Читать книгу Heiter und unterhaltsam in die Weihnachtszeit: 2 Romane und 66 Kurzgeschichten - Alfred Bekker - Страница 24
ОглавлениеDer Goldstrauch
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Der Abt suchte Bruder Lukas in der Bibliothek auf und fand ihn in einen dicken, staubigen Wälzer vertieft. "Bruder Lukas..." Der Mönch blickte auf. Er schien ein wenig verstört zu sein und brauchte einen Moment, um aus der Gedankenwelt seines Buches wieder in das Hier und Jetzt zu finden.
"Ja?" - "Ich muß mit Ihnen sprechen, Bruder Lukas", sagte der Abt und blickte sich um. "Aber nicht hier. In meinem Zimmer."
Bruder Lukas legte das Buch zur Seite und nahm die Lesebrille von der Nase. Dann folgte er dem Abt in dessen Arbeitszimmer.
"Entschuldigen Sie, daß ich Sie einfach so überfalle, Bruder Lukas, aber ich brauche Ihren Rat!" - "Meinen Rat?"
Der Abt nickte. "So ist es. Es geht um eine Entscheidung, die sehr schwerwiegend sein kann. Schwerwiegend für unser Kloster, für unseren Orden, vielleicht für die ganze Welt..." Bruder Lukas runzelte verwundert die Stirn. Das klang reichlich mysteriös. Er atmete tief durch und fragte dann: "Worum geht es?"
"Vor kurzem ist unserem Kloster eine Erbschaft zuteil geworden. Ein gewisser Professor Dr. Werner Mahrens hat uns den Inhalt eines Bankschließfachs vermacht..."
Bruder Lukas runzelte die Stirn. "Mahrens? Doch nicht etwa der Genforscher Mahrens?"
"Genau der!" bestätigte der Abt. "Ich weiß auch nicht, weshalb er gerade uns nach dem Tode bedenken wollte schließlich wird ihm bekannt gewesen sein, daß wir sehr kritisch über die Art und Weise denken, wie Leute von seinem Schlag in Gottes Schöpfung herumpfuschen..."
"Was war denn in dem Schließfach?" fragte indessen Bruder Lukas, den die Neugier gepackt hatte. Der Abt holte eine kleine Tüte aus der Schublade und reichte sie Bruder Lukas.
Dieser blickte hinein. "Sieht aus wie... Saatgut!" stellte er fest. Der Abt nickte. "Sehr richtig. Es sieht wertlos aus, aber das ist es nicht. Ich habe mir erlaubt, ein paar dieser Dinger einzupflanzen. Sie wissen, daß ich immer schon naturwissenschaftlich interessiert war."
"Und?" erkundigte sich Bruder Lukas. Der Abt ging zum Fen-ster, zog den Vorhang ein wenig zur Seite und holte einen Pflanzentopf hervor, aus dem ein kleiner, kräftiger Strauch emporwuchs. Die Blätter waren grün und saftig, das Gehölz dunkel und biegsam. Aber das wirklich erstaunliche waren die Früchte. Sie waren kirschgroß und golden. Bruder Lukas berührte eine von ihnen schüchtern und stellte fest, daß sie tatsächlich hart waren. Metallisch. Die Dinger sahen aus wie Nüsse - mit einer Schale aus purem Gold.
"Sie sehen richtig, Bruder Lukas. Ich habe die Dinger von einem Juwelier auf ihren Goldgehalt untersuchen lassen. Vor Ihnen steht ein Vermögen."
"Mein Gott...", flüsterte Bruder Lukas. "Das ist... ein Wunder!"
"Ja, ja..." Der Abt riß eine der Goldfrüchte ab und reichte sie Bruder Lukas. Dieser starrte fasziniert auf das schimmernde Gold.
"Mal abgesehen von allen Bedenken, die man gegen die Gentechnologie haben kann", begann Bruder Lukas dann. "Ein kleiner Garten mit diesen Sträuchern würde all unsere Probleme lösen! Wir könnten endlich das Bewässerungsprojekt im Sudan finanzieren, das uns schon so lange vorschwebt..."
"Gewiß", nickte der Abt.
"Und das Heim für brasilianische Straßenkinder wäre in seinem Bestand auf Jahre gesichert!"
"Sicher, Bruder Lukas!"
"Nicht zu vergessen die Obdachlosen-Speisung, die unser Orden durchführt und zu der uns die Zuschüsse gestrichen wurden!"
"Sie sind also begeistert, Bruder Lukas!" stellte der Abt mit skeptischem Unterton fest.
"Wir wären nicht mehr abhängig von der Spendenlaune unserer Mitchristen, sondern könnten einfach Gutes tun. Was ist falsch daran?"
Der Abt lächelte. "Das war auch mein erster Gedanke. Aber inzwischen habe ich Zweifel..."
"Zweifel?" Bruder Lukas schien nicht zu verstehen.
"Ja. Und darüber möchte ich mit Ihnen sprechen. Sie wissen, daß Ihr Urteil mir sehr wichtig ist..."
"Ich verstehe nicht, was es da zu überlegen gibt?"
Der Abt hob die Hand. "Wieviele dieser Sträucher würden Sie anbauen, Bruder Lukas? Einen? Einen Garten? Oder vielleicht eine ganze Plantage?"
"Warum nicht eine Plantage? Oder zwei? Das Elend der ganzen Welt könnte besiegt werden! Von einem dieser kleinen Goldklumpen könnte ein Kind in der dritten Welt mindestens ein Jahr lang zu Schule gehen und satt werden!"
Der Abt schien den Optimismus seines Mönchsbruders nicht zu zu teilen. "Vielleicht. Aber was würde geschehen? Solange wir nur ein paar dieser Sträucher haben, nichts. Aber wenn wir alles Elend der Welt lindern wollen, dann brauchen wir viele Plantagen, die tonnenweise Gold wachsen lassen. Andere würden es über kurz oder lang schaffen, unser Saatgut zu stehlen und dann ebenfalls Goldstrauch-Plantagen anzulegen beginnen. Nicht lange und der Goldpreis würde sinken. Zu-nächst würde das nur die Besitzer von Schmuck und die Juwe-liere ärgern. Aber dann würden die Goldreserven der Staatsbanken ihren Wert zusammenschmelzen. Es gäbe eine horrende Geldentwertung und eine Wirtschaftskrise, die Millionen ins Elend stürzen würde! Auch dort, wo heute Wohlstand ist, würde die Not einziehen..."
"Hm", machte Bruder Lukas und biß sich auf die Lippe.
"...und am Ende wären unsere Goldstrauchplantagen keinen Pfifferling mehr wert, denn Gold würde es dann im Überfluß geben. Und die meisten derer, die unsere Projekte heute mit ihren Spenden über Wasser halten, wären dann selbst arm. Wir hätten das Elend nicht beseitigt, sondern vermehrt und unsere Möglichkeiten, Gutes zu tun, vermindert..."
Bruder Lukas atmete tief durch und nickte dann. "Ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen", sagte er.
Der Abt lächelte. "Ich hoffte, Sie würden zu demselben Schluß kommen wie ich, Bruder Lukas. Das entlastet mein Ge-wissen!" Dann nahm der Abt die Tüte mit dem Goldtrauch-Saatgut und legte sie in den Aschenbecher auf seinem Schreibtisch, in dem sich noch ein dicker Zigarrenstummel befand. Der Abt holte ein Streichholz hervor, riß es an und ließ die Tüte samt Inhalt in Flammen aufgehen, während Bruder Lukas ein leises Seufzen hören ließ.