Читать книгу Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten - Alfred Bekker - Страница 53
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Der Wirt war ziemlich einsilbig, als wir das Frühstück einnahmen. Dass es zu früh für frische Brötchen war, hatte er uns ja schon angekündigt. Insofern hielt sich die Enttäuschung bei Rudi und mir über diesen Punkt in engen Grenzen.
Das Wichtigste war ohnehin der Kaffee. Und immerhin war der einigermaßen stark, sodass ich auf eine Dosis Koffein hoffte, die ausreichte, um mich die nächsten Stunden über so wach zu halten, wie es unser Job zweifellos erforderte.
“Wollen wir nochmal über gestern Nacht sprechen”, wandte ich mich schließlich an unseren Gastgeber, nachdem ich das Gefühl gewann, dass er uns mehr oder minder auszuweichen versuchte.
“Ich weiß nicht, was Sie meinen“, behauptete er.
“Wir haben uns doch gestern Nacht - oder heute Morgen, ganz wie Sie wollen - noch unterhalten.“
“So?”
“Über Devid Dresel und das, was er zu Heino Zäuner gesagt hat.”
“Da müssen Sie sich irren”, erklärte er dann. Er konnte lügen, ohne rot zu werden. Diese Fähigkeit immerhin ist so selten, dass ich nicht umhinkonnte, ihm dafür ein gewisses Maß an Anerkennung zu zollen.
“Wie bitte?”, fragte Rudi.
Seine Stirn war so stark gefurcht, wie ich es bei meinem Kollegen selten bemerkt hatte.
“Ich erinnere mich nicht an ein Gespräch. Wollen Sie noch Kaffee?”
Offensichtlich hatte er es sich anders überlegt, was seine Aussage anging.
Vielleicht war seine Angst vor der Baseballschläger-Fraktion im Ort einfach auch nur sehr viel stärker ausgeprägt als die Ehrfurcht vor dem Gesetz und denjenigen, die es verkörpern und durchsetzen sollten.
Also uns.
Rudi wollte noch einmal nachhaken, aber ich schüttelte den Kopf.
Es hatte einfach keinen Sinn. Das hatte ich im Gespür.
“Es möchte Sie übrigens jemand heute Morgen dringend sprechen”, eröffnete der Wirt dann. Er vermied dabei den Blickkontakt.
“Und wer?”, fragte ich.
“Der Bürgermeister. Herr Martin Keller.” Der Wirt sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. “Er hat gesagt, dass er rechtzeitig hier sein wird, um Sie noch anzutreffen.”
In diesem Moment betrat ein Mann in den Vierzigern den Raum. Er trug einen Anzug, der ihm offenbar vor ein paar Jahren mal gepasst hatte, jetzt aber deutlich zu klein war. Darüber einen Parka, den er jetzt abstreifte und über den nächstbesten Stuhl warf.
Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Sein Kopf war hochrot.
Auf seiner hohen Stirn war eine Ader zu sehen, die deutlicher hervortrat, als es gesund wirkte.
Er sah zu mir, zu Rudi, dann zum Wirt und wieder zu mir. Dabei rieb er die Handflächen gegeneinander.
“Sie sind die Herren vom BKA, nicht wahr?”
Es war keine ernst gemeinte Frage, sondern eigentlich eine Feststellung.
“Kommissar Harry Kubinke”, stellte ich mich vor und deutete auf Rudi. “Und das ist mein Kollege Rudi Meier.”
“Ich bin Martin Keller.”
“Der Bürgermeister”, stellte Rudi fest.
Keller lächelte breit und verlegen. “Wie ich sehe, wurde ich bereits angekündigt.”
“Wir werden nicht viel Zeit haben”, kündigte ich an.
Keller sah noch einmal kurz zum Wirt hinüber und der verstand das Signal jetzt endlich. Es hieß: Verschwinde und lass uns allein!
Also verdrückte sich der Wirt, obwohl seine Neugier ihm sicher etwas anderes eingeflüstert hatte.
“Sie haben nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze”, sagte Keller dann und wartete gar nicht erst ab, bis Rudi oder ich dazu etwas sagen konnten.
Da saß er nämlich schon.
“Was können wir für Sie tun?”, fragte Rudi für meinen Geschmack eine Spur zu ehrerbietig. Bürgermeister sind ja schließlich auch nur Menschen. Meistens jedenfalls.
“Sehen Sie, ich weiß, dass Sie nur Ihre Pflicht tun, aber ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie Ihre Ermittlungen nicht künstlich in die Länge ziehen würden.”
“Wir machen einfach nur so gründlich wie möglich unsere Arbeit.”
“Ja, das weiß ich ja!”, fuhr mir Keller gleich in die Parade.
“Na, dann sind wir uns doch im Grunde einig. Oder habe ich da irgendetwas nicht richtig verstanden?”
“Ich hoffe nur, dass Sie auch mich richtig verstehen”, sagte Martin Keller jetzt mit einem Gesicht, das auf einmal sehr ernst wirkte. Fast schon konnte man seinem Mienenspiel zusammenfassend die Note ‘finster entschlossen’ geben. Und die Art und Weise, in der er mit uns sprach, gefiel mir ganz und gar nicht.
