Читать книгу Tempelritter und Nachtgeschöpfe: 20 Mystery Thriller um Liebe und Geheimnis: Krimi Koffer - Alfred Bekker - Страница 86
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Die Villa meiner Großtante Elizabeth Vanhelsing ist eine Mischung aus archäologischem Museum und einer Kuriositätensammlung. Dazu kommt dann noch ihr Privatarchiv über den Bereich Okkultismus und Übersinnliches. Elizabeths Mann Frederik war Archäologe gewesen und galt als verschollen, seit er von einer Forschungsreise nicht zurückgekehrt war. Von ihm stammte die Mehrzahl der archäologischen Fundstücke und fremdartigen Artefakte aus aller Welt, die hier zusammengetragen waren.
Seit dem Tod meiner Eltern wohnte ich hier und daher war diese für manche Betrachter sicher etwas eigenartige Umgebung nichts Ungewöhnliches für mich.
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?
Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
Als ich nach Hause kam, setzte Elizabeth mir eine Tasse Tee vor.
"Danke sehr", murmelte ich, während ich mich in einen der altmodischen Sessel fallenließ. Elizabeth setzte sich zu mir, ebenfalls mit einer Tasse Tee.
Sie erzählte mir von einem Buch, in dem sie gerade las. Es handelte sich um eine alte Schrift über einen recht abseitigen magischen Zirkel, der im neunzehnten Jahrhundert in London und Umgebung bestanden hatte und dann ziemlich plötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
"Einflussreiche Persönlichkeiten sollen diesem Kult angehört haben", erklärte sie. "Darunter sogar ein Minister Königin Victorias..."
Ich nahm einen Schluck Tee und hatte einen Moment später plötzlich wieder das Bild einer Kette vor meinem inneren Auge, die um einen Hals geschlungen wurde. Ich sah ein paar feingliedriger Männerhände, die die Kette zu einer Schlinge zusammenzogen. Ich fasste mir unwillkürlich an den Hals und schluckte. Ein beklemmendes Gefühl hatte sich in mir breitgemacht und ich atmete tief durch, so als brauchte ich dringend frische Luft.
"Patricia!", hörte ich Elizabeths Stimme. Ich wandte den Kopf zu ihr hin.
"Entschuldige, Tante Lizzy", murmelte ich.
"Na, kein Wunder, mein Kind! Du hattest vermutlich einen anstrengenden Tag in der Redaktion, musstest dich gegen deinen griesgrämigen Chefredakteur behaupten und ich erzähle dir etwas über eine seit hundert Jahren angestaubte Schrift!"
"Ich war heute bei diesem Künstler - John Jennings." Elizabeth lächelte.
"Hat er diesmal den Termin also nicht platzen lassen."
"Nein..."
Sie sah mich an. Ihre Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen und ihr Blick wurde prüfend. Mir war sehr wohl bewusst, wie schlecht ich etwas vor ihr verbergen konnte. Darum versuchte ich es zumeist auch gar nicht erst.
"Dieser Jennings scheint dich ja sehr beeindruckt zu haben", stellte Elizabeth fest.
Da hatte sie vermutlich sogar recht, obwohl ich noch nicht wusste, was es eigentlich war, das mich an diesem Künstler so fasziniert hatte.
"Ich glaube, es ist mir gelungen, sein Vertrauen zu gewinnen", sagte ich und berichtete meiner Großtante in knappen Worten von unserer Begegnung. "Er redet viel über den menschlichen Geist und geheimnisvolle Kräfte. Ich nehme an, dass der Unfall, der ihn in den Rollstuhl brachte, dafür verantwortlich ist."
"Gut möglich", meinte auch Elizabeth. "So etwas kann ein regelrechter Schock sein. Jemand wie Jennings musste sein ganzes Leben umstellen. Alles verändert sich. Man ist auf die Hilfe anderer angewiesen und fühlt sich wie ein Außenseiter und Krüppel..."
Ich war noch immer ziemlich unaufmerksam bei unserem Gespräch. Müde war ich allerdings nicht. Nein, daran lag es nicht... Gesichter erschienen in rascher Folge vor meinem inneren Auge. Erst das von Jennings, dann das seiner Sekretärin und schließlich das Gesicht von Brent Erikson, seinem Manager. Dann wieder Jennings.
Ich hatte unwillkürlich wieder den Gedanken an eine Kette, die sich schlingengleich um einen Hals zog...
Ein besonderes, charakteristisches Unbehagen hatte sich inzwischen in mir breitgemacht. Ein Gefühl, das ich nur zu gut kannte.
"Tante Lizzy", begann ich und blickte in Elizabeths aufmerksame Augen. Meine Großtante hatte ihre hauchdünne chinesische Teetasse zur Seite gestellt und sich etwas vorgebeugt.
"Sag's mir, mein Kind. Was ist los?"
"Ich habe immer wieder ein Bild vor mir, dass mich einfach nicht loslässt..."
"Deine Gabe...", flüsterte Elizabeth. Sie war überzeugt davon, dass ich eine leichte hellseherische Gabe besaß, die sich unter anderem in Träumen und Ahnungen äußerte. Ich schwankte noch, ob diese Gabe wirklich über das hinaus ging, was allen Menschen widerfährt. Ein Teil von mir war bereit zu akzeptieren, dass diese Träume, Tagträume und plötzlichen Eingebungen etwas zu bedeuten hatten. Ein anderer Teil von mir sträubte sich vehement dagegen.
"Ich weiß nicht, ob es etwas mit der Gabe zu tun hat, Tante Lizzy. Ich bin mir nicht sicher..."
"Was ist das für ein Bild?"
Ich erzählte es ihr. Elizabeth machte ein ziemlich ratloses Gesicht.
Schließlich sagte sie: "Es hat etwas mit diesem Künstler zu tun, nicht wahr?"
"Ich weiß es nicht, Tante Lizzy. Ich weiß nur, dass ich Angst habe, obwohl es dafür keinen realen Grund zu geben scheint." Elizabeth nickte leicht und erklärte mir dann in gedämpftem Tonfall: "Du musst dich der Tatsache endlich stellen, dass du eine übersinnliche Gabe besitzt!"
"Tante Lizzy..."
"Und du musst lernen, sie zu beherrschen!" Aber ich war mir nicht sicher, ob das wirklich der richtige Weg für mich war, denn schon allein der Gedanke daran, ein Ereignis aus der Zukunft zu sehen, jagte mir eisige Schauer über den Rücken. Die Vorstellung, dass mein Leben vielleicht teilweise vorherbestimmt war, fand ich entsetzlich.
"Dinge, die man beherrscht, machen einem keine Angst mehr, Patricia!", hörte ich Elizabeth sagen.
Ich hatte ein Gefühl der Beklemmung, das mich so schnell nicht mehr loslassen sollte. Ich rieb mir unwillkürlich mit der Hand über den Hals und fühlte eine Gänsehaut, so als hätte eiskaltes Metall mich berührt.