht ist.
So würde er uns an dem Abend jenes 5. Dezember 1628 in dem Augenblick erschienen sein, sorgenvoll durch all den Hass, der ihn umgab, in Gedanken versunken mit den großen Plänen, die ihn beschäftigten, als der unerforschliche Minister in sein Kabinett trat, sinnend auf die Ausrottung der Ketzerei in Frankreich, auf die Vertreibung der Spanier aus dem Mailändischen, aus die Vernichtung des österreichischen Einflusses in Toscana und danach strebend, zu erraten, indem er den Mund schloss und das Feuer seiner Augen dämpfte, aus Furcht, sie möchten seine Gedanken verraten.
Er kam von jenem Ballett, während dessen seine Andeutungen ihm sagten, dass die Abwesenheit der Königin eine politische, folglich also eine für ihn drohende Veranlassung hätte und dass irgend etwas Giftiges in jenem königlichen Alkoven gesponnen würde, dessen Raum, von zwölf Fuß im Quadrat, ihm mehr Verlegenheiten bereitete, mehr Arbeit verursachte, als die ganze übrige Welt. Er trat missmutig. erschöpft, beinahe von Ekel ergriffen, ein, und murmelte wie Luther: »Es gibt Augenblicke, in denen der Herr sich durch das Spiel zu langweilen und die Karten unter den Tisch zu werfen scheint.«
Er wusste auch, an welchem Faden, welchem Haare, welchem Hauch nicht nur seine Macht hing, sondern sogar sein Leben. Sein Bußkleid war aus Dolchspitzen gewebt. Er wusste, dass er 1628 eben da stand, wo Heinrich IV. 1606 gestanden hatte. Alle Welt bedurfte seines Todes; das Schlimmste aber war, dass Ludwig XIII. sein spitzes Gesicht nicht liebte; der König allein hielt ihn, aber Richelieu fühlte sich jeden Augenblick durch die Anfälle königlicher Schwäche wanken. Das würde Alles noch nichts gewesen sein, wäre dieser geniale Mann so gesund und kräftig gewesen, wie sein einfältiger Nebenbuhler Bérulle; aber das unzureichende Geld, die unablässige geistige Anstrengungen neue Hilfsquellen zu entdecken, zehn Intrigen des Hofes, denen er zugleich die Stirne bieten musste, erhielten ihn fortwährend in einer fürchterlichen Aufregung. Es war dies Fieber, welches seine Backen rötete, indem es seine Stirn von Marmor und seine Hände von Elfenbein machte. Mau füge noch theologische Streitigkeiten, die Wut der Versemacherei und die Notwendigkeit hinzu, seine Galle und seine Wut zu unterdrücken und man wird es begreifen, dass sein Inneres wie von einem glühenden Eisen verbrannt wurde und dass er von einem Tage zum andern nur zwei Finger breit von dem Tode entfernt stand.
Merkwürdig war die Verbindung dieser beiden Kranken. Zum Glück ahnte der König, ohne dessen gleichwohl gewiss zu sein, dass das Königreich verloren wäre, wenn Richelieu ihm fehlte! zum Unglück aber wusste eben so Richelieu, dass er selbst nach dem Tode des Königs nicht mehr vierundzwanzig Stunden zu leben hatte. Gehasst von Gaston, von Anna von Österreich, von der Königin-Mutter, von Herrn von Sosisons, den er im Exil ließ, von den beiden Vendôme, die eingekerkert waren, von dem ganzen Adel, den er hinderte, Paris durch Duelle auf öffentlichen Plätzen ein Ärgernis zu geben, musste er seine Anordnungen danach treffen, an demselben Tage, wo möglich in derselben Stunde, mit Ludwig XIII. zu sterben.
Nur eine einzige Person war ihm bei dem ewigen Schaukelspiel, bei dem fortwährenden Glückswechsel, treu geblieben, welche oft die Sonne schon an dem Tage des Sturmes wieder scheinen ließ.
