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Ferdinand von Bleicher ging mit uns zu einem der Nebengebäude. Mit weiten, raumgreifenden Schritten ging er voran und wir folgten ihm. Schließlich standen wir vor einem der Nebengebäude. Die Wohnung von Devid Dresel machte nur einen Teil dieses Gebäudes aus, hatte aber einen separaten Eingang.

“Wer wohnt hier sonst noch?”

“Dauerhaft - niemand außer mir, meiner Frau und dem ein oder anderen Angestellten.”

“Und in der zweiten Wohnung in diesem Nebengebäude?”

“Das ist eigentlich als Gästehaus konzipiert. Und genauso wird es von mir auch genutzt - mit Ausnahme von Devids Domizil.”

“Was für Gäste sind das denn?”

“Sie wollen aber viel wissen, Herr Kubinke.”

Ich zuckte mit den Schultern.

“Bin neugierig.”

“Habe ich schon gemerkt.”

“Ist ‚ne Berufskrankheit.”

“Deswegen nehme ich das auch nicht persönlich übel.”

“Das beruhigt mich ja.”

“Mancher ist eben zur Schnüffelei geboren. Und unser Staat zieht solche Existenzen an wie das Licht die Motten. Das war immer schon so und daran wird sich auch nie etwas ändern.”

“Komisch, gerade hatte ich angefangen daran zu glauben, dass Ihre Phase des freundlichen Small Talks noch etwas andauern könnte.”

Er verzog den dünnlippigen Mund.

“So kann sich eben auch ein Kommissar täuschen, Herr Kubinke.”

“Ja, in der Tat. Man lernt nie aus.”

“So ist es.”

“Meine Frage sollten Sie mir trotzdem beantworten.”

Von Bleicher lachte auf. “Die nach den Gästen?”

“Genau.”

“Ist das nicht eher eine Privatsache?”

“Das finde ich nicht.”

“Frage ich Sie vielleicht nach Ihren Gästen?”

“Ich empfange keine. Meine Wohnung in Berlin ist zu klein und Zeit hat unsereins für sowas ohnehin nicht. Wenn Sie wüssten, was für einen Berg von Überstunden wir vor uns herschieben.”

“Sie tun mir leid.”

“Ach, hören Sie auf!”

“Nein, wirklich, Herr Kubinke. Sie tun mir leid. So ein armer Staatssklave, der in einer Mönchszelle leben muss und nicht einmal mehr Zeit hat, um Gäste einzuladen ...” Sein Tonfall troff nur so vor Zynismus. Es schien ihm wichtig zu sein, sich über seinen Gesprächspartner zu erheben, ihm zu zeigen, dass er in jeder Hinsicht überlegen war. Der überlegene Geist eines Übermenschen, konfrontiert mit dem schlichten Gemüt einer Beamtenseele von Kommissar - so schien seine Wahrnehmung unserer Begegnung zu sein.

Ich hatte nicht vor, dieses Bild vorschnell zu korrigieren.

Das hatte Zeit.

Manchmal kam Hochmut vor dem Fall - und vielleicht war das auch bei Ferdinand von Bleicher irgendwann so.

Noch ehe mir oder Rudi auf so viel unverschämte Überheblichkeit eine passende Antwort einfiel, fuhr von Bleicher dann fort: “Da Ihnen anscheinend so viel an der Klärung der Frage zu liegen scheint, was für Gäste ich hier so empfange: Ich nutze mein Anwesen dafür, bisweilen Seminare zu veranstalten.”

“Seminare?”, echote ich.

“Mein Haus ist zu einem Ort des Wissens geworden. Einer Bildungsstätte für all jene, die unkonventionelle Ansichten vertreten und denen ansonsten kein Gehör geschenkt wird.”

Ich konnte mir so ungefähr vorstellen, was für Leute hier auftraten. Vom Holocaust-Leugner bis zu Verschwörungstheoretikern war wahrscheinlich alles dabei, was in dieser Szene Rang und Namen hatte.

“Und die Teilnehmer kommen dann in den Genuss Ihrer Gästequartiere”, fasste ich zusammen.

“Und unsereins muss in einem Doppelzimmer mit dem Kollegen auskommen!”, knurrte Rudi.

Herr von Bleicher hatte die Tür aufgeschlossen und dabei erst recht umständlich nach dem richtigen Schlüssel gesucht. Er trug einen beeindruckenden Schlüsselbund bei sich, der jedem Gefängniswärter zur Ehre gereicht hätte.

“Den Schlüssel händigen Sie mir bitte aus”, sagte ich. “Wir müssen die Wohnung versiegeln.”

“Was?”, entfuhr es ihm.

“Das kann sich durchaus zu Gunsten von Devid Dresel auswirken. Schließlich könnte es ja sein, dass wir entlastendes Material finden, dass aber dann nicht entsprechend bei der Beweiswürdigung gewichtet werden kann, weil die Regeln nicht eingehalten wurden oder die tatsächliche Herkunft unklar ist.”

Rudi war schon ins Innere gegangen, um sich umzusehen.

Von Bleicher hingegen blieb wie angewurzelt stehen und bedachte mich mit einem für seine Verhältnisse fassungslos wirkenden Blick.

“Sie wollen mich aber auch um jeden Preis provozieren, Herr Kubinke.”

Ich streckte die Hand aus. “Na kommen Sie: Ein guter Rat an das Oberhaupt eines imaginären Klein-Staates vom Repräsentanten einer militärisch überlegenen Großmacht - geben Sie mir den Schlüssel!”

Von Bleicher blieb einen Augenblick wie erstarrt. Aber dann bemerkte ich ein Schmunzeln. Ganz ohne Humor war er offensichtlich doch nicht. Und manchmal ist eine witzige Bemerkung ebenso gut, dass sie sich den Weg zum Gehirn des anderen auch dann bahnt, wenn der Betreffende das gar nicht will.

Er griff zu seinem Schlüsselbund.

Das klirrte wie man sich das sonst von den Ketten eines leibhaftigen Schlossgespenstes vorzustellen pflegte.

Und dann nahm er tatsächlich den Schlüssel ab und gab ihn mir. “Bitteschön”, sagte er.

“Danke.”

“Wie lange habe ich mit der eingeschränkten Nutzung meines Eigentums zu leben?”

“Das weiß ich nicht. Aber wenn es nach mir geht, dann sind wir vor Weihnachten mit der ganzen Suche fertig.”

“Gut.”

“Ich sagte: Wenn es nach mir geht. Das tut es leider nicht immer”, fügte ich noch hinzu.

“Immer alle Optionen offenhalten, sich nie festlegen. Das scheint ein Charaktermerkmal von Ihnen zu sein, Herr Kubinke.”

“Nein, da liegen Sie falsch.”

“So?”

Ich hob die Augenbrauen. “Ich lege mich nicht gerne zu früh fest, sondern versuche, einen Fall unvoreingenommen zu betrachten. Und das ist auch notwendig, weil man sonst schnell in eine falsche Richtung geraten kann.”

“Schon erlebt?”

“Natürlich.”

“Dann hoffe ich, dass Sie in diesem Fall endlich die richtige Richtung finden ...”

“Da kann ich Sie voll und ganz beruhigen, Herr von Bleicher. Früher oder später finde ich die immer. Na ja, zumindest fast immer. Und was diesen Fall angeht, so habe ich sie vielleicht sogar schon gefunden!”

Killer-Zimmer: Krimi Koffer mit 1300 Seiten

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