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Es war fast vier Uhr morgens, als wir schließlich unser Hotel erreichten.

Es ist schon dumm, wenn man fast nichts erreicht hat und man das Gefühl einfach nicht loswird, trotz all der Bemühungen in seinen Ermittlungen irgendwie auf der Stelle zu treten.

So etwas verbessert nicht unbedingt die Laune, und die ist morgens um vier sowieso auf einem Tiefpunkt.

Ich gähnte, als wir aus dem Wagen stiegen. Rudi hatte schon die ganze Fahrt über so stark und ausdauernd gegähnt, dass das auf mich so richtig ansteckend gewirkt hatte. Nur unter Aufbietung all meiner Kräfte hatte ich wach bleiben können.

“Wenn du jetzt nochmal gähnst, übernachten wir auf einem Parkplatz und nicht im Hotel!”, hatte ich ihm gedroht.

“Nee, dann fahre ich das letzte Stück”, war seine Erwiderung gewesen.

“Das glaubst du auch nur!”

“Wieso?”

“Weil ich lebend ankommen will und mich nicht von einem Schlaftrunkenen fahren lasse!”

“Ach, und du bist immer noch fit wie ein Turnschuh, Harry?”

“Na ja, wie ein Turnschuh ...”

“Eher wie eine alte Socke, oder?”

Jetzt hatten wir es also geschafft und waren tatsächlich angekommen. Unterwegs hatten wir schon befürchtet, dass der Wirt in unserem Provinzhotel bereits alle Schotten dichtgemacht hatte und uns einfach draußen stehen ließ.

Angesichts der überwältigenden Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft, die uns ja bisher in diesem Nest zuteilgeworden war, hielt ich nichts mehr für unmöglich.

Aber man erlebt immer wieder Überraschungen.

In diesem Fall bestand sie darin, dass der Wirt offenbar auch zu dieser nachtschlafenden Zeit noch wach war.

Es brannte Licht und er öffnete uns.

Man hatte fast den Eindruck, dass er regelrecht auf uns gewartet hatte.

“Guten Abend”, sagte er unpassenderweise und in einem erwartungsvollen Tonfall.

“Abend ist gut”, gab ich zurück. “Man könnte eher von frühem Morgen sprechen.”

“Ist doch egal”, meinte der Wirt. “Dunkel ist doch dunkel, oder?”

“Ja, wenn man das so sieht”, musste ich zugeben.

“Sehe ich so”, sagte er.

“Na, dann ...”

“Sollen ich Ihnen noch was zu trinken hinstellen?”

Ich hatte in diesem Moment nur einen Gedanken: Wenn der Kerl glaubt, dass er uns jetzt zu dieser Stunde über den Stand der Ermittlungen ausfragen kann, dann hat er sich aber getäuscht!

Genau deswegen war er nämlich noch auf den Beinen.

Er war schlicht neugierig und konnte es nicht abwarten, bis all die Neuigkeiten irgendwann mal in der örtlichen Zeitung standen. Oder zumindest im lokalen Internet-Portal des Heimatvereins.

“Sind müde”, sagte ich und Rudi unterstützte meine Argumentation mit einem für seine Verhältnisse recht hemmungslosen Gähnen.

“Wann gibt es Frühstück?”, fragte ich.

“Ab acht.”

“Für uns bitte ab sieben, wenn’s recht ist.”

“Für Sie tue ich doch alles”, behauptete er.

“Vielen Dank.”

“Es gibt dann allerdings keine frischen Brötchen, wenn Sie so früh frühstücken wollen.”

“Das ist nicht weiter tragisch”, meinte ich.

Rudi und ich ließen uns den Schlüssel geben und wollten bereits hinauf zum Zimmer gehen, aber dann sagte der Wirt den Satz, auf den ich eigentlich schon die ganze Zeit gewartet hatte, seit wir wieder zurück waren.

Er fragte: “Was haben Sie denn herausbekommen - bis jetzt?”

“Gute Nacht”, sagte ich.

“Man hört ja so einiges hier im Ort.”

“Gute Nacht.”

“Und man macht sich auch so seine Gedanken.”

Rudi hatte schon die erste Treppenstufe genommen, da setzte der Wirt noch einen drauf und meinte: “Unter anderem habe ich darüber nachgedacht, ob ich Ihnen nicht vielleicht doch noch etwas mehr erzählen sollte.”

Jetzt hatte er uns.