Diese eine Person war seine Adoptivtochter, seine Nichte, Frau von Combalet, welche wir bei Frau von Rambouillet in dem Gewand einer Carmeliterin sahen, das sie seit dem Tode ihres Gemahls trug.
Das Erste, was er tat, sobald er feine Wohnung auf der Place Royale betreten hatte, war, dass er auf eine Glocke schlug.
Auf den Ton derselben öffneten sich fast zu gleicher Zeit drei Türen.
Durch die eine trat Guillemot, der vertraute Kammerdiener des Kardinals, durch die andere Charpentier, der Sekretär, ein; in der dritten erschien Rossignol, der Dechiffreur.
»Ist meine Nichte schon nach Hause gekommen?« fragte Richelieu seinen Kammerdiener.
»Vor einer halben Stunde, gnädigster Herr!«
»Frage sie, ob sie mich mit ihrem Besuche erfreuen will, da ich bis spät in die Nacht arbeiten werde.«
Guillemot verließ unter Bücklingen das Gemach.
»Habt Ihr Pater Joseph gesehen?« wandte der Kardinal sich an seinen Sekretär.
»Er ist schon zweimal dagewesen, Eminenz.«
»Sollte er heute noch ein drittes Mal kommen, so werdet Ihr ihn eintreten lassen. – Ist Cavois im Wachzimmer?«
»Ja.«
»Sagt ihm, er solle sich heute nicht entfernen, bis ich ihn rufe.«
»Sehr wohl. Eminenz.«
Auch der Sekretär entfernte sich durch die Tür, durch welche er in das Zimmer getreten war.
»Nun, Rossignol,« fragte der Kardinal, als er mit seinem Dechiffreur allein war. »habt Ihr die Chiffre des Briefes gefunden, den ich Euch gab? Ihr wisst, dass derselbe unter den Papieren des königlichen Arztes Senelle gestohlen wurde, als derselbe von Lothringen zurückkehrte.«
»Ja, gnädigster Herr,« erwiderte mit entschieden südlichem Akzent ein kleiner Mann von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, beinahe bucklig durch die Gewohnheit einer gebückten Haltung. Sein hervorstechendster Zug war eine so lange Nase, dass darauf drei bis vier Brillen Platz gefunden hätten; er besaß indes die Bescheidenheit, nur eine einzige darauf reiten zu lassen.
»Die Auflösung war leicht,« antwortete er; »Céphalus bedeutet den König, Procris die Königin, das Orakel heißen Eure Eminenz, mit der Venus ist Frau von Combalet gemeint.«
»Gut; gebt mir den Schlüssel,« sagte der Kardinal; »ich werde die Depesche selbst lesen.«
Rossignol trat einen Schritt zurück, um sich zu entfernen.
»Apropos,« fügte der Kardinal hinzu; »Ihr werdet mir morgen eine Gratifikation von zwanzig Pistolen zur Unterzeichnung vorlegen.«
»Monseigneur haben mir keine anderen Befehle zu erteilen?«
»Nein, kehrt nach Eurem Kabinett zurück, macht den Schlüssel der Chiffreschrift, und haltet Euch bereit, wenn ich Euch rufen lasse.«
Rossignol entfernte sich, rückwärts schreitend, und verneigte sich bis zum Fußboden.
In dem Augenblicke, als die Tür sich kaum hinter ihm schloss, erzitterte der von einer Glocke in einem Fache des Schreibtisches des Kardinals.
Er öffnete das Fach und erblickte das Glöckchen noch zitternd. Sogleich drückte er, wie zur Antwort, die Fingerspitze auf einen kleinen Knopf, der ohne Zweifel mit der Wohnung der Frau von Combalet in Verbindung stand, denn eine Minute später trat sie bei ihrem Onkel durch eine Tür ein, welche denen gegenüber lag, die sich bisher geöffnet hatten.
Ihre Kleidung war sehr verändert; sie hatte ihren Schleier und ihre Binde, ihr Scapulir und ihren Brustschleier abgelegt, so dass sie nur noch ihr wollenes Gewand bewahrte, welches um die Taille durch einen Ledergürtel gehalten wurde. Ihre schönen, kastanienbraunen Haare, aus ihrer Haft erlöst, fielen in reichen Ringeln auf ihre Schultern herab und ihr Gewand, das etwas mehr ausgeschnitten war, als der Orden es ihr gestattet haben würde, wäre sie eine wirkliche Carmeliterin gewesen, statt das Gewand einer solchen in Folge eines Gelübdes zu tragen, zeigte die Umrisse eines Busens, welchen das Bouquet von Veilchen und Rosenknospen schmückte, das wir schon bei Frau von Rambouillet erwähnten, das damals aber ihren Busenschleier zierte.
Dieses braune Gewand, welches unmittelbar auf ihrer Haut ruhte, hob wunderbar die Atlasweiße ihres eleganten Halses und ihrer schönen Hände, und da sie nicht in einen jener eisernen Schnürleiber eingezwängt war, welche man damals trug, wogte ihr Busen frei unter den schönen Falten, welche ihr Kleid aus Wolle warf, der kleidsamste aller Stoffe.
Bei dem Anblicke dieses anbetungswürdigen Geschöpfes, das ganz in einen mystischen Wohlgeruch gehüllt war, kaum sein fünfundzwanzigstes Jahr erreicht hatte, in der höchsten Blüte seiner Schönheit stand und durch die Einfachheit seiner Kleidung womöglich noch schöner und anmutiger gemach wurde, erheiterte sich die gerunzelte Stirne des Kardinals. Ein hellerer Strahl beleuchtete seine finstere Physiognomie, ein erleichternder Seufzer hob seine Brust und er streckte der Eintretenden seine beiden Arme entgegen, indem er rief:
»Komm, komm, Marie!«
Die junge Frau bedurfte dieser Ermutigung nicht, denn sie trat mit einem reizenden Lächeln auf ihn zu, nahm das Bouquet von ihrem Busen, presste es an ihre Lippen und überreichte es ihrem Oheim.
»Ich danke Dir, mein schönes, teures Kind,« und indem er tat, als wollte er den Duft des Bouquets einatmen, drückte er es ebenfalls an seine Lippen.
»Ich danke Dir, meine liebe Tochter.«
Dann zog er sie an sich und küsste sie wie ein Vater sein Kind.
»Ja, ich liebe diese Blumen,« fuhr er fort. »Sie sind frisch, wie Du, Wohlgeruch atmend, wie Du.«
»Ihr seid viel zu gut, mein teurer Onkel! Ihr habt mir sagen lassen, dass Ihr mich zu sehen wünscht; sollte ich so glücklich sein, dass Ihr meiner bedürftet?«
»Ich bedarf deiner stets, meine schöne Marie,« sagte 2er Kardinal, indem er seine Nichte mit Entzücken betrachtete; »diesen Abend jedoch ist deine Gegenwart mir notwendiger denn je.«
»Ach, mein guter Onkel,« sagte Frau von Combalet, und versuchte es, die Hände des Kardinals zu küssen; er duldete es indes nicht, sondern zog vielmehr die Hände seiner Nichte an seine Lippen und küsste sie, ungeachtet ihres Widerstandes. Dieser Widerstand rührte jedoch weit Mehr von der tiefen Ehrfurcht her, welche die junge Witwe für ihren Onkel hegte, als aus irgend einem anderen Grunde; dann sagte sie: »Ich sehe, dass Ihr diesen Abend wieder sehr bedrückt seid,« und mit trübem Lächeln fügte sie hinzu: »Ihr solltet doch daran schon gewöhnt sein. Was bekümmert Euch übrigens? Gelingt Euch nicht Alles?«
»Ja,« sagte der Kardinal, »ich weiß wohl, es ist unmöglich, zugleich höher und niedriger zu stehen, glücklicher und unglücklicher, mächtiger und ohnmächtiger zu sein, wie ich es bin. Du weißt es aber besser, als irgend Jemand, Marie, wovon mein politisches Gedeihen und das Glück meines Privatlebens abhängt. Du liebst mich von ganzem Herzen, nicht wahr?«
»Von ganzem Herzen, von ganzer Seele!«
»Nun wohl! Du wirst Dich erinnern, dass ich nach Dem Tode von Chalais einen großen Sieg errungen hatte; ich sah zu meinen Füßen niedergeworfen Monsieur, die Königin, die beiden Vendômés, den Grafen von Soissons. Was taten nun Die, denen ich verzieh? Sie haben mir nicht verziehen; Sie verwundeten mich da, wo ich am empfindlichsten bin, an dem Herzen meines Herzens. Sie wussten. dass ich aus der Welt nichts so sehr liebe, wie Dich; dass deine Anwesenheit mir daher so notwendig ist, wie die Luft, die ich atme, wie die Sonne, die mich bescheint. Nun wohl! Sie machten Dir ein Gewissen daraus, mit diesem verdammten Priester, mit diesem Blutmenschen, zu leben! Mit mir zu leben! Ja, Du lebst mit mir, oder, noch mehr zu sagen, ich lebe durch Dich. Nun wohl! dies Leben, so treu ergeben von deiner Seite, so rein von der meinigen, dass ich nie einen schlechten Gedanken hegte, selbst nicht, wenn ich Dich so schön sah, selbst nicht, wenn ich Dich – wie jetzt – in meinen Armen hielt; dies Leben, auf das Du stolz, sein musst, wie auf ein Opfer, haben sie Dir zur Schande angerechnet; Du bekamst Furcht, Du erneuertest dein Gelübde, Du wolltest in das Kloster eintreten. Dir dies zu verwehren, musste ich ein Breve von dem Papst erbitten, gegen den ich Krieg führte. Wie kannst Du also wollen, dass ich nicht zittern soll? Wenn sie mich tödten, so ist das nichts; bei der Belagerung von la Rochelle habe ich mein Leben zwanzigmal auf das Spiel gesetzt; aber wenn sie mich stürzen, wenn sie mich verbannen, wenn sie mich einkerkern, wie soll ich dann leben, fern von Dir?«
»Mein teurer Onkel,« entgegnete die schöne Fromme, indem sie auf den Kardinal einen Blick richtete, in welchem man mehr lesen konnte, als die Zärtlichkeit einer Nichte für ihren Oheim, und vielleicht selbst mehr, als die Liebe einer Tochter für ihren Vater; »Ihr seid gleichwohl in jener Zeit so gut gewesen, wie es nur möglich war. Aber ich kannte, ich liebte Euch noch nicht, wie ich Euch jetzt kenne und liebe. Ich tat ein Gelübde; der Papst hat mich dessen entbunden, und es besteht daher nicht mehr, Nun wohl, in dieser Stunde leiste ich einen Eid, und Ihr selbst werdet nicht die Macht, haben, mich davon zu entbinden: Ich leiste den Eid. überall zu sein, wo Ihr sein werdet, Euch überall zu folgen, wohin Ihr geht: Palast, Exil, Gefängnis sind für mich gleich, das Herz lebt nicht da, wo es klopft, sondern da, wo es liebt'. nun wohl, mein guter Onkel, mein Herz gehört Euch. Ich liebe Euch und werde nie einen Andern lieben, als Euch!«
»Ja, aber wenn sie siegen, werden sie es dann zugeben, dass Du Dich mir weihst, da sie dies beinahe verhinderten, als sie besiegt waren? Sieh, Marie, was ich mehr fürchte, als meinen Sturz, mehr als die Zertrümmerung meiner Macht, mehr als die Enttäuschung meines Ehrgeizes, das ist die Trennung von Dir. Ach, wenn ich nur gegen Spanien zu kämpfen hatte, gegen Österreich, gegen Savoyen, so wäre das nichts; aber gegen Die kämpfen zu müssen, die mich umgeben, die ich reich, glücklich, mächtig mache; aber wenn ich den Fuß erhebe, es nicht zu wagen, ihn niederzusetzen, aus Furcht, auf eine Natter, auf einen Scorpion zu treten, das ist es, was mich erschöpft. Was kümmert mich der Kampf gegen Spinoza, Waldstein, Olivarez? Ich werde sie niederwerfen. Sie sind nicht meine wahren Feinde, meine wahren Nebenbuhler! Mein wahrer Nebenbuhler ist ein Vauthier, mein wahrer Feind ist ein Bérulle, ein unbekannter Mensch, der in einem Alkoven intrigiert, in den Vorzimmern umher kriecht, ein Mensch, dessen Namen, dessen Existenz ich sogar nicht kenne. – Ich schreibe Tragödien; ach, ich kenne keine finsterere, als die, welche ich spiele! Während ich gegen die englische Flotte kämpfe, während ich die Mauern von la Rochelle niederwerfe, gelingt es mir, durch die Macht des Genies – ich darf dies sagen, obgleich ich von mir selbst spreche – außer meiner Armee in Frankreich zwölftausend Mann auszuheben. Ich gebe Sie dem Herzog von Nevers, dem rechtmäßigen Erben von Mantua und Montferrat, um damit seine Erbschaft zu erobern. – Das wäre mehr, als nöthig gewesen, hätte ich nur Philipp IV., Carl Emanuel und Ferdinand II. zu bekämpfen gehabt, d. h. Österreich, Spanien und Piemont! Aber der Astrolog Vauthier hat in den Sternen gelesen, dass die Armee die Berge nicht überschreiten wird, und der fromme Bérulle fürchtet, dass die Siege des Herzogs von Nevers das gute Einverständnis zwischen Seiner katholischen Majestät und Seiner aller christlichsten Majestät stören möchte. Sie lassen daher durch die Königin-Mutter an Créqui schreiben, an Créqui. den ich zum Pair, zum Marschall von Frankreich, zum Gouverneur der Dauphine machte, und Créqui, der meinen Sturz erwartet, um mit Zurücksetzung von Montmorency Connetable zu werden, verweigert die Lebensmittel, mit denen er im Überfluss versehen ist. Der Hunger reißt in der Armee ein; in Folge des Hungers die Desertion, in Folge der Desertion siegt der Savoyarde! Aber wer hat die Felsblöcke geschleudert, welche die Trümmer der französischen Armee vernichteten, indem sie von den Bergen Savoyens herabrollten? Eine Königin von Frankreich, Maria von Medicis.
»Freilich ist es wahr, dass Maria von Medicis, ehe sie Königin von Frankreich wurde, die Tochter des Herzogs Franz war, d. h. die Tochter eines Mörders und die Nichte Ferdinands, eines ehemaligen Kardinals, der seinen Bruder und seine Schwägerin vergiftete! So wird man es auch, mit mir machen, oder vielmehr mit meiner Armee, wenn ich nicht nach Italien gehe; gehe ich aber hin, so unterwühlt man mich hier, bis ich zusammenstürze. Und dennoch ist es das Wohl Frankreichs, das ich will. Mantua und Montferrat sind kleine Länder, aber wichtig als militärische Stellungen; Casale ist der Schlüssel der Alpen und ist dieser Schlüssel in den Händen des Savoyarden, so leiht er ihn – wie sein Interesse es fordert – bald am Österreich, bald an Spanien. Mantua, die Hauptstadt der Gonzaga s, schützt die fliehenden Künste; Mantua, ein Museum, ist zugleich mit Venedig das letzte Nest in Italien geblieben. Mantua deckt Toscana, den Papst und Venedig. – »Ihr werdet vielleicht Casale entsetzen, aber Ihr werdet Mantua nicht retten!« schreibt mir Gustav Adolph. Ha. wenn ich nicht Kardinal, nicht von Rom abhängig wäre, so möchte ich keinen anderen Verbündeten haben, als Gustav Adolph. Aber wie kann ich mit den Protestanten des Nordens eine Allianz schließen, während ich die Protestanten des Südens vernichte? Wenn ich wenigstens die Gewissheit hätte, Legat zu wenden! Wenn es mir gelänge, in meiner Hand die weltliche und die geistliche Macht zu vereinigen! Legat auf Lebenszeit! Und wenn man bedenkt, dass es ein Charlatan ist – Vauthier; ein Dummkopf – Bérulle, welche die Verwirklichung solcher Pläne hindern.
»Und dabei erinnere ich mich doch zuweilen daran, dass sie Alle in meiner Hand sind. Ich habe Beweise, dass durch Ehebruch die Ehre Heinrichs IV. und der französischen Krone geschändet wurde, ich habe auch Zeugen! Frau von Bellier und Patrocle gegen die Königin Anna von Österreich, die Escoman gegen Maria von Medicis; ich werde die Esoman suchen, deren Worte die Anklage des Mordes auf das ergrauende Haupt der Königin-Mutter schleudern sollen ich werde sie in dem Kloster aufsuchen, wo sie jetzt ihr sündiges Leben bereut, und sollte sie gestorben sein, werde ich ihre Leiche ausscharren lassen, und diese Leiche wird zeugen gegen meine Feindin!«
»Lieber Onkel,« sagte Frau von Combalet, welche sah, dass Richelieu sich allzu sehr aufregte, »denken wir jetzt nicht an diese verdrießlichen Geschichten, und plaudern wir!«
»Du hast Recht, liebes Kind; wo warst Du heute Abend?«
»Bei der Marquise von Rambouillet.«
»Was trieb man dort?«
»Nun, was man immer dort zu treiben pflegt, etwas Malerei, etwas Liebe und sehr viel Poesie! – Es wurde auch ein junger Dichter aus Rouen vorgestellt.«
»Dieses Rouen scheint ziemlich reich an poetischen Naturen; da arbeitet auch in meinem Kabinett ein solcher junger Taugenichts aus Rouen, Namens Rotrou, dem ich den Weg zu Parnasse ebnen soll; wie heißt denn der neu gebackene Dichter?«
»Peter Corneille!«
Der Kardinal machte mit Kopf und Schultern eine Bewegung, welche sagen wollte: »Mir unbekannt.«
»Und er kommt ohne Zweifel mit einem Trauerspiel in der Tasche?«
»Mit einem fünfaktigen Lustspiel.«
»Der Titel?«
»Melita.«
»Das ist kein historischer Name.«
»Nein, es ist ein Stoff eigener Erfindung. Rotrou behauptet, Corneille sei dazu bestimmt, alle gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Dichter zu verdunkeln.«
»Der Unverschämte!« Darauf fuhr er fort: »Man war ja, wenn ich nicht irre, auch auf eine Überraschung gefasst; ist die Erwartung in Erfüllung gegangen?«
»Im vollsten Maße; denkt Euch, Onkel, dass sich vor unseren erstaunten Blicken plötzlich eine Mauer, von der wir wussten, dass sie in den Garten führe, auftat wie die Sesamhöhle, und wir an der Schwelle eines feenhaft ausgeschmückten Gemaches standen, wie ich Reizenderes noch nicht gesehen!«
»Wenn Du Dir das Gemach genau in die Erinnerung zurückzurufen vermagst, so sollst Du ein ähnliches in unserem neuen Landhaus haben. Du weißt, dass ich für meine liebe Nichte kein Opfer scheue. – Waren mit diesem Feengemache die Überraschungen erschöpft?«
»O nein, wir hatten noch eine, aber die war nicht im Programm der Marquise, es war im Gegenteil eine sehr traurige Überraschung.«
»Was war es?«
»Ich weiß nicht, ob ich es erzählen soll, weil ein Degenstoß dabei vorkommt.«
»Was? Wieder ein Duell?« sagte Richelieu. die Stirn runzelnd, »soll denn dieser barbarische Gebrauch in Frankreich nie ausgerottet werden können?«
»Es war nicht eigentlich ein Duell, sondern ein Rencontre. Der Marquis wurde in das Hotel gebracht, ohnmächtig in Folge einer Wunde.«
»Gefährlich?«
»Nein; aber es war ein Glück für ihn, dass er bucklig ist, denn die Klinge traf auf den Höcker, konnte nicht eindringen und glitt an dm verwachsenen Rippen ab.«
»Weiß man, woraus der Kampf entstand?«
»Ich glaube, ich hörte den Grafen von Moret nennen.«
»Den Grafen von Moret?« wiederholte Richelieu, wieder die Stirn runzelnd; »seit drei Tagen hörte ich diesen Namen schon mehrmals. Und wer versetzte dem Marquis Pisani diesen schönen Degenstoß?«
»Einer seiner besten Freunde, hundert Schritte von dem Hotel Rambouillet entfernt.«
Der Kardinal zog ein Notizbuch zu Rate.
»Und wer war der Angreifer?« fragte er, während er die Blätter des Notizbuches überflog.
Frau von Combalet zögerte mit der Antwort.
»Nenne ihn ungescheut!« sagte Richelieu.
»Er heißt Souscarières, ist aber, wie gesagt, an der Sache vollkommen unschuldig, da Pisani es war, der den Degen zuerst aus der Scheide zog.«
Bei Nennung dieses Namens zuckte es in dem Gesicht des Kardinals, und wer ihn kannte, erriet, dass in diesem Augenblicke eine jener Ideen in seinem Gehirne auftauchte, die bestimmend für das Schicksal einzelner Individuen oder ganzer Staaten waren.
Nachdem er einige Sekunden ruhig in seinem Notizbuch geblättert hatte, während ihn seine Nichte mit ängstlicher Spannung betrachtete, läutete er.
Charpentier erschien fast augenblicklich.
»Rufe Cavois!« befahl der Kardinal.
»Wie,« rief Frau von Combalet, »Ihr lasst den Kapitän der Garde kommen? Ihr wollt Souscarières doch nicht arretieren lassen?«,
»Im Gegenteil, von diesem Augenblicke an hat der junge Mann, den Du soeben nanntest, sein Glück in der Hand, und es ist nur seine eigene Schuld, wenn er es wieder fallen lässt.«
Cavois trat in strammer Haltung ein.
»Kapitän,« sagte Richelieu, »Ihr werdet Euch sofort nach der Rue des Frondeurs begeben. In dem Hause, welches die Ecke der Rue St. Anne bildet, fragt nach einem Cavalier, der sich Peter von Garde, Marquis von Montbrun, Herr von Souscarières nennt.«
»Ja, gnädigster Herr.«
»Wenn er dort wohnt und Ihr findet ihn zu Haus, so sagt ihm, dass es mir, ungeachtet der späten Nachtstunde, ein großes Vergnügen wäre, mit ihm zu plaudern.«
»Und wenn er sich weigert, Eminenz?«
»Dann richtet Ihr es so ein, dass ihm sein Weigern nichts hilft, er muss im Verlaufe einer Stunde hier sein, versteht Ihr? Er muss!«
»Zu Befehl. Eminenz!«
Der Kapitän entfernte sich. An der Tür begegnete er einem Manne, bei dessen Anblick er so schnell und ehrerbietig zur Seite trat, dass man erkennen konnte, er mache einer sehr wichtigen Person Platz.
In der Tat erschien in diesem Augenblick auf der Türschwelle der berüchtigte Kapuziner du Tremblay, bekannt unter dem Namen Bruder Joseph oder die graue Eminenz.