“Ich habe leider keine Ahnung, was Sie meinen”, erklärte ich.
“Ganz einfach: Jede Stunde, die Sie hier im Ort sind, richtet Schaden für das Ansehen unserer Gemeinde an. Das ist nicht von Ihnen beabsichtigt, aber es ist eine Tatsache, die Sie nicht bestreiten können. Und deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Sache so schnell wie möglich abschließen.“
“Ein Kollege ist brutal ermordet worden - und um herauszufinden, wer der Täter war, werden wir uns so viel Zeit nehmen, wie wir brauchen”, mischte sich jetzt Rudi etwas ungehalten ein.
Ich hob die Augenbrauen. “Mein Kollege hat eigentlich schon alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt”, fügte ich noch hinzu. “Oder wollen Sie etwa irgendeinen Einfluss auf unsere Ermittlungen nehmen?”
“Sie haben doch jemanden verhaftet, nicht wahr?”
“Wir haben eine Reihe von Personen festgenommen, die uns tätlich angegriffen haben. In den nächsten Tagen wird sich herausstellen, gegen welche dieser Personen sich vielleicht der Verdacht erhärtet, dass sie auch etwas mit dem Tod unseres Kollegen zu tun hat.”
“Das heißt, Sie haben gegen keinen dieser Festgenommenen irgendwelche konkreten Beweise, dass sie für den Tod Ihres Kollegen verantwortlich sind?”, hakte Keller jetzt nach.
“Das scheint Sie ja fast etwas zu erleichtern”, stellte ich überrascht fest.
Kellers Lächeln wurde jetzt sehr breit.
“Ich persönlich glaube nicht, dass Ihr Kollege von jemandem aus unserer Gemeinde umgebracht wurde. Allerdings hat sich die Sicherheitslage sehr zugespitzt, seit wir einen dramatisch hohen Zuzug von Menschen aus anderen Kulturkreisen zu verzeichnen haben.”
“Sie meinen Flüchtlinge.”
“Wie auch immer. Hat Ihr Kollege nicht nach einem Flüchtling gesucht?”
“Hat er”, bestätigte ich.
“Ist dieser Flüchtling eine Person, die sich Ihren Erkenntnissen nach noch hier im Ort aufhält?”
“Nein, davon gehen wir nicht aus.”
“Dieser Flüchtling wollte vielleicht nicht gefunden werden. Wenn er tatsächlich Kontakte zu terroristischen Gruppen hatte, dann bedeutete das Auftauchen dieses BKA-Zielfahnders eine Bedrohung für ihn und das wiederum ergibt ein perfektes Motiv für einen Mord. Oder sehe ich das falsch?”
“Nein, das sehen Sie richtig”, sagte ich.
“Na, also!”
“Ihre Theorie hat nur einen Schönheitsfehler.”
“Und der wäre?”
“Der Mann, den Kollege Schmitten suchte, war zu dem Zeitpunkt längst in Paris erschossen worden.”
“Oh”, murmelte Keller.
“Sie scheinen gut über die Sache informiert zu sein”, stellte Rudi fest.
“Durch Ihren verstorbenen Kollegen, Herrn Schmitten.”
“Er hat mit Ihnen gesprochen?”
“Ziemlich lange sogar. Ich habe natürlich alles getan, um ihn zu unterstützen und vielleicht hier und da ein paar Türen zu öffnen, wenn Sie verstehen, was ich meine.”
Ich schüttelte entschieden den Kopf. “Nein, wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht, was Sie meinen.”
“Naja, es gibt hier Leute, die gegenüber Außenstehenden ziemlich verschlossen sind und noch aus der DDR-Zeit ein sehr reserviertes Verhältnis zu staatlichen Stellen und der Polizei haben ...”
“Wenn Sie diese Reichsbürger meinen, dann hat das wohl weniger mit der DDR-Zeit und irgendwelchen miesen Erfahrungen mit der Volkspolizei zu tun”, widersprach ich.
“Wie auch immer. Aber Sie sind ja in Eile, wie Sie sagten. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich auch Sie natürlich voll umfänglich unterstütze, wann immer das opportun ist.”
“Wir kommen dann gerne auf Sie zurück, Herr Keller”, erklärte ich. “Für den Anfang könnten Sie uns ja mal etwas dazu sagen, wie es kommt, dass eine Frau Högel hier ein Flüchtlingsheim leitet, aber in Wahrheit auf Mallorca lebt. Und das wir außerdem weder die Flüchtlinge noch das Heim irgendwo finden konnten.”
“Da muss irgendwas mit dem Datenaustausch und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht so richtig geklappt haben. Aber wie auch? Da sind eine Million Menschen innerhalb kürzester Zeit über die Grenzen gekommen und man hört ja allerorten, dass da einiges ziemlich chaotisch abgelaufen ist. Gerade bei Ihnen da oben in Berlin ... Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich bin eigentlich nämlich auch auf dem Sprung, wenn Sie verstehen, was ich meine.”
Nachdem Martin Keller den Gastraum verlassen hatte, schaute Rudi mich fragend an. “Kommt mir das jetzt nur so vor, oder hat er uns gar keine Antwort auf unsere Frage gegeben?”
“Ist eben ein Politiker”, sagte ich.