Wir standen da, wechselten erst einen kurzen Blick miteinander und sahen dann zum Wirt hinüber. Eins musste man ihm wirklich lassen: Er verstand etwas davon, sich zu verkaufen.

Vielleicht wollte er uns allerdings auch nur für dumm verkaufen, ging es mir durch den Kopf. Auch das lag immerhin im Bereich des Möglichen. Einen Hang zur Wichtigtuerei hatte er ja ohnehin, wie mir nicht entgangen war.

“Heißt das, Sie haben uns noch irgendetwas Wichtiges nicht gesagt, was zur Aufklärung des Falles beitragen könnte?”, hakte ich nach und gab mir redlich Mühe, auch zu dieser je nach Perspektive späten oder sehr frühen Stunde einen hinreichend strengen Tonfall hinzubekommen. Einen Tonfall, der das Gegenüber möglichst dazu brachte, doch noch auszupacken.

“Tja ...”

“Ja oder nein? Wenn Sie nur Wind machen wollen, ohne dass etwas dahintersteckt, sind mir die letzten paar Minuten meiner schon fast nicht mehr vorhandenen Nachtruhe zu schade dafür. Aber sollten Sie irgendetwas wissen, was ich auch wissen sollte, dann ...”

“Ja, so meine ich das ja nicht.”

War das jetzt schon der Rückzug auf Raten, wie man ihn bei Wichtigtuern und Schwätzern häufig antrifft?

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Rudi, der mindestens so genervt war wie ich. Rudi verdrehte die Augen und machte sich diesmal auch gar nicht die Mühe, sein Gähnen zu unterdrücken.

“Wie meinen Sie es denn?”, hakte ich nach.

“Hier gehen manche Dinge etwas anders”, sagte der Wirt.

“Etwas anders als wo?”, hakte ich nach.

Er druckste herum. Vielleicht wusste er doch etwas und hatte nur nicht den Mut, es zu sagen. Oder er war doch nur ein neugieriger Wichtigtuer. Ich war mir im Moment nicht mehr so ganz sicher.

“Wissen Sie etwas darüber, wer von den vielen Baseballschläger-Benutzern in diesem Ort unserem Kollegen Rüdiger Schmitten eins über den Schädel gezogen hat? Oder haben Sie eine Vermutung?” Ich sah ihn ernst an und machte einen Schritt auf ihn zu. Nur einen. Ich wollte ja schließlich nicht zu bedrohlich auf ihn wirken. Nur ein bisschen. Bedrohlich genug, dass er redete. Aber nicht so bedrohlich, dass es ihm den Mund völlig verschloss. Das ist immer eine schmale Gratwanderung. Und nicht immer liegt man dabei richtig. Aber das ist eben so. Fehler macht man in jedem Job und mit der Zeit hilft einem die Erfahrung, das richtig abzuschätzen.

“Ich sag besser nichts”, meinte der Wirt dann.

“Hören Sie, wir waren bei diesem alten Haus, in dem sich angeblich ein Flüchtlingsheim befinden sollte. Wissen Sie darüber etwas.”

“Wieso soll ich darüber was wissen?”

“Wo sind die Flüchtlinge jetzt?”

“Was weiß ich. Weg. Also wenn ich ...”

“Ja?”

“Wenn ich ein Flüchtling wäre, dann würde ich auch zusehen, dass ich so schnell wie möglich von hier wegkomme.”

“Wieso?”

“Na ja, die Leute sind hier sehr eigen. Die mögen keine Fremden.”

“Für Sie gilt das nicht?”

“Ich mag keine Muslime und Turbanträger und so etwas. Gegen Neger habe ich nichts.”

“Ach, wirklich?”

“Zu DDR-Zeiten hatten wir manchmal so Vertragsarbeiter aus befreundeten Bruderländern. Zum Beispiel aus Moçambique. Die waren schwarz und es gab trotzdem keine Schwierigkeiten.”

“Na, dann ...”

“Nur die Vietnamesen, die konnten richtig hinterhältig sein. Nee, mit denen sind die meisten hier nie so richtig warm geworden.”

“Und mit den Flüchtlingen, die vor kurzem hier einquartiert wurden, wohl auch nicht, oder?”

Er atmete tief durch. “Es gibt da ein paar Leute hier in der Gegend, die greifen da ziemlich grob durch.”

“Die meinen mit dem Baseballschläger”, stellte ich fest.

