Читать книгу Der Mörder ist falsch verbunden: 8 Krimis - Alfred Bekker - Страница 30
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ОглавлениеDie folgenden Stunden verbrachten Milo und ich in unserem gemeinsamen Dienstzimmer.
Die Beweiskette im Hinblick auf Jay McIntosh schien lückenlos zu sein.
Dann fuhren wir noch einmal zum St. Patrick’s Asylum, um erstens mit McIntoshs Frau zu sprechen und zweitens Näheres darüber herauszubekommen, was es mit der Abtreibung im Teenager-Alter auf sich hatte.
Mr McKee hatte uns das aufgetragen.
Wir mussten in jedem Fall in dieser Sache weiterermitteln.
Der Fall Guthrie konnte zwar vielleicht bald abgeschlossen werden, aber es gab darüber hinaus ja noch den Mord an Jay McIntosh aufzuklären. Auch ein mutmaßlicher Mörder hatte es verdient, dass man seinen Tod bis ins Letzte aufklärte.
„Irgendetwas gefällt mir an der Sache noch nicht“, meinte ich auf dem Weg nach Brooklyn
„Ein Mörder, der am Tatort war und sogar ein Motiv hatte – was reicht dir daran denn nicht?“
„Ich hatte zwar nur eine kurze Begegnung mit McIntosh, aber irgendwie traue ich ihm einfach die nötige Entschlossenheit für ein derart gut geplantes Verbrechen nicht zu. Eine spontane, emotionale Tat ja – aber die Vorgehensweise des Mörder passt nicht zu dem Mann!“
„Sie passt nicht zu dem Bild, das du dir davon gemacht hast, Jesse. Das ist sind zweierlei Paar Schuhe.“
„Vielleicht hast du Recht.“
„Vergiss nicht, dass er Mitglied dieser radikalen Divine Guardians war. Und die Schmauchspuren an einigen seiner Kleidungsstücke beweisen, dass er entweder der Mörder war oder zumindest an diesen Waffenübungen teilgenommen hat. Wahrscheinlich beides. Und es dürfte ihm wohl auch nicht schwer gefallen sein, an ein Nachtsichtgerät heranzukommen.“
„Wieso hat er sich dann mühsam darum bemüht, sich eine Waffe über das Internet aus dubioser Quelle zu besorgen?“, fragte ich.
„Na, weil seine Freunde bei den Guardians vielleicht das Passende für irgendwelche Sandkastenspiele vorrätig hatten – aber keine Waffe mit Schalldämpfer zum Beispiel, die sich außerdem nicht zurückverfolgen lässt… Das spricht doch alles nur für McIntoshs Täterschaft.“
Wir erreichten das St. Patrick’s Asylum.
Da wir uns telefonisch angemeldet hatten, erwartete uns eine Ärztin. Sie hieß Dr. Ricarda Johnson und war die medizinische Leiterin des St. Patrick’s.
„Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, wenn Sie mit Jane McIntosh sprechen“, sagte Dr. Johnson, als sie uns in ihrem Behandlungszimmer empfing. „Sie ist kaum ansprechbar.“
„Ist sie über den Tod ihres Mannes informiert worden?“, erkundigte ich mich.
„Ja, das habe ich heute Morgen getan. Auch das ist ein Grund, weshalb Sie vielleicht von einer Befragung absehen sollten.“
„Es tut mir leid, aber wir müssen einen Mord aufklären. Wenn es also irgendwie möglich ist, sollten Sie es zulassen, dass Mrs McIntosh aussagt.“
Dr. Johnson atmete tief durch. Es war ihr anzusehen, dass sie alles andere als begeistert von dem Gedanken war. Schließlich rang sie sich aber doch dazu durch, die Befragung zu ermöglichen. „Aber ich möchte anwesend sein.“
„Nichts dagegen einzuwenden, Dr. Johnson.“
„Und ich breche die Sache sofort ab, wenn ich den Eindruck habe, dass Jane McIntosh zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Ihr Zustand ist sehr labil und ich werde nicht zulassen, dass er sich verschlimmert.“
„Einverstanden.“
Dr. Johnson führte uns zu Jane McIntosh. Sie befand sich in ihrem Zimmer, stand am Fenster und blickte hinaus.
„Mrs McIntosh, zwei Agenten des FBI sind hier, die mit Ihnen sprechen möchten“, kündigte uns die Ärztin an.
Jane McIntosh drehte sich sehr langsam herum. Sie sah kurz auf, senkte dann aber den Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei hoben sich die Oberarme, so als wäre ihr kalt.
„Mein Mann ist tot“, sagte sie und schluckte.
„Wir möchten herausfinden, wer ihn umgebracht hat“, begann ich das Gespräch.
Jane McIntosh gab durch keinerlei Regung zu verstehen, ob sie mich überhaupt verstand. Ich hatte Zweifel daran, dass sie mir wirklich zuhörte. Ihre Gedanken schienen abzudriften.
„Stellen Sie Ihre Fragen, Agent Trevellian!“, forderte mich Dr. Johnson auf. Mir war klar, dass sie uns nicht viel Zeit zubilligen würde. Also war ich gezwungen, die Sache auf den Punkt zu bringen.
„Ihr Mann hat Sie gestern besucht, nicht wahr?“
„Ja.“
„Wann war das?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe keine Uhr.“
„Ich werde in den Besuchsvermerken nachsehen, wenn Ihnen das hilft, Agent Trevellian“, versprach Dr. Johnson.
„Worüber haben Sie gesprochen“, fragte ich. „Versuchen Sie sich zu erinnern. An jede Einzelheit.“
„Was soll denn das?“, mischte sich Dr. Johnson ein, noch ehe Jane McIntosh hatte antworten können. „Wieso interessiert Sie das private Gespräch unter Eheleuten? Was hat das mit Ihrem Fall zu tun?“
„Es war ein Gespräch, nach dem Jay McIntosh so aufgewühlt war, dass er nach vielen Jahren zum ersten Mal gebeichtet hatte!“, gab ich zu bedenken.
Jane McIntosh erhob jetzt ihre Stimme. In überraschend klaren Worten begann sie zu sprechen. „Wir haben über Dr. Guthrie gesprochen. Ich kann Jay jetzt nicht mehr schaden, wenn ich darüber rede. Kein Gericht kann ihn noch verurteilen.“
„Wenn Sie worüber reden?“, hakte ich nach. „Sprechen Sie weiter!“
Sie sah mich an, musterte mich nachdenklich mit ihren wässrig-blauen Augen. Ich hatte das Gefühl, dass sie nur wenige Augenblicke wirklich präsent war, dann drifteten ihre Gedanken ab und sie sah förmlich durch mich hindurch.
„Ich glaube, das reicht“, entschied Dr. Johnson. „Sie sehen ja, in welchem Zustand sich Mrs McIntosh befindet und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da…“
Jane McIntosh unterbrach die Ärztin. „Jay hat mir erzählt, dass Dr. Guthrie getötet worden ist.“
„Sie kannten Dr. Guthrie auch?“, fragte ich.
Sie nickte. „Ja“, flüsterte sie. „Er war Oberarzt im Gouvernor’s Hospital in Manhattan, als ich…“ Sie schluckte und sprach nicht weiter.
„Sie haben als Teenager eine Abtreibung vornehmen lassen. War Dr. Guthrie der behandelnde Arzt?“
Sie nickte. „Dr. Guthrie sagte damals, dass es das Beste für mich wäre. Alle meinten das. Und ich…“ Eine Pause folge. Sie stockte, setzte zweimal an, ohne dass auch nur ein einziges Wort über ihre Lippen drang und presste schließlich heraus: „Ich dachte das auch. Aber später… Dr. Guthrie trägt keine Schuld, die trage ich ganz allein. Das habe ich auch Jay gesagt…“
„Hat Ihr Mann Ihnen gegenüber gesagt, dass er Dr. Guthrie getötet hat?“, wollte ich wissen.
„Er sagte nur, dass Guthrie nicht mehr leben würde und seine gerechte Strafe bekommen hätte. Er meinte, dass es mir doch jetzt besser gehen müsste, aber das ist nicht der Fall.“ Tränen rannen ihr über das Gesicht. „Ich fühlte gar nichts, als er mir von seinem Tod berichtete. Ich war innerlich wie tot.“
Ihr Gesicht lief rot an und verzog sich zu einer Grimasse. Sie atmete schneller.
„Jetzt ist endgültig Schluss“, entschied Dr. Johnson. „Ich denke, Sie haben gehört, was Sie wissen wollten.“