“Ich find das auch nicht gut, aber so ist das hier nun mal. In der DDR durfte es keine Faschisten geben. Schließlich waren wir doch per Definition die Anti-Faschisten. Und deswegen hat man auch nichts gegen sie gemacht und sich stattdessen lieber um harmlose Friedensaktivisten gekümmert, die keiner Fliege was zuleide getan haben und Udo Lindenberg hören wollten.”

“Gewalt gegen Ausländer gibt es hier seit Jahren”, sagte Rudi jetzt. “Aber wir sind eigentlich hier, weil ein Kollege von uns ums Leben gekommen ist.”

Ich sah Rudi kurz an.

Es schien ihm selbst inzwischen aufgefallen zu sein, dass das, was er gerade gesagt hatte, ziemlich eigenartig klang.

Fast so, als wäre es ganz normal, dass das BKA und sein Fahndungsapparat erst aktiv werden, wenn einer umgebracht wird, der selbst dazu gehört.

Jemand, der als wichtig genug gilt.

Ein Zielfahnder wie Rüdiger Schmitten zum Beispiel.

“Also ich will ja nichts sagen, und ich finde auch nichts dabei, dass einige hier im Ort dafür sorgen, dass sich hier nicht so viel Gesindel herumtreibt. Aber einem Polizisten eins über den Schädel zu geben, das geht dann doch zu weit.”

Asylbewerber mit dem Baseballschläger verprügeln war für ihn offenbar in Ordnung. Ich verschluckte die Bemerkung, die mir dazu auf der Zunge lag. Immerhin schien das Gewissen dieses Wirtes wenigstens bei einem Polizistenmord angesprungen zu sein. Und ich hatte schon gedacht, dass es so etwas wie ein Gewissen bei diesem Kerl gar nicht gab.

“Also jetzt heraus damit, was wissen Sie über den Tod des Kollegen Schmitten?”, konnte Rudi seine Ungeduld nicht bremsen.

“Sie haben ein paar Männer verhaftet”, wich der Wirt aus.

“Weil Sie uns angegriffen und bedroht haben, als wir uns in dem Haus umgesehen haben, in dem angeblich ein Flüchtlingsheim sein sollte”, sagte ich.

“Es spricht sich hier alles sehr schnell herum, Herr Kubinke. Sehr schnell.”

“Mag sein.”

“Unter anderem wird gesagt, dass Sie Devid Dresel verhaftet haben.”

“Wenn Sie das schon wissen, brauche ich ja nichts mehr dazu sagen”, meinte ich.

“Devid ist eigentlich ein guter Kerl, aber er hatte eine schwere Kindheit und es hätte sich in den entscheidenden Jahren jemand mehr um ihn kümmern sollen ...”

“Was wollen Sie mir damit sagen?”

Eine Pause entstand. Der Wirt zögerte noch einen Augenblick, ehe er schließlich weitersprach. Was er dann sagte, hatte es in sich. Ich hatte mit so einem Hammer zu dieser späten Stunde nicht mehr gerechnet und Rudi wohl auch nicht. Meinem Kollegen blieb fast der Mund offen stehen, was vielleicht auch daran lag, dass er gerade gähnte, als unser Gegenüber die entscheidenden Sätze sprach.

“Ich habe gehört, wie Devid zu einem der anderen gesagt hat, dass er den Herrn Schmitten umgebracht hat. Mit seinem Baseballschläger.”

“Wann und wo soll das gewesen sein?”, fragte ich.

“Sie glauben mir nicht?”

“Ich muss Ihre Angaben einfach überprüfen, sonst kann ich damit nichts anfangen.”

“Sie glauben mir nicht. Aber ich kann Ihnen nicht mehr als die Wahrheit sagen und Sie davor warnen, Devid Dresel wieder auf freien Fuß zu setzen. Nach 48 Stunden, glaube ich, müssen Verdächtige doch freigelassen oder dem Haftrichter vorgeführt werden. Sehe ich das richtig?”

Ich nickte. “Das sehen Sie richtig”, bestätigte ich.

“Na, also!”

“Und warum wollen Sie uns warnen, Herrn Dresel wieder auf freien Fuß zu setzen?”

“Weil er mich dann vielleicht umbringen wird. Deshalb.”

Rudi und ich wechselten einen Blick.

Hätte dem das nicht früher einfallen können?, schien Rudis Gesicht zu sagen. Und der Gedanke, der mir zurzeit im Kopf herumschwirrte, war ganz ähnlich. Aber manche Dinge hat man eben einfach nicht im Griff. Vor allem gilt das für das Verhalten anderer Leute.

Man mag es manchmal als Frechheit empfinden, aber sie empfinden mitunter einfach, was sie wollen.

“Wo und wann haben Sie das mitbekommen?”, fragte ich. “Und wer war Dresels Gesprächspartner?”

“Das war Heino Zäuner.”

“Der ist leider tot und kann das nicht bestätigen.”

“Habe ich auch von gehört. Der Heino, das war ein ganz harter. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, dass Sie ihn erschossen haben.”

“Das ist also auch schon herum.”

“Was denken Sie denn! Und ich sag Ihnen eins: Freunde haben Sie sich hier in der Gegend damit sicher nicht gemacht!”

“Ich bin auch nicht hier, um Freundschaften zu schließen”, sagte ich. “Und abgesehen davon würde Herr Zäuner noch leben, wenn er nicht versucht hätte, uns mit der Waffe anzugreifen.”

“Ja, das ist alles richtig. Wie gesagt, ich habe ja Verständnis dafür ...”

“Verständnis dafür, dass wir gerne am Leben bleiben wollten?”, mischte sich Rudi ein. “Zu gütig. Mit so viel Mitgefühl hätte ich gar nicht gerechnet.”

“Verstehen Sie mich bitte nicht falsch!”, meinte der Wirt.

“Und jetzt mal Tacheles: Wo fand das Gespräch statt?”

“Na im FDJ-Haus.”

“Wie bitte?”

“Ja, wissen Sie, Herr Kubinke, das nennt man hier immer noch so, obwohl es die FDJ natürlich schon lange nicht mehr gibt. Aber Versammlungen finden da immer noch statt. Wenn hier im Ort irgendetwas ist, dann kommen alle dahin.”

“Und was war das dann für eine Versammlung?”

“Es ging um verschiedene Dinge, die eben geregelt werden mussten. Mit den Flüchtlingen zum Beispiel. Das überfordert ja viele Gemeinden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Na jedenfalls, da steht der Devid Dresel bei dem Heino Zäuner und erzählt ihm, dass er den Typ vom BKA - so hat er sich ausgedrückt: Typ vom BKA - allegemacht hätte.”

“Allegemacht. Das hat er so gesagt?”, hakte ich nach.

“Ja, das waren seine Worte. Ich dachte erst, er wollte nur vor dem Heino Zäuner angeben, diesem superharten Reichsbürger, wie er sich nennt, der keine Sau auf sein Grundstück lässt, weil das ein eigener Staat sei und was dem nicht alles für eine Kacke im Hirn rumschwirrt. Aber dann habe ich gehört, dass Ihr Kollege erschlagen worden ist und da war mir klar, dass das nicht einfach nur Angeberei war.”

“Und wieso sollte dieser Devid Dresel unseren Kollegen umgebracht haben?”, hakte ich nach.

“Was heißt hier schon ein Grund? Was hatte er denn für einen Grund, um Sie anzugreifen?”

“Wo er recht hat, hat er recht”, meinte Rudi.

Ich sah auf die Uhr. “Wir werden aus dem, was Sie uns gesagt haben, noch eine richtige Aussage machen müssen. Mit Unterschrift und schriftlich.”

“Können Sie mich da nicht besser offiziell rauslassen?”

“Rauslassen?”, echote ich. “Es geht hier um einen Mord an einem Kriminalbeamten! Also entweder, Sie haben wirklich gehört, was Sie gehört haben wollen, dann ist das eine wesentliche Aussage oder Sie sind nur ein Wichtigtuer und haben sich durch eine falsche Beschuldigung strafbar gemacht. So oder so - rauslassen kann man Sie da jetzt nicht mehr.”

“Verstehen Sie doch”, sagte der Wirt. “Ich will hier eigentlich den Rest meines Lebens verbringen und der Dresel hat hier seine ganze Verwandtschaft und viele Freunde. Also möchte ich ungern irgendwas unterschreiben oder irgendwie in Erscheinung treten. Aber der Tipp, den ich Ihnen gegeben habe, müsste doch eigentlich ausreichen, damit Sie was daraus machen können, oder?”

Ich seufzte.

Ganz ehrlich. Solche Zeugen würde ich jedes Mal gerne ohrfeigen.

Aber das ist natürlich gegen unsere Dienstvorschriften und sämtliche Gesetze und kommt daher nicht in Frage. Aber in seinen Wünschen ist man ja frei.

“Wir sehen morgen weiter”, meinte Rudi